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Falsche Auskunft/falscher Rat des Verteidigers – i.d.R. ist das Ausbleiben dann entschuldigt

Es ist h.M., dass im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren ein Ausbleiben zu einem Gerichtstermin auch dann als entschuldigt anzusehen sein kann, wenn es auf einem — auch unrichtigen oder rechtsirrigen — Rat oder Hinweis des Verteidigers beruht. Das hat jetzt noch einmal das  LG Frankfurt (Oder) im  LG Frankfurt (Oder), Beschl. v. 23.10.2012 – 22 Qs 104/12 – bestätigt. Da hatte der Verteidiger den Amtsrichter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und dem Betroffenen erklärt, er brauche zur Hauptverhandlung nicht zu kommen, die könne wegen des Ablehnungsgesuchs nicht stattfinden. Das AG hat dann in der Hauptverhandlung den Einspruch des Betroffenen verworfen (§§ 73, 74 OWiG).

Das LG hat Wiedereinsetzung gewährt und führt aus:

„Im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren ist allgemein anerkannt, dass ein Ausbleiben zu einem Gerichtstermin auch dann als entschuldigt anzusehen sein kann, wenn es auf einem — auch unrichtigen oder rechtsirrigen — Rat oder Hinweis des Verteidigers beruht (vgl. BayObLG, NStZ-RR 2003, 85; OLG Hamm, NStZ-RR 2010, 245; KG Berlin, Beschluss vom 09.05.2012, 3 Ws (B) 260/12 = DAR 2012, 395; Meyer-Goßner, 55. Aufl., § 44 StPO Rn. 22a). Rat und Mitteilung des Verteidigers, der Betroffene müsse nicht zu einem bestimmten Termin erscheinen, sind aber nicht unbeschränkt und in jedem Fall geeignet, ein Verschulden des Betroffenen auszuschließen. Vielmehr kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an. Ein Vertrauen auf einen entsprechenden Hinweis des Verteidigers ist dann nicht gerechtfertigt, wenn sich dem Betroffenen nach der konkreten Sachlage Zweifel aufdrängen müssen, ob die Äußerung seines Verfahrensbevollmächtigten zutreffend ist. Bestehen ausreichende Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der von der Verteidigung erteilten Auskunft oder Beratung, ist der Betroffene gehalten, Zweifel durch Nachfragen bei Gericht zu klären. Tut er dies nicht, gereicht ihm dies zum Verschulden (BayObLG a.a.O., S. 85, 86).

Vorliegend vermag die Kammer Umstände, aus denen sich für den Betroffenen Zweifel an der Richtigkeit der Auskunft des Verteidigers, das Gericht müsse erst über das Ablehnungsgesuch befinden, vorher könne der Hauptverhandlungstermin nicht durchgeführt werden, deshalb müsse der Betroffene am 12.07.2012 nicht erscheinen, hätten ergeben können, nicht zu erkennen. Der Betroffene ist juristischer Laie; er verfügt nicht über detaillierte Kenntnisse des Straf- bzw. OWi-Verfahrensrechts. Er durfte auf die Information seines Verteidigers vertrauen, zumal in dem Wiedereinsetzungsgesuch glaubhaft gemacht worden ist, dass der Verteidiger die Nichtdurchführung des Termins als sichere Folge des Ablehnungsgesuchs geschildert und außerdem auch mitgeteilt habe, dass er den Betroffenen anrufen werde, falls sich etwas anderes ergeben sollte. Die Ausführungen des Verteidigers, dass zunächst über den Befangenheitsantrag befunden werden müsse, waren auch insofern richtig, als einem abgelehnten Richter bis zur Erledigung des Befangenheitsantrags alle nicht unaufschiebbaren Amtshandlungen untersagt sind (vgl. § 29 Abs. 1 StPO). Im Übrigen hatte der Verteidiger mit Stellung des Befangenheitsantrags darum ersucht, ihm vor einer Entscheidung die dienstliche Äußerung der Richterin zur etwaigen Erwiderung zu übermitteln, was nicht geschehen ist.“

Vorsicht bei der Revisionsbegründung – Unzulässigkeit droht!!

Ich hatte ja schon mehrmals darauf hingewiesen, dass der Verteidiger darauf achten muss, dass nicht der Eindruck entsteht, er habe eine Revisionsschrift nicht selbst verfasst. Bestehen nämlich Zweifel, dass er die volle Verantwortung für den Inhalt der Schrift übernommen hat, führt das nach der obergerichtlichen Rechtsprechung zur Unzulässigkeit des Rechtsmittels. So noch einmal der OLG Hamm, Beschl. v. 10.07.2012 – III  5 RVs 65/12. Dort war in der Revisionsbegründung wie folgt formuliert:

Der Angeklagte ist der Auffassung, dass das Gericht ihn fälschlicherweise als vermindert schuldfähig angesehen hat.
Der Angeklagte meint, er sei schuldunfähig.
Er rügt, ……
Aus dem Urteil ist zu entnehmen, …..
Daraus ergibt sich nach Auffassung des Angeklagten eindeutig, dass…..
Der Angeklagte meint nunmehr, dass bereits das Amtsgericht ……
Insofern wird Verfahrensrüge erhoben.
 Sachrüge
wird nur in allgemeiner Form erhoben.“

Das OLG hat Unzulässigkeit der Revision angenommen und nach § 349 Abs. 1 StPO verworfen:

Danach ergeben sich durchgreifende Zweifel, dass die Verteidigerin die volle Verantwor­tung für die Revisionsbegründung übernommen hat. Zwar wird abschließend „in allgemei­ner Form“ die Sachrüge erhoben. Die vorangehenden Ausführungen, welche auch die Rüge materiellen Rechts betreffen, deuten jedoch insgesamt durch die verwendeten Formulierungen “ Der Angeklagte ist der Auffassung „, “ Der Angeklagte meint „, „Er rügt“ und durch die weitere Wiedergabe von Äußerungen des Angeklagten in indirekter Rede eindeutig darauf hin, dass sich die Verteidigerin von diesen Ausführungen distanziert und gerade nicht die volle Verantwortung für den Inhalt der Schrift übernommen hat (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 21. Mai 2003, 3 StR 180/03). Dies gilt zumal deshalb, da sie keine eigenen Ausführungen hinzugefügt hat.

Das hätte man m.E. wegen des letzten Satzes in der Begründung auch anders sehen können. Aber: Es bleiben/blieben für das OLG eben Zweifel. Also Vorsicht!!

Nicht Rosen, sondern Kündigung für den Staatsanwalt

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Ich war ein paar Tage unterwegs, daher komme ich erst heute dazu auf die PM_StA_Muenster_27_06_12 hinzuweisen, die sic auch noch einmal mit der Verhaftung eines Verteidigers im Gerichtssaal beim LG Münster befasst (hier dazu unser Beitrag mit weiteren Hinweisen). In der PM heißt es u.a.:

Das Vorgehen der Staatsanwaltschaft Münster in diesem Fall ist skandalös und rechtsmissbräuchlich, denn sie verletzt in eklatanter Form die für Rechtsanwalt R. streitende Unschuldsvermutung. Die Festnahme in einer eigens dafür beantragten Unterbrechung der Gerichtsverhandlung vor den Augen aller Anwesenden und der anwesenden Presse erweckt den Eindruck einer mediengerechten Inszenierung. Ein sachlicher Grund für die Festnahme in dieser Form ist nicht erkennbar. Da Fluchtgefahr nicht bestand, wäre es ein leichtes gewesen, Rechtsanwalt R. vor oder nach der Verhandlung ohne großes Aufsehen im Gerichtsgebäude festzunehmen. Wenn dies dennoch im Gerichtssaal unter den Augen der Öffentlichkeit und der Presse geschah, ist nur so zu erklären, dass den verantwortlichen Staatsanwälten darum ging größtmögliche öffentliche Wirkung zu erzielen. Dabei ist die Staatsanwaltschaft nach den Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren gehalten, alles zu vermeiden, »was zu einer nicht durch den Zweck des Ermittlungsverfahrens bedingten Bloßstellung des Beschuldigten führen kann.« (RiStBV Nr. 4a Keine unnötige Bloßstellung des Beschuldigten).

Diese Art publicityträchtiger staatsanwaltschaftlicher Öffentlichkeitsarbeit ist schon im Fall Zumwinkel kritisiert worden. Diese Art der medialen Exekution verletzt die Unschuldsvermutung und das Gebot der Verhältnismäßigkeit in
unerträglicher Form.

Die Strafverteidigervereinigungen fordern daher die Ablösung des verantwortlichen Abteilungsleiters der Staatsanwaltschaft. Ursache und Hintergrund des »Presselecks« sind lückenlos aufzuklären.“

Also nicht Rosen, sondern „Kündigung für den Staatsanwalt“.

Das BVerfG und die Krawatte des Verteidigers

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Manchmal werfen Beschlüsse Fragen auf, obwohl sie die doch eigentlich beantworten sollen. So geht es mir mit dem BVerfG, Beschl. v. 13.03.2012 – 1 BvR 210/12, der offenbar in einem „Krawattenstreit“ mit einem Verteidiger ergangen ist. Aus dem nur knapp mitgeteilten Sachverhalt folgt: Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt und trat in einer Hauptverhandlung vor der Strafkammer als Verteidiger auf. Er trug Robe und weißes Hemd, jedoch keine Krawatte. Nach Aufforderung des Vorsitzenden Richters, eine Krawatte anzulegen, und darauf erfolgter zweifacher Weigerung des Beschwerdeführers wies ihn der Vorsitzende als Verteidiger zurück. Die gegen die Zurückweisung zum OLG erhobene Beschwerde blieb erfolglos. Zur Begründung führte das OLG im Beschluss aus, der Beschwerdeführer sei zu Recht nach § 176 GVG zurückgewiesen worden, weil er seine Pflicht verletzt habe, vor Gericht Amtstracht zu tragen. Gewohnheitsrechtlich gehöre in Bayern zur Amtstracht eine „weiße Halsbinde“. Daran habe die Regelung der Berufstracht in § 20 der BerufsO nichts ändern können. Der Beschwerdeführer habe eine von dieser berufsrechtlichen Bestimmung unabhängige verfahrensrechtliche Pflicht zum Tragen des Langbinders verletzt, die nach breitem Konsens und Übung der Organe der Rechtspflege noch gelte. Der Verstoß des Beschwerdeführers sei schwerwiegend und rechtfertige die Zurückweisung als Verteidiger.

Dagegen die Verfassungsbeschwerde, die das BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen hat. Die Sache habe keine  grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung und:

Hiernach kommt der behaupteten Grundrechtsverletzung kein besonderes Gewicht zu. Dem Oberlandesgericht war erkennbar daran gelegen, eine am Maßstab der Grundrechte und der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 28, 21) sachlich begründete Entscheidung mit geringer Eingriffsintensität zu treffen. Die vom Oberlandesgericht bestätigte Zurückweisung als Verteidiger stellte das im Hinblick auf das Gewicht des Eingriffs am wenigsten schwerwiegende Mittel dar (vgl. BVerfG 28, 21 <35>). Der Beschwerdeführer kann ähnliche Maßnahmen künftig abwenden, indem er eine Krawatte anlegt. Dies stellt für ihn – auch mit Blick auf die Interessen seines Mandanten an einem zügigen Prozessverlauf – keine unzumutbare Belastung dar (vgl. BVerfGE 34, 138 <139>). Die angegriffene sitzungspolizeiliche Maßnahme mag im Hinblick auf die möglicherweise erschöpfende Regelung des § 59b Abs. 2 Nr. 6 BRAO rechtlich bedenklich und als Reaktion auf das Verhalten des Beschwerdeführers überzogen erscheinen, betrifft ihn aber weder nach ihrem Gegenstand noch wegen der aus ihr folgenden Belastung in existentieller Weise. Die Berufsausübungsfreiheit des Beschwerdeführers wurde außerhalb des Hauptverhandlungstermins, in dem die Zurückweisung erfolgte, nicht beschränkt. Ausweislich des der Verfassungsbeschwerde beigefügten Sitzungsprotokolls ist seine Ladung zu einem neuen Hauptverhandlungstermin angeordnet worden. Ein über das Erscheinen zu dem neu anberaumten Termin hinausgehender Nachteil ist nicht ersichtlich.“

Also: Wenn ich den Beschluss richtig verstehe, geht das BVerfG wohl davon aus, dass – in Bayern, nur in Bayern (?) – die Krawatte zur Amtstracht gehört. Das gibt § 20 BerufsO m.E. aber nicht her und ist auch umstritten. Auch die Zurückweisung nach § 176 GVG scheint für das BVerfG in Ordnung zu gehen, allerdings: Wieso dann der Hinweis auf § 59b Abs. 2 Nr. 6 BRAO

Munition im Kampf um die Terminsverlegung: Verteidiger verhindert, Termin i.d.R. zu verlegen

Der mir von einem Kollegen zugesandte KG, Beschl. v. 09.05.2012, 3 Ws (B) 260/12

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behandelt eine in der Praxis häufigere Konstellation:

Nach Einspruch gegen den Bußgeldbescheid wird Hauptverhandlungstermin anberaumt, der dreimal verlegt werden muss. Der Betroffene ist vom neu anberaumten Termin nicht entbunden. Am Terminstag – Termin soll um 13.00 Uhr stattfinden – teilt der Verteidger mit, er sei bettlägerig erkrankt und beantragt, den Termin zu verlegen.  Das AG verlegt nicht, sondern verwirft in der Hauptverhandlung nach § 74 Abs. 2 OWiG. Das KG hebt das Urteil auf:

„Das Nichterscheinen des Betroffenen im Termin vom 27. Februar 2012 war nämlich nicht unentschuldigt, denn der Betroffene war vom Büro seines Verteidigers über den gestellten Antrag auf Terminsverlegung informiert worden und ihm war die Mitteilung erteilt worden, dass er angerufen werde, falls der Termin doch noch stattfinden sollte: Aufgrund der eidesstattlichen Versicherung der Mitarbeiterin des Verteidigers steht fest, dass diese nach Übersendung des Antrages auf Terminsaufhebung bei Gericht angerufen hatte, wo ihr eine Mitarbeiterin mitgeteilt hat:, dass sich jemand im Verteidigerbüro melden würde, wenn der Termin stattfinden würde. Ein Rückruf erfolgte jedoch nicht mehr, sodass die Mitarbeiterin des Verteidigers den Betroffenen entsprechend informierte und ihm mitteilte, dass er nicht zum Termin erscheinen müsse.

 Das Ausbleiben des Betroffenen im Hauptverhandlungstermin war hier im Sinne des § 74 Abs. 2 StPO als entschuldigt anzusehen, da es auf der Information seines Verteidigers beruht (vgl. Senat, Beschluss vom 15. August 2007 – 3 WS-(B) 440/07; BayObLG VRS 104,. 302, .304; OLG Hamm JMBl. NW.1972, -32, 33). Ein Vertrauen auf einen derartigen Hinweis des Verteidigers ist nur dann nicht gerechtfertigt, wenn sich dem Betroffenen nach der konkreten Sachlage Zweifel aufdrängen müssen, ob die  Äußerung seines Verfahrensbevollmächtigten zutreffend ist (Senat, BayObLG und OLG-Hamm, a.a.O.).“

 So weit bringt der Beschluss nichts wesentlich Neues. Das hatten wir schon in der Rechtsprechung, dass der Beschuldigte der auf (falsche) Auskünfte seines Verteidiger vertraut und deshalb nicht zur Hauptverhandlung erscheint, nicht unentschuldigt ist. Aber interessant der letzte Absatz:

„Für derartige Zweifel bestand jedoch keine Veranlassung, zumal der Hauptverhandlungstermin ja-bereits drei Mal vom Gericht verlegt worden war. Außerdem hatte das Gericht durch das Fax des Verteidigers noch rechtzeitig vor dem Termin Kenntnis von dem Antrag auf Terminsverlegung erhalten, was dem Betroffenen ja auch so mitgeteilt worden ist. Hat der Betroffene einen Verteidiger und hat dieser rechtzeitig vor dem Termin einen begründeten Verlegungsantrag wegen seiner Verhinderung gestellt, so hat das Gericht über einen solchen Antrag nach pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden (Senat, NZV 03, 433; OLG Karlsruhe, NZV 06, 217), wobei bei einem bestreitenden Betroffenen einem solchen Antrag sogar in der Regel zu entsprechen ist (OLG Karlsruhe, a.a.O.). Die Verhinderung des Verteidigers kann somit durchaus auch geeignet sein, auch den Betroffenen zu entschuldigen. Das Amtsgericht Tiergarten hätte daher den Einspruch gegen Bußgeldbescheid nicht gemäß 74 Abs. 2 OWiG verwerfen dürfen.“

Nach dem OLG Karlsruhe nun zu dieser Frage also auch das KG. Das ist zwar auch nicht neu, gibt aber „Munition“ im Kampf um die Terminsverlegung.