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Was drauf steht, sollte auch drin sein…

Mit dem Satz: „Was drauf steht, sollte auch drin sein…“ könnte man den BGH, Beschl. v. 22.02.2012 – 4 StR 634/11– überschreiben. Was ist passiert bzw., was liegt ihm zugrunde? Nun, ein Versehen (?), das sicherlich nicht so häufig vorkommt, nämlich ein Abweichen von Urteilsgründen und Urteilsformel. In den Gründen ist von einer Freiheitsstrafe von acht Jahren die Rede, die Urteilsformel verhängt eine von 11 Jahren und sechs Monaten. Das bekommt man nicht deckungsgleich, und der BGh hebt auf:

Das Rechtsmittel hat indes zum Strafausspruch wegen des Widerspruchs zwischen der Urteilsformel und den Urteilsgründen Erfolg.

Die in der Urteilsformel genannte Freiheitsstrafe von elf Jahren sechs Monaten kann nicht bestehen bleiben, weil sie von den – für sich genommen rechtsfehlerfreien – Erwägungen zur Strafzumessung nicht getragen wird. Es liegt keine Fallgestaltung vor, bei der ohne Weiteres deutlich wird, dass der Tatrichter seine Ausführungen zur Strafzumessung in Wirklichkeit nicht auf die in den Urteilsgründen, sondern auf die in der Urteilsformel bezeichnete Strafe bezogen hat und dass diese Strafe trotz der anderslautenden Urteilsgründe dem Beratungsergebnis entspricht (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 25. Mai 2007 – 1 StR 223/07, NStZ 2008, 710, 711 m.w.N.). Es lässt sich auf der Grundlage des Urteils weder ausschließen, dass das Landgericht die in der Urteilsformel genannte Freiheitsstrafe hat verhängen wollen, noch, dass es die in den Urteilsgründen bezeichnete, deutlich niedrigere Freiheitsstrafe für angemessen gehalten hat.“

Gibt es in Bayern keine Bewährung mehr?

Das dem BGH, Beschl. v. 06.03.2012 – 1 StR 50/12 – zugrunde liegende landgerichtliche Urteil (LG Deggendorf) berechtigt m.E. zu der – provokanten – Frage, ob es in Bayern keine Bewährung (§ 56 StGB) mehr gibt. Das LG hat zu deren Voraussetzungen nämlich keine Ausführungen gemacht, obwohl diese wohl nötig und erforderlich waren (leider teilt der BGH-Beschluss den Sachverhalt nicht mit. Das war dann selbst dem 1. Strafsenat des BGH ein wenig viel/streng und er hat aufgehoben und zurückverwiesen:

….Die Versagung einer Strafaussetzung zur Bewährung hält jedoch rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Landgericht hat seine Entscheidung nicht begründet. Unabhängig von der verfahrensrechtlichen Vorschrift des § 267 Abs. 3 Satz 4 StPO sind aus materiell-rechtlichen Gründen Ausführungen im Urteil zur Strafaussetzung zur Bewährung erforderlich, wenn eine Erörterung dieser Frage als Grundlage für die revisionsgerichtliche Nachprüfung geboten ist (vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 28. Juli 2011 – 4 StR 283/11 mwN).
Dies ist hier der Fall, weil angesichts der konkreten Umstände des Falles eine Strafaussetzung zur Bewährung nicht so fern liegt, dass eine ausdrückliche Erörterung der Aussetzungsfrage entbehrlich erscheint. Der Angeklagte ist – von den hier abgeurteilten binnen weniger Minuten begangenen Taten abgesehen – nur geringfügig strafrechtlich in Erscheinung getreten. Er wurde 2006 zu einer Geldstrafe verurteilt. Seine Taten haben bei den beiden Geschädigten „keine bleibenden Verletzungen“ verursacht, weshalb die Strafkammer jeweils feststellte, „dass sich die Strafe noch im unteren Bereich des zur Verfügung stehenden Strafrahmens bewegen kann“ (UA S. 20). Der Angeklagte hat die Taten nicht bestritten, sondern von seinem Recht Gebrauch gemacht, sich nicht zur Sache einzulassen. Zu dem Motiv der Tat hat die Strafkammer keine Feststellungen getroffen.“

Den Angeklagten wird es freuen. Denn die Zeit, die es gebraucht hat und die es noch braucht bis zu einer neuen Verhandlung ist „Vorbewährungszeit“ – wenn er sie denn straffrei durchgestanden hat.

 

In der Kürze liegt die Würze….. von wegen sagt das OLG Hamm: Zu dürftig

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Der Amtsrichter verurteilt wegen Besitzes von BtM und Beförderungserschleichung. Er trifft (nur) folgende tatsächliche Feststellungen:

„1. Am 19.10.2010 hielt sich der Angeklagte im Bereich der I-Straße in C auf. Dabei war er im Besitz von 1,67 Gramm Heroin.

2. Am 07.09.2010 benutzte er ein Verkehrsmittel der Linie 3 des Verkehrsunternehmens N GmbH ohne im Besitze eines gültigen Fahrausweises zu sein.“

Der Strafkammer reicht das. Sie geht von einer wirksamen Berufungsbeschränkung aus. Der OLG Hamm, Beschl. v. 02.02.2012 – III-3 RVs 4/12 sagt: Zu dürftig und nicht ausreichend um als Grundlage für eine Verurteilung dienen zu können. Stimmt. Das ist wirklich (ein wenig) zu knapp. Es fehlen jegliche Tatumstände usw. Mehr als die Mitteilung des gesetzlichen Tatbestandes ist das nicht.

Manchmal kommt die Rechtsprechung des BGH schnell bei den OLG an…

Manchmal geht es in der Tat schnell mit der Ankunft der Rechtsprechung des BGH bei den OLG. So hat der BGH gerade erst im Urteil v. 02.11.2011 – 3 StR 332/11 – die Frage der Anwendbarkeit des § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO auf Videofilme verneint (vgl. hier), da liegt schon kurze Zeit später mit dem OLG Jena, Beschl. v. o5.01.2012 – 1 Ss Bs 112/11, der mir der Kollege, der ihn „erstritten“ hat, hat zukommen lassen, die erste OLG-Entscheidung zu der Thematik vor, die die BGH-Rechtsprechung im OWi-Verfahren umsetzt.

Das OLG Jena verneint mit dem BGH die Anwendbarkeit mit der Folge, dass die tatsächlichen Feststellungen des AG-Urteils nicht ausreichten. War zwar keine Täteridentifizierung, aber für den Bereich gilt die Rechtsprechung natürlich auch.

Eine „Berichtigung“, die keine „Berichtigung“ ist, geht nicht….

Nicht immer hilft ein Berichtigungsbeschluss, um einen Fehler im Urteil zu beheben. Er hilft nur, wenn es sich um ein „offensichtliches Schreibversehen“ handelt. So der BGH, Beschl. v. 19.10.2011 – 1 StR 336/11 -, bei dem die Strafkammer eine „Divergenz“ zwischen der verkündeten Urteilsformel und den Urteilsgründen mit einem Berichtigungsbeschluss beseitigt hatte:

Der Berichtigungsbeschluss vom 9. Juni 2011 ist unwirksam, denn das vom Landgericht angeführte Schreibversehen ist nicht offensichtlich. Enthalten die Urteilsgründe – wie hier – für sich genommen rechtlich einwandfreie Strafzumessungserwägungen kann ein die Strafhöhe betreffender Widerspruch zwischen der verkündeten Urteilsformel und Urteilsformel sowie -gründen des schriftlichen Urteils nicht als offenkundiges, für alle klar zu Tage tretendes Fassungsversehen aufgefasst werden, das einer nachträglichen Berichtigung zugänglich wäre (BGH, Beschluss vom 25. Mai 2007 – 1 StR 223/07 mwN). Es liegt auch keine Fallgestaltung vor, bei der ohne Weiteres deutlich wird, dass der Tatrichter seine Ausführungen zur Strafzumessung in Wirklichkeit nicht auf die im schriftlichen Urteil, sondern auf die verkündete Urteilsformel bezeichnete Strafe bezogen hat und dass diese Strafe trotz der anders lautenden Urteilsgründe dem Beratungsergebnis entspricht (BGH, Beschluss vom 8. Juni 2011 – 4 StR 196/11 mwN).
Wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat, nötigt die bestehende Divergenz zwischen der Urteilsformel in dem allein maßgeblichen Sitzungsprotokoll (§ 274 StPO; vgl. BGH, Beschluss vom 9. Mai 2001 – 2 StR 42/01; BGH, Beschluss vom 4. Februar 1986 – 1 StR 643/85) und den Urteils-gründen nicht stets zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung. Der Senat kann hier ausschließen, dass das Tatgericht auf eine noch niedrigere Gesamtfreiheitsstrafe als die von drei Jahren und sechs Monaten erkannt hätte, so dass der Senat auf diese niedrigere der beiden Strafen durcherkennt (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Oktober 2009 – 4 StR 340/09 mwN).

Gebracht hat es dem Angeklagten aber – wie zu lesen ist – insoweit nichts, da der BGH durcherkannt hat.