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Etwas mehr Sorgfalt bitte.., oder: § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO lässt grüßen

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Etwas mehr Sorgfalt bei Abfassung der Urteilsgründe wünscht man sich schon manchmal schon. Da wird der Angeklagte vom Landgericht wegen besonders schweren Raubes, räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit  gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Seine Revision hat zuimndest teilweise Erfolg, denn der BGH, Beschl. v. 02.05.2012 – 3 StR 37/12 – hebt das landgerichtliche Urteil teilweise auf. Begründung:

„1. Im Fall II. 1. der Urteilsgründe wird die Verurteilung wegen räuberischer Erpressung durch die Feststellungen nicht belegt. Danach „trafen die Angeklagten“ – neben dem Beschwerdeführer die Nichtrevidenten A. und R. G. – „auf den Geschädigten“. Dieser merkte, dass er verfolgt wurde und lief davon. Er wurde zu Boden gestoßen und A. G. versetzte ihm mehrere Faustschläge und Fußtritte. Sodann forderte R. G. von ihm Geld, worauf er diesem etwa 70 bis 100 Euro herausgab. „Die Angeklagten wussten jedoch, dass sie keinen Anspruch auf dieses Geld hatten.“ Sie kauften sodann von dem Geld Bier und Zigaretten, die sie gemeinsam konsumierten.

Damit sind lediglich die Anwesenheit des Angeklagten am Tatort und seine Mitwirkung am Beuteverzehr festgestellt. Ob er sich an der räuberischen Erpressung als Täter oder Gehilfe (zur Abgrenzung vgl. zuletzt BGH, Beschluss vom 27. März 2012 – 5 StR 114/12 mwN) beteiligt hat, ist dem Urteil auch im Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht zu entnehmen.

2. Gleiches gilt für die Verurteilung wegen besonders schweren Raubes im Fall II. 3 der Urteilsgründe. Danach war der Angeklagte mit drei gesondert verfolgten Männern nachts in einem Auto unterwegs. Sie besprachen, dass sich in der Wohnung des E. Z. „mitnehmenswerte Gegenstände befin-den könnten, die entwendet werden sollten“. Als der Geschädigte später dem Angeklagten und den gesondert Verfolgten Zugang zu seiner Wohnung ermöglicht hatte, „entwendeten“ diese „aus der Wohnung … absprachegemäß steh-lenswerte Gegenstände“. Damit ist lediglich die Begehung eines Diebstahls festgestellt. Zwar hatte der gesondert verfolgte M. zuvor den Geschädigten auf der Straße mit einem Baseballschläger bedroht und ein Getränk von ihm verlangt. Ob diese Drohung durch M. schon dazu diente, den Tätern später den Zutritt zur Wohnung zu ermöglichen sowie den Widerstand des Geschädig-ten gegen die Wegnahme von Gegenständen zu unterbinden, ist dem Urteil nicht zu entnehmen. Erst recht fehlt es an der Feststellung, dass der Angeklagte die Bedrohung als final für einen Raub erkannte und als Willensbeugungselement im Hinblick auf die Wegnahme von Gegenständen aus der Wohnung billigte. Dass der Geschädigte während der Wegnahme der Gegenstände in der Küche seiner Wohnung eingesperrt und somit einvernehmlich Gewalt zur Ermöglichung der Tat gegen ihn angewendet worden war, konnte die Strafkammer gerade nicht feststellen.

Wenn man das so liest und sich überlegt, dass ein Referendar das als Urteilsentwurf abgegeben hätte. Na, der hätte was zu hören bekommen. § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO lässt grüßen…

Was bin ich? – Woher weißt du das?

Zu dem Beitrag betreffend Urkunden/Abbildungen passt ganz gut der Hinweis auf einen weiteren OLG Hamm, Beschl. v.12.12.2011 – III 3 RBs 403/11. Da hatte das AG Angaben des Betroffenen zu den beruflichen und wirtschaftlichen Verhältnissen verwertet, die nicht prozessordnungsgemäß in die Hauptverhandlung eingeführt worden waren. Also ein Verstoß gegen § 261 StPO.

Ausweislich der Urteilsgründe hat das Amtsgericht die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Betroffenen, die auch die Tätigkeit des Betroffenen als Universitätsprofessor beinhalten, auf die angeblich durch den Verteidiger hierzu abgegebene Einlassung des Betroffenen gestützt. Mit seiner Rechtsbeschwerde beanstandet der Betroffene unter Mitteilung des Hauptverhandlungsprotokolls vom 2. August 2011 zu Recht, dass Angaben zu den beruflichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen nicht prozessordnungsgemäß in die Hauptverhandlung eingeführt wurden. Soweit der vom persönlichen Erscheinen entbundene und deswegen in der Hauptverhandlung abwesende Betroffene laut Protokoll zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen und zur Sache vernommen wurde, ist das Protokoll widersprüchlich und entfaltet diesbezüglich keine Beweiskraft.

Ergebnis: Aufhebung im Rechtsfolgenausspruch.

 

Urkunden oder Abbildungen, darauf kann es ankommen…

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Gerade im Bußgeldverfahren, kann es auf die Frage ankommen:Handelt es sich bei bestimmten vorliegenden schriftlichen Aufzeichnungen zu einer Messung um Urkunden oder handelt es sich um Abbildungen. Denn je nachdem, wie man die Frage beantwortet, ergeben sich darauf Folgerungen für das Verfahren. Handelt es sich um Urkunden, dann gilt für diese § 249 StPO – also der Urkundsbeweis, und die Urkunden müssen grds. verlesen werden. Handelt es sich um Abbildungen, dann erfolgt ggf. die Augenscheinseinnahme und auf die Abbildungen kann dann im Urteil nach § 267 Abs. 1 Satz 2 StPO verwiesen werden. Das OLG Hamm sagt nun im OLG Hamm, Beschl. v. 20.03.2012 – III 3 RBs 438/11: Schriftliche Aufzeichnungen über das Ergebnis einer Geschwindigkeitsmessung (Datum, Uhrzeit, gemessene Geschwindigkeit) sind keine Abbildungen – und zwar auch dann nicht, wenn diese Aufzeichnungen auf einem Radarfoto eingeblendet sind –, sondern Urkunden.

Allerdings im Ergebnis hat sich die Verweisug durch das AG auf die Abbildungen nicht ausgewirkt:

„Im vorliegenden Fall ist es unschädlich, dass das Amtsgericht in den Urteilsgründen rechtsfehlerhaft „gemäß § 273 Abs. 1 Satz 3 StPO [Anmerkung des Senats: gemeint sein dürfte § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO] in Verbindung mit § 46 OWiG“ auf das Datenfeld des Lichtbildes, das bei der Geschwindigkeitsmessung aufgenommen wurde, verwiesen hat (vgl. S. 5 UA). Eine Verweisung ermöglicht die Regelung in § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO nur auf Abbildungen. Eine Abbildung ist eine unmittelbar durch Gesichts- oder Tastsinn wahrnehmbare Wiedergabe der Außenwelt (Senat, NStZ-RR 2009, 151); hierzu zählen insbesondere Fotos – auch Radarfotos – und Abzüge von anderen Bildträgern (Senat, a.a.O.). Schriftliche Aufzeichnungen über das Ergebnis einer Geschwindigkeitsmessung (Datum, Uhrzeit, gemessene Geschwindigkeit) sind keine Abbildungen – und zwar auch dann nicht, wenn diese Aufzeichnungen auf einem Radarfoto eingeblendet sind –, sondern Urkunden (Senat, a.a.O.). Dieser Rechtsfehler wirkt sich hier bei der sachlich-rechtlichen Überprüfung des Urteils indes nicht aus, weil alle für die Beurteilung durch das Rechtsbeschwerdegericht erforderlichen Angaben auch noch einmal in den Urteilsgründen selbst enthalten sind.“

 

Kompensation?

Auch eine Art (neuer [?] Kompensation, die man in BGH, Beschl. v. 27.03.2012 – 5 StR 115/12 lesen kann:

Ergänzend bemerkt der Senat:
Die für das Anzünden mehrerer hochwertiger Kraftfahrzeuge eher milde, im Rahmen einer Verständigung gefundene Sanktion wird durch die gänzlich fehlenden Erörterungen zum Tatmotiv nicht zum Nachteil des Angeklagten in Frage gestellt. Sachlichrechtliche Anhaltspunkte für Zweifel an der lediglich aufgrund Alkoholkonsums eingeschränkten Schuldfähigkeit des Angeklagten sind nicht ersichtlich.

Der eine „Fehler“ gegen den anderen aufgerechnet?

Muss der Strafrichter Sozialrecht können?

Die Frage: „Muss der Strafrichter Sozialrecht können?“ muss man. m.E. mit „Ja“ beantworten, wenn man OLG Hamm, Beschl. v. 16.02.2012 – III-5 RVs 113/11 in der Praxis umsetzt. Denn der  5. Strafsenat des OLG Hamm verlangt, wenn einem Angeklagten vorgeworfen wird, staatliche Sozialleistungen betrügerisch erlangt zu haben, dass die tatrichterlichen Entscheidungsgründe in nachvoll­ziehbarer Weise zu erkennen geben müssen, dass und inwieweit auf die angeblich zu Unrecht bezogenen Beträge nach den sozialhilferechtlichen Bestimmungen tatsäch­lich kein Anspruch bestand.

Im Rahmen der getroffenen Feststellungen darf sich das erkennende Gericht dabei auch nicht mit dem Hinweis begnügen, dass die Rückzahlungspflicht des Angeklagten bestandskräftig festgestellt sei. Eine Verurteilung nach § 263 StGB wegen betrügerisch erlangter öffentlicher Leistungen setze regel­mäßig voraus, dass der Tatrichter selbst nach den Grundsätzen der für die Leistungsbewilligung geltenden Vorschriften geprüft hat, ob und inwieweit tatsächlich kein Anspruch auf die beantragten Leistungen bestand.

Wer ma so einen Bescheid über öffentliche Leistungen gesehen hat, kann den Tatrichtern da nur viel Spaß wünschen. Und: Für die Revision schlummern da natürlich eine ganze Reihe von Angriffspunkten.