Kippt Karlsruhe den Deal oder zieht man nur „Korsettstangen“ ein?

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Heute hat beim BVerfG die mündliche Verhandlung zum oder vielleicht auch „über“ die neue Abspracheregelung in § 257c StPO stattgefunden. Darüber berichtet LTO mit folgender Meldung:.

Kriminologe Karsten Altenhain führte in Karlsruhe aus, was bereits vorab durchgesickert war: In der Praxis halten sich Richter in vielen Fällen nicht an die Bestimmungen zu Absprachen im Strafverfahren. Er hatte eine Studie im Auftrag des Gerichts erstellt. Demnach treffen fast 60 Prozent der Richter die Mehrzahl ihrer Absprachen entgegen der gesetzlichen Regelung ohne die vorgeschriebene Protokollierung, also informell. Das führte zu kritsichen Fragen des Gerichts: „Müsste das nicht eigentlich illegale Verständigung heißen?“, fragte Verfassungsrichterin Gertrude Lübbe-Wolff.Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat über die Rechtmäßigkeit der seit jeher umstrittenen Absprachen im Strafprozess zu entscheiden. Die veruteilten Beschwerdeführer machen geltend, sie hätten ihre Geständnisse nach einem solchen Deal abgelegt.In der mündlichen Verhandlung vor dem Zweiten Senat unter Vorsitz von Präsident Andreas Voßkuhle kamen am Mittwoch auch Instanzrichter zu Wort. Der Vorsitzende Richter einer Strafkammer des Landgerichts Hamburg berichtete, dass Kollegen, die regelmäßig Absprachen treffen, dafür gar belohnt werden: Sie gölten als „Leistungsträger des Landgerichts“, weil ihre Verfahren schnell zu Ende sind. In dienstlichen Bewertungen werde positiv erwähnt, dass ihre Urteile nie von der höheren Instanz aufgehoben würden – was kein Wunder ist, denn nach einem Deal wird oft auf Rechtsmittel verzichtet.

Exzessive Praxis: „Irgendwann liest man nicht mehr die Akten“

Problematisch sahen die Verfassungsrichter auch, das die Erforschung der Wahrheit bei einer Absprache zu kurz komme. Nach der Studie überprüften zahlreiche Richter nicht mehr die Glaubhaftigkeit des Geständnisses, nachdem es infolge des Deals abgelegt wurde.Ein Vorsitzender Richter aus Hildesheim berichtete von einer „exzessiven Praxis“ der Absprachen in manchen Strafkammern. „Das führt zu zu milden Strafen und dazu, dass man irgendwann nicht mehr die Akten liest.“Als Sachverständiger fungierte BGH-Präsident Klaus Tolksdorf. Er sprach von einem strukturellen Problem. Konsens und Strafrecht vertrügen sich im Prinzip nicht. Ebenfalls Bedenken äusserte Generalbundesanwalt Harald Range. Ein rein formales Geständnis dürfe nicht ausreichen, er mache sich Sorgen um die Wahrheitserforschung.

Landau: „Warum gibt es bei Absprachen 30 Prozent Rabatt, bei normalen Geständnissen nicht?“

In vielen Fällen werde die Staatsanwaltschaft dazu gedrängt, einer Verständigung zuzustimmen. Verfassungsrichter Herbert Landau erkannte daraufhin: „Wenn die Zustimmung der Staatsanwaltschaft erzwungen wird, schreit das doch geradezu danach, dass der Gesetzgeber diese Kontrollmechanismen institutionalisiert.“Landau konnte auch nicht verstehen, dass reuige Täter, die sofort gestehen, oft schlechter weg kämen als solche, die sich ein Geständnis erst im Prozess gegen Strafrabatt „abhandeln“ lassen: „Warum gibt es bei Absprachen 30 Prozent Rabatt, bei normalen Geständnissen nicht?“Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) verteidigte in der Verhandlung die bestehenden gesetzlichen Bestimmungen. Sie stellen „enge Korsettstangen“ zur Reglementierung dar. Im Presseraum ließ sie aber eigens eine Sprecherin verkünden, „erschreckend“ finde sie, dass diese Regelungen offenbar zu oft nicht eingehalten werden.Die Richter des Zweiten Senats suchten nach Alternativen. Sollten sie die Regelung für verfassungswidrig erklären, könnte das die Praxis an den Gerichten „weiter in die Illegalität treiben“, fürchtete Landau. Diskutiert wurde über eine Berichtspflicht der Staatsanwaltschaft über Verständigungen und darüber, Verstöße gegen die Verständigungsregeln als absoluten Revisionsgrund zu werten. Mit einem Urteil ist erst im kommenden Jahr zu rechnen.“

Nun, wenn man es so liest: Welche Alternativen gibt es denn? Karlsruhe kann sagen für „verfassungswidrig“ erklären, es kann aber auch sagen: Ja, aber – bitte nachbessern. Man darf gespannt sein, wann und wie es weitergeht. Der derzeit amtierende Bundestag wird es wahrscheinlich nicht mehr regeln. Würde mich überraschen.

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