„Schilderwälder“ kennen wir alle. Sie machen die Einhaltung der darin liegenden straßenverkehrsrechtlichen Anordungen nicht unbedingte leicht(er). So war es in Bayern auch einem Betroffenen gegangen. Der hatte aber bei „seinem“ AG Glück. Das hat ihn zwar wegen einer (fahrlässigen) Geschwindigkeitsüberschreitung verurteilt, von einem an sich verwirkten Fahrverbot jedoch unter Erhöhung der Geldbuße abgesehen. Begründung: Es liege ein gegenüber dem Regelfall geringes Verschulden wegen eines Irrtums der Betroffenen vor, da unter dem Zeichen 274 (Beschränkung der erlaubten Höchstgeschwindigkeit) das Verkehrszeichen „Überholverbot“ (Zeichen 277) angebracht war, darunter in einem rechteckigen Rahmen die Bezeichnung „2,8 t“ und darunter in einem rechteckigen Rahmen die Symbole für Omnibusse und PKW mit Anhänger. Das OLG Bamberg hat das im – ziemlich umfangreichen – OLG Bamberg, Beschl. v. 01. 12. 2015 – 3 Ss OWi 834/15 – nicht gelten lassen und aufgehoben. Wenn man die Leitsätze liest, dann weiß man, was im Beschluss steht, denn die sind im Grunde ein Inhaltsangabe 🙂 .
- Ist das verkehrsordnungswidrige Verhalten auf einen aufgrund mangelnder präsenter Kenntnis der Straßenverkehrsvorschriften beruhenden Wertungs- bzw. Interpretationsirrtum des Betroffenen über die rechtliche Bedeutung der von ihm optisch richtig und vollständig wahrgenommenen Beschilderung zurückzuführen, ist von einem regelmäßig vermeidbaren, den Tatvorsatz unberührt lassenden Verbotsirrtum i.S.d. § 11 II OWiG und nicht von einem Tatbestandsirrtum i.S.v. § 11 I 1 OWiG auszugehen (Anschluss u.a. an BayObLGSt 2003, 61 = NJW 2003, 193 = ZfS 2003, 430 = OLGSt OWiG § 11 Nr. 3 = DAR 2003, 426 = VRS 105 [2003], 309 = VerkMitt 2003 Nr. 75 und OLG Bamberg NJW 2007, 3081 = VD 2007, 294 = NZV 2007, 633 = OLGSt StVG § 25 Nr. 37).
- Ein vermeidbarer Verbotsirrtum i.S.d. § 11 II OWiG kann dazu führen, dass die Wertung des Pflichtenverstoßes als ‚grob‘ i.S.v. § 25 I 1 [1. Alt.] StVG als nicht gerechtfertigt anzusehen ist mit der Folge, dass die Anordnung eines an sich nach § 4 I 1 BKatV verwirkten Regelfahrverbots nicht (mehr) angezeigt ist (u.a. Anschluss an BayObLG und OLG Bamberg a.a.O.). Scheidet ein Wegfall des Fahrverbots aus, kann die Abkürzung der an sich nach § 4 I 2 BKatV vorgesehen Fahrverbotsdauer oder eine Fahrverbotsbeschränkung (§ 25 I 1 a.E. StVG) in Betracht kommen. Insoweit ist ohne Belang, dass § 11 II OWiG im Unterschied zu § 17 S. 2 StGB keine ausdrückliche fakultative Milderung des Sanktionsrahmens vorsieht.
- Rechtfertigt der vermeidbare Verbotsirrtum die Wertung, dass ungeachtet des Vorliegens eines Regelfalls nicht von einem groben Pflichtenverstoß auszugehen ist, scheidet auch eine Kompensation des in Wegfall geratenen Fahrverbots durch Anhebung der Regelgeldbuße nach § 4 IV BKatV aus (Anschluss u.a. an OLG Hamm DAR 1998, 322; OLG Hamm NZV 1999, 92 und OLG Karlsruhe NJW 2003, 3719).
- Nicht jeder vermeidbare Verbotsirrtum führt ‚automatisch‘ dazu, von einem Regelfahrverbot Ausnahmen zuzulassen. Erforderlich ist stets eine umfassende einzelfallbezogene Abwägung und Gewichtung sämtlicher erkennbarer Umstände und eine hierauf aufbauende Gesamtschau. Denn ein vermeidbarer Verbotsirrtum kann, muss aber den Schuldvorwurf nicht unter allen Umständen mindern. Nur soweit er ihn im Einzelfall wirklich mindert, ist eine entsprechende Milderung geboten.
- Die Anerkennung einer Privilegierungswirkung und ihr möglicher Umfang hängen im Falle des vermeidbaren Verbotsirrtums mit Blick auf ein bußgeldrechtliches Fahrverbot entscheidend vom Grad der Vermeidbarkeit für den Betroffenen ab. Die Anerkennung einer Privilegierung hinsichtlich eines an sich verwirkten Fahrverbots, seiner Dauer oder seines Umfangs bedarf daher auch in den Fällen des vermeidbaren Verbotsirrtums regelmäßig ergänzender, dem Tatrichter vorbehaltener Wertungen und demgemäß korrespondierender tatsächlicher Feststellungen, um dem Rechtsbeschwerdegericht die Nachprüfung der Rechtsfolgenentscheidung zu ermöglichen (Anschluss an OLG Karlsruhe NZV 2005, 380 und OLG Stuttgart BeckRS 2012, 09299). Die in Abschnitt I des BKat vorgesehenen Regelahndungen gehen von fahrlässiger Begehung, gewöhnlichen Tatumständen und fehlenden Vorahndungen des Betroffenen aus (§§ 1 II, 3 I BKatV).
- Dass ein Betroffener bislang straßenverkehrsrechtlich unauffällig geblieben oder so zu behandeln ist, rechtfertigt ein Abweichen von der Regelahndung deshalb auch in Verbindung mit einer geständigen Einlassung oder einem etwaigen in der Hauptverhandlung hinterlassenen günstigen Eindruck und einer positiven Prognose hinsichtlich des zukünftigen Verkehrsverhaltens grundsätzlich nicht (Anschluss u.a. an BayObLGSt 1994, 156; OLG Hamm OLGSt BKatV § 4 Nr. 4 = NZV 2007, 100; OLG Hamm DAR 2006, 521; OLG Jena VRS 111, 52).
Ich meine, dass das OLG Bamberg schon mal großzügiger war (vgl. OLG Bamberg, Beschl. v. 6. 6. 2012 – 2 Ss OWi 563/12).