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Auch der Verkehrsrechtler muss die Auswirkungen einer „Bedarfsgemeinschaft“ kennen?

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Auch der Verkehrsrechtler muss die Auswirkungen einer „Bedarfsgemeinschaft“ kennen? Nun, warum, wird sich manch einer fragen. Die Antwort liegt auf der Hand. Denn eine „Bedarfsgemeinschaft“ kann bei der Frage, über welches Einkommen der Angeklagte verfügt, und damit für die Bemessung der Tagessatzhöhe einer verhängten Geldstrafe von Bedeutung sein. In dem Zusammenhang spielen eben nicht nur die „Einnahmen“ des Angeklagten eine Rolle, sondern auch seine „Ausgaben“. Und dazu gehören auch Unterhaltszahlungen/-verpflichtungen. An der Stelle haben dann häufig auch familien-/sozialrechtliche Fragen Bedeutung, wie der KG, Beschl. v. 07.03.3024 – (3) 122 Ss 14/14 (25/14) – in einem Verfahren wegen Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315c StGB) (noch einmal) zeigt, eine Rolle.

Da ging es um die „Unterhaltsleistungen“ und die Frage, ob die anzurechnen waren oder auch nicht, die der Angeklagte gegenüber seiner Lebensgefährtin erbrachte, mit der er in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft zusammenlebte. Dazu hatte das AG keine ausreichenden Feststellungen getroffen, so dass das KG das amtsgerichtliche Urteil aufgehoben hat. Hier die Leitsätze der Entscheidung des KG:

1. Unterhaltsleistungen des Angeklagten an eine „bedürftige“ Person (§ 9 SGB II), mit der er in einer Bedarfsgemeinschaft lebt (§ 7 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Nr. 3c SGB II), sind keine gesetzlichen Unterhaltsverpflichtungen.

 2. Bei der Bemessung der Tagessatzhöhe (§ 40 Abs. 2 Satz 2 StGB) sind solche Unterhaltsleistungen gleichwohl zu berücksichtigen, wenn die „bedürftige Person“ wegen der bestehenden Bedarfsgemeinschaft und des Einkommens des Angeklagten keinen oder nur einen gekürzten Anspruch auf Sozialleistungen hat (§ 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II).

 3. Liegen konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Angeklagte mit einer „bedürftigen“ Person in einer Bedarfsgemeinschaft lebt und diese faktisch unterhält, muss der Tatrichter Feststellungen im Urteil treffen, ob und in welcher Höhe diese Person ohne das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft Anspruch auf staatliche Sozialleistungen haben würde.

Absenkung der Geldstrafe bei „einkommensschwachen Angeklagten“?

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Bei der Bemessung einer Geldstrafe läuft in der Regel der Automatismus ab: Ermittlung des Nettoeinkommens geteilt durch 30 gleich Tagessatz. Ganz so einfach ist es allerdings nicht, wenn es sich um eine hohe Geldstrafe bei einkommensschwachen Personen handelt. Denn diese werden durch eine Geldstrafe ggf. mehr getroffen als „Normalverdiener“. Deshalb ist bei ihnen ggf. eine Absenkung der Geldstraße in Betracht zu ziehen. So auch noch einmal der KG, Beschl. v. 02. 11. 2012 – (4) 121 Ss 146/12 (265/12) :

„bb) Das Landgericht hat zudem zwei Gesichtspunkte nicht erkennbar bedacht, die bei der Bestimmung der Tagessatzhöhe zu berücksichtigen waren:

Zum einen ist bei einer hohen Geldstrafe – d.h. regelmäßig einer solchen, die 90 Tagessätze übersteigt – eine Absenkung der Tagessatzhöhe in Betracht zu ziehen, um einer progressiven Steigerung des Strafübels entgegen zu wirken (vgl. Senat, Beschluss vom 8. November 2007 – (4) 1 Ss 367/07 (245/07) -; OLG Stuttgart StV 2009, 131 m.w.N.). Denn mit der zunehmenden Zahl der Tagessätze steigert sich die Fühlbarkeit der Geldstrafe bei gleich bleibender Tagessatzhöhe nicht in entsprechender Weise, sondern sie wächst progressiv. Das auf dem Nettoeinkommensprinzip aufgebaute Tagessatzsystem kann deshalb zu einem Einwirkungsübermaß und desozialisierenden Folgen führen, die nicht mehr mit der Pflicht des Richters zu vereinbaren sind, im Rahmen einer sachgerechten Strafzumessung alle Wirkungen zu bedenken, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind (§ 46 Abs. 1 Satz 2 StGB). Bleiben solche Folgen auch unter Berücksichtigung von nach § 42 StGB einzuräumenden Zahlungserleichterungen bestehen, ist eine Verringerung der Tagessatzhöhe erforderlich (vgl. BGHSt 26, 325, 330 ff.; 34, 90, 93; OLG Frankfurt am Main NStZ-RR 2007, 167; StV 2007, 470; 2009, 137; Senat aaO m.w.N.).

Zum anderen kann es bei besonders einkommensschwachen Personen, die am Rande des Existenzminimums leben, geboten sein, unter Berücksichtigung der nach § 42 StGB möglichen, zeitlich grundsätzlich nicht beschränkten Zahlungserleichterungen und unter Beachtung der Notwendigkeit der Wahrung der Strafe als ernsthaft fühlbares Übel die Tagessatzhöhe unterhalb eines Dreißigstels des monatlichen Nettoeinkommens festzusetzen, weil diese Personen bei strikter Einhaltung des Nettoeinkommensprinzips härter als normal Verdienende getroffen werden (vgl. OLG Köln aaO und StV 1993, 365; OLG Stuttgart aaO und NJW 1994, 745; OLG Frankfurt am Main StV 2007, 470; 2009, 137; OLG Hamburg NStZ 2001, 655; OLG Celle NStZ-RR 1998, 272 und StV 2009, 131; OLG Dresden NJW 2009, 2966 und Beschluss vom 7. August 2000 – 1 Ss 323/00 – [juris]; OLG Oldenburg NStZ-RR 2008, 6; Fischer, StGB 59. Aufl., § 40 Rn. 11a, 24; Häger in LK, StGB 12. Aufl., § 40 Rn. 37; Stree/Kinzig in Schönke/Schröder, StGB 28. Aufl., § 40 Rn. 8 m.w.N.).“

 

Geringere Geldstrafe bei Hartz IV-Bezug

Auf OLG Hamm, Beschl. v. 02.02.2012 – III 3 RVs 4/12 hatte ich in anderem Zusammenhang schon hingewiesen. Ich greife ihn nun noch einmal auf wegen der Segelanweisung des OLG zur Tagessatzhöhe. Dazu führt das OLG in Übereinstimmung mit einigen anderen OLG aus:

„Bei einkommensschwachen, nahe am Existenzminimum lebenden Personen wirkt sich das Nettoeinkommensprinzip gemäß § 40 Abs. 2 S. 2 StGB systembedingt stärker aus als bei Normalverdienern. Aus Gründen der Angemessenheit kann es geboten sein, diesem Umstand durch Senkung der Tagessatzhöhe Rechnung zu tragen. Übersteigt das Nettoeinkommen des Täters nicht oder nicht wesentlich das Existenzminimum, so kann als Tagessatz auch ein Betrag, der unter dem Dreißigstel des Monatseinkommens liegt, in Betracht kommen (vgl. OLG Hamm NJW 1980, 1534; OLG Köln NJW 1976, 636; OLG Hamburg NStZ 2001, 655). Zudem kann es geboten sein, Zahlungserleichterungen gemäß § 42 StGB anzuordnen (vgl. OLG Hamburg, NStZ 2001, 655; OLG Köln, Beschluss vom 10.06.2011 – 1 RVs 96/11, veröffentlicht bei BeckRS 2011, 18142).“

OLG Köln steht dann hier.

Hartz IV Empfänger – Regelsatz von 10 € bei der Geldstrafe OK

Das OLG Köln sagt in OLG Köln, Beschl. v. 10.06.2011 -III 1 RVs 96/11 – 82 Ss 30/11, dass bei einem Empfänger von Regelleistungen nach „Hartz IV“ eine Tagessatzhöhe von 10,00 € nicht zu beanstanden sei.

Aber: Um dem Grundsatz Geltung zu verschaffen, dass dem Angeklagten das zum Lebensbedarf Unerlässliche verbleiben muss, könne jedoch die Anordnung von Zahlungserleichterungen gem. § 42 StGB geboten sein. Die insoweit festzusetzenden Raten hat der Senat auf monatlich 35,00 € bemessen.

Sippenhaft?

Liest man OLG Celle, Beschl. v. 25. 07. 2011 – 31 Ss 30/11 stellt sich schnell die Frage: Gibt es im Strafrecht eine vermögens-/einkommensrechtliche Sippenhaft?

Das AG hatte den Angeklagten wegen Urkundenfälschung zu einer Geldstrafe verurteilt. Tagessatzhöhe 30 €. Zu den wirtschaftlichen Verhältnissen hatte das AG festgestellt,  dass der Angeklagte als selbständiger Gas- und Wasserinstallateurmeister einen Nettoverdienst von lediglich 500 € monatlich, seine Ehefrau einen monatlichen Net­toverdienst von ca. 1300 € erzielt. Zur Berechnung der Tagessatzhöhe hatte das Amtsgericht die Einkommen gemeinsam veranschlagt und den Tagessatz auf 30 € festgesetzt. Die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten hatte Erfolg. Dazu führt das OLG aus:

Hinsichtlich der festgesetzten Tagessatzhöhe weist das angefochtene Urteil indessen einen durchgreifenden Rechtsmangel auf. Die auf der Grundlage der Feststellungen vorgenommene Festsetzung der Tagessatzhöhe wird den Anforderungen des § 40 Abs. 2 StGB nicht gerecht. Danach bestimmt das Gericht die Höhe des Tagessatzes unter Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters. Dabei wird in der Regel eine Beurteilung nach dem Nettoeinkommensprinzip vorgenommen. Es wird in diesem Fall von einem Nettoeinkommen ausgegangen, welches der Täter durchschnittlich an einem Tag hat oder haben könnte. Weiterhin dürfen zur Berechnung insbesondere auch Einkommen Dritter — hier der Ehefrau – berücksichtigt werden, vorausgesetzt diese Einkünfte fließen dem Täter unmittelbar oder mittelbar zu oder kommen ihm sonst zugute. Bei einem Täter mit geringem ei­genen Arbeitseinkommen — wie der Angeklagte, der 500 EUR netto monatlich ver­dient, — kann zwar unter Umständen ein wesentlich höheres Einkommen des Ehe­partners mitberücksichtigt werden, wenn dem Täter hieraus tatsächlich geldwerte Vorteile zufließen, die als (dauerhaftes) „Einkommen“ angesehen werden können. Dies darf jedoch nicht dazu führen, dass eine strafrechtliche „Gesamthaftung“ des Familieneinkommens angenommen wird (vgl. Fischer, StGB, 58. Aufl., § 40 Rn. 9). Vorliegend hat das Amtsgericht lediglich ausgeführt, dass es das Einkommen des Angeklagten und seiner Ehefrau zusammen veranschlagt hat, um die Tagessatzhöhe  festzusetzen. Offenbar ist dazu das Nettoeinkommen beider Ehegatten addiert und der rechnerische Hälftebetrag als Beurteilungsgrundlage für die Tagessatzhöhe ge­nommen worden. Soll jedoch bei .der Bestimmung der Tagessatzhöhe das deutlich höhere Einkommen des Ehegatten berücksichtigt werden, so muss der Frage nach­gegangen werden, ob und wie sich das höhere Nettoeinkommen des Ehegatten auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten konkret auswirkt. Dazu gehört vor allem die Frage, zu welchen Teilen die Ehegatten für gemeinsame Lasten aufkommen und ob der Ahgeklagte über das Einkommen seiner Ehefrau ganz oder teilweise (mit-)verfügen kann (vgl. OLG Zweibrücken, wistra 2000, 152). Es hätte daher einer näheren Darlegung bedurft, welche Umstände für die Abwei­chung vom rechnerisch festzustellenden Nettotagessatz maßgebend waren. Hieran fehlt es.

Also: Keine Sippenhaft i.e.S. Bei der Ermittlung der Höhe des Tagessatzes können zur Berechnung zwar auch Einkommen Dritter berücksichtigt werden, Voraussetzung ist aber, dass diese Einkünfte fließen dem Täter unmittelbar oder mittelbar zu oder kommen ihm sonst zugute, was sich aus den Feststellungen ergeben muss.

Wegen der materiellen Problematik werde ich noch einmal über die Entscheidung berichten.