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U-Haft kann “bis zur Höhe der erkannten Freiheitsstrafe vollzogen” werden, -ist das noch verhältnismäßig?

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Der Kollege, der sich in einem Strafverfahren derzeit mit dem AG/LG Kleve um die Haftfortdauer bei seinem Mandaten streitet, hatte mir den LG Kleve, Beschl. v. 03.04.2014 – 120 Qs-402 Js 845/13-29/14 – übersandt, der den in meinen Augen „denkwürdigen“ Satz enthält: „Es gibt keinen Rechtssatz, dass die Untersuchungshaft nicht bis zur Höhe der erkannten Freiheitsstrafe vollzogen werden darf, wenn dies – wie hier – notwendig ist, um die Durchführung des vom Angeklagten gewünschten Berufungsverfahrens oder die drohende Vollstreckung der Strafe zu sichern.“, der dann Pate für die Überschrift zu diesem Posting gestanden hat. Ich habe mit dem Satz so meine Probleme, führt er doch ggf. zu einer Vollstreckung der noch nicht rechtskräftigen Strafe während es laufenden Verfahrens. Aber wie so häufig – solche Aussagen verselbständigen sich dann nicht selten.

Da der LG, Beschluss nicht so ganz viel Sachverhalt enthielt, habe ich den Kollegen um die „Eckdaten“ gebeten, die er mir dann geschickt hat. Es liegen dem Beschluss als folgende Verfahrensumstände zu Grunde, ich zitiere:

„Der Mandant saß – ebenso wie seine beiden Mittäter – seit dem 4. Oktober 2013 in Auslieferungshaft in den NL (Festnahme 2-. Oktober), ab dem 18. November dann in der JVA Kleve. Er war in der Hauptverhandlung beim Strafrichter des AG Geldern (wie auch seine Mittäter) geständig und wurde wegen Diebstahls und Sachbeschädigung zu einer FS iHv 9 Monaten ohne Bewährung verurteilt (seine Mittäter erhielten 7 Monate – der eine mit, der andere ohne Bewährung). Der Mandant ist bereits einschlägig, allerdings lediglich zu Geldstrafen verurteilt worden (03/2013 AG Hannover, Diebstahl, 30 Tagessätze; 07/2013 AG Wuppertal versuchter schwerer Diebstahl, 120 Tagessätze; 03/2012 in Rumänien, Diebstahl, Geldstrafe).

Die drei Herren sind hier in der Gegend in eine Firma eingebrochen und haben Werkzeuge zur Metallverarbeitung mit einem Anschaffungswert von 30000 Euro mitgenommen, die Dinge gelangten vollständig (aufgrund einer Grenzkontrolle und anschließender Festnahme) an den Eigentümer zurück. Beim Versuch, Innentüren mit einem Hammer zu „öffnen“, wurden diese beschädigt (so kommt es zu der Sachbeschädigung), während sich das Tor ins Innere der Halle aufgrund lediglich einer Notreparatur wegen eines früheren Einbruchs verhältnismäßig leicht hatte öffnen lassen. Strafe aus dem Strafrahmen des § 243 StGB.

Hinsichtlich desjenigen, der 7 Monate ohne Bewährung bekommen hat, hat bereits der Strafrichter – wegen Erreichens des 2/3-Zeitpunkts – den Haftbefehl gemäß meiner Terminsmitschrift aufgehoben. Bei meinem Mandanten wurde der 2/3-Zeitpunkt, wenn ich richtig gerechnet habe, am 4. April erreicht. Da – so weit ich informiert bin – die StA nicht in Berufung gegangen ist, geht m.E. das Zitat von KK-Schultheis § 120 Rn. 7 im Beschluss der Kammer fehl (s. KK aaO am Ende). Die Entscheidung des KG habe ich noch nicht nachgeschlagen, komme aber hoffentlich morgen dazu.

Die Haftbeschwerde habe ich am 21. Februar ans AG Geldern gefaxt. Die Akte wurde am 25. Februar an die StA Kleve weitergeleitet. Aus Gründen, die sich wohl nicht mehr recht nachvollziehen lassen, wurde die Akte mit meiner Haftbeschwerde dem StA erst nach ca. 3 Wochen vorgelegt – die Geschäftsstellendame war krank, die Vertretung hat wohl nicht vernünftig funktioniert. Als die Sache schließlich der Kammer vorgelget wurde, wartete der Bearbeiter (hier war es laut Auskunft der Geschäftsstelle VRiLG ppp. höchstpersönlich) noch auf die schriftlichen Urteilsgründe aus Geldern (und ich dachte, er wartet auch auf den 2/3-Zeitpunkt…). In meiner Haftbeschwerde hatte ich natürlich nicht den dringenden Tatverdacht, wohl aber den Haftgrund angegriffen und ebenso in Abrede gestellt, dass U-Haft – insbesondere wegen der zwischenzeitlich erfolgten Verbüßung – noch verhältnismäßig sei (unter Hinweis insb. auf SSW-Herrmann, § 112 Rn. 125, 126, 127; Schlothauer/Weider, Untersuchungshaft, Rn. 682).“

Die Antwort des LG:

Es ist der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) gegeben. Trotz der familiären Bindungen und der relativ milden Strafe besteht die überwiegende und sehr hohe Wahrscheinlichkeit, dass er sich dem weiteren Strafverfahren bzw. der Strafvollstreckung durch Untertauchen oder Flucht entziehen würde. Die Meldeanschrift bei den Eltern in Duisburg ist nicht mit der Bindung durch ein Eigenheim vergleichbar (vgl. auch BI. 26 und 552: „für Zustellungen nicht tauglich“). Der Angeklagte ist arbeitslos und spricht kaum Deutsch. Auch nach einem früheren Deutschlandaufenthalt hat er sich wieder „nach Hause“ nach Rumänien begeben (BI. 517). Für die Strafverfolgungsbehörden in Niedersachsen war er zeitweise nicht erreichbar (BI. 81: „unbekannter Aufenthalt“). Nach der Tat flüchtete er mit der Beute in die Niederlande. Es bestehen scheinbar auch Verbindungen nach Belgien, wo man die Beute verkaufen wollte (BI. 519). Ob angesichts früherer Diebstahlstaten in Deutschland und Rumänien zusätzlich der subsidiäre Haftgrund der Wiederholungsgefahr besteht (nach den Urteilsfeststellungen wollte er sich durch weitere Einbrüche eine Einnahmequelle von einigem Umfang und gewisser Dauer verschaffen), kann hier dahingestellt bleiben.

 Schließlich ist die Haftfortdauer auch verhältnismäßig. Das Amtsgericht hat den Angeklagten – insoweit in Übereinstimmung mit dem Antrag des Verteidigers (BI. 520) – zu 9 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Diese – offenbar allseits für dem Grunde nach zutreffend und schuldangemessen gehaltene – Zeitspanne ist – auch unter Einrechnung von Auslieferungs- und Untersuchungshaft – noch nicht verstrichen. Es gibt keinen Rechtssatz, dass die Untersuchungshaft nicht bis zur Höhe der erkannten Freiheitsstrafe vollzogen werden darf, wenn dies – wie hier – notwendig ist, um die Durchführung des vom Angeklagten gewünschten Berufungsverfahrens oder die drohende Vollstreckung der Strafe zu sichern (KG, NStZ-RR 2008, 157; OLG Hamm MDR 1993, 673; Schultheis in Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl. 2013 § 120 Rn. 7). Maßnahmen nach § 116 StPO – etwa die von der Verteidigung angeführten Meldeauflagen – reichen angesichts des hohen Grades der Fluchtgefahr nicht aus. Die vom Amtsgericht festgestellte besondere Haftempfindlichkeit des Angeklagten stellt einen zusätzlichen Fluchtanreiz dar. Angesichts der für den Strafrichter recht umfangreichen Sache (drei – zunächst bestreitende – Angeklagte) und der erforderlichen Rechtshilfeersuchen wurde das erstinstanzliche Verfahren in angemessener Zeit abgeschlossen. Durch die Flucht des Angeklagten ins Ausland bedingte Verzögerungen muss sich der Staat nicht zurechnen lassen.

Sorry, aber für mich kaum noch nachvollziehbar… Die Sache ist natürlich nicht zu Ende. Der Kollege verfolgt sie weiter – entweder mit der weiteren Beschwerde oder bei der Berufungskammer.

Durchsuchung I: Verhältnismäßig – 18 Monate nach der Tat wohl kaum

© Klaus Eppele - Fotolia.com

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Vor einigen Jahren haben die Entscheidung des BVerfG zur Durchsuchung und Beschlagnahme die Zeitschriften gefüllt. Es verging kaum ein Monat, in dem es nicht eine Entscheidung zur der Problematik aus Karlsruhe gab. Inzwischen ist es, nachdem das BVerfG einige Male „auf den Tisch gehauen“ hat, ruhiger geworden. Allerdings kann man nicht unbedingt sagen, dass das daran liegt, dass die Instanzgerichte die Rechtsprechung des BVerfG alle verinnerlicht haben. Denn dann gäbe es ja überhaupt keine Entscheidungen mehr aus dem Bereich. Das ist aber leider nicht der Fall, wie der BVerfG, Beschl. v. 29.10.2013, 2 BvR 389/13 – beweist.

Da ging es um eine Durchsuchungsmaßnahme in einem BtM-Verfahren – immer noch/wieder das „Hauptspielfeld“ des BVerfG. Gehalten hat das BVerfG noch die Annahme/Begründung des Anfangsverdachts bezüglich des unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln. Die sei verfassungsrechtlich (noch) nicht zu beanstanden, wenn die einschlägig vorbestrafte Beschuldigte unter den Kontakten im Mobiltelefon eines gesondert Verfolgten gespeichert sei, der laut einer Zeugenaussage mehrfach Fahrten an den Wohnort der Beschuldigten unternommen hat, welche dem Verkauf von Betäubungsmitteln dienten.

Aufgehoben hat das BVerfG dann aber wegen nicht ausreichender Verhältnismäßigkeit:

„bb) Die angegriffenen Entscheidungen tragen jedoch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht hinreichend Rechnung. Konkrete Anhaltspunkte, die die Erwartung hätten rechtfertigen können, dass sich in der Wohnung der Beschwerdeführerin 18 Monate nach Ende des im Durchsuchungsbeschluss angegebenen Tatzeitraums noch aus den verfahrensgegenständlichen Taten stammende Betäubungsmittel oder andere Beweisgegenstände finden ließen, sind nicht ersichtlich. Zudem ist die Angemessenheit der Durchsuchung nicht tragfähig begründet; im Hinblick auf die Vagheit des Auffindeverdachts und die Schwere des mit der Durchsuchung der privaten Wohnung verbundenen Eingriffs hätte es einer eingehenden Begründung bedurft (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 28. September 2008 – 2 BvR 1800/07 -, juris, Rn. 23).

(1) Dem aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz folgenden verfassungsrechtlichen Gebot hinreichender Erfolgsaussicht einer Durchsuchung (vgl. BVerfGE 96, 44 <51>; BVerfGK 5, 56 <58, 59>) ist genügt, wenn aufgrund kriminalistischer Erfahrung eine Vermutung dafür besteht, dass die gesuchten Beweismittel aufgefunden werden können (vgl. Wohlers, in: Systematischer Kommentar zur StPO, Bd. II, 4. Aufl. 2010, § 102 Rn. 18 m.w.N.). Insoweit ist vorliegend zu beachten, dass dem Durchsuchungsbeschluss vom 18. September 2012 der Verdacht des unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln im Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis zum 28. Februar 2011 zugrunde lag. Die gebotene Erfolgsaussicht der angeordneten Durchsuchung wäre daher nur gegeben, wenn nach kriminalistischer Erfahrung eine Vermutung dafür bestand, dass auch 18 Monate nach dem spätest möglichen Tatzeitpunkt Beweisgegenstände zum Nachweis des unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln durch die Beschwerdeführerin aufgefunden werden können.

Dies ist weder dargetan, noch in sonstiger Weise ersichtlich. Dabei ist davon auszugehen, dass zum Konsum oder Weiterverkauf bestimmte Betäubungsmittel im Regelfall nur eine geringe Verweildauer beim Ankäufer haben. Einer Durchsuchung, die auf dem Verdacht beruht, dass der Beschuldigte vor erheblicher Zeit Drogen zum Eigenkonsum erworben oder besessen haben soll, kann es daher an der notwendigen Erfolgsaussicht fehlen (vgl. LG Koblenz, Beschluss vom 28. November 2008 – 9 Qs 76/08 -, juris, Rn. 32 ; LG Oldenburg, Beschluss vom 26. Mai 2008 – 2 Qs 103/08 -, juris, Rn. 8 ; LG Zweibrücken, Beschluss vom 11. Juni 1990 – 1 Qs 105/90 -, NJW 1990, S. 2760 ; Wohlers, a.a.O., Rn. 22; vgl. auch Meyer-Goßner, a.a.O., § 102 Rn. 15a; Schäfer, in: Löwe/Rosenberg, Bd. 2, 25. Aufl. 2004, § 102 Rn. 12). Vorliegend war die Beschwerdeführerin verdächtig, Mengen von jeweils 5 bis 6 g Crystal-Speed von dem gesondert verfolgten D. erworben zu haben. Der Verbrauch solcher Mengen mag zwar nicht unmittelbar erfolgen, allerdings konnte bei lebensnaher Betrachtung ausgeschlossen werden, dass 18 Monate nach dem spätesten Erwerb noch Reste dieser Betäubungsmittel bei der Beschwerdeführerin aufzufinden sind. Ebenso wenig war davon auszugehen, dass schriftliche oder elektronische Aufzeichnungen über mindestens 18 Monate zurückliegende Betäubungsmittelgeschäfte aufgefunden werden können.“

„Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt“, oder: Wo ist der Führerschein?

© sashpictures - Fotolia.com

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Durchsuchung und Beschlagnahme nach Entziehung der Fahrerlaubnis im Verwaltungsverfahren. Wahrscheinlich häufiger, als man denkt, da sicherlich der ein oder andere betroffene Fahrerlaubnisinhaber versucht, durch Nichtabgabe des Führerscheins weiter am Straßenverkehr teilnehmen zu können (?). Dann gibt es in der Praxis Durchsuchunsganträge der Fahrerlaubnisbehörden. So einfach ist das mit der Durchsuchung aber nicht, wie der AG Elmshorn, Beschl. v. 04.10.2013 – 52 II 12/13 – noch einmal verdeutlicht. Das AG legt großes Gewicht auf die Frage der Verhältnismäßigkeit und kommt zu einer Art „Selbstbindung“ der Behörde:

II. Der Antrag war wegen fehlender Verhältnismäßigkeit abzulehnen.
…..
2.
In der Sache hat der Antrag (zumindest derzeit) keinen Erfolg.
Die Durchsuchung von Wohnräumen ist gem. § 208 Ziff. 2 LVwG dann zulässig, wenn Tatsachen dafür sprechen, dass sich darin oder darauf Sachen befinden, die nach § 210 Abs. 1 Nr. 1 LVwG sichergestellt werden dürfen. Diese Voraussetzungen liegen vor. Es handelt sich um den Führerschein des Betroffenen, den der Betroffene zumindest lange in seinem Besitz gehabt hat. Angaben über den Verbleib haben sich als unrichtig herausgestellt. Deshalb besteht eine erhebliche Wahrscheinlichkeit, dass sich der Führerschein noch im Besitz des Betroffenen, wahrscheinlich in der Wohnung, befindet.

Gleichwohl scheitert die Durchsuchung an fehlender Verhältnismäßigkeit.

Gemäß Artikel 13 Abs. 1 ist die Wohnung unverletzlich. Dies bedeutet, dass Eingriffe nicht nur einer gesetzlichen Grundlage bedürfen, sondern dass auch bei Anwendung der Gesetze, die die Durchsuchung rechtfertigen, wie bei jedem Grundrechtseingriff der rechtsstaatliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gilt.
Die Abwägung der Schwere der Verletzungen der Rechtsordnung durch den Betroffenen und der Schwere des Eingriffs in die Rechte des Betroffenen durch die Behörde führt zu dem Ergebnis, dass das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung schwerer wiegt. Dies ergibt sich aus der folgenden Überlegung:
Der Betroffene ist zwar verpflichtet, seinen Führerschein abzugeben als Folge des bestandskräftigen Entzugs der Fahrerlaubnis. Dass er dieser Verpflichtung nicht nachkommt und auch die eidesstattliche Versicherung über den Verlust des Führerscheins mangels Mitführung von Geld und Personaldokument nicht abgeben konnte, mag die Verletzung einer Verpflichtung gegenüber den staatlichen Behörden, namentlich dem Antragsteller sein.

Diese Verletzung wiegt aber nicht schwer. Denn in Zeiten moderner Kommunikationstechnik ist der Schaden, den die Nichtabgabe des vielleicht noch vorhandenen Führerscheins für die öffentliche Sicherheit, insbesondere des Straßenverkehrs, anrichten kann, gering. Bei einer allgemeinen oder auch anlassbezogenen Verkehrskontrolle wird heute in der weit überwiegenden Zahl der Fälle von der Polizei ein ausgehändigter Führerschein überprüft und die Personalien des Fahrzeugführers abgeglichen. Bei einer solchen Überprüfung würde der Entzug der Fahrerlaubnis festgestellt werden. Die Gefahr, dass in einer konkreten Situation einmal ausnahmsweise keine Überprüfung erfolgt und der Betroffene dann unberechtigterweise weiterfahren darf, ist vergleichsweise gering. Auch die Gefahr, dass die subjektive Hemmschwelle, ein Auto ohne Fahrerlaubnis zu fahren, sinkt, wenn der Betroffene den Führerschein behält, hält das Gericht für vernachlässigbar gering. Im Ergebnis bedeutet dies, dass der Verbleib des Führerscheins bei dem Betroffenen faktisch kaum Schaden anrichtet. Das Interesse, welches eine funktionierende Rechtsordnung an der tatsächlichen Abgabe des Führerscheins hat, ist folglich objektiv eher gering.

Dagegen ist eine Wohnungsdurchsuchung ein solch einschneidender und massiver Eingriff in das Wohnungsgrundrecht und in den unmittelbaren Bereich der engsten Privatsphäre, dass eine Durchsuchung weit über das hinaus ginge, was durch den bloßen Verbleib des Führerscheins des Betroffenen beim Betroffenen gerechtfertigt wäre.

Die Gegenauffassung (zuletzt Beschluss des VG Augsburg vom 01.03.2012, Au 7 V 12.271) kann nicht überzeugen. Diese Entscheidung geht nämlich wie selbstverständlich, und ohne dies weiter zu begründen, davon aus, dass der Betroffene, wenn er seinen Führerschein behält, weiterhin „ungehindert am Straßenverkehr teilnimmt“ (a.a.O., […]Rnr. 28). Dies ist aber heutzutage – wie dargelegt – angesichts der Überprüfungsmöglichkeiten und der Überprüfungspraxis der Polizei bei Führerscheinkontrollen nicht mehr richtig.

Zudem hat die Verwaltung dem Betroffenen für den Fall der Nichtabgabe des Führerscheins eine Konsequenz angedroht, nämlich die Festsetzung eines Zwangsgeldes. Hiermit hat sich die Verwaltung selbst gebunden. Dies hat zur Folge, dass schwerwiegendere Eingriffe, also insbesondere weitergehende Grundrechtseingriffe noch vor der Verhängung eines Zwangsgeldes nicht möglich sind.

Die Durchsuchung von Räumen Dritter, wie von dem Antragsteller beantragt, kommt erst recht nicht in Betracht (vgl. auch Mitsch in: Karlsruher Kommentar zum OWiG § 91 Rnr. 31 unten).“

Nackt durch Münster, oder: Hosen runter, ja oder nein?

entnommen wikimedia.org Author Rüdiger Wölk

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Author Rüdiger Wölk

Am 19.12.2013 hatte ich hier über den Motorradfahrer berichtet, der auf seine Maschine nackt durch Münster gefahren war. Davon war ein Video gedreht worden, das zunächst bei Youtube stand, inzwischen dort aber nicht mehr existiert (zum Dezember-Posting hier unter Feuer unter dem Hintern, oder: Nackt durch Münster). Hintergrund der Fahrt war wohl eine Wette, die dahin gegangen sein soll, dass der Fahrer dann, wenn ein bei Facebook eingestelltes Bild 1000 x geliked worden ist, eben nackt auf dem Motorrad durch Münster fährt. Das Ganze hat dann in einem sog. “Burnout” vor einem der münsterischen Weihnachtsmärkte geendet.

Die Polizei hat inzwischen – wie im Dezember 2013 angekündigt – ermittelt. Und heute melden die „Westfälischen Nachrichten“ unter: „Nackt durch Münster – Polizei ermittelt Halter“, das man den Halter des Motorrades ermittelt hat, der aber bestreitet, Fahrer gewesen zu sein. Da bleibt dann nur die Täteridentifizierung. Allerdings mit „Gesichtserkennung“ ist da wohl nichts 🙂 . Das hat auch die Polizei erkannt. Dazu heißt es in den „WN“.

„Zur Identität des Mannes wollte er am Dienstag keine genaueren Angaben machen. Nur so viel: „Er kommt aus dem Münsterland.“ Um zu überprüfen, ob Halter und Fahrer nicht doch identisch sind, müsste der jetzt ermittelte Mann wohl die Hüllen fallen lassen. Das sei durchaus machbar – „doch dafür benötigen wir eine Genehmigung“, sagt Bode.“

Na, da darf man gespannt sein. Das dürfte über §§ 81a ff. StPO i.V.m. § 46 OWiG laufen. Und da spielt, da wir derzeit wohl nur im Bußgeldverfahren sind – Straftat sehe ich nicht -, der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eine große Rolle, wenn es um die Frage: Hosen runter, ja oder nein?

Fahrtenbuch 18 Monate nach der Tat, aber: Was habe ich mit Personalmangel bei der Behörde zu tun?eht das?

Der Kläger in dem dem OVG Niedersachsen, Urt. v. 23.01.2014 – 12 LB 19/13 – zugrunde liegenden Verfahren ist Halter eine Motorrads, mit dem am 21.07.2009 eine Geschwindigkeitsüberschreitung begangen worden ist. Das gegen den Kläger eingeleitete Ordnungswidrigkeitenverfahren wird am 19.10. 2009 eingestellt. Nach Anhörung erteilt die Verwaltungsbehörden dem Kläger dann (erst)  mit Bescheid vom 04.04.2011 die Auflage, ein Fahrtenbuch für die Dauer von 18 Monaten zu führen.

Die Frage, die der Kläger dann beim OVG Niedersachsen u.a. zum Spruch stellt: Geht das noch oder ist das nicht zu spät? Das OVG sagt: Geht noch:

Anders als der Kläger meint, hat der zwischen dem Verkehrsverstoß und der Fahrtenbuchauflage verstrichene Zeitraum nicht die Rechtswidrigkeit der Fahrtenbuchauflage zur Folge. Zwar ist denkbar, dass für die Rechtmäßigkeit einer Fahrtenbuchauflage der zwischen der Begehung der Verkehrsordnungswidrigkeit und der Anordnung der Fahrtenbuchauflage verstrichene Zeitraum relevant sein kann (vgl. BVerwG, Beschl. v. 16.12.1991 – 3 B 108.91 -, zfs 1992, 286) und eine Fahrtenbuchauflage als Mittel der Gefahrenabwehr nach Ablauf eines erheblichen Zeitraums als unverhältnismäßig anzusehen ist. Welche Fristen hierfür in Erwägung zu ziehen sind, ist nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls zu beantworten. Dabei sind etwa die Dauer der notwendigen Ermittlungen, die Geschäftsbelastung der betroffenen Behörde und das Verhalten des Fahrzeughalters zu berücksichtigen (BVerwG, Beschl. v. 16.12.1991 – 3 B 108.91 -, zfs 1992, 286, […] Rdn. 3). Da bei der Berechnung des Zeitraums diejenigen Zeiten außer Acht bleiben, in denen der Fahrzeughalter etwa die sich aus dem Ordnungswidrigkeitenrecht ergebenden Rechtsschutzmöglichkeiten ausschöpft und dadurch selbst Anlass zu einer Verzögerung des Erlasses der Fahrtenbuchauflage bietet (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.3.1995 – 11 C 3.94 -, NZV 1995, 370, […] Rdn. 9; Beschl. v. 12.7.1995 – 11 B 18.95 -, NJW 1995, 3402, […] Rdn. 3; Beschl. d. Sen. v. 14.1.2013 – 12 LA 299/11 -, m.w.N.), ist entgegen der Annahme des Klägers hier maßgeblich auf den Zeitpunkt der Einstellung des Ordnungswidrigkeitenverfahrens abzustellen. Die zwischen der Einstellung des Ordnungswidrigkeitenverfahrens (19. Oktober 2009) und Erlass des angefochtenen Bescheids (4. April 2011) verstrichene Zeit von knapp 18 Monaten, kann (noch) nicht als derart erheblich angesehen werden, dass sich schon deswegen die erlassene Fahrtenbuchauflage als unverhältnismäßig darstellte (vgl. etwa Beschl. d. Sen. v. 14.1.2013 – 12 LA 299/11 -, der ebenfalls einen Zeitraum von ca. 18 Monaten zwischen Verfahrenseinstellung und Fahrtenbuchauflage betraf; Beschl. v. 23.8.2013 -12 LA 156/12 – gut 16 Monate). Anhaltspunkte dafür, dass die Fahrtenbuchanordnung zwischenzeitlich funktionslos geworden sein oder eine Verwirkung vorliegen könnte, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

Auf die Frage, ob ein Organisationsverschulden vorliegt, kommt es nicht weiter an. Unabhängig davon dürfte ein solches auch nicht festzustellen sein. Der Senat sieht keinen Anlass an der Richtigkeit der Angaben des Beklagten zu der besonderen personellen Situation in seiner Straßenverkehrsbehörde in 2010 und 2011 zu zweifeln, die zu einer atypischen Geschäftsbelastung des einzig verbliebenen Sachbearbeiters geführt hat. In einer solchen Lage kann es für eine gewisse Übergangszeit hinnehmbar sein, dass es zu längeren Zeiträumen zwischen dem Verkehrsverstoß bzw. der Einstellung des Ordnungswidrigkeitenverfahrens und dem Ergehen der Fahrtenbuchauflage kommt. In dieser Übergangszeit wird – entgegen der Annahme des Klägers – regelmäßig nicht von einem beachtlichen behördlichen Organisationsverschulden auszugehen sein. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass es sich bei Fahrtenbuchangelegenheiten nicht um fristgebundene Sachen handelt, die von vornherein besondere organisatorische Vorkehrungen bedingen. Auf die Frage der Ausgestaltung der Vertretung kommt es dabei ebenfalls nicht an.

Na ja, ist mir ein wenig lang. Kann doch nicht das Problem des Klägers sein, wenn die Straßenverkehrsbehörde nicht genug Leute hat.