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StPO I: Durchsuchungsbeschluss im Kipo-Verfahren, oder: Nachbesserung durch das Beschwerdegericht

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Und dann stelle ich heute StPO-Entscheidungen aus der Instanz vor.

Na ja, nicht ganz/nur aus der Instanz, denn die erste Entscheidung stammt vom VerfGH Sachsen. Der hat im VerfGH Sachsen, Beschl. v. 24.10.2024 – Vf. 24-IV-23 – erneut zu den Voraussetzungen einer ordnungsgemäßen Durchsuchungsanordnung Stellung genommen. Folgender Sachverhalt:

Die Staatsanwaltschaft Chemnitz gegen den Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren wegen Verbreitung, Erwerbs und Besitzes kinderpornographischer Inhalte. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft erließ das AG den mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Durchsuchungsbeschluss In der Begründung heißt es, der Beschuldigte sei Mitglied einer Gruppe des Messengers „WhatsApp“ gewesen, in der kinderpornographische Inhalte versandt worden seien und habe in der Zeit, in der er Mitglied gewesen sei, Dateien (Bilder und Videos) mit kinder- und jugendpornographischen Inhalten empfangen. Der Beschwerdeführer habe sich aktiv an der Gruppe beteiligt. Dagegen die Beschwerde des Beschuldigten. Das LG hat die  Beschwerde mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass dem Beschwerdeführer der Tatverdacht des Sichverschaffens kinder- und jugendpornographischer Inhalte gemäß § 184b Abs. 3, § 184c Abs. 3 StGB zur Last liege.

Die dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerde hatte keinen Erfolg:

„…..

b) Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen werden der angegriffene Beschluss des Amtsgerichts und der diesen abändernde Beschluss des Landgerichts gerecht. Der Durchsuchungsbeschluss begegnet in der Gestalt, den er durch den landgerichtlichen Beschluss erhalten hat, in formeller Hinsicht keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (aa). Die fachgerichtliche Annahme eines Anfangsverdachts ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (bb). Zudem hält die angegriffene Maßnahme einer Prüfung am Maßstab des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes stand (cc).

aa) Der Durchsuchungsbeschluss in der Gestalt, den er durch die landgerichtliche Entscheidung erhalten hat, beschreibt den dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Tatvorwurf hinreichend und bezeichnet das zu durchsuchende Objekt und die Art und den vorgestellten Inhalt derjenigen Beweismittel, nach denen gesucht werden soll, so, wie es nach Lage der Dinge geschehen konnte. Die vorgenommene Umschreibung reicht aus, um den mit dem Vollzug des Beschlusses betrauten Beamten aufzuzeigen, worauf sie ihr Augenmerk richten sollten, und damit den Zweck der Durchsuchungsanordnung – die Begrenzung des Zugriffs auf Beweisgegenstände bei der Vollziehung der Durchsuchung– zu erfüllen (vgl. SächsVerfGH, Beschluss vom 20. Oktober 2023 – Vf.56-IV-23 [HS]/Vf. 57-IV-23 [e.A.]; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 24. März 2003 – 2 BvR 180/03 – juris Rn. 2).

bb) In der Gestalt der Beschwerdeentscheidung des Landgerichts liegt dem Durchsuchungsbeschluss auch eine verfassungsrechtlich tragfähige Begründung des Anfangsverdachts zugrunde.

Notwendiger und grundsätzlich auch hinreichender Eingriffsanlass für Zwangsmaßnahmen im Strafverfahren ist der Verdacht einer Straftat. Für die Annahme eines solchen Anfangsverdachts genügen konkrete, tatsächliche Anhaltspunkte, die es nach den kriminalistischen Erfahrungen als möglich erscheinen lassen, dass eine verfolgbare Straftat begangen wurde (vgl. Peters in: Münchener Kommentar zur StPO, 2. Aufl., § 152 Rn. 35, 38; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 18. Januar 1994 – 2 BvR 1912/93 – juris Rn. 4; Beschluss vom 23. Juli 1982, NStZ 1982, 430). Auch in Anbetracht der Eingriffsintensität einer Wohnungsdurchsuchung ist es verfassungsrechtlich nicht geboten, die Maßnahme vom Vorliegen eines erhöhten Verdachtsgrads abhängig zu machen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. August 2014 – 2 BvR 200/14 – juris Rn. 15; Beschluss vom 20. April 2004 – 2 BvR 2043/03 – juris Rn. 5). Diesen Verdacht hat der für die vorherige Gestattung des behördlichen Eingriffs oder dessen nachträgliche Kontrolle zuständige Richter zu prüfen. Hierzu gehört eine umfassende Abwägung zur Feststellung der Angemessenheit des Eingriffs im konkreten Einzelfall (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. August 2014 – 2 BvR 200/14 – juris Rn. 18; Beschluss vom 28. April 2003, BVerfGK 1, 126 [131]). Eine ins Einzelne gehende Nachprüfung des vom Fachgericht angenommenen Anfangsverdachts ist hingegen nicht Aufgabe des Verfassungsgerichtshofes. Sein Eingreifen ist nur geboten, wenn die Auslegung und Anwendung der einfachrechtlichen Bestimmungen über die prozessualen Voraussetzungen des Verdachts als Anlass für die strafprozessuale Zwangsmaßnahme und die strafrechtliche Bewertung der Verdachtsgründe objektiv willkürlich sind oder Fehler erkennen lassen, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung der Grundrechte des Beschwerdeführers beruhen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. Juli 2020 – 2 BvR 1188/18 – juris Rn. 43; Beschluss vom 20. November 2019 – 2 BvR 31/19 – juris Rn. 24; Beschluss vom 8. Januar 2015 – 2 BvR 2419/13 – juris Rn. 17).

Es kann dahinstehen, ob die rechtliche Bewertung des Amtsgerichts, der dem Durchsuchungsbeschluss zugrundeliegende Lebenssachverhalt sei als Verbreitung kinderpornographischer Inhalte gemäß § 184b Abs. 1 StGB strafbar, zutreffend war. Jedenfalls ist es nicht objektiv willkürlich, dass das Landgericht in seiner Beschwerdeentscheidung diese rechtliche Bewertung abänderte und annahm, es liege ein Anfangsverdacht für ein Sichverschaffen von kinder- und jugendpornographischen Inhalten gemäß § 184b Abs. 3, § 184c Abs. 3 StGB vor. Im Beschwerdeverfahren sind zwar Prüfungsmaßstab und die Heilungsmöglichkeit des Beschwerdegerichts bei der Überprüfung einer durch Vollzug erledigten Durchsuchung beschränkt, weil dieses keine eigene Entscheidung über die Durchsuchungsanordnung trifft. So können Mängel bei der ermittlungsrichterlich zu verantwortenden Umschreibung des Tatvorwurfs und der zu suchenden Beweismittel im Beschwerdeverfahren nicht geheilt werden. Die Funktion des Richtervorbehalts, eine vorbeugende Kontrolle der Durchsuchung durch eine unabhängige und neutrale Instanz zu gewährleisten, würde andernfalls unterlaufen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. April 2023 – 2 BvR 2180/20 – juris Rn. 29; Beschluss vom 20. April 2004 – 2 BvR 2043/03 – juris Rn. 4). Doch kann das Beschwerdegericht Defizite in der Begründung des zugrundeliegenden Tatverdachts und der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme nachbessern (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. April 2023 – 2 BvR 2180/20 – juris Rn. 29 m.w.N.). Dies umfasst auch Indiztatsachen, die den Anfangsverdacht belegen, weil diese für Zwecke der Begrenzung der Vollziehung der Maßnahme nicht immer erforderlich sind und folglich im Durchsuchungsbeschluss selbst nicht notwendigerweise genannt werden müssen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 28. April 2003, BVerfGK 1, 126 [131]). Die vom Landgericht für seine abweichende rechtliche Bewertung angeführten tatsächlichen Umstände – das Einstellen derartiger Inhalte in den Gruppenchat und die aktive Beteiligung des Beschwerdeführers an diesem Chat – sind bereits im Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts wiedergegeben. Indem das Landgericht den der Verdachtsannahme zugrundliegenden Lebenssachverhalt lediglich einer anderen rechtlichen Würdigung unterzog, hat es die Grenzen der Heilungsmöglichkeiten im Beschwerdeverfahren nicht überschritten.

Auch in der Sache sind die angegriffenen fachgerichtlichen Entscheidungen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Bei der landgerichtlichen Bewertung der Tatsachenbasis ist ein willkürliches Überspannen der Anforderungen an einen Anfangsverdacht, der gerade noch nicht einen die Anklageerhebung rechtfertigenden Verdachtsgrad erreicht haben muss (vgl. Peters in: Münchener Kommentar zur StPO, 2. Aufl., § 152 Rn. 35), nicht festzustellen. Die Annahme des Landgerichts, es liege im Bereich des Möglichen, dass der Beschwerdeführer von den inkriminierten Dateien Kenntnis erlangt und diese gebilligt habe, ist nicht schlechterdings unhaltbar. Rein spekulativen Charakter hat diese Annahme angesichts der aktiven Beteiligung des Beschwerdeführers am Chat, nachdem bereits inkriminierte Dateien geteilt worden waren, nicht.

cc) Die fachgerichtliche Bewertung, die angeordnete Durchsuchung stehe in angemessenem Verhältnis zu der Schwere der Straftat sowie zu der Stärke des Tatverdachts und sei für die Ermittlungen notwendig, widerspricht ebenfalls nicht verfassungsrechtlichen Anforderungen.“

VerfG III: Ermessen und Auslagenentscheidung, oder: Ressourcenverschleuderung auf hohem Niveau

Smiley

Im dritten Posting dann etwas aus Sachsen, und zwar der VerfGH Sachsen, Beschl. v. 23.05.2024 – Vf. 22-IV-23 – mal wieder zur Ermessensausübung bei der Auslagenentscheidung nach Einstellung des (Bußgeld)verfahren. Derzeit ist häufig über (ober)gerichtliche Rechtsprechung zu berichten. Hier wurde der (ehemaligen) Betroffenen mit Bescheid des Landratsamtes vom 04.10.2022 vorgeworfen, verkehrsordnungswidrig im eingeschränkten Halteverbot geparkt zu haben. Die Betroffene legte Einspruch gegen den Bußgeldbescheid ein und beantragte die Einstellung des Bußgeldverfahrens. Ferner beantragte sie, ihre notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen. In der Hauptverhandlung stellte das AG Kamenz das Verfahren mit Beschluss vom 03.04.2023 nach § 47 Abs. 2 OWiG ein. Die Kosten des Verfahrens legte es der Staatskasse auf. Das AG hat aber Gericht hat davon abgesehen, auch die notwendigen Auslagen der Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen.

Hiergegen hat die Betroffene Anhörungsrüge erhoben. Mit Beschluss vom 25.04.2023 hat das AG diese als unbegründet zurückgewiesen. Der Beschluss vom 03.04.2023 sei zwar ohne die Gewährung rechtlichen Gehörs ergangen. Dies sei durch die Anhörungsrüge aber nachgeholt worden. Gründe dafür, die Auslagenentscheidung zu ändern, sehe das Gericht nicht.

Die Betroffene hat Verfassungsbeschwerde gegen die Beschlüsse des AG Kamenz vom 03. und 25.04.2023 eingelegt. Sie rügt eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör sowie einen Verstoß gegen das Willkürverbot. Im Ergebnis der Beweisaufnahme hätten sich die gegen sie erhobenen Vorwürfe nicht bestätigt. Der Vorsitzende habe kein rechtliches Gehör zum beabsichtigten Vorgehen gewährt. Der Beschluss vom 03.04.2023 enthalte keinen Hinweis auf die Rechtsgrundlage für die Auslagenentscheidung und keinerlei Erwägungen zu den maßgeblichen rechtlichen Gesichtspunkten für eine vom Grundsatz des § 467 Abs. 1 StPO i.V.m. § 46 OWiG abweichende Kostentragung nach § 467 Abs. 4 StPO. Es könne daher nicht ausgeschlossen werden, dass das Gericht sich insoweit von sachfremden Erwägungen habe leiten lassen. Willkür könne im Falle des Fehlens einer Begründung schon dann vorliegen, wenn eine andere Entscheidung nahegelegen hätte und eine nachvollziehbare Begründung für das Abweichen hiervon fehle.

Die Verfassungsbeschwerde hatte teilweise Erfolg. Der VerfGH sachsen hat, soweit im Beschluss vom 03.04.2024 über die notwendigen Auslagen der Betroffenen entschieden worden ist, den Beschluss aufgehoben und die Sache an das AG Kamenz zurückverwiesen. Im Übrigen hat es die Verfassungsbeschwerde verworfen.

Der VerfGH geht von einem Verstoß gegen das Willkürverbot aus. Er legt dazu – noch einmal – die Maßstäbe dar und führt dann zur Sache aus:

„bb) Nach diesen Maßstäben verletzt die angegriffene Auslagenentscheidung die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 18 Abs. 1 SächsVerf, denn es ist nicht erkennbar, weshalb das Amtsgericht von einer Auslagenerstattung abgesehen hat, obwohl die Erstattung den gesetzlichen Regelfall darstellt.

(1) Gemäß § 467 Abs. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG hat die nach Einstellung eines Bußgeldverfahrens zu treffende Entscheidung über die notwendigen Auslagen des Betroffenen grundsätzlich dahingehend auszufallen, dass diese zu Lasten der Staatskasse gehen. Zwar kann oder muss hiervon in einigen gesetzlich geregelten Fällen abgesehen werden (§ 109a Abs. 2 OWiG, § 467 Abs. 2 bis 4 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG). Der Entscheidung des Amtsgerichts über die notwendigen Auslagen lässt sich jedoch nicht einmal im Ansatz entnehmen, aus welchem Grunde diese der Beschwerdeführerin auferlegt wurden. Weder gibt es Anhaltspunkte für eine Ermessensentscheidung nach § 109a Abs. 2 OWiG noch für eine schuldhafte Säumnis der Beschwerdeführerin (§ 467 Abs. 2 Satz 2 StPO) oder eine unwahre Selbstanzeige (§ 467 Abs. 3 Satz 1 StPO) bzw. wahrheitswidrige Selbstbelastung (§ 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StPO). Da das Amtsgericht das Verfahren nach § 47 Abs. 2 OWiG und nicht wegen eines Verfahrenshindernisses eingestellt hat, konnte die Auslagenentscheidung auch nicht auf § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO gestützt werden.

Nach § 467 Abs. 4 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG kann ein Gericht zwar davon absehen, die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen, wenn es das Verfahren nach einer Vorschrift einstellt, die dies – wie § 47 Abs. 2 OWiG – nach seinem Ermessen zulässt. Dabei darf auf die Stärke des Tatverdachts abgestellt, aber ohne prozessordnungsgemäße Feststellung keine Schuldzuweisung vorgenommen werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 1990, BVerfGE 82, 106 [117]). Allerdings hat das Amtsgericht seine Auslagenentscheidung weder im Beschluss vom 3. April 2023 begründet noch die fehlende Begründung in seiner Entscheidung über die Anhörungsrüge vom 25. April 2023 nachgeholt (insoweit anders in den Sachverhalten, die den Beschlüssen vom heutigen Tag – Vf. 14-IV-23, Vf. 15-IV-23 – zugrunde lagen). Ungeachtet des von der Beschwerdeführerin bestrittenen Vorwurfs und der durchgeführten Hauptverhandlung enthält die angegriffene Entscheidung keine Hinweise auf die maßgeblichen rechtlichen Gesichtspunkte für eine vom Grundsatz des § 467 Abs. 1 StPO abweichende Kostentragung gemäß § 467 Abs. 4 StPO. Anders als in Fällen, in denen eine Begründung vorhanden ist und auf ihre Vertretbarkeit geprüft werden kann, kann Willkür im Falle des Fehlens einer Begründung schon dann vorliegen, wenn eine andere Entscheidung – hier gerichtet auf die Erstattung notwendiger Auslagen als dem gesetzlichen Regelfall – nahegelegen hätte und eine nachvollziehbare Begründung für das Abweichen hiervon fehlt (vgl. BerlVerfGH, Beschluss vom 27. April 2022 – 130/20 – juris Rn. 9). Das Fehlen der Begründung einer gerichtlichen Entscheidung führt vorliegend dazu, dass ein Verfassungsverstoß nicht auszuschließen und die Entscheidung deshalb aufzuheben ist, weil erhebliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. Oktober 2015 – 2 BvR 2436/14 – juris Rn. 32; Beschluss vom 12. März 2008 – 2 BvR 378/05 – juris Rn. 33; Beschluss vom 25. Februar 1993 – 2 BvR 251/93 – juris Rn. 4).“

Das ist mal wieder eine der Entscheidungen, bei denen man sich verwundert die Augen reibt und den Kopf schüttelt, wenn man sie gelesen hat, und sich fragt: Wie oft denn noch? Und warum muss für eine solche Frage eigentlich ein Verfassungsgericht bemüht werden, das dann die richtige Entscheidung trifft und das AG „zwingt“, sich noch einmal mit den Fragen zu befassen. Das ist in meinen Augen Ressourcenverschleuderung auf hohem Niveau. Denn:

Warum legt das AG nicht von vornherein nach Einstellung des Verfahrens die Auslagen der Staatskasse auf bzw. warum wird die getroffene andere Entscheidung nicht begründet? Wenn einem als Amtsrichter schon Ermessen eingeräumt wird und man dieses ausübt und vom Regelfall abweicht, dann muss man das begründen. Das ist ja nun auch nichts Neues, sondern sollte ein Amtsrichter wissen; die vom VerfGH zitierte Rechtsprechung zeigt anschaulich wie „alt“ die angesprochenen Fragen sind. Und weiter fragt man sich: Wenn man nun in der Hauptverhandlung die Begründung für die abweichende Entscheidung vergessen hat, was ja passieren kann, aber an sich nicht sollte, dass ist nicht nachzuvollziehen, warum man dann nicht auf die Anhörungsrüge hin den einfachen Weg zur Reparatur der lückenhaften Ausgangsentscheidung geht und die Begründung nachholt? Nein. man geht über diese „goldene Brücke“ nicht, sondern ist vielmehr noch so frech, dass man die Betroffene bescheidet, dass man Gründe dafür, die Auslagenentscheidung zu ändern, nicht sehe. Man kann nur hoffen, dass die Entscheidung „hilft“ und der Amtsrichter sich in zukünftigen Fällen an die mehr als deutlichen Vorgaben des VerfGH hält.

Verteidigern/Rechtsanwälten kann man nur raten, den Weg zum Verfassungsgericht nicht zu scheuen und in vergleichbaren Fällen Verfassungsbeschwerde zu erheben. Man wird ja auch nicht „umsonst“ tätig. Denn die notwendigen Auslagen werden im Zweifel der Staatskasse auferlegt (so auch hier nach § 16 Abs. 3 SächsVerfGHG). Abgerechnet wird nach § 37 RVG. Den dafür erforderlichen Gegenstandswert setzt das Verfassungsgericht nach § 37 Abs. 2 S. 2 i.V.m. § 14 Abs. 1 RVG fest. Hier ist der Gegenstandswert auf immerhin 8.000 EUR festgesetzt worden. Billig wird es für die Staatskasse also nicht.

Haft III: Beschleunigungsgrundsatz, oder: Begründung der Verfassungsbeschwerde

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Und die dritte und letzte Entscheidung des Tages ist dann eine verfassungsrechtliche, nämlich der VerfGH Sachsen, Beschl. v. 07.01.2021 – Vf. 183-IV-20.

Er behandelt den Beschleunigungsgrundsatz, aber nicht materiell, sondern „formell“, nämlich im Hinblick auf die Anforderungen an eine Verfassungsbeschwerde, mit der eine Verletzung des Grundsatzes gerügt wird. Dazu führt der VerfGH aus:

„…..

b) Verfassungsrechtlich bedeutsame Begründungsmängel der angegriffenen Entscheidung werden vom Beschwerdeführer nicht aufgezeigt.

Ob sich das Oberlandesgericht – wie in der Beschwerdeschrift ausgeführt wird – mit dem Vortrag und der Argumentation der Verfahrensbevollmächtigten zur Notwendigkeit und zum zeitlichen Aufwand einer Kenntnisnahme sowie zur potentiellen Verfahrensrelevanz der aufgezeichneten, bislang aber nicht verschriftlichten Telefongespräche gar nicht, nur unzureichend oder inhaltlich fehlerhaft auseinandergesetzt hat, ist für die Frage einer möglichen Grundrechtsverletzung nicht erheblich. Denn das Gericht hat – ausgehend von dem zum Zeitpunkt seiner Entscheidung prognostizierten weiteren Verfahrensverlauf – unabhängig von der Frage der Verfahrensrelevanz und daher selbstständig tragend darauf abgestellt, dass der Verteidigung jedenfalls bis zur Fortführung der Beweisaufnahme an weiteren, neu zu strukturierenden Hauptverhandlungsterminen genügend Zeit zur Verfügung stünde, sich – unter antragsgemäß gewährter Hinzuziehung von Dolmetschern – näher mit sämtlichen Audiodateien zu befassen.

Sofern der Beschwerdeführer diesbezüglich rügt, das Gericht habe die prognostizierte Dauer für die Kenntnisnahme der Audiodateien nicht lediglich als „grobe Schätzung“ abtun dürfen, sondern konkret darlegen müssen, inwiefern es andere Umstände als die Verteidigung zugrunde gelegt habe, lässt er unberücksichtigt, dass das Gericht erkennbar einen zeitlich anders strukturierten – von der Vorstellung der Verfahrensbevollmächtigten im Beschwerdeverfahren abweichenden – weiteren Gang der Beweisaufnahme unterstellte. Während die Verfahrensbevollmächtigte noch in der Stellungnahme vom 11. September 2020 davon ausgegangen war, dass die Zeit bis zum Fortsetzungstermin am 12. Oktober 2020 nicht ausreichen werde, die Dateien zu erfassen, nimmt das Oberlandesgericht im angegriffenen Beschluss vom 17. September 2020 die – zu diesem Zeitpunkt bereits absehbare – Notwendigkeit für die Kammer in den Blick, die Hauptverhandlung aufgrund der Erkrankung der Schöffin neu zu strukturieren und die beabsichtigte Beweiserhebung erst nach deren Genesung an weiteren Hauptverhandlungsterminen vorzunehmen. Dass das Oberlandesgericht verfassungsrechtlich gehalten gewesen wäre, ausgehend von dem damaligen Vortrag der Verfahrensbevollmächtigten auf den konkreten wöchentlichen Arbeitsaufwand einzugehen, welcher der Verteidigung für die Kenntnisnahme der Audiodateien mit dem Beschwerdeführer in der Justizvollzugsanstalt abverlangt werden könne, wird nicht hinreichend vorgetragen und ist angesichts der abweichenden Verfahrensdauer, die das Oberlandesgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, auch sonst nicht ersichtlich.

c) Auch im Hinblick auf die Verhandlungsdichte hat der Beschwerdeführer eine mögliche Verletzung des Freiheitsgrundrechts gerade durch das Oberlandesgericht nicht substantiiert dargetan.

Schon die Ausführungen des Beschwerdeführers zur einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht mehr genügenden Planung der Hauptverhandlung durch das Landgericht bleiben zu pauschal. Angesichts der ausführlichen, sämtliche geplanten und durchgeführten Hauptverhandlungstermine konkret auflistenden Erwägungen des Landgerichts im Beschluss vom 30. Juli 2020, die auch das Oberlandesgericht im angegriffenen Beschluss in Bezug nimmt, hätte sich das Beschwerdevorbringen mit der Planung und Abstimmung konkreter Hauptverhandlungstermine für konkrete Zeiträume auseinandersetzen müssen, welche aus Sicht des Beschwerdeführers für unzureichend (zeitlich nicht weitgreifend genug oder zu spät abgestimmt) erachtet werden. Es bleibt schließlich unklar, warum das Oberlandesgericht in der angegriffenen Beschwerdeentscheidung Anlass gehabt haben sollte, an der Verfassungsgemäßheit einzelner Terminierungen und/oder der hierdurch geplanten Verhandlungsdichte, wie sie vom Landgericht im Einzelnen dargelegt wurden, zu zweifeln.“

Durchsuchung II: Durchsuchung bei einem Rechtsanwalt, oder: Auffindeverdacht

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Die zweite Entscheidung kommt mit dem VerfGH Sachsen, Beschl. v. 01.08.2019 – Vf. 39-IV-19 – aus Sachsen. Er verhält sich zum sog. Auffindeverdacht.

Hintergrund des Verfassungsbeschwerdeverfahrens ist ein bei der Staatsanwaltschaft Leipzig gegen die als Rechtsanwältin tätige Beschwerdeführerin geführtes Ermittlungsverfahren (603 Js 6823/18) wegen des Verdachts des Diebstahls bzw. der Unterschlagung. Ausgangspunkt der Ermittlungen war eine Strafanzeige des ehemaligen Kanzleipartners Z. der Beschwerdeführerin vom 14.12.2017. Dieser gab an, im Zuge der Auseinandersetzung der Partnerschaftsgesellschaft bemühten sich sowohl die Beschwerdeführerin als auch die Partner W. und Z., die ihrerseits weiter zusammenarbeiten wollten, bei bestehenden Mandanten um Folgebeauftragung, wozu entsprechende Vollmachten erteilt würden. Am Morgen des 14.12.2017 sei das Verschwinden verschiedener Unterlagen von Mandanten, die bereits neue Vollmachten für W. und Z erteilt hätten, aus dem gemeinsamen Büro festgestellt worden. Diese Unterlagen seien am Vortag noch vollständig vorhanden gewesen. Einbruchsspuren seien nicht erkennbar gewesen.

Aus der beigezogenen Ermittlungsakte ergibt sich, dass die Beschwerdeführerin per E-Mail vom 03.01.2018 mitteilte, ihr sei ein entsprechender Vorfall nicht bekannt. Der zum Sachverhalt vernommene Zeuge L. erklärte, er schließe aus, dass kanzleifremde Personen das Büro unbeobachtet betreten könnten. Laut Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 01.02.2018 bestand zwar ein Anfangsverdacht gegen die Beschwerdeführerin, sollten aber vor Beantragung eines Durchsuchungsbeschlusses zunächst die Details der Auseinandersetzung der Partnerschaftsgesellschaft weiter aufgeklärt werden. Eine Verzögerung der Durchsuchung wurde als unproblematisch angesehen, weil die Beschwerdeführerin ohnehin bereits von der Anzeige gewusst habe. Im weiteren Verlauf der Ermittlungen wurden u.a. der Mitarbeiter R. der Kanzlei sowie die ehemalige Partnerin W. zum Sachverhalt befragt und eine Auflistung fehlender Unterlagen sowie vorhandener Vollmachten eingeholt.

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft erließ das AG dann am 03.05.2018 einen Durchsuchungsbeschluss betreffend u.a. die Wohnung und Geschäftsräume der Beschwerdeführerin. Gesucht werden sollte nach Jahresabschluss- und Arbeitsordnern sowie weiteren Unterlagen für verschiedene namentlich genannte Mandanten. Die Durchsuchung fand am 24.05.2018 statt.

Die beschuldigte Rechtsanwältin hat sich jetzt noch beim VerfGH Sachsen gegen die Rechtmäßigkeit der Durchsuchung gewendet, nachdem ihre Rechtsmittel beim LG Leipzig keinen Erfolg hatten. Der VerfGH hat die Verfassungsbeschwerde teilweise als unzulässig und im Übrigen als unbegründet angesehen. Hier die Ausführungen zur Begründetheit – zur Zulässigkeit bitte im VT selbst nachlesen:

„3. Soweit die Verfassungsbeschwerde zulässig ist, ist sie offensichtlich unbegründet.

Die angefochtenen Beschlüsse des Amtsgerichts Leipzig vom 3. Mai 2018 und des Landgerichts Leipzig vom 8. April 2019 verletzen die Beschwerdeführerin nicht in ihrem Grundrecht aus Art. 30 Abs. 1 SächsVerf.

a) Art. 30 Abs. 1 SächsVerf schützt die Unverletzlichkeit der Wohnung, wozu auch Arbeits- und Geschäftsräume wie Anwaltskanzleien gehören können (SächsVerfGH, Beschluss vom 25. Oktober 2007 – Vf. 90-IV-06; Beschluss vom 31. Januar 2008 – Vf. 93-IV-07; Beschluss vom 25. Juni 2009 – Vf. 137-IV-08). Eine Durchsuchung, die in diese grundrechtlich geschützte Sphäre eingreift, ist nur unter den Voraussetzungen des Art. 30 Abs. 2 SächsVerf und – wie alle Maßnahmen im Strafverfahren – unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zulässig. Erforderlich zur Rechtfertigung eines Eingriffs in die Unverletzlichkeit der Wohnung ist jedenfalls der Verdacht, dass eine Straftat begangen wurde. Das Gewicht des Eingriffs verlangt dabei Verdachtsgründe, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen (SächsVerfGH, Beschluss vom 27. Juni 2019 – Vf. 121-IV-18 m.w.N.).

Um den verfassungsrechtlichen Anforderungen zu genügen, muss ein auf § 102 StPO gestützter schriftlicher Durchsuchungsbeschluss den Tatvorwurf so beschreiben, dass der äußere Rahmen in gegenständlicher, räumlicher und zeitlicher Hinsicht abgesteckt wird, innerhalb dessen die Zwangsmaßnahme durchzuführen ist. Er hat grundsätzlich auch die zu durchsuchenden Objekte und die Art und den vorgestellten Inhalt derjenigen Beweismittel, nach denen gesucht werden soll, so zu bezeichnen, wie es nach Lage der Dinge geschehen kann; dabei sind die Beweismittel, nach denen gesucht werden soll, ausgehend vom jeweiligen Kenntnisstand lediglich so zu umschreiben, dass sie von anderen Gegenständen unterschieden werden können (SächsVerfGH, Beschluss vom 25. Oktober 2007 – Vf. 90-IV-06; st. Rspr.).

Neben diesem formellen Erfordernis unterliegt ein Durchsuchungsbeschluss in materieller Hinsicht dem aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Zwangsmaßnahme muss zur Ermittlung und Verfolgung der Straftat geeignet und erforderlich sein. Dies ist nicht der Fall, wenn die Durchsuchung nicht den Erfolg verspricht, geeignete Beweismittel zu erbringen, oder andere, weniger einschneidende Mittel zur Verfügung stehen. Ferner muss der jeweilige Eingriff in angemessenem Verhältnis zu der Schwere der Straftat und der Stärke des bestehenden Tatverdachts stehen (SächsVerfGH, Beschluss vom 25. Juni 2009 – Vf. 137-IV-08; st. Rspr.). Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass es grundsätzlich Sache der ermittelnden Behörden ist, über die Zweckmäßigkeit und die Reihenfolge vorzunehmender Ermittlungshandlungen zu befinden. Ein Grundrechtseingriff ist aber jedenfalls dann unverhältnismäßig, wenn naheliegende grundrechtsschonende Ermittlungsmaßnahmen ohne greifbare Gründe unterbleiben oder zurückgestellt werden und die vorgenommene Maßnahme außer Verhältnis zur Stärke des in diesem Verfahrensabschnitt vorliegenden Tatverdachts steht (SächsVerfGH, Beschluss vom 27. Juni 2019 – Vf. 121-IV-18; vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. November 2005 – 2 BvR 728/05 – juris Rn. 24; Beschluss vom 10. November 2017 – 2 BvR 1775/16 – juris Rn. 27). Im Einzelfall können die Geringfügigkeit der zu ermittelnden Straftat, eine geringe Beweisbedeutung der zu beschlagnahmenden Gegenstände sowie die Vagheit des Auffindeverdachts der Durchsuchung entgegenstehen (vgl. BVerfG, Urteil vom 2. März 2006, BVerfGE 115, 166 [198]; Beschluss vom 31. August 2010 – 2 BvR 223/10 – juris Rn. 25). In die vorzunehmende Abwägung sind neben dem Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung auch weitere von der Durchsuchung betroffene Grundrechte, auch solche Dritter, sowie die Schwere des Eingriffs in den jeweiligen Schutzbereich einzustellen. So stellt eine Durchsuchung bei einem Rechtsanwalt wegen des Vertrauens, das ihm seine Mandanten entgegenbringen, regelmäßig einen besonders gewichtigen Eingriff nicht nur in seine Privatsphäre, sondern auch in sein Grundrecht auf freie Berufsausübung (Art. 28 Abs. 1 SächsVerf) und in das Persönlichkeitsrecht seiner Mandanten dar (SächsVerfGH, Beschluss vom 18. Oktober 2001 – Vf. 82-IV-99; vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. August 1994 – 2 BvR 983/94 und 1258/94 – juris Rn. 14).

b) Diesen Anforderungen genügt der angegriffene Durchsuchungsbeschluss. Er ist in formeller Hinsicht verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (hierzu aa) und hält auch einer Prüfung am Maßstab des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes stand (hierzu bb).

aa) Der Durchsuchungsbeschluss begegnet in formeller Hinsicht keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Er beschreibt den der Beschwerdeführerin zur Last gelegten Tatvorwurf hinreichend (hierzu 1) und bezeichnet die zu durchsuchenden Objekte und die Art und den vorgestellten Inhalt derjenigen Beweismittel, nach denen gesucht werden soll, so, wie es nach Lage der Dinge geschehen konnte (hierzu 2).

(1) Vom Ermittlungsrichter ist zu verlangen, dass im Durchsuchungsbeschluss ein dem Beschuldigten angelastetes Verhalten geschildert wird, das – wenn es wirklich begangen worden sein sollte – den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllt (Sächs-VerfGH, Beschluss vom 25. Juni 2009 – Vf. 137-IV-08; vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. September 2006 – 2 BvR 1219/05 – juris Rn. 16).

Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist die Bewertung des Landgerichts, der Durchsuchungsbeschluss genüge im Hinblick auf die Darstellung des Tatvorwurfs nach dem Stand der Ermittlungen diesen rechtsstaatlichen Anforderungen, indem zum einen konkret das der Beschwerdeführerin angelastete Verhalten einschließlich Tatort und -zeit, zum anderen das subjektive Vorstellungsbild der Beschwerdeführerin geschildert werde.

(2) Auch die Bezeichnung der Gegenstände, nach denen gesucht werden sollte, in dem angegriffenen Durchsuchungsbeschluss genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Sie sind (noch) so konkret bezeichnet, dass die mit dem Vollzug des Beschlusses betrauten Beamten ohne Weiteres in die Lage versetzt wurden, die Gegenstände in den Durchsuchungsobjekten aufzufinden, so dass der Eingriff messbar und kontrollierbar blieb.

Der hiergegen gerichtete Einwand der Beschwerdeführerin, die Beweismittel seien nicht konkret bezeichnet bzw. frei erfunden und gar nicht existent, insbesondere sei es unklar, worum es sich bei den aufzufindenden Arbeitsordnern „S.“ und „Z.“ handeln könnte, vernachlässigt, dass nach dem dargelegten Tatvorwurf das Hauptaugenmerk der Durchsuchung nicht auf einzelnen Unterlagen, sondern auf der Herkunft von namentlich aufgeführten Mandanten lag, deren Dokumente die Beschwerdeführerin unberechtigterweise in Gewahrsam haben sollte.

bb) Die fachgerichtliche Bewertung, die angeordnete Durchsuchung sei zur Ermittlung und Verfolgung der Straftat geeignet und erforderlich und stehe in angemessenem Verhältnis zu der Schwere der Straftat und der Stärke des Tatverdachtes, genügt ebenfalls den verfassungsrechtlichen Anforderungen.

(1) Das Amtsgericht – und ihm folgend das Landgericht – ist ohne erkennbaren Verfassungsverstoß von einem zureichenden, nicht auf bloßen Vermutungen gründenden Anfangsverdacht des Diebstahls gemäß § 242 Abs. 1 StGB ausgegangen. Dass sich allein auf der Grundlage der vorliegenden Anhaltspunkte der Vorwurf nicht zwangsläufig nachweisen ließe, sondern sich aus ihnen nur die Möglichkeit einer entsprechenden Tatbegehung ergab, liegt in der Natur des Anfangsverdachts (vgl. BVerfG, Beschluss vom 28. September 2008 – 2 BvR 1800/07 – juris Rn. 22).

Der Einwand der Beschwerdeführerin, die Strafanzeige sei lediglich ein Ablenkungsmanöver gewesen und unsorgfältig geprüft worden, setzt der fachgerichtlichen Bewertung der Anknüpfungstatsachen für einen für die Durchsuchungsmaßnahme hinreichenden Tatverdacht lediglich ihre hiervon abweichende Bewertung entgegen, ohne insoweit auch nur ansatzweise einen Verfassungsverstoß darzulegen.

(2) Die durch das Landgericht bestätigte Wertung des Amtsgerichts, die Durchsuchung sei zur Erreichung des verfolgten Zwecks geeignet gewesen, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Dem aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz folgenden verfassungsrechtlichen Gebot hinreichender Erfolgsaussicht einer Durchsuchung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. Mai 1997, BVerfGE 96, 44 [51]) ist genügt, wenn aufgrund kriminalistischer Erfahrung eine Vermutung dafür besteht, dass die gesuchten Beweismittel aufgefunden werden können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. Oktober 2013 – 2 BvR 389/13 – juris Rn. 22). Dass dem Durchsuchungsbeschluss vom 3. Mai 2018 der Verdacht des Diebstahls im Zeitraum 13./14. Dezember 2017 und damit knapp fünf Monate zuvor zugrunde lag, hindert nach der Art des Tatverdachts nicht die Annahme eines hinreichenden Auffindeverdachts.

(3) Die durch das Landgericht bestätigte Bewertung des Amtsgerichts, die Durchsuchung sei zur Ermittlung und Verfolgung der Straftat erforderlich und angemessen, hält ebenfalls einer verfassungsrechtlichen Überprüfung stand.

Der Eingriff stand in angemessenem Verhältnis zu der Schwere der Straftat und der Stärke des bestehenden Tatverdachts. Die in Betracht kommende Straftat war von ihrem Unrechtsgehalt her nicht lediglich im unteren Bereich anzusiedeln, mithin nicht geringfügig, und offenbarte – eine Bestätigung des Verdachts unterstellt – ein planvolles Vorgehen der Beschwerdeführerin. Als geringfügig gelten Straftaten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe unter fünf Jahren bedroht sind (BVerfG, Beschluss vom 29. Januar 2015 – 2 BvR 497/12 – juris Rn. 19). Vorliegend stand der Verdacht eines Diebstahls nach § 242 Abs. 1 StGB im Raum, der im Höchstmaß mit einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren bedroht und daher in diesem Sinne schon nicht mehr geringfügig war.

Wird ein für die Durchsuchung hinreichender Tatverdacht gegen die Beschwerdeführerin angenommen, haben die Ermittlungsbehörden – auch im Lichte der besonderen Anforderungen an die Rechtfertigung von Durchsuchungsmaßnahmen (BVerfG, Beschluss vom 10. November 2017 – 2 BvR 1775/16 – juris Rn. 27 m.w.N.; (SächsVerfGH, Beschluss vom 27. Juni 2019 – Vf. 121-IV-18 m.w.N.) – auch keine naheliegenden grundrechtsschonenden Ermittlungsmaßnahmen ohne greifbare Gründe unterlassen. Angesichts der dem Beschluss vorangegangenen Ermittlungsmaßnahmen waren die Ermittlungsbehörden von Verfassungs wegen nicht gehalten, vor der Durchführung einer Durchsuchung der Wohn- und Geschäftsräume der Beschwerdeführerin weitere Angestellte der ehemaligen Partnerschaftsgesellschaft oder Mitarbeiter der vor Ort möglicherweise tätig gewordenen Entsorgungsfirmen als Zeugen zu vernehmen oder andere Räumlichkeiten – etwa jene der ehemaligen Partner der Beschwerdeführerin bzw. Archivräume – zu durchsuchen.)

Widerruf von Strafaussetzung wegen neuer Straftaten, oder: Probleme mit der Unschuldsvermutung?

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Ich hatte ja am Montag bereits über den Sächs.VerfGH, Beschl. v. 30.08.2018 – Vf 73-IV 18 (HS) berichtet. Da ging es um die dort (auch) behandelte Frage der Bestellung eines Pflichtverteidigers. Der VerfGH hatte moniert, dass die Gerichte dem Verurteilten im Vollstreckungsverfahren keinen Pflichtverteidiger bestellt hatten (vgl. hier Pflichtverteidiger in der Strafvollstreckung, oder: Die Begründung des OLG Dresden ist “nicht mehr nachvollziehbar”).

Ich komme dann heute – an einem Strafvollstreckungstag – noch einmal auf den Beschluss zurück. Der Widerruf war auf neue Straftaten des Verurteilten gestützt, obwohl der Verurteilte deswegen noch nicht rechtskräftig verurteilt war. Der VerfGH meint dazu: Geht grundsätzlich, aber:

„a) Die in Art. 15 SächsVerf in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip verfassungsrechtlich verankerte Unschuldsvermutung enthält keine in allen Einzelheiten bestimmten Ge- und Verbote; ihre Auswirkungen auf das Verfahrensrecht bedürfen vielmehr der Konkretisierung je nach den sachlichen Gegebenheiten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. April 2008 — 2 BvR 572/08 — juris Rn. 2). Dies ist grundsätzlich Sache des Gesetzgebers (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. März 1987, BVerfGE 74, 358 [372]; Beschluss vom 9. Dezember 2004, NStZ 2005, 204). Von Verfassungs wegen setzt der Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung nach § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB wegen einer neuen Straftat mit Blick auf die Unschuldsvermutung zwar regelmäßig voraus, dass der Täter wegen dieser neuen Straftat verurteilt worden ist (vgl. EGMR, Urteil vom 3. Oktober 2002, NJW 2004, 43 ff.). Allerdings ist ein Widerruf der Strafaussetzung wegen einer neuen Tat auch ohne deren Aburteilung ohne Verletzung der Unschuldsvermutung zulässig, wenn der Betroffene die neue Straftat vor einem Richter glaubhaft gestanden hat, das Geständnis nicht ersichtlich von prozesstaktischen Erwägungen bestimmt und nicht widerrufen ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. April 2008 — 2 BvR 572/08 — juris Rn. 2; Beschluss vom 9. Dezember 2004 — 2 BvR 2314/04 — juris Rn. 4; OLG Jena, Beschluss vom 7. Mai 2003, NStZ-RR 2003, 316; OLG Oldenburg, Beschluss vom 14. Oktober 2009, StV 2010, 311; Fischer, StGB, 61. Aufl., § 56f, Rn. 7).

b) Diesen Maßstäben wird das Oberlandesgericht in den angegriffenen Beschlüssen nicht gerecht. Das Oberlandesgericht hat in seinen Beschlüssen nicht hinreichend ausgeführt, aus welchen Gründen von einem glaubhaften Geständnis des Beschwerdeführers vor dem Amtsgericht auszugehen sei. In dem Urteil des Amtsgerichts Dresden vom 27. Mai 2015 wird lediglich ausgeführt, dass sich der Beschwerdeführer zur Sache selber weitestgehend geständig eingelassen habe. Die vom Amtsgericht als geständig gewerteten Einlassungen des Beschwerdeführers werden dagegen im Urteil nicht konkret wiedergegeben, obwohl Anhaltspunkte für die Annahme eines sachlich und rechtlich einfachen Falls angesichts der Anzahl der Taten und der angeklagten Straftatbestände nicht erkennbar sind (vgl. zu den Anforderungen an die Darstellung der Einlassung des Angeklagten in den Urteilsgründen: BGH, Beschluss vom 29. Dezember 2015 — 2 StR 322/15 — juris Rn. 6; Beschluss vom 27. September 2017 — 4 StR 142/17 — juris; OLG Köln, Beschluss vom 14. Februar 2003 — Ss 16/03 — juris Rn. 8; OLG Hamm, Beschluss vom 21, November 2002 — 5 Ss 1016/02 juris Rn. 9; Julius in: Gercke/Julius/Temming, StPO, 5. Aufl., § 261 Rn. 23). Aus diesen Gründen wäre das Oberlandesgericht veranlasst gewesen, weitergehende Ausführungen zur Glaubhaftigkeit des Geständnisses zu treffen; zumal bereits in den Beschlüssen des Landgerichts vom 3. und 6. Juni 2016 darauf hingewiesen wurde, dass den Urteilsgründen ein Geständnis nicht mit der notwendigen Klarheit entnommen werden könne.“