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StGB III: GG-Verstoß der „Kipo-Mindeststrafe“?, oder: Wer gewinnt das Rennen?

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Und als dritte Entscheidung dann nicht noch eine Entscheidung zu BtM, sondern etwas ganz anderes. Ich weise hier auf den AG Buchen, Beschl. v. 01.02.2023 – 1 Ls 1 Js 6298/21 – hin, en mir der Kollege Böttner aus Hamburg geschickt hat.

Mit dem Beschluss hat das AG ein bei ihm anhängiges „KiPo-Verfahren“ ausgesetzt und die Sache dem BVerfG vorlegt. Das AG hält die Neuregelung der Mindeststrafe in § 184b Abs. 3 stGb von 1 Jahr für einen Verstoß gegen das Grundgesetz.

Wegen der Einzelheiten, isnbesondere auch wegen des Vorwurfs, der der Angeklagten gemacht wird, verweise ich auf den verlinkten AG-Beschluss. Hier der Leitsatz dazu.

Die Mindesststrafe des § 184b Abs. 3 StGB von 1 Jahr Freiheitsstrafe ist ein Verstoß gegen das aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG und dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abgeleitete Schuldprinzip (Übermaßverbot), wenn diese auch dann zu verhängen ist, wenn es sich um den vorsätzlich aufrechterhaltenen Besitz von 3 Bilddateien („Stickern“) mit kinderpornografischen Inhalten und einer Länge von 11 Sekunden handelt, der von der nicht vorbestraften und von Anfang an mit den Ermittlungsbehörden kooperierenden Täterin ohne pädophile Neigungen unfreiwillig erlangt worden war.

Man darf gespannt sein, was das BVerfG „macht“. Und noch gespannter bin ich, wer das „Wettrennen“ um den § 184b Abs. 3 StGB gewinnt? Das BVerfG oder die Bundesregierung/der Gesetzgeber, der ja mit einem beschluss der JuMiKo umgehen muss (vgl. Jus­tiz­mi­nister für Ent­schär­fung der Kin­derpor­no­grafie-Straf­bar­keit). Bei der Bearbeitungsdauer beim BVerfG tippe ich auf den Gesetzgeber – wenn er denn etwas „macht“.

StPO II: Zeitliche Grenze des Vollzugs eines Arrestes, oder: Es gilt nur das Übermaßverbot

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Die zweite Entscheidung kommt vom OLG Hamm. Im OLG Hamm, Beschl. v. 23.06.2022 – 5 Ws 94/22 – hat das OLG (noch einmal) Stellung zur Aufrechterhaltung eines Arrestes und zu dessen (zeitlicher) Verhältnismäßigkeit Stellung genommen,

Gegen den beschuldigten wird wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung ermittelt.Auf entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft hat das AG Arnsberg einen Vermögensarrest in Höhe von 510.193,63 EUR in das bewegliche und unbewegliche Vermögen des Beschuldigten angeordnet. In Folge der Corona-Pandemie wurden in dem Ermittlungsverfahren zunächst weder vorgesehene Durchsuchungen durchgeführt, noch der Arrestbeschluss dem Beschuldigten zugestellt und vollzogen. Dies geschah erst Ende August 2021. Der Beschuldigte hat dann mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 26.08.2021 Beschwerde gegen den Arrestbeschluss eingelegt, der das AG mit Beschluss vom 31.08.2021 nicht abgeholfen hat. Mit Beschluss vom 28.12.2021 hat die Strafkammer des LG teilweise aufgehoben, Es geht im Übrigen aber davon aus, dass der Vollzug der „Restbeschlussess“ (noch) verhältnismäßig ist. Dagegen die weitere Beschwerde, die beim OLG keinen Erfolg hatte. Das führt u.a. aus:

„4. Der angeordnete Arrest ist auch verhältnismäßig.

Bei der Frage, ob sich der weitere Vollzug eines Vermögensarrests als verhältnismäßig erweist, ist neben der Schwere des Tatvorwurfs sowie des Verdachtsgrads die zeitliche Dauer der Arrestierungsmaßnahme sowie die damit für den Einziehungsadressaten verbundenen Belastungen zu berücksichtigen (vgl. Köhler in: Meyer-Goßner/Schmitt, 65. Aufl., 2022, StPO, § 111e, Rn. 8 f.; BVerfG, Beschluss vom 07.07.2006 2 BvR 583/06 -).

In zeitlicher Hinsicht ist der Vermögensarrest allein an dem allgemeinen Übermaßverbot zu messen. Dabei ist von Verfassungswegen zu beachten, dass dem Betroffenen auch durch eine vorläufige Maßnahme ein erheblicher Nachteil zugefügt werden kann und der Eigentumseingriff sich mit dem Umfang und der Fortdauer der Maßnahme intensiviert. Eine gesetzliche Bestimmung zu zeitlichen Grenzen des Vollzugs eines Arrestes gibt es demgegenüber seit der ersatzlosen Streichung des § 111b Abs. 3 StPO a.F. nicht mehr (vgl. BT-Drs. 18/9525 S. 49; OLG Nürnberg, Beschluss vom 31. August 2021 – Ws 718/21 -, juris; OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 14.06.2018 – 3 Ws 425/17 -, beck online; OLG Köln, Beschluss vom 10. 2. 2004 – 2 Ws 704/03 -, beck online; Köhler in: Meyer-Goßner/ Schmitt, 65. Aufl., 2022, § 111e Rn. 9; Uber in: Beck-OK, StPO, 43. Edition, Stand: 01.04.2022, § 111f Rn. 1; Spillecke in Karlsruher Kommentar, StPO, 8. Aufl., 2019, § 111e Rn. 9). Insbesondere enthält auch die Verweisung des § 111 f Abs. 1 S. 2 StPO eine Verweisung auf § 929 Abs. 2 ZPO, der für den zivilrechtlichen Arrest eine Vollziehungsfrist von einem Monat vorsieht, gerade nicht. Eine analoge Anwendung des § 929 Abs. 2 ZPO kommt bereits mangels planwidriger Regelungslücke nicht in Betracht. Denn ausweislich der Gesetzesbegründung wurde § 111b Abs. 3 StPO a.F. vor dem Hintergrund aufgehoben, dass es sich bei dessen Regelung um eine Ausprägung des allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gehandelt habe, welcher bereits von Verfassungswegen zu berücksichtigen sei, sodass der Schutz der Betroffenen durch die Aufhebung der Vorschrift nicht beeinträchtigt werde (vgl. BT-Drs. 18/9529 S. 49). Dies verdeutlicht, dass sich der Gesetzgeber des Wegfalls der Frist für die Vollziehung des Arrestes bewusst gewesen ist. Eine entsprechende Anwendung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Durchsuchungsbeschlüssen (BVerfG, Beschluss vom 27.05.1997 – 2 BvR 1992/92 -, beck online) hat das Landgericht aufgrund der strukturellen Unterschiede mit zutreffender Begründung ebenfalls abgelehnt. So begründet das Bundesverfassungsgericht seine Rechtsprechung maßgeblich damit, dass der Richter bei Erlass einer Durchsuchungsanordnung einen gegenwärtigen Sachverhalt beurteile, eine erst in großem zeitlichen Abstand durchgeführte Maßnahme jedoch nicht mehr dem Entscheidungsgegenstand entspreche, da sich mit Zeitablauf die tatsächliche Entscheidungsgrundlage von dem Entscheidungsinhalt entferne (vgl. BVerfG a.a.O.) Im Vergleich zu den Voraussetzungen für den Erlass einer Durchsuchungsanordnung stellt sich der dem Erlass eines Arrestes zugrunde liegende Sachverhalt jedoch als regelmäßig weniger dynamisch dar. Zudem ist – anders als bei einer bereits vollzogenen Durchsuchung – die Gewährung effektiven Rechtsschutzes gegen einen Arrestbefehl regelmäßig möglich. Soweit demgegenüber teilweise die Ansicht vertreten wird, der strafrechtliche Vermögensarrest habe einer Vollziehungsfrist zu unterliegen (vgl. Cordes, NZWiSt 2021, 45, der entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Durchsuchungsbeschlüssen eine sechsmonatige Frist anwenden will; vgl. Buchholz/Weber, NZWiSt 2020, 306, nach deren Auffassung § 929 ZPO analog anzuwenden ist; vgl. Bittmann in: Münchener Kommentar, StPO, 1. Aufl. 2014, § 111d Rn. 14, der die Voraussetzung eines Versuches einer Vollstreckung binnen Monatsfrist befürwortet), wird dies – soweit ersichtlich – zudem ausschließlich im Rahmen von Rechtsbehelfen im Vollstreckungsverfahren gemäß § 111k Abs. 3 StPO diskutiert und befürwortet (vgl. Buchholz / Weber a.a.O.).

Am Maßstab des allgemeinen Übermaßverbots gemessen erweist sich der vorliegende Arrest insbesondere auch in zeitlicher Hinsicht als verhältnismäßig. Es handelt sich um einen erheblichen Tatvorwurf, für den fundierte Indizien bestehen. Seit der Zustellung des Arrestbeschlusses im August 2021 – zuvor hatte der Arrest sich mangels Zustellung und Kenntnis des Beschuldigten von diesem sich nicht grundrechtseinschränkend ausgewirkt – ist das Ermittlungsverfahren mit der gebotenen Beschleunigung geführt worden. Anhaltspunkte für seitens der Justiz verursachte Verzögerungen bestehen nicht.“

Strafe III: Besitz geringer Mengen BtM zum Eigenkonsum, oder: Übermaßverbot

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Und zum Tagesschluss dann noch der KG, Beschl. v. 29.05.2020 – (4) 161 Ss 42/20 (77/20). Thematik: Geltung des Übermaßverbots bei Besitz geringer Mengen von Betäubungsmitteln zum Eigenkonsum.

Das AG hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt. Auf die Berufungen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten werden daraus dann beim Berlin acht Monate Freiheitsstrafe wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln. Das KG hebt auf. Begründung:

„2. Der mit der (ausgeführten) Sachrüge angegriffene Strafausspruch des angefochtenen Urteils hält der rechtlichen Prüfung nicht stand; die Verhängung einer Freiheitsstrafe von acht Monaten erweist sich vorliegend als nicht tat- und schuldangemessen und verstößt gegen das verfassungsrechtliche Gebot der Verhältnismäßigkeit von Tat und Rechtsfolge.

a) Das Landgericht hat sich bei der Festsetzung der genannten Strafe von folgenden Erwägungen leiten lassen:

„Für den Angeklagten sprach insbesondere, dass es sich bei Marihuana um eine weiche Droge handelt, der Angeklagte vorliegend nur eine geringe Menge der Droge, nicht ausschließbar für den Eigenverbrauch, besaß, die Drogenmenge nicht ausschließbar von unterdurchschnittlicher Qualität war und das Rauschgift sichergestellt werden konnte, so dass es nicht mehr in den Verkehr gelangte. Auch war zu Gunsten des Angeklagten in Rechnung zu stellen, dass die Tat längere Zeit zurückliegt und dass den Angeklagten die vollzogene Untersuchungshaft aufgrund seiner mangels ausreichender Kenntnis der deutschen Sprache eingeschränkten Kommunikationsmöglichkeiten in erhöhtem Maße belastete.

Gegen den Angeklagten sprach, dass er einschlägig vorbestraft ist und zur Zeit der Tat unter einer laufenden Bewährung wegen einer einschlägigen Tat stand.“

Weiter hat es ausgeführt:

„Die Kammer hat bei der Bemessung des Strafübels zugunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass er wegen der hiesigen Verurteilung auch den Widerruf der oben genannten Bewährungsstrafe zu erwarten hat.“

b) Vor diesem Hintergrund hat das Landgericht zwar ohne Rechtsfehler davon abgesehen, von den Möglichkeiten Gebrauch zu machen, das Verfahren gemäß § 31a Abs. 2 BtMG einzustellen oder gemäß § 29 Abs. 5 BtMG von einer Bestrafung des Angeklagten abzusehen; bei der Strafzumessung im – zutreffend gewählten – Rahmen des § 29 Abs. 1 BtMG hat es aber das verfassungsrechtliche Übermaßverbot missachtet.

aa) Im Bereich staatlichen Strafens folgt aus dem Schuldprinzip, das seine Grundlage in Art. 1 Abs. 1 GG findet, und aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der aus dem Rechtsstaatsprinzip und den Freiheitsrechten abzuleiten ist, dass die Schwere einer Straftat und das Verschulden des Täters zu der Strafe in einem gerechten Verhältnis stehen müssen (vgl. BVerfGE 90, 145 [juris, Rn. 123] m.w.Nachw.). Diesem Erfordernis hat das Landgericht nicht in ausreichendem Maße Rechnung getragen.

bb) Das vorliegend zu ahndende Tatunrecht liegt im untersten Bereich der Betäubungsmittelkriminalität. Der Angeklagte hat nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen der Kammer eine geringe Menge einer sogenannten weichen Droge zum Zwecke des Eigenkonsums besessen. Die abgeurteilte Tat wird damit durch eine Selbstschädigung bzw. -gefährdung des Angeklagten geprägt. Zwar trägt jeder Betäubungsmittelerwerb und -besitz zur Aufrechterhaltung der kriminellen Drogenszene bei und birgt auch abstrakt die Gefahr der Weitergabe der Drogen und damit eine Gefährdung Dritter. Diese Gefahr war vorliegend angesichts der sehr geringen Menge der von dem Angeklagten besessenen Betäubungsmittel bereits gering und hat sich aufgrund der Sicherstellung der Drogen nicht realisiert. Die so umrissene Schuld des Angeklagten ist die Grundlage für die Zumessung der Strafe, § 46 Abs. 1 Satz 1 StGB.

Das hier sehr geringe Tatunrecht hat die Kammer zutreffend erkannt und zum Anlass genommen, die Möglichkeiten der Verfahrenseinstellung gemäß § 31a Abs. 2 BtMG und des Absehens von einer Bestrafung gemäß § 29 Abs. 5 BtMG zu prüfen. Bei der Strafzumessung hat sie die der Schuldbewertung dadurch gesetzten Grenzen jedoch aus dem Blick verloren und den – fehlerfrei festgestellten – täterbezogenen Umständen, nämlich der strafrechtlichen Vorbelastung des Angeklagten, der seit Juli 2015 dreimal wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz (unerlaubter Besitz von Betäubungsmitteln in insgesamt drei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, und Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge) verurteilt worden ist, und dem (einschlägigen) Bewährungsbruch, zu hohes Gewicht beigemessen. Die Strafzumessung darf nicht in einer Weise von den die Täterpersönlichkeit betreffenden Umständen geprägt sein, dass dabei die objektiven Umstände der Tat, vor allem das Ausmaß der begangenen Rechtsgutverletzung und der Sozialschädlichkeit der Tat, übergangen werden (vgl. OLG Oldenburg StV 2010, 135).

Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat in ihrer Stellungnahme vom 5. Mai 2020 hierzu ausgeführt:

„Grundsätzlich ist die Strafzumessung allein Sache des Tatrichters. Das Revisionsgericht kann im allgemeinen nur dann eingreifen, wenn die Erwägungen, mit denen der Tatrichter Strafart und Strafmaß begründet hat, in sich rechtlich fehlerhaft sind, wenn anerkannte Strafzwecke außer Betracht geblieben sind oder wenn sich die Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein, d.h., wenn die Strafe in einem groben Missverhältnis zu Tatunrecht und Tatschuld steht und gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstößt. Insoweit ist auch hinsichtlich des letztgenannten Aspektes die grundsätzlich dem Tatrichter vorbehaltene Strafzumessung der rechtlichen Überprüfung durch das Revisionsgericht zugänglich (vgl. Fischer, StGB, 63. Aufl., § 46 Rn. 146, 149a).

In der obergerichtlichen Rechtsprechung wird nahezu durchgängig die Auffassung vertreten, dass in den Fällen des Besitzes geringer Mengen Betäubungsmittel zum Eigenkonsum im Sinne der §§ 29 Abs. 5, 31a BtMG auch bei einschlägig vorbestraften abhängigen Drogenkonsumenten die Verhängung einer Freiheitsstrafe nur in Ausnahmefällen in Betracht kommt und sich – soweit sie sich als unerlässlich erweist – im untersten Bereich des Strafrahmens des § 29 Abs. 1 BtMG zu bewegen hat (OLG Hamm, Beschluss vom 6. März 2014  – III-1 RVs 10/14; OLG Oldenburg, Beschluss vom 11.12.2009 – 1 Ss 197/09 –; Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 27.09.2006
– III-104/06 – 1 Ss 166/06 –; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 14.04.2003 – 3 Ss 54/03 –; BGH, Beschluss vom 16.02.1998 – 5 StR 7/98 –, OLG Hamm, Beschluss vom 28.12.2011 – III-2 RVs 45/11 –). Dies gilt insbesondere für die Fälle, in denen über den festgestellten strafbaren Betäubungsmittelbesitz zum Eigenkonsum hinausgehend nach den getroffenen Feststellungen konkrete Anhaltspunkte für eine etwaige Fremdgefährdung – etwa durch die nahe liegende Möglichkeit der Abgabe von Betäubungsmitteln an Dritte oder durch Beschaffungskriminalität – nicht ersichtlich sind (OLG Hamm, Beschluss vom
04. April 2017 – III-1 RVs 23/17 –).

So liegt der Fall hier, entgegenstehende Feststellungen sind zumindest bisher nicht getroffen.“

Diese Ausführungen treffen zu; der Senat macht sie sich zu Eigen. Danach verstößt die Verhängung einer Freiheitsstrafe auch in Fällen der Bagatellkriminalität nicht ohne Weiteres gegen das Übermaßverbot (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 9. Juni 1994 – 2 BvR 710/94 –). Bei der Festsetzung ihrer Höhe ist aber gerade im Bereich der Bagatellkriminalität zu beachten, dass das in § 38 Abs. 2 StGB festgesetzte Mindestmaß von einem Monat das bezüglich einer Geldstrafe durch § 40 Abs. 1 S. 2 StGB festgelegte Mindeststrafmaß von fünf Tagessätzen bereits deutlich übersteigt und auch die gewählte Sanktionsart für sich genommen eine erheblich größere Beschwer darstellt. In den Fällen eines vom äußeren Tatbild eher nur geringen kriminellen Unrechts ist daher auch im Fall der Erforderlichkeit der Festsetzung einer Freiheitsstrafe gemäß § 47 Abs. 1 StGB sorgfältig zu prüfen, ob zur Einwirkung auf den Täter sowie zur Herbeiführung eines gerechten Schuldausgleichs eine – möglicherweise auch deutlich – über das Mindestmaß hinausgehenden Freiheitsstrafe tatsächlich rechtlich geboten erscheint.

c) Der Verstoß gegen das Übermaßverbot begründet eine Verletzung des sachlichen Rechts. Da das angegriffene Urteil auch auf diesem Fehler beruht, weil jedenfalls nicht auszuschließen ist, dass das Gericht im Rahmen der erforderlichen Abwägung unter Zugrundelegung des zutreffenden verfassungsrechtlichen Maßstabes zu einer anderen, dem Angeklagten günstigeren Entscheidung betreffend das Strafmaß gekommen wäre, hebt der Senat das angefochtene Urteil im Umfang der Anfechtung gemäß §349 Abs.4 StPO auf und verweist die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts zurück (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO). Die bisherigen Feststellungen sind für sich genommen fehlerfrei getroffen, bedürfen jedoch – insbesondere mit Blick auf die Frage der Erforderlichkeit der Verhängung einer Freiheitsstrafe gemäß § 47 Abs. 1 StGB – der Ergänzung. Der Senat hebt sie daher auf, um der neu entscheidenden Kammer widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen.“

Drei Monate für das „Klauen“ eines Schokoriegels im Wert von 0,95 € ist zu viel

entnommen wikimedia.org „© Superbass / CC-BY-SA-3.0 (via Wikimedia Commons)“

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Der OLG Hamm, Beschl. v. 14.04.2016 – 1 RVs 14/16 – befasst sich mal wieder mit dem Übermaßverbot bei der Strafzumessung. Das LG hatte den Angeklagten  wegen Besitzes von Betäubungsmitteln (10,6 g Amphetamin) und wegen Diebstahls geringwertiger Sachen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt worden. Hinsichtlich der Diebstahlstat war festgestellt, dass der Angeklagte einen Riegel Schokolade im Wert von 0,95 € entwendet hatte. Dafür ist vom LG eine Einzelfreiheitstrafe von drei Monaten verhängt worden. Dabei ist das LG davon ausgegangen, dass eine erhebliche Einschränkung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten i.S. des § 21 StGB wegen einer langjährigen Drogenkarriere nicht ausgeschlossen werden könne und hat insofern zu Gunsten des Angeklagten den sich nach den §§ 21, 49 StGB ergebenden geringeren Strafrahmen zugrundegelegt. Zu Gunsten des Angeklagten hat sie außerdem berücksichtigt, dass er sich geständig eingelassen und das Rechtsmittel beschränkt hatte. Sie hat außerdem zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass die Tatbeute von sehr geringem Wert gewesen sei und an die geschädigte Firma habe zurückgeführt werden können. Strafschärfend ist das Vorleben des Angeklagten berücksichtigt worden.

Dem OLG ist diese Einzelstrafe zu hoch und es hat das LG-Urteil insoweit aufgehoben. Es bejaht zunächst – ebenso wie das LG – die Voraussetzungen des § 47 StGB und stellt fest, dass die Verhängung kurzer Freiheitsstrafen auch im Bereich der Bagatellkriminalität nicht ausgeschlossen ist. Aber:

„b) Die Höhe der für die Tat vom 09.04.2015 durch die Strafkammer verhängten Einzelfreiheitsstrafe von drei Monaten kann jedoch auch unter Berücksichtigung des Vorlebens des Angeklagten nicht mehr als gerechter Schuldausgleich angesehen werden und verstößt daher gegen das Übermaßverbot.

Die Diebstahlstat weist ein nur geringes Tatunrecht auf. Sie bezieht sich nicht nur auf eine Sache von geringfügigem Wert, sondern auf einen Gegenstand, dessen Wert weit unter der Geringfügigkeitsschwelle liegt. Eine über die bloße Entwendung hinausgehende kriminelle Energie bei der Planung oder Ausführung der Tat ergibt sich aus den Feststellungen des Amtsgerichts Dortmund nicht, wonach sich die Tathandlung auf ein Einstecken des Schokoladenriegels beschränkte. Auch ist ein wirtschaftlicher Schaden durch die Tat letztlich nicht entstanden, da der Schokoladenriegel nach der Tat an die Eigentümerin zurückgelangt ist. Die Strafkammer hat zudem eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten gemäß § 21 StGB bei der Begehung der Tat aufgrund dessen langjähriger Betäubungsmittelabhängigkeit nicht ausschließen können, wodurch die Tat zusätzlich in einem deutlich milderen Licht erscheint. Angesichts dieses nur sehr geringen Maßes des von dem Angeklagten verschuldeten Unrechts sowie unter Berücksichtigung des gerade im Bereich der Bagatellkriminalität zu beachtenden Umstandes, dass das in § 38 Abs. 2 StGB festgesetzte Mindestmaß von einem Monat im Vergleich zu einer nach dem Gesetz grundsätzlich primär vorgesehenen Festsetzung einer Geldstrafe das insoweit gemäß § 40 Abs. 1 S. 2 StGB festgelegte gesetzliche Mindeststrafmaß von fünf Tagessätzen Geldstrafe bereits deutlich übersteigt und auch die gewährte Sanktionsart für sich genommen bereits eine erheblich belastendere Beschwer darstellt (vgl. Senatsbeschluss, a.a.O.), kann den Vorstrafen des Angeklagten, die zudem zum überwiegenden Teil ebenfalls auf dessen Betäubungsmittelabhängigkeit zurückzuführen sind, und dessen Vorleben jedenfalls keine solch schulderhöhende Bedeutung beigemessen werden, dass trotz des nur sehr geringen Unrechtsgehalts der Diebstahlstat des Angeklagten die Verhängung einer dreimonatigen Freiheitsstrafe noch als gerechter Schuldausgleich angesehen werden kann.“

„Sechs Monate ohne“? – beim BTM-Vergehen verhältnismäßig?

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In der letzten Zeit haben sich eine ganze Reihe von Obergerichten mit der Verhältnismäßigkeit einer („kurzfristigen“) Freiheitsstrafe bei sog. Bagatelldelikten befasst. Aich ich habe darüber berichtet (vgl. z.B. den OLG Hamm, Beschl. v. 10.02.2015 – 5 RVs 76/14 – und dazu Beförderungserschleichung – 3 Monate Freiheitsstrafe passen? oder auch den BGH, Beschl. v. 15.04.2013 – 2 StR 626/13 und dazu Strafzumessung II: 3 Monate für 0,5 g Marihuana-Besitz ggf. “kein gerechter Schuldausgleich”). In die Gruppe gehört dann ebenfalls der OLG Hamm, Beschl. v. 28.04.2015 – 5 RVs 30/15, ergangen in einem Verfahren, in dem der Angeklagte wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln gem. §§ 1, 3 Abs. 1, 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt hat, die nicht zur Bewwährung ausgesetzt wordne ist. Das OLG hat da keine Rechtsfehler, insbesondere keinen Verstoß gegen das Übermaßgebot gesehen:

Zwar wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung durchgängig die Auffassung vertreten, dass in den Fällen des Besitzes geringer Mengen Betäubungsmittel zum Eigenkonsum selbst bei einschlägig vorbestraften, abhängigen Drogenkonsumenten die Verhängung einer Freiheitsstrafe nur in Ausnahmefällen in Betracht kommt und diese sich – soweit sie sich als unerlässlich erweist – im untersten Bereich des Strafrahmens des § 29 Abs. 1 zu bewegen hat (zu vgl. OLG Hamm, Beschluss v. 12.06.2014 – III-2 RVs 11/14 – m.w.N.), doch folgt daraus kein fester Rechtssatz, dass bei dem Besitz einer geringen Menge allein eine bestimmte (Höchst-)Strafe in Betracht komme. Vielmehr bleiben die konkreten Umstände des Einzelfalles maßgeblich. Dabei geben im Betäubungsmittelstrafrecht ebenso wie im allgemeinen Strafrecht Vorbelastungen des Angeklagten den Gerichten im Regelfall Veranlassung, aus Gründen der General- und Spezialprävention auch bei Taten mit geringem Schuldgehalt auf Strafe zu erkennen (vgl. BVerfG, Beschlüsse v. 11.07.2006 – 2 BvR 1163/06 – und v. 15.08.2006 – 2 BvR 1441/06 -, OLG Hamm, Beschluss v. 29.04.2014 – III-3 RVs 31/14 -).

Vorliegend hat das Landgericht Essen zunächst zutreffend von der Anwendung des § 29 Abs. 5 BtMG abgesehen, da ein Absehen von Strafe nicht hinzunehmen ist, wenn – wie hier – der Angeklagte über einen Zeitraum von nunmehr 11 Jahren ununterbrochen straffällig wird und er schließlich bei Tatbegehung unter zweifacher Bewährung stand. Der Angeklagte ist nach eigenem Bekunden auch nicht betäubungsmittelabhängig, sondern Gelegenheitskonsument, so dass die Taten nicht auf seine Krankheit zurückzuführen sind, vielmehr seiner fortbestehenden Ignoranz gegenüber der Rechtsordnung Ausdruck verleihen. Dies wird bereits dadurch offenkundig, dass er nur
3 1/2 Monate, nachdem gegen ihn eine weitere Bewährungsstrafe ausgesprochen wurde, erneut straffällig geworden ist.

Unter diesen besonderen Umständen ist auch die Verhängung einer kurzfristigen Freiheitsstrafe unter 6 Monaten gem. § 47 StGB gerechtfertigt. Das Landgericht Essen hat zu erkennen gegeben, dass es sich auch der Voraussetzungen dieser Norm im Rahmen der getroffenen Strafzumessungsentscheidung bewusst war.

Ein Verstoß gegen das Übermaßverbot liegt demnach nicht vor. Dass das Tatgericht rechtsfehlerfrei gegebenenfalls auch auf eine geringere Strafe hätte erkennen können, führt nicht zum Erfolg der Revision, da die Strafzumessung grundsätzlich Sache des Tat- und nicht des Revisionsgerichts ist.

Schließlich ist auch gegen die Versagung einer Strafaussetzung zur Bewährung aus Rechtsgründen nichts zu erinnern. Die Kriminalprognose des Tatrichters nach § 56 Abs. 1 StGB unterliegt nur der eingeschränkten Überprüfung durch das Revisionsgericht. Dieses muss nach der Rechtsprechung die tatrichterliche Entscheidung bis zur Grenze des Vertretbaren hinnehmen (zu vgl. Fischer, 61. Auflg., § 56 Rdn. 25). Anhaltspunkte dafür, dass das Landgericht Rechtsbegriffe des § 56 Abs. 1 StGB verkannt oder sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat, sind nicht ersichtlich. Vielmehr ist der Angeklagte bereits vielfach einschlägig strafrechtlich in Erscheinung getreten, ist Bewährungsversager und kann keine Tatsachen in seiner Lebensstruktur darlegen, die die Annahme einer Verhaltensumkehr zulässt.

Man muss also als Verteidiger im Auge behalten, dass ggf. allein der Hinweis auf „Eigenkonsum“ und/oder geringen Menge“ nicht ausreichen, um eine geringe Strafe, zumindest eine Bewährungsstrafe zu erreichen. Die „geringe Menge“ scheint hier für das OLG von nur geringerer Bedeutung gewesen zu sein – sie wird im Beschluss noch nicht einmal mitgeteilt.