Schlagwort-Archive: Unfall mit Todesfolge

Unfall mit Todesfolge – schließt erhebliches Mitverschulden die Vorhersehbarkeit aus?

© sablin - Fotolia.com

© sablin – Fotolia.com

Ein tragisches Unfallgeschehen lag dem OLG Hamm, Beschl. v. 20.08.2015 – 5 RVs 102/15 – zugrunde: Der Angeklagte fuhr mit einem Transporter im Stadtgebiet von Essen und beabsichtigte eine beampelte Kreuzung geradeaus zu überqueren. Von links kommend näherte sich der Unfallgegner, um die Kreuzung aus seiner Sicht ebenfalls geradeaus zu überqueren. Im Kreuzungsbereich war die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 50 km/h begrenzt. Der Angeklagte fuhr mit mindestens 65 km/h in den Kreuzungsbereich ein, der Unfallgegner fuhr ca. 30 km/h. Beide Fahrzeugführer überquerten mit einem geringen zeitlichen Abstand die jeweils für sie geltende Haltelinie. Welcher von ihnen einen Rotlichtverstoß beging, ließ sich nicht mehr klären. Trotz eingeleiteten Bremsmanövers kollidierte der Transporter des Angeklagten im Kreuzungsbereich mit der rechten Fahrzeugseite des Pkw des Unfallgegners. Neben dem Unfallgegner, der leicht verletzt wurde, erlitt dabei dessen Beifahrer so schwere Verletzungen, dass er wenige Wochen später verstarb. Der Angeklagte ist vom AG und vom LG wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung verurteilt worden.

Die Revision des Angeklagten hatte beim OLG Hamm Erfolg. Das OLG geht davon aus, dass das LG hat den Unfall mit seinen erheblichen Folgen zwar rechtsfehlerfrei dem fahrlässigen Geschwindigkeitsverstoß des Angeklagten zugerechnet hat. Wäre der Angeklagte beim Passieren der Haltlinie durch den Unfallgegner, das ist der Beginn der kritischen Verkehrssituation, nur 50 km/h gefahren, hätte der die Unfallstelle bereits passiert, bevor er den Transporter des Angeklagten erreicht hätte. Aber:

Allerdings reichen die bislang getroffenen Feststellungen nicht aus, um ein gänzlich vernunftwidriges Verhalten des Unfallgegners – hier des Zeugen X – auszuschließen, das unter dem Gesichtspunkt eines überwiegenden Mitverschuldens der Vorhersehbarkeit des Unfalls und damit auch der Vorhersehbarkeit der eingetretenen Tatfolgen entgegen stünde.

Ein Mitverschulden des Unfallgegners ist dann geeignet, die Vorhersehbarkeit eines Unfalls für den Beschuldigten einer fahrlässigen Tötung oder einer fahrlässigen Körperverletzung auszuschließen, wenn es in einem gänzlich vernunftwidrigen oder außerhalb der Lebenserfahrung liegenden Verhalten besteht (vgl. BGHSt 12, 75, 78; KG, NZV 2015, 45; s. auch Fischer, a.a.O., § 15 Rdnr. 16c).

Hierzu hat die Strafkammer ausgeführt, ein Rotlichtverstoß eines anderen Verkehrsteilnehmers sei kein gänzlich vernunftwidriges Verhalten. Vielmehr kämen solche Verstöße mit einiger Regelmäßigkeit im Straßenverkehr vor, sie beruhten häufig auf Unaufmerksamkeit oder auch auf Rücksichtslosigkeit, seien aber nicht gänzlich vernunftwidrig. Dieser Bewertung, die gleichsam alle denkbaren Rotlichtverstöße pauschal als „nicht gänzlich vernunftwidrig“ einstuft, kann allerdings nicht gefolgt werden. Rotlichtverstöße im Sinne des § 37 StVO können je nach Begehungsart unterschiedlich ausgestaltet sein. Ein wesentliches Kriterium für die Bewertung eines Rotlichtverstoßes – gerade mit Blick auf die Rechtsfolgen – ist die Frage, wie lange die Ampel im Zeitpunkt des Verstoßes schon Rotlicht angezeigt hatte. Der sog. qualifizierte Rotlichtverstoß (länger als 1 Sekunde Rot) ist bereits durch § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BKatV i.V.m. Nr. 132.3 als grobe Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG normativ vorbewertet (vgl. auch BVerfG, NJW 1996, 1809, 1810). Darüber hinaus ist hinsichtlich der Bewertung eines Rotlichtverstoßes auch nach der Schuldform zu unterschieden, wobei – hier gelten die allgemeinen Regeln – eine vorsätzliche Begehung deutlich schwerer wiegt als ein fahrlässiger Verstoß. Zumindest eine vorsätzliche Begehung eines qualifizierten Rotlichtverstoßes ist bei wertender Betrachtung als gänzlich vernunftwidriges Verhalten im vorbeschriebenen Sinne anzusehen.

Für den vorliegenden Fall kommt es demnach entscheidend darauf an, ob sich hinsichtlich des stattgefundenen Rotlichtverstoßes nähere Feststellungen treffen lassen…..“