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Beim Verteidiger gefunden –> „Verteidigungsunterlage“, kann doch nicht so schwer sein

© eyetronic - Fotolia.com

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Was beim Verteidiger gefunden wird, ist im Zweifel eine „Verteidigungsunterlage“, das kann doch nicht so schwer sein. So kann man m.E. den BVerfG, Beschl. v. Beschl. v. 6.11.2014 – 2 BvR 2928/10, überschreiben, über den neulich ja auch schon der der Kollege Hoenig berichtet hatte (vgl. hier: Verfassungswidrige Durchsuchung einer Strafverteidigerkanzlei). Ich greife den Beschluss dann hier noch einmal auf, weil er doch einige recht bemerkenswerte Passagen des BVerfG und ein in meinen Augen – gelinde ausgedrückt – doch eigenartiges Verständnis der beteiligten Instanzgerichte von „Verteidigungsunterlagen“ hat.

Es geht um die Durchsuchung einer Rechtsanwaltskanzlei. Der Rechtsanwalt war Verteidiger eines Zahnarztes, gegen den wegen des Verdachts des Abrechnungsbetruges und der fahrlässigen Körperverletzung ermittelt wird.  Während der Hauptverhandlung vor dem AG (fast hätte ich geschrieben: wo sonst, aber dann schimpfen „meine Bayern“ wieder) hielt der Verteidiger einem Sachverständigen sowie einem Zeugen Patientenunterlagen vor. Das AG erließt daraufhin nach § 103 StPO einen Durchsuchungsbeschluss für die Kanzleiräume des Rechtsanwalts mit der Begründung, dass aufgrund der Prozessvertretung für den Zahnarzt die Annahme gerechtfertigt sei, dass die Durchsuchung zum Auffinden von Patientenunterlagen führen werde. Es handele sich nicht um beschlagnahmefreie Unterlagen nach § 97 StPO, weil keine schriftlichen Mitteilungen zwischen Rechtsanwalt und Angeklagtem, sondern lediglich „Geschäftsunterlagen“ des Angeklagten betroffen seien.

Bei der Durchsuchung werden dann in der Kanzlei des Rechtsanwalts 17 Einzelunterlagen – weitestgehend Kopien – beschlagnahmt, darunter die getippte Form zweier „Patientenkarteikarten“, in denen der Zahnarzt den Behandlungsablauf aus seiner Sicht detailliert geschildert und deren handschriftliche Fassung er für den Rechtsanwalt eigens abgetippt hatte, sowie eine kommentierte Rechnung. Gegen die Anordnung der Durchsuchung wird Beschwerde eingelegt mit Hinweis auf BGHSt 44, 46. Das AG hilft nicht ab (was nicht überrascht) und das LG München I verwirft die Beschwerde als unbegründet. Eine Unterlage werde nicht dadurch beschlagnahmefrei, dass der Angeklagte einzelne, die Verteidigung betreffende Anmerkungen darauf setze.

Und dann geht es nach Karlsruhe – das Bayerische Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hatte die Verfassungsbeschwerde übrigens für unbegründet gehalten, u.a. deshalb, weil die Leseabschriften der Patientenkarteikarten „nicht ersichtlich“ für den Verteidiger bestimmt gewesen seien. Und das BVerfG „holt die Keule raus“, und meint:

  • Die Anordnung der Durchsuchung verletzt den Rechtsanwalt in seinem Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 und Abs. 2 GG. Sie war „zur Verfolgung des legitimen Zwecks der Aufklärung der Anklagevorwürfe offensichtlich ungeeignet und daher unverhältnismäßig. Denn etwa gewonnene Erkenntnisse würden ohnehin keine Verwendung finden können.  Dies wäre nur dann anders zu beurteilen, wenn nach den zum Zeitpunkt des Erlasses des Durchsuchungsbeschlusses tatsächlich vorliegenden Anhaltspunkten eine Prognose ergeben hätte, dass ausschließlich relevante Erkenntnisse aus dem nicht absolut geschützten Bereich zu erwarten seien. Derartige Prognoseerwägungen hat das Amtsgericht bei Erlass des Durchsuchungsbeschlusses jedoch nicht angestellt. Es hat sich weder mit der Problematik der Durchsuchung beim Strafverteidiger noch mit §  160a Abs. 1 StPO auseinandergesetzt. Dazu hätte angesichts der bereits laufenden Hauptverhandlung und der dort vorgehaltenen Unterlagen jedoch Veranlassung bestanden. Bei diesem Vorgehen besteht die Gefahr, dass der Schutz des Vertrauensverhältnisses infolge der Sichtung sämtlicher Verteidigungsunterlagen ins Leere läuft. Dies gilt umso mehr, wenn – wie hier – trotz der besonderen Sensibilität einer Durchsuchung beim Strafverteidiger keine umfassende Angemessenheitsprüfung unter Berücksichtigung der Beeinträchtigung des Vertrauensverhältnisses zwischen Strafverteidiger und Mandant erfolgt.
  • Die Beschlagnahme verletzt den Rechtsanwalt in seinem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG. Denn die Beschlagnahme konnte entsprechend den vorstehenden Ausführungen wegen § 160a Abs. 1 Satz 2 StPO nicht zu verwertbaren Ergebnissen führen, da die Beweiserhebung ohne ausdrückliche Prognoseerwägungen und somit unter Verstoß gegen § 160a Abs. 1 Satz 1 StPO erfolgte.Und dann gibt es noch einen kleinen, aber feinen Exkurs zu in meinen Augen Selbstverständlichkeiten, was das BVerfG dem LG/AG aber wohl mal „stecken musste“: Der (erforderliche) Verteidigerbezug sei „bereits deshalb indiziert, weil die Schriftstücke beim Verteidiger aufgefunden wurden und einen Bezug zum Strafverfahren hatten. Einschränkungen der Beschlagnahmefreiheit ergeben sich dann aber nur in engem Rahmen – insbesondere, wenn etwas beschlagnahmt wird, worüber der Strafverteidiger das Zeugnis nicht verweigern dürfte, beziehungsweise bei Schriftstücken, die – wie notarielle Urkunden – für die Kenntnisnahme Dritter bestimmt sind und keiner besonderen Geheimhaltung bedürfen (vgl. Greven, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl. 2013, § 97 Rn. 12).“ Und:  „Die Annahme, eine beschlagnahmefähige Unterlage könne durch Anmerkungen des strafrechtlich Verfolgten zur Verteidigung nicht beschlagnahmefrei werden, ist unzutreffend. Denn von diesen Anmerkungen ist das Dokument nicht zu trennen, so dass der Bezug zur Verteidigung – und zum Zeugnisverweigerungsrecht des Strafverteidigers – gegeben ist. Hier hat der Beschwerdeführer zu 1. mit seiner getippten „Übersetzung“ der Patientenkarteikarten, die offenbar wegen der Unleserlichkeit der handschriftlichen Aufzeichnungen erforderlich war, eine Erläuterung gegeben, zu der ausschließlich sein Verteidiger Zugang haben sollte. Die Ansicht der Instanzgerichte, man könne sich diese Abgrenzungen mit dem pauschalen Verweis ersparen, es seien keine Verteidigerunterlagen, sondern „lediglich Geschäftsunterlagen“ beschlagnahmt worden, beziehungsweise es gehe um das „berufliche Verhältnis“ des Beschwerdeführers zu 1. zu seinen Patienten, verkennt, dass der Strafvorwurf ja gerade in der beruflichen Tätigkeit des Beschwerdeführers zu 1. wurzelt. Er wird demzufolge ein besonderes Interesse daran haben, dass sein Strafverteidiger vor allem hinsichtlich dieser Umstände das Zeugnis verweigern darf. Die Unterscheidung zwischen Geschäfts- und Privatsphäre ist daher im vorliegenden Fall kein taugliches Abgrenzungskriterium.“

Noch Fragen? Ich nicht. Ach so: Kosten? Die trägt der „Freistaat Bayern“.