Und heute dann Gebührenrecht.
Und ich beginne mit einem OLG Brandenburg-Beschluss. Dabei handelt es sich um die Rechtsmittelentscheidung zu dem LG Potsdam, Beschl. v. 12.08.2024 – 25 KLs 5/23, über den ich im September 2024 berichtet habe (vgl. hier: Teilnahme des Verteidigers am Anhörungstermin, oder: Keine Vernehmungsterminsgebühr).
Es ging um die Frage, ob die Teilnahme des Verteidigers an einem Anhörungstermin zur vorübergehende Unterbringung zur Vorbereitung eines Sachverständigengutachtens gemäß § 81 StPO mit eine Vernehmungsterminsgebühr gemäß Nr. 4102 Nr. 3 VV RVG honoriert wird. Das LG Potsdam hatte das verneint. Das OLG Brandenburg hat das jetzt im OLG Brandenburg, Beschl. v. 06.01.2025 – 1 Ws 136/24 (S) – auf das Rechtsmittel des Verteidigers anders gesehen und die Gebühr festgesetzt:
„Die Teilnahme an einem Anhörungstermin zur Erörterung der ob wiederholten Nichterscheinens zur gerichtlich angeordneten Exploration bei dem Sachverständigen erwogenen vorübergehenden Unterbringung zur Vorbereitung des Gutachtens gemäß 81 StPO unterfällt dem Tatbestand von Nr. 4102 Satz 1 Nr. 3 VV RVG.
Grundsätzlich werden Termine außerhalb der Hauptverhandlung nicht zusätzlich vergütet, sondern sind vielmehr durch die jeweilige Verfahrensgebühr mit abgegolten, die sämtliche Tätigkeiten des Rechtsanwalts im jeweiligen Verfahrensabschnitt umfasst (vgl. hierzu und dem Folgenden: OLG Saarbrücken, Beschluss vom 8. August 2011, Az.: 1 Ws 89/11).
Den gebührenrechtlichen Regelungen in Teil 4 des Vergütungsverzeichnisses sind nur zwei Ausnahmetatbestände zu entnehmen; namentlich die hier in Rede stehende Nr. 4102 VV RVG und Nr. 4141 VV RVG. Mit diesen Regelungen sollte im Verhältnis zur früher geltenden BRAGO die anwaltliche Tätigkeit, insbesondere die des Pflichtverteidigers im Ermittlungsverfahren, grundsätzlich besser honoriert werden, und der Verteidiger zur Mitwirkung durch Teilnahme an derartigen Terminen animiert werden, da sich der Gesetzgeber hiervon eine verfahrensabkürzende Wirkung versprach (vgl hierzu BT-Drucksache 15/1971, S. 222; Burhoff/ Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Auflage, Nr. 4102 VV, Rn. 2).
Aus dieser gesetzgeberischen Intention folgt auch die (weitere) Voraussetzung für die Auslösung des Gebührentatbestandes Nr. 4102 Satz 1 Nr. 3 VV RVG, namentlich das Verhandeln, was hier unstreitig auch seitens des Landgerichts in seinem angefochtenen Beschluss für das Verhalten des Verteidigers am 29. August 2023 positiv festgestellt wurde. Dabei sieht Nr. 4102 in Satz 1 Nr. 3 VV RVG ihrem Wortlaut nach die zusätzliche Vergütung bei außerhalb der Hauptverhandlung stattfindenden Verhandlungen „über die Anordnung oder Fortdauer der Untersuchungshaft oder der einstweiligen Unterbringung“ vor. Dass hier der Wortlaut der amtlichen Überschrift des § 126a StPO durch den Gesetzgeber gewählt wurde, wurde auch durch das Landgericht als Begründung dafür herangezogen, dass nur die einstweilige Unterbringung nach § 126a StPO Nr. 4102 Satz 1 Nr. 3 VV RVG unterfällt, nicht aber die Unterbringung nach § 81 StPO. Indes ist Nr. 4102 Satz 1 Nr. 3 VV RVG keine Bezugnahme auf die Paragraphen der 112 ff. und 126a StPO zu entnehmen. Und auch wenn in der Literatur dies teils derart in Bezug genommen wird (vgl. Burhoff/ Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Auflage, Nr. 4102 VV RVG, Rn. 6: „Anordnung oder Fortdauer der Untersuchungshaft (§§ 115, 118 StPO) oder der einstweiligen Unterbringung (§ 126 i.V.m. §§ 115, 118 StPO)“; textliche Hervorhebung dient der Verdeutlichung), so findet die Unterbringung über die Wiedergabe des Gesetzestextes hinaus in großen Teilen der Kommentarliteratur zu Nr. 4102 Satz 1 Nr. 3 VV RVG keine Erwähnung (vgl. Bischof/ Jungbauer/ Bräuer/ Hellstab/ Klipstein/ Klüsener/ Kerber, RVG Kommentar, 9. Auflage, Nr. 4100 – 4103 W, Rn. 78; Gerold/Schmidt, RVG Kommentar, 25 Auflage, VV 4102, 4103, Rn. 12), ohne dass dortseits die Anwendung auf eine (einstweilige) Unterbringung in Abrede gestellt werden dürfte. Die Überschriften, denen Ausführungen zu Nr. 4102 Satz 1 Nr. 3 VV RVG in der Kommentarliteratur nachfolgen, sprechen von „Termine(n) in Untersuchungshaft – und Unterbringungssachen“ (Ahlmann/ Kapischke/ Pankatz/ Rech/ Schneider/ Schütz, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 11. Auflage 2024, Rn. 12), von „(Haftprüfungs)Termin(en) außerhalb der Hauptverhandlung“ (Burhoff/ Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Auflage, Nr. 4102 VV, Rn. 6) oder „Teilnahme an Haftprüfungsterminen“ (Gerold/ Schmidt, RVG Kommentar, 25 Auflage, VV 4102, 4103, Rn. 12) und halten damit den exakten Terminus unter Verwendung der Begrifflichkeiten „Untersuchungshaft“ und „einstweilige Unterbringung“ nicht ein. Vielmehr erfolgt danach zusammenfassend eine Unterteilung in „Haft“ und „Unterbringung“. Zudem gilt mit einem Selbstverständnis die Verhandlung zu § 230 StPO außerhalb der Hauptverhandlung als von der Regelung Nr. 4102 Satz 1 Nr. 3 VV RVG umfasst (LG Berlin, Beschluss vom 08. November 2010, Az. 524 – 58/09; Gerold/ Schmidt, RVG Kommentar, 25. Auflage, VV 4102, 4103, Rn. 13; Burhoff/ Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Auflage, Nr. 4102 VV, Rn. 32). Folgt man der landgerichtlichen Annahme, dass der Gesetzeswortlaut eng begrenzt nur die exakt dem Wortlaut entsprechenden freiheitsentziehenden Maßnahmen der StPO inkludiert, wäre die praktizierte (direkte) Anwendung der Nr. 4102 Satz 1 Nr. 3 VV RVG auf Verhandlungen zu § 230 StPO contra legem, da es sich bei § 230 StPO um keine Untersuchungshaft handelt, sondern vielmehr um eine Haft zur Verfahrenssicherung, die auch nicht den Anforderungen des § 112 StPO unterliegt. Ferner führt die unstreitige Anwendung auf Verhandlungen zu § 230 StPO außerhalb der Hauptverhandlung dazu, dass der – aus Sicht des Senats ob der Definition von „einstweilig“ als „vorläufig, vorübergehend“ ohnehin kritisch zu bewertenden Annahme -, dass nur die einstweilige – und damit „grundsätzlich bis auf Weiteres angeordnete“ Unterbringung nach § 126a StPO von Nr. 4102 Satz 1 Nr. 3 VV RVG umfasst sei, hingegen nicht die – maximal sechswöchige – Unterbringung zur Vorbereitung der Begutachtung nach § 81 StPO, der Boden entzogen wird. Denn die Hauptverhandlung ist im Falle der Vollstreckung des Haftbefehls nach § 230 StPO in angemessener Frist durchzuführen, die sich im zeitlichen Rahmen der Dauer der Unterbringung nach § 81 StPO bewegt, wohingegen die zeitliche Parallele von § 126a StPO zu §§ 112 ff. StPO zu ziehen sein dürfte. Unter besonderem Augenmerk auf die eingangs benannte Intention des Gesetzgebers, den Verteidiger zu einer verfahrensabkürzenden Mitwirkung zu animieren, dürfte diese – wie der vorliegende Fall zudem deutlich macht – auch im Anwendungsbereich des § 81 StPO erfüllen, da der Verteidiger durch seine Verhandlung im Anhörungstermin am 29. August 2023 die Unterbringung nach § 81 StPO ob der erwirkten Mitwirkung des Verurteilten zur Exploration obsolet werden ließ.
Die ebenfalls durch das Landgericht argumentativ herangezogene – nicht unstreitige – Tatsache, dass der zu Begutachtende anders als bei § 126a StPO i.R.v. § 81 StPO nicht anzuhören sei, führt zu keiner anderen gebührenrechtlichen Wertung, da es nicht auf die entfaltete Tätigkeit des Probanden für die Entstehung des Vergütungstatbestandes ankommt, sondern auf die des Verteidigers, der im Übrigen auch bei § 81 StPO zwingend anzuhören ist.2. Nur ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die landgerichtlichen Ausführungen zur fehlenden Analogiefähigkeit von Nr. 4102 Satz 1 Nr. 3 VV RVG uneingeschränkt geteilt werden. Dies entspricht auch der Rechtsprechung des hiesigen Oberlandesgerichts (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 12. Januar 2023, Az. 2 Ws 156/22).“
Mich überzeugt das nicht. Verteidiger wird die Entscheidung allerdings freuen und sie werden ihrem Kollegen dankbar sein, dass er die Frage der Anwendbarkeit der Nr. 4102 Ziff. 3 VV RVG auf den hier stattgefundenen Anhörungstermin bis zum OLG getragen hat, obwohl in der Praxis sicherlich nicht häufig solche Anhörungstermine stattfinden werden. Mich lässt die Entscheidung bzw. die Begründung der Auffassung des OLG allerdings ein wenig ratlos zurück. Ich verstehe nämlich nicht so richtig, was das OLG hier macht: Ist es eine erweiternde Auslegung oder ist es doch eine Analogie, die das LG ja ausdrücklich abgelehnt hatte, was vom OLG ebenso ausdrücklich gebilligt wird. Dann also eine „versteckte Analogie“, versteckt nämlich unter dem Deckmantel der Auslegung? Die überzeugt mich aber auch nicht, denn der Wortlaut, dem die OLG sonst gern erhebliche Bedeutung beimessen, spricht nun mal eindeutig von „einstweiliger Unterbringung“. Hier soll also der Wortlaut dann keine Bedeutung haben? Nun ja, nehmen wir es hin. Es gibt Schlimmeres.