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„Wichser“ reicht nicht – im „Beleidigungs-Urteil“ muss mehr stehen

entnommen wikimedia.org Autor Christoph Braun

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Zu dem Beitrag „Konfetti im Gerichtssaal – Bärendienst?“ passt ganz gut  (na ja, immerhin ging es da auch um die Beleidigung eines Polizeibeamten)  der OLG Bamberg, Beschl. v. 25. 11. 2013 – 3 Ss 114/13. Ausgangspunkt für ihn ist nämlich auch ein amtsgerichtliches Verfahren gewesen, in dem der Angeklagte wegen Beleidigung von Polizeibeamten  verurteilt worden ist. Anschließend war die Berufung auf das Strafmaß beschränkt worden. Diese Beschränkung, deren Wirksamkeit von Amts wegen zu prüfen ist, hat das OLG als teilweise unwirksam angesehen. Es verweist dazu allgemein auf den allgemeinen Grundsatz in der Rechtsprechung der OLG, dass eine Beschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch nur dann wirksam ist, wenn die Schuldfeststellungen eine hinreichende Grundlage für die Strafzumessung ergeben.

Und das hat es dann für den einen der beiden abgeurteilten Beleidigungsfälle verneint:

a) Das AG hat hinsichtlich der ersten Tat neben der form- und fristgerechten Strafantragstellung nur festgestellt, dass der Angekl. „am 02.03.2013 gegen 2:45 Uhr […] in D., C-Straße den Polizeibeamten S.“ als „Wichser“ beschimpfte, „um seine Missachtung auszudrücken“. Aus den Darlegungen des AG im Rahmen seiner Beweiswürdigung und den Strafzumessungserwägungen ergibt sich im Hinblick auf dieses erste Tatgeschehen lediglich noch, dass die Überzeugung des Gerichts insoweit „aufgrund des glaubhaften und glaubwürdigen Geständnisses des Angeklagten“ gewonnen wurde und dass sich der teilgeständige Angekl. „gegenüber dem Polizeibeamten S. bereits schriftlich entschuldigt“ hat. Aus dem Berufungsurteil kann hierzu noch ergänzend entnommen werden, dass der Angekl. dort – im Unterschied zu seiner erstinstanzlichen Einlassung – „beide Tatvorwürfe, auch die bisher in Abrede gestellte Beleidigung gegenüber dem Beamten T. am 02.03.2013, eingeräumt“ und „mitgeteilt“ hat, „unter Alkoholeinfluss gestanden und deshalb wohl den nötigen Respekt verloren zu haben“, weshalb er „inzwischen Kontakt zur Suchtberatung aufgenommen habe“.

b) Diese Feststellungen sind unzureichend, da sie den Unrechts- und Schuldgehalt der Tat selbst bei Anlegung eines großzügigen Maßstabes über die reine Tatbestandserfüllung hinaus nicht erkennen lassen und damit als (alleinige) Grundlage für die Strafzumessung nicht ausreichen: Aus den knappen Feststellungen des AG ergibt sich noch nicht einmal, ob die Beschimpfung des Polizeibeamten mit einer Formalbeleidigung im Zusammenhang mit dessen Dienstausübung erfolgte oder der Beamte als Privatperson beleidigt wurde. Sofern die Beleidigung im Rahmen der Dienstausübung des Geschädigten erfolgt sein sollte, sind regelmäßig weitere Mindestfeststellungen zum Vortatgeschehen und den Beweggründen und Zielen des Täters, etwa zur polizeilichen Maßnahmerichtung, ihrem Anlass und Ablauf sowie zu möglichen Rechtsgrundlagen und gegebenenfalls zur Rechtmäßigkeit der Diensthandlung, gegen die sich der Angekl. verbal ‚zur Wehr gesetzt hat‘, unverzichtbar (OLG Nürnberg, Beschluss vom 04.10.2007 – 2 St OLG Ss 160/07 [bei juris]).

Im zweiten Fall haben die Feststellungen nach dem „berühmten Gesamtzusammenhang“ der Urteilsgründe dann noch ausgereicht:

3. Zwar beschränkt sich auch die Sachverhaltsschilderung der zweiten Tat des Angekl. vom „02.03.2013 gegen 4:55 Uhr“ (Beschimpfung des Zeugen und Polizeibeamten PHM T.) auf die für den Schuldspruch unabdingbaren Mindestangaben. Im Unterschied zur ersten Tat können jedoch aufgrund des Fehlens einer geständigen Einlassung über die zusammenfassende Darstellung der Aussagen der beiden polizeilichen Zeugen im Rahmen der Beweiswürdigung weitere für den Schuldumfang wichtige Erkenntnisse zum Anlass des polizeilichen Einsatzes, der unmittelbar vor der Tat ergriffenen polizeilichen Maßnahmen und zum Vortatverhalten des Angekl. gewonnen werden. In der Gesamtschau der amtsgerichtlichen Urteilsgründe kann damit für diese zweite Tat noch von einer hinreichenden Grundlage für die Strafzumessung ausgegangen werden mit der Folge, dass das LG insoweit zu Recht von einer wirksamen Berufungsbeschränkung ausgehen durfte. Da insoweit auf die Revision auch keine weiteren Rechtsfehler zum Nachteil des Angekl. offenbar geworden sind, war das Rechtsmittel entsprechend dem Antrag der GenStA im Übrigen, nämlich im Schuldspruch und im Ausspruch über die vom LG rechtsfehlerfrei festgesetzte Einzelstrafe von zwei Monaten wegen der dem Angekl. zu Last liegenden zweiten Beleidigung gemäß § 349 II StPO als un­begründet zu ver­werfen.“

Also: Gratwanderung.

Endlich mal wieder was zum Verkehrsstrafrecht: Der „Rammer“ im Straßenverkehr bzw. die „Rambofahrt“

© Deyan Georgiev – Fotolia.com

Im Moment ist m.E. verkehrsstrafrechtliche Flaute, d.h. es werden kaum verkehrsstrafrechtliche Entscheidungen veröffentlicht. Da ist dann der BGH, Beschl. v. 18.06.2013 – 4 StR 145/13 – ein Lichtblick, auch wenn er nichts wesentlich Neues bringt. Es geht um die alt bekannte und vom BGH schon vielfach behandelte Problematik des Umfangs der Feststellungen, die das Tatgericht bei einer Verurteilung wegen eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr (§ 315 StGB) treffen muss. Entschieden worden ist ein „Rammerfall“: Auf einer Verfolgungsfahrt wird der Pkw des Geschädigten zweimal vom Pkw des Angeklagten von hinten gerammt. Einmal war der Anstoß immerhin so stark, dass sich der Beifahrer im Pkw des Geschädigten, der sich nicht angeschnallt hatte, mit den Händen am Armaturenbrett abstützen musste, um nicht gegen die Windschutzscheibe geschleudert zu werden. Bei dem anderen Anstoß wurde der Pkw des Geschädigten im Bereich der Fahrertür beschädigt. Schließlich hat sich der Angeklagte mit seinem Pkw so vor den des Geschädigten gesetzt, dass der aufgefahren ist.

Der BGH hat die Verurteilung wegen der „Rambofahrt“ aufgehoben, weil

  1. weil über die abstrakte Beeinträchtigung der Sicherheit des Straßenverkehrs hinausgehende konkrete Gefährdung nicht hinreichend belegt sei. Die Strafkammer habe zwar festgestellt, dass der nicht angeschnallte Beifahrer sich infolge des Anstoßes von hinten mit den Händen am Armaturenbrett abstützen musste, um nicht gegen die Windschutzscheibe geschleudert zu werden. Diese Feststellung würdemjedoch in einem nicht ohne weiteres auflösbaren Widerspruch zu der Wertung des LG im Rahmen der rechtlichen Würdigung stehen, wonach der Angeklagte das Fahrzeug des Geschädigten „zumindest einmal leicht von hinten“ gerammt habe. Nähere Feststellungen zu den Geschwindigkeiten der Fahrzeuge im Zeitpunkt der verschiedenen Kollisionen und der jeweiligen Intensität der Anstöße zwischen den beteiligten Fahrzeugen habe die Strafkammer nicht getroffen. Auch das Schadensbildi erlaube keinen sicheren Schluss auf eine konkrete Leibesgefahr. Schließlich sei den Urteilsausführungen ein drohender, die Wertgrenze von 750 € erreichender Sachschaden ebenfalls nicht zu entnehmen.
  2. sich aus den Feststellungen nicht der zumindest bedingte Schädigungsvorsatz des Angeklagten erheben habe, also nicht erkennbar sei, dass das Fahrzeug etwa als Waffe oder Schadenswerkzeug – missbraucht worden sei.

Wie gesagt: Alles schon mal, und zwar mehrfach, gelesen. Das „Verkehrsgeschehen“ (?) ist aber schon beachtlich.

Nochmal zur Absprache/Verständigung – so lange es sie noch so gibt

© Dan Race – Fotolia.com

Nach der gestrigen mündlichen Verhandlung beim BVerfG in Sachen „Absprache/Verständigung (§ 257c StPO)“ kann man sicherlich Zweifel daran haben, ob die Neuregelung so Bestand haben wird, wie sie derzeit (noch) in der StPO steht. Das hatte das BVerfG ja doch das ein oder andere, zumindest im Umgang mit der Verständigung in der Praxis“ zu monieren.

Beanstandungen gibt es auch immer wieder vom BGH an den tatrichterlichen Urteilen. Die sind nämlich offenbar häufig nach dem „Muster gestrickt“: Dem Urteil geht eine Absprache voraus, also kommt es auf die Urteilsfeststellungen nicht mehr so an. Stimmt/passt nicht, sagt der BGH, Beschl. v.20.09.2012 – 3 StR 380/12 – zum wiederholten Mal.

 „3. Mit Blick auf die dargelegten Mängel der Feststellungen bemerkt der Senat: Dass der Angeklagte die ihm vorgeworfenen Taten eingeräumt hat und dem Urteil eine Verständigung vorausgegangen ist, entbindet das Gericht nicht von der Pflicht zur Aufklärung und Darlegung des Sachverhalts, soweit dies für den Tatbestand der dem Angeklagten vorgeworfenen Gesetzesverletzung er-forderlich ist. Auch in einem solchen Fall bedarf es eines Mindestmaßes an Sorgfalt bei der Abfassung der Urteilsgründe (BGH, Beschluss vom 19. August 2010 – 3 StR 226/10 mwN).“