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„Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt“, oder: Wo ist der Führerschein?

© sashpictures - Fotolia.com

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Durchsuchung und Beschlagnahme nach Entziehung der Fahrerlaubnis im Verwaltungsverfahren. Wahrscheinlich häufiger, als man denkt, da sicherlich der ein oder andere betroffene Fahrerlaubnisinhaber versucht, durch Nichtabgabe des Führerscheins weiter am Straßenverkehr teilnehmen zu können (?). Dann gibt es in der Praxis Durchsuchunsganträge der Fahrerlaubnisbehörden. So einfach ist das mit der Durchsuchung aber nicht, wie der AG Elmshorn, Beschl. v. 04.10.2013 – 52 II 12/13 – noch einmal verdeutlicht. Das AG legt großes Gewicht auf die Frage der Verhältnismäßigkeit und kommt zu einer Art „Selbstbindung“ der Behörde:

II. Der Antrag war wegen fehlender Verhältnismäßigkeit abzulehnen.
…..
2.
In der Sache hat der Antrag (zumindest derzeit) keinen Erfolg.
Die Durchsuchung von Wohnräumen ist gem. § 208 Ziff. 2 LVwG dann zulässig, wenn Tatsachen dafür sprechen, dass sich darin oder darauf Sachen befinden, die nach § 210 Abs. 1 Nr. 1 LVwG sichergestellt werden dürfen. Diese Voraussetzungen liegen vor. Es handelt sich um den Führerschein des Betroffenen, den der Betroffene zumindest lange in seinem Besitz gehabt hat. Angaben über den Verbleib haben sich als unrichtig herausgestellt. Deshalb besteht eine erhebliche Wahrscheinlichkeit, dass sich der Führerschein noch im Besitz des Betroffenen, wahrscheinlich in der Wohnung, befindet.

Gleichwohl scheitert die Durchsuchung an fehlender Verhältnismäßigkeit.

Gemäß Artikel 13 Abs. 1 ist die Wohnung unverletzlich. Dies bedeutet, dass Eingriffe nicht nur einer gesetzlichen Grundlage bedürfen, sondern dass auch bei Anwendung der Gesetze, die die Durchsuchung rechtfertigen, wie bei jedem Grundrechtseingriff der rechtsstaatliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gilt.
Die Abwägung der Schwere der Verletzungen der Rechtsordnung durch den Betroffenen und der Schwere des Eingriffs in die Rechte des Betroffenen durch die Behörde führt zu dem Ergebnis, dass das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung schwerer wiegt. Dies ergibt sich aus der folgenden Überlegung:
Der Betroffene ist zwar verpflichtet, seinen Führerschein abzugeben als Folge des bestandskräftigen Entzugs der Fahrerlaubnis. Dass er dieser Verpflichtung nicht nachkommt und auch die eidesstattliche Versicherung über den Verlust des Führerscheins mangels Mitführung von Geld und Personaldokument nicht abgeben konnte, mag die Verletzung einer Verpflichtung gegenüber den staatlichen Behörden, namentlich dem Antragsteller sein.

Diese Verletzung wiegt aber nicht schwer. Denn in Zeiten moderner Kommunikationstechnik ist der Schaden, den die Nichtabgabe des vielleicht noch vorhandenen Führerscheins für die öffentliche Sicherheit, insbesondere des Straßenverkehrs, anrichten kann, gering. Bei einer allgemeinen oder auch anlassbezogenen Verkehrskontrolle wird heute in der weit überwiegenden Zahl der Fälle von der Polizei ein ausgehändigter Führerschein überprüft und die Personalien des Fahrzeugführers abgeglichen. Bei einer solchen Überprüfung würde der Entzug der Fahrerlaubnis festgestellt werden. Die Gefahr, dass in einer konkreten Situation einmal ausnahmsweise keine Überprüfung erfolgt und der Betroffene dann unberechtigterweise weiterfahren darf, ist vergleichsweise gering. Auch die Gefahr, dass die subjektive Hemmschwelle, ein Auto ohne Fahrerlaubnis zu fahren, sinkt, wenn der Betroffene den Führerschein behält, hält das Gericht für vernachlässigbar gering. Im Ergebnis bedeutet dies, dass der Verbleib des Führerscheins bei dem Betroffenen faktisch kaum Schaden anrichtet. Das Interesse, welches eine funktionierende Rechtsordnung an der tatsächlichen Abgabe des Führerscheins hat, ist folglich objektiv eher gering.

Dagegen ist eine Wohnungsdurchsuchung ein solch einschneidender und massiver Eingriff in das Wohnungsgrundrecht und in den unmittelbaren Bereich der engsten Privatsphäre, dass eine Durchsuchung weit über das hinaus ginge, was durch den bloßen Verbleib des Führerscheins des Betroffenen beim Betroffenen gerechtfertigt wäre.

Die Gegenauffassung (zuletzt Beschluss des VG Augsburg vom 01.03.2012, Au 7 V 12.271) kann nicht überzeugen. Diese Entscheidung geht nämlich wie selbstverständlich, und ohne dies weiter zu begründen, davon aus, dass der Betroffene, wenn er seinen Führerschein behält, weiterhin „ungehindert am Straßenverkehr teilnimmt“ (a.a.O., […]Rnr. 28). Dies ist aber heutzutage – wie dargelegt – angesichts der Überprüfungsmöglichkeiten und der Überprüfungspraxis der Polizei bei Führerscheinkontrollen nicht mehr richtig.

Zudem hat die Verwaltung dem Betroffenen für den Fall der Nichtabgabe des Führerscheins eine Konsequenz angedroht, nämlich die Festsetzung eines Zwangsgeldes. Hiermit hat sich die Verwaltung selbst gebunden. Dies hat zur Folge, dass schwerwiegendere Eingriffe, also insbesondere weitergehende Grundrechtseingriffe noch vor der Verhängung eines Zwangsgeldes nicht möglich sind.

Die Durchsuchung von Räumen Dritter, wie von dem Antragsteller beantragt, kommt erst recht nicht in Betracht (vgl. auch Mitsch in: Karlsruher Kommentar zum OWiG § 91 Rnr. 31 unten).“

Wir erinnern uns: AG Elmshorn, der Polizeibeamte und das Reizgas

Wir erinnern uns: Im Sommer hat das AG Elmshorn bzw. eine Entscheidung des AG Elmshorn die Blogs beschäftigt. Na ja, weniger die Entscheidung als die Reaktion auf diese richterliche Entscheidung vom Innenminister des Landes Schleswig-Holstein. Der hatte der Kollegin nach ihrem Urteil, mit dem sie einen Polizeibeamten wegen eines Reizgaseinsatzes verurteilt hatte, „Nachhilfe“ angeboten (vgl. hier und hier das Urteil im Volltext).

Bisher ein wenig untergegangen ist m.E. eine Pressemitteilung des LG Itzehoe v. 16.11.2011 (vgl. die Berichterstattung darüber hier). Danach ist das Urteil des AG Elmshorn aufgehoben worden. Auf die schriftliche Begründung bin ich mal gespannt. Vielleicht bekommt man sie ja irgendwo hier mal zu lesen.

Und nun, Herr Innenminister? – AG Elmshorn im Volltext

Wir hatten vor einigen Tagen – ebenso wie andere Blogs – über das Urteil des AG Elmshorn berichtet, das der dortigen RiAG eine Einladung zur einer Nachfahrt mit der Polizei und dem Innenminister einen Rüffel seines Kollegen Justizminister eingebracht hat.

Nun liegt das vollständige begründete schriftliche Urteil des AG Elmshorn vor. Liest sich gut, Herr Innenminister. Da hat sich die Amtsrichterin viel Mühe gemacht (was aber auch zu erwarten war). Ich will die Diskussion jetzt auch gar nicht wieder anheizen, sondern nur der Vollständigkeit halber auf das Urteil hinweisen. Von Bedeutung sicherlich die Passage

„Dabei wollte der Angeklagte auf diese Art und Weise eine etwaige körperliche Auseinadersetzung mit dem Zeugen … an sich abwenden, bzw. einer solchen vorbeugen. Der Angeklagt wusste um die Wirkung des Reizstoffes, der erheblichen Schmerzen in den Augen und den Atemwegen hervorruft.“

Alles in allem, schön abgewogen, Nun ja, und nun?

Nicht ganz so schön ist allerdings in den Strafzumessungserwägungen die Passage:

Zu Lasten des Angeklagten muss jedoch auch beachtet werden, dass der überraschende Einsatz eines RSG III in das Gesicht des Geschädigten starke Schmerzen und eine länger anhaltende Reizung der Augen und Atemwege hervorruft und somit eine nicht unerhebliche Schädigung des Zeugen … herbeigeführt hat.

Da würde man in der Revision die Doppelverwertung – Urteil wegen gefährlicher Körperverletzung – diskutieren müssen. Aber es ist ja wohl nur Berufung eingelegt.