Heute dann ein „Pflichti-Tag“, den ich allerdings nicht mit einer Entscheidung zu Pflichtverteidigungsfragen eröffne, sondern mit einem Posting zu einer allgemeinen Frage. Nämlich zur Frage des Selbstverständnisses eines Verteidigers/Rechtsanwalts/Pflichtverteidigers.
Ausgangspunkt ist ein Beitrag/Posting eines anwaltlichen Kollegen auf Facebook, der/das mich – das schon mal vorab – dann doch – gelinde ausgedrückt – sehr erstaunt hat. Für mich war es der Aufreger des Tages.
Der Kollege hatte nämlich u.a. bei Facebook ein Video hoch geladen, in dem er mit folgendem Statement zu sehen und zu hören war:
„Strafverteidiger oder Pflichtverteidiger? Das ist die Frage, die sich viele Betroffene stellen.
In letzter Zeit haben sich viele, viele Mandanten an uns gewandt und kamen dann mit der Aufforderung eines Gerichts, mit der Bitte darum, einen Pflichtverteidiger zu benennen. Und die Leute waren dann ganz aufgeregt und verunsichert und haben gesagt: Was sollen wir denn tun? Uns wird hier in Aussicht gestellt, dass ein Pflichtverteidiger uns begleitet. Das wollen wir aber gar nicht. Denn wir wollen einen richtigen Anwalt haben und darin bestärken wir unsere Mandanten auch. Wir übernehmen diese Mandate natürlich auch. Also wir sind nicht nur als Pflichtverteidiger tätig, sondern wir übernehmen auch richtige Strafverfahren.
Was ist der Unterschied? Der Unterschied ist, dass in dem Fall, dass man einen eigenen Anwalt nimmt, man selbst für die Kosten aufkommt. Und wenn es ein Pflichtanwalt ist, also ein staatlicher Pflichtanwalt, werden die Kosten zunächst vom Staat übernommen. Ich sage meinen Mandanten immer: Den ersten guten Eindruck beim Gericht macht man doch dadurch, dass man zeigt, dass man sich selbst um seine Dinge kümmert und nicht dem Staat auf der Tasche liegt, was die Kosten anbelangt.“
Zu dem Video gibt es dann auch noch einen Begleittext, in dem es heißt:
„Vor Gericht ist auch der erste Eindruck wichtig. Bei einem Pflichtverteidiger werden die Kosten zunächst von der Staatskasse bezahlt, der Beschuldigte muss also nicht schon während dem Verfahren für die Kosten aufkommen. Anders ist dies beim Strafverteidiger, hier muss der Beschuldigte selbst für die Kosten für seinen Anwalt aufkommen. Doch ich finde: durch einen Wahlverteidiger wird ein erster guter Eindruck beim Gericht gemacht, da der Beschuldigte nicht dem Staat (und damit der Allgemeinheit) mit den Kosten „auf der Tasche liegt.
Zudem muss der Beschuldigte, sofern er das Gerichtsverfahren verliert, nachträglich auch noch die Kosten für den Pflichtverteidiger bezahlen.“
So weit, so gut, oder: Wohl eher nicht so gut, wie ich finde.
Und das habe nicht nur ich so empfunden, sondern eine ganze Reihe anwaltlicher Kollegen, die zu dem Beitrag des Kollegen Stellung genommen haben, ebenfalls. Denn aus deren Kommentaren war deutlich zu entnehmen, dass sie die Frage der “Pflichtverteidigung“ anders sehen als der Ersteller des Postings. Das ist zutreffend. Die Pflichtverteidigung ist nach der Rechtsprechung Ausgestaltung des Rechtsstaatsprinzips und des fairen Verfahrens und dient, wie eine Kollegin treffend formuliert hat, dazu „einem Menschen in gesetzlich hart umgrenzten Fällen, ohne Ansehen seiner finanziellen Situation eine Verteidigung zu ermöglichen.“
Ich habe meinen Unmut über das Posting (natürlich) auch zum Ausdruck gebracht und wie folgt kommentiert:
„Herr Kollege, könnten Sie mir bitte den Unterschied zwischen einem Pflichtverteidiger, einem Strafverteidiger und einem richtigen Verteidiger erklären?
Sie erwecken zudem den Eindruck, als ob ein Pflichtverteidiger ein minderwertiger Verteidiger ist, was nach der obergerichtlichen Rechtsprechung, die Sie hoffentlich kennen, falsch ist.
Was sollen solche Postings? Ich kenne viele Rechtsanwälte, die auch dann einen sehr guten Job machen, wenn sie „nur“ Pflichtverteidiger sind. Die werten Sie ab.
M.E. sind solche Postings gefährlich, denn sie erwecken den Eindruck einer Zwei-Klassen-Verteidigung.
Gewogen und zu leicht gefunden.“
Darauf ist – natürlich – keine Antwort gekommen. Was will man darauf auch antworten, außer dass es in Strafverfahren nicht einen „richtigen Anwalt“ und „Pflichtverteidiger“ gibt? Ebenso wenig gibt es „richtige“ Strafverfahren“ und ggf. andere – welche? – Strafverfahren. Das was dort geschrieben wurde, ist schlicht falsch. Es gibt Strafverfahren und es gibt Verteidiger. Die angedeuteten Unterschiede gibt es nicht und die sollte und darf man auch potentiellen Mandanten nicht suggerieren, aus welchen Gründen auch immer. Und sicherlich ist es auch falsch zu behaupten, man mache einen „ersten guten Eindruck beim Gericht …. doch dadurch, dass man zeigt, dass man sich selbst um seine Dinge kümmert und nicht dem Staat auf der Tasche liegt, was die Kosten anbelangt“. Abgesehen davon, dass es in einem Strafverfahren nicht auf einen „guten Eindruck beim Gericht“ ankommt, sondern darauf, ob die zur Last gelegte Tat mit rechtsstaatlichen Mitteln nachgewiesen werden kann, dürfte es den Gerichten in der Regel völlig egal sein, ob ein „Pflichtverteidiger“ oder ein „richtiger Anwalt“ für den Beschuldigten/Mandanten tätig wird.
Im Übrigen nur noch das, was ebenfalls ein Kollege in einem Kommentar formuliert hatte:
„Ich habe bereits Wahlverteidiger und Wahlverteidigerinnen erlebt, die sich ordentliche Stundensätze haben zahlen lassen, aber schlecht vorbereitet waren und mit so gut wie null Engagement verteidigten. Oder auch solche, die es einfach nicht konnten! Mehr Schein als Sein.
Und ich habe Pflichtverteidigerinnen und Pflichtverteidiger erlebt, die für staatliche Unterbezahlung mit höchstem Engagement verteidigt haben – trotz wirtschaftlichem Minusgeschäft.“
Das unterschreibe ich und bedanke mich zugleich bei allen Verteidigern/Verteidigerinnen, die für die gesetzlichen Gebühren des RVG, mit denen ihr Engagement häufig nicht angemessen abgegolten ist, als „Nur-Pflichtverteidiger“ einen guten Job machen.
Abschließend: Alles in allem war das o.a. Posting das, wie es ebenfalls ein Kollege formuliert hat: „Eigentor des Monats“ oder: Si tacuisses, philosophus mansisses.