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Verlesung früherer Urteile, oder: Feststellungen müssen ggf. geprüft werden

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In die „Karwoche“ 2019 starte ich heute mit zwei BGH-Entscheidungen zum Verfahrensrecht. Zunächst stelle ich das BGH, Urt. v. 19.12.2018 – 2 StR 291/18 – vor. Es behandelt die Veurteilung eines Angeklagten u.a. wegen Betruges, gegen die sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt hatten.

In Zusammenhang mit der Revision der Staatsanwaltschaft beanstandet der BGH in dem (recht langen 🙂 ) Urteil die Beweiswürdigung der Strafkammer in mehreren Punkten. Interessant ist folgende Passage:

„bb) Soweit die Strafkammer sich auch in den übrigen Fällen mit Blick auf den Schadensumfang nicht davon zu überzeugen vermochte, dass der Angeklagte nicht nur die Erlangung des Nutzungsvorteils, sondern eine dauerhafte und endgültige Verschaffung der Fahrzeuge anstrebte, weist die Beweiswürdigung weitere Rechtsfehler zugunsten des Angeklagten auf. Die Strafkammer hat in die von ihr vorgenommene Gesamtwürdigung Tatsachen zugunsten des Angeklagten eingestellt, die dieser nicht behauptet und die sie nicht hinreichend festgestellt hat. Zudem hat sie mehrere Umstände, die gegen eine Vorstellung des Angeklagten zu einer beabsichtigten Rückführung der Fahrzeuge sprechen, unerörtert gelassen.

(1) Die Strafkammer hat indizielle Rückschlüsse zugunsten des Angeklagten aus den – vom Angeklagten bestrittenen – Feststellungen des nicht rechtskräftigen Urteils des Amtsgerichts Bad Hersfeld vom 22. Februar 2017 gezogen, ohne diese hinreichend zu unterlegen.

(a) Feststellungen rechtskräftiger früherer Urteile können im Wege des Urkundenbeweises gemäß § 249 Abs. 1 StPO in die neue Hauptverhandlung eingeführt und verwertet werden. Der Tatrichter darf diese Feststellungen aber nicht ungeprüft übernehmen. Er kann jedoch nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung bei der Bildung seiner eigenen, aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung geschöpften Überzeugung zumindest die Tatsache berücksichtigen, dass die Richter eines anderen Strafverfahrens zu einem bestimmten Beweisergebnis gekommen sind (BGH, Beschluss vom 17. November 2000 – 3 StR 389/00, NStZ-RR 2001, 138 f.; KK/Diemer, StPO, 7. Aufl., § 249 Rn. 17). Beanstandet jedoch ein Verfahrensbeteiligter die Richtigkeit der dort getroffenen Feststellungen, muss er prüfen, ob diese Beanstandungen nach seiner Auffassung geeignet sind, die dort gezogenen Schlüsse zu erschüttern (BGH, Beschluss vom 3. Juni 1997 – 1 StR 183/97, BGHSt 43, 106, 108; Meyer-Goßner/Schmitt, 61. Aufl., § 249 Rn. 9).

(b) Nach diesen Maßstäben hätte die Strafkammer allein aus dem Umstand, dass der Angeklagte die nicht rechtskräftige Verurteilung des Amtsgerichts Bad Hersfeld vom 22. Februar 2017 als solche zugestanden, deren Inhalt jedoch angegriffen hat, die dortigen Feststellungen nicht ohne weitere Sachprüfung zu Gunsten des Angeklagten in die Gesamtwürdigung einstellen dürfen. Ihre Wertung, die „Ähnlichkeit zum modus operandi“, mithin die regelmäßige Bedienung der durch Täuschung im dortigen Verfahren erlangten Darlehen durch Dritte, spreche dafür, dass der Angeklagte auch im hiesigen Verfahren davon ausging, die Finanzierungsraten „zumindest für eine gewisse Zeit“ entrichten zu können, entbehrt damit der notwendigen tatsächlichen Grundlage.“