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Der (weg)rollende Einkaufswagen II – Unfall i.S. des § 142 StGB

In den beiden letzten Jahren sind die mit dem „Unfall“ i.S. des § 142 StGB zusammenhängenden Fragen in Rspr. und Literatur diskutiert worden. Ausgangspunkt waren schon etwas zurückliegende Entscheidungen des AG Tiergarten und des LG Berlin und ein Beschluss des OLG Köln. In der Diskussion hatte sich dann auch das LG Düsseldorf gemeldet und den (weg)rollenden Einkaufswagen, der Schäden anrichtet, nicht als „Unfall“ i.S. des § 142 StGB angesehen, das sich in einem solchen Ereignis keine typische Gefahr des Straßenverkehrs verwirkliche. Die Entscheidung ist dann im OLG Düsseldorf, Urt. v. 07.11.2011 – III-1 RVs 62/11, auf das ich erst jetzt bei Jurion gestoßen bin (ich habe es bisher auch sonst noch nicht veröffentlicht gesehen), kassiert worden.

Das OLG geht, was m.E. zutreffend ist, von einem Unfall i.S. des § 142 StGB aus. Die Begründung:

„Die Kollision eines Einkaufswagens mit einem parkenden Pkw auf einem öffentlich zugänglichen Parkplatz ist ein „Unfall im Straßenverkehr“ im Sinne des § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Dies entspricht der ganz herrschenden Auffassung in Rechtsprechung (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 26. Oktober 2010, 2 St OLG Ss 147/10 [Juris]; KG Berlin, Beschluss vom 3. August 1998, (3) 1 Ss 114/98 (73/98) [Juris]; OLG Koblenz, MDR 1993, 366; OLG Stuttgart, VRS 47, 15; LG Bonn, NJW 1975, 178) und Literatur (LK-Geppert, StGB, 12. Aufl. 2009, § 142 Rn. 25; Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben, StGB, 28. Aufl. 2010, § 142 Rn. 17; Burmann/Heß/Jahnke/Janker-Burmann, Straßenverkehrsrecht, 21. Aufl. 2010, § 142 StGB Rn. 4; Fischer, StGB, 58. Aufl. 2011, § 142 Rn. 9; Lackner/ Kühl, StGB, 27. Aufl. 2011, § 142 Rn. 6; a. A. SK-Rudolphi/ Stein, StGB, Stand: Okt. 2008, § 142 Rn. 12; MK-Zopfs, StGB, 2005, § 142 Rn. 34; Weigend, JR 1993, 115, 117 mit Fn. 23), der sich der Senat anschließt.

§ 142 StGB schützt als abstraktes Vermögensgefährdungsdelikt die Feststellung und Sicherung der durch einen Unfall entstandenen zivilrechtlichen Ansprüche und schützt überdies vor unberechtigter Inanspruchnahme (vgl. Fischer, a. a. O., § 142 Rn. 2). Dabei knüpft die Strafbarkeit an einen straßenverkehrsspezifischen Gefahrzusammenhang an, was in dem Tatbestandsmerkmal „Unfall im Straßenverkehr“ zum Ausdruck kommt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss sich ein verkehrstypisches Unfallrisiko verwirklicht haben (NJW 2002, 626 ). Dies ist – unter Zugrundelegung der natürlichen Verkehrsauffassung – in den „Einkaufswagenfällen“ nach gefestigter Rechtsprechung der Fall (vgl. grundlegend OLG Stuttgart, a. a. O.). Auch der Senat teilt diese Ansicht. Fahrzeuge auf einem öffentlich zugänglichen Parkplatz, auf dem auch Einkaufswagen bewegt werden, sind dort einer erhöhten Gefährdung durch wegrollende Einkaufswagen ausgesetzt. Es handelt sich um eine typische Situation des Straßenverkehrs, dem auch parkende Fahrzeuge zuzurechnen sind. Das spezifische Gefahrenpotential eines Einkaufswagens besteht nur in dieser typischen Verkehrssituation, so dass sich letztlich im Schadensfall ein typisches Verkehrsrisiko realisiert.

Die zivilrechtliche Fragestellung, ob in den Einkaufswagenfällen der Schaden durch den „Gebrauch eines Kraftfahrzeugs“ verursacht wurde (dann: Kfz-Haftpflicht) oder nicht (dann: Privathaftpflicht), ist nicht weiterführend, da ein „Unfall im Straßenverkehr“ nicht den „Gebrauch eines Kraftfahrzeugs“ voraussetzt. Auch ein Fußgänger kann sich gemäß § 142 StGB strafbar machen, wenn sein Einkaufswagen auf einem öffentlich zugänglichen Parkplatz ein Fahrzeug beschädigt (vgl. OLG Koblenz, a. a. O.). Für die neue Verhandlung weist der Senat darauf hin, dass die Kammer im Falle eines Tatnachweises sorgfältig zu prüfen haben wird, ob ein Fahrverbot verhängt werden kann. Ein Fahrverbot kommt gemäß § 44 Abs. 1 StGB nur in Betracht wegen einer Straftat, die bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen wurde (vgl. hierzu OLG Nürnberg, a. a. O.). Sollte die Kammer diese Voraussetzungen bejahen, wird sie zu bedenken haben, dass das Unfallereignis bereits erhebliche Zeit zurückliegt. Seine Warn- und Besinnungsfunktion kann ein Fahrverbot grundsätzlich nur in engem zeitlichen Abstand zur Tat erfüllen (vgl. Senat, VRS 68, 262, 263; OLG Nürnberg, a. a. O.). Die inzwischen erreichte Verfahrensdauer kann unter Umständen auch Anlass geben, eine Einstellung gemäß § 153a StPO in Erwägung zu ziehen.“

Damit dürfte die Diskussion in der Rechtsprechung beendet sein.

Der (weg)rollende Einkaufswagen

Manchmal ist es ja schon eigenartig. Da ist es monatelang „ruhig“ und es gibt kaum Rechtsprechung zu einer Vorschrift, die an sich eine große Rolle in der Praxis spielt. Und dann auf einmal „prasseln“ die Entscheidungen nur so rein (na ja, so in etwa). So zur Zeit bei § 142 StGB, also unerlaubtes Entfernen vom Unfallort. Nach dem OLG Köln nun auch das LG Düsseldorf. Das hat sich zum wegrollenden Einkaufswagen geäußert und den Angeklagten frei gesprochen.

Sachverhalt wie folgt: Der Angeklagte begibt sich nach einem Einkauf mit zwei Einkaufswagen zu seinem auf einem Parkplatz dem abgestellten Lkw. Beim Ausladen eines der Einkaufswagen gerät der andere Einkaufswagen selbstständig ins Rollen und prallt gegen einen in einer gegenüberliegenden Parklücke abgestellten Pkw, an dem dadurch ein Sachschaden in Höhe von rund 1.500 € entsteht. Der Angeklagte holt den den Einkaufswagen zurück und verlässt, obwohl er die Beschädigung des Pkw wahrgenommen hatte, den Parkplatz.

Das LG Düsseldorf, Urt. v. 06.05.2011 – 29 Ns 3/11 verneint einen Verstoß gegen § 142 StGB mit der Begründung, dass kein Unfall i.S. des § 142 StGB vorgelegen habe, da sich in dem schädigenden Ereignis keine typische Gefahr des Straßenverkehrs verwirklicht habe. Die wohl h.M. sieht das in den Fällen wohl anders und kann bzw. muss man m.E. auch wohl anders sehen. Denn die Unterscheidung des LG zwischen „Fortbewegungsverkehr“ und „ruhendem Verkehr“ ergibt sich m.E. nicht aus § 142 StGB. Das OLG Köln hat das gerade für Be- und Entladen auch anders gesehen.

Ich bin gespannt, wie das OLG Düsseldorf das sehen wird. Ich kann mir nämlich nicht vorstellen, dass die StA diesen Freispruch „schluckt“.

Die Entscheidung ist aber natürlich „Argumentationshilfe“ bei der Verteidigung in vergleichbaren Fällen.

Weniger Unfälle, aber deutlich mehr Verunglückte…

…. das ist laut Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes Nr. 305 vom 22.08.2011  die Unfallbilanz für das 1. Halbjahr 2011.

In der PM heißt es:

„WIESBADEN -1 809 Menschen kamen in den ersten sechs Monaten des Jahres 2011 bei Straßenverkehrsunfällen ums Leben. Das waren nach vorläufigen Ergebnissen des Statistischen Bundesamtes (Destatis) 141 Personen oder 8,5 % mehr als im ersten Halbjahr 2010. Fast genauso hoch war die Zunahme bei den Verletzten mit 8,1 % auf etwa 182 800 Personen.

Insgesamt musste die Polizei in den ersten sechs Monaten dieses Jahres aber weniger Unfälle aufnehmen als im ersten Halbjahr 2010. Mit einer Gesamtzahl von rund 1,12 Millionen verringerte sich die Zahl der Unfälle in diesem Zeitraum um 2,1 %. Davon gab es bei 980 000 Unfällen ausschließlich Sachschaden (- 3,5 %), bei 142 900 Unfällen (+ 8,8 %) kamen Personen zu Schaden. Die Entwicklung des Unfallgeschehens im ersten Halbjahr 2011 ist zum Teil auf sehr unterschiedliche Witterungsbedingungen im Vergleich zum Vorjahr zurückzuführen.

In elf Bundesländern starben von Januar bis Juni 2011 mehr Menschen bei Straßenverkehrsunfällen als im ersten Halbjahr 2010. Besonders stark war die Zunahme in Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern mit jeweils 29 %.

Bezogen auf eine Million Einwohner kamen im ersten Halbjahr 2011 durchschnittlich 22 Straßenverkehrsteilnehmer ums Leben. Das größte Risiko im Straßenverkehr tödlich zu verunglücken, bestand in den ersten sechs Monaten dieses Jahres in Mecklenburg-Vorpommern mit 43 Getöteten je eine Million Einwohner, gefolgt von Brandenburg mit 36 und Sachsen-Anhalt mit 35. Deutlich unter dem Bundesdurchschnitt lagen die Werte in den drei Stadtstaaten, die aber aufgrund ihrer Siedlungsstruktur generell niedrigere Werte aufweisen. Ebenfalls niedrig war das Risiko in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein mit jeweils 16 Getöteten je eine Million Einwohner.

Für den Zeitraum Januar bis Mai 2011 liegen schon tiefer gegliederte Ergebnisse vor. Diese zeigen, dass in den ersten fünf Monaten dieses Jahres vor allem wesentlich mehr Benutzer von Motorzweirädern im Straßenverkehr ums Leben kamen (+ 32 %). Auch bei den Jugendlichen im Alter von 15 bis 17 Jahren gab es einen starken Anstieg der Getöteten. Nachdem in den letzten beiden Jahren in dieser Altersgruppe eine besonders positive Entwicklung zu verzeichnen war, starben in den ersten fünf Monaten dieses Jahres 20 Jugendliche mehr durch einen Unfall als im entsprechenden Vorjahreszeitraum (+ 63 %).

Im Monat Juni 2011 erfasste die Polizei in Deutschland rund 193 900 Straßenverkehrsunfälle, 1,9 % weniger als im entsprechenden Vorjahresmonat. Bei rund 29 200 Unfällen mit Personenschaden (- 5,1 %) wurden 344 Menschen tödlich verletzt, 12 Personen weniger als im Juni 2010. Die Zahl der Verletzten ist um 3,8 % auf etwa 37 100 zurückgegangen.

Zwei zusätzliche Tabellen bietet die Online-Fassung dieser Pressemitteilung unter www.destatis.de.“

Fehler beim Beladen – Abhauen – Strafbar nach § 142 StGB

In der Rechtsprechung der Instanzgerichte hat es seit einiger Zeit einen Streit gegeben, ob es sich auch beim Be- und Entladen eines Fahrzeugs um Vorgänge handelt, bei den bei Fehlern noch ein straßenverkehrsspezifischer Gefahrenzusammenhang angenommen werden kann, mit der Folge, dass es sich auch bei diesen Vorgängen um Unfälle i.S. des § 142 Abs. 1 StGB handelt, so dass derjenige, der nach einem solchen Fehler „abhaut“ sich nach § 142 StGB strafbar machen kann.

Zu der Problematik nimmt jetzt das OLG Köln, Urt. v. 19. 7. 2011 – III-1 RVs 138/11 Stellung. Das OLG bejaht die Frage.

Nach seiner Auffassung liegt ein “Unfall im Straßenverkehr” auch dann vor, wenn der Führer eines auf öffentlicher Straße geparkten Lkw beim Ladevorgang ein Blech statt auf die Ladefläche versehentlich gegen die Seitenwand des Lkw wirft und ein anderes Fahrzeug durch das abprallende Metallteil beschädigt wird. Das Be- und Entladen von haltenden oder parkenden Fahrzeugen sei verkehrsbezogener Teil des ruhenden Verkehrs, wenn ein innerer Zusammenhang mit der Funktion eines Kraftfahrzeugs als Verkehrs- und Transportmittel bestehe. Das Be- und Entladen umfasse auch Nebenverrichtungen, die aufgrund ihrer notwendigen Zugehörigkeit als deren Bestandteil erscheinen.

Ein solcher Zusammenhang liege nicht nur vor, wenn der Schaden an dem Pkw durch einen vom Lkw herabgefallenen Ladungsteil verursacht worden ist. Es mache es bezogen auf das Tatbestandsmerkmal „Unfall im Straßenverkehr“ keinen Unterschied, ob ein bereits geladener Gegenstand vom geparkten Fahrzeug herunterfällt oder der Schaden bereits beim Beladen des Fahrzeugs oder erst später beim Entladen entsteht. Dem Schutzbereich des § 142 StGB unterfielen gerade solche Geschehensabläufe im öffentlichen Straßenverkehr, die mit einem erhöhten Unfall- und Schadensrisiko sowie – wegen der Beteiligung eines Fahrzeugs – mit dem Risiko eines schnellen Entfernen des Verursachers vom Unfallort und damit einem gesteigerten Aufklärungsinteresse anderer Verkehrsteilnehmer einhergehen. Dazu gehörten aber insbesondere auch Ladevorgänge, und zwar gerade -fehlerhafte.

Zivilrecht im Strafrecht – die 130%-Rechtsprechung des BGH

Ich habe ja schon einige Male über die Berührungspunkte von Zivil- und Strafrecht berichtet (vgl. u.a. hier). Ein sehr schönes Bespiel für das „Aufeinandertreffen“ ist OLG Hamm, Beschl. v. 30.09.20101 – III 3 RVs 72/10, der leider erst jetzt (warum eigentlich?) bekannt geworden ist.

In der Sache ging es um unerlaubtes Entfernen vom Unfallort und die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB. In dem Zusammenhang spielt der Begriff des „bedeutenden Fremdschadens“ eine Rolle. Das OLG bestätigt in seinem Beschluss zunächst die h.M., wonach die Grenze für den bedeutenden Fremdschaden derzeit bei (mindestens) 1.300 € liegt und:

Hinsichtlich des Begriffs des bedeutenden Fremdschadens i.S. des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB sei von einem wirtschaftlichen Schadensbegriff auszugehen. Deshalb  könnten bei der Prüfung der Frage, ob die Höhe des eingetretenen Fremdschadens i. S. des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB als bedeutend anzusehen sei, nur solche Schadenspositionen herangezogen werden, die zivilrechtlich erstattungsfähig seien. Und in dem Zusammenhnag spielt dann die 130 %-Rechtsprechung des BGH eine Rolle. Das OLG kommt nämlich in seinem Fall unter Anwendung der Grundsätze dieser Rechtsprechung zu dem Ergebnis, dass es wirtschaftlich unvernünftig sei, den vom Angeklagten beschädigten Pkw zu reparieren und errechnet nur einen (wirtschaftlichen) Schaden von 1.100 €. Damit: Voraussetzungen des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB liegen nicht vor, Aufhebung der Entziehungsentscheidung und ggf. Entschädigung nach dem StrEG.

Also: Auch der Strafrechtler sollte den zivilrechtlichen Teil der Fachzeitschriften nicht überblättern.