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Man versteht es nicht: Warum muss der BGH zum zweiten Mal aufheben?

Gesicht ärgerlichDer ein oder andere Blogleser erinnert sich vielleicht noch an unseren Beitrag Letztes Wort vergessen? Kein Problem. Machen wir es eben noch mal. – So geht es aber nicht., zum dem BGH, Beschl. v. 23. 10. 2012 – 2 StR 285/12. Da hatte der BGH ein Urteil einer Schwurgerichtsurteil des LG Wiesbaden wegen eines Verfahrensfehlers aufgehoben. Zur Erinnenrung: nach Verlesung der Urteilsformel und mündlicher Mitteilung der Gründe, ferner nach einer Entscheidung über die Fortdauer der Untersuchungshaft und der Rechtsmittelbelehrung hatte die Schwurgerichtskammer erkannt, dass sie dem Angeklagten nicht das letzte Wort gewährt hatte. Sie ist dann erneut in die Hauptverhandlung eingetreten, um das nachzuholen. Es gab dann ein weiteres/zweites Urteil mit demselben Tenor. Auf die Revision des Angeklagten hat der BGH im BGH, Beschl. v. 23. 10. 2012 – 2 StR 285/12 beide Urteile aufgehoben.

Inzwischen ist die Sache in Wiesbaden erneut verhandelt worden und sie war dann auch noch einmal beim BGH. Ergebnis dort: Aufhebung durch den BGH, Beschl. v. 04.06.2014 -2 StR 31/14. Den Schuldspruch hat der BGH zwar nicht beanstandet, aber den Rechtsfolgenausspruch:

Die Revision rügt aber mit Recht, dass das Landgericht die Dauer des Verfahrens nicht als Strafmilderungsgrund in Betracht gezogen hat.

Dazu hätte schon deshalb Anlass bestanden, weil im Fall eines eklatanten Verfahrensfehlers eine Verfahrensverzögerung anzunehmen ist, die gegen das Beschleunigungsgebot verstößt (vgl. Fischer, StGB, 61. Aufl., § 46 Rn. 125). Ein solcher Verfahrensfehler lag deshalb vor, weil das Landgericht in der ersten Hauptverhandlung nach Verkündung eines Urteils erkannt hatte, dass es dem Angeklagten nicht das letzte Wort erteilt hatte; sie hatte dann gegen den Widerspruch der Verteidigung die Hauptverhandlung neu eröffnet, um die versäumte Prozesshandlung nachzuholen, und anschließend ein zweites Urteil verkündet. Das erste Urteil wurde vom Senat aufgrund des absoluten Revisionsgrunds gemäß § 338 Nr. 7 StPO aufgehoben, das zweite Urteil deshalb, weil es an einem noch beim Landgericht anhängigen Verfahren gefehlt hatte. Die hierdurch eingetretene Verzögerung des rechtskräftigen Abschlusses des Verfahrens ist dem Staat als Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot zuzurechnen. Sie hätte zumindest als Strafmilderungsgrund berücksichtigt werden müssen. Der neue Tatrichter wird aber auch zu erwägen haben, ob wegen Verletzung von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK eine Kompensationsentscheidung nach der Vollstreckungslösung der Rechtsprechung (BGH, Beschluss vom 17. Januar 2008 – GSSt 1/07, BGHSt 52, 124, 128 ff.) angezeigt ist.

Sorry, aber man versteht es wirklich nicht: Warum muss nun der BGH auch noch einmal die Rechtsfolgenentscheidung aufheben. Kann man denn als Schwurgericht nicht selbst darauf kommen, dass bei einem „eklatanten Verfahrensfehler“ Strafmilderung angesagt ist? Das ist doch „kleines 1 x 1“ der Strafzumessung.

Vollrausch beim OLG/LG?, oder: Strafzumessung ist doch wohl schwer

© ferkelraggae - Fotolia.com

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Wegen der materiellen Fragen zum Vollrausch hatte ich ja bereits über den OLG Braunschweig, Beschl. v. 04.07.2014 – 1 Ss 36/14 – berichtet (vgl. Vollrausch), auf den ich dann noch einmal zurückkomme. Zu dem PostingBeschluss hatte es übrigens einen sehr schönen 🙂 Kommentar eines Lesers gegeben, der sich auf die Segelanweisung des OLG an das LG bezog, nämlich in der neuen Hauptverhandlung einesn Sachverständigen beizuziehen:

“[…]berufene Kammer für die Beurteilung der Schuldfähigkeit schon wegen des Cannabiskonsums einen Sachverständigen wird heranziehen müssen.[…]”
Jetzt braucht die Kammer schon einen Sachverständigen, da sie wegen des eigenen Cannabiskonsums nicht mehr zur Beweiswürdigung in der Lage ist. Justizskandal 2.0„.

Nun, ganz so schlimm wird es (hoffentlich) nicht (gewesen) sein. Wenn man jedoch die Ausführungen des OLG zur landgerichtlichen Strafzumessung liest, hat man allerdings schon den Eindruck, dass das LG bei der Strafzumessung nicht ganz auf der insoweit erforderlichen juristischen Höhe war, – aus welchen Gründen auch immer. Denn das OLG hat gleich drei Fehler festgestellt:

„3. Dem Landgericht sind darüber hinaus weitere Rechtsfehler bei der Strafzumessung unterlaufen:

So ist die Kammer zwar gemäß § 323 a Abs. 2 StGB vom Strafrahmen des § 315 c Abs. 3 StGB (Freiheitsstrafe bis zu 2 Jahren) ausgegangen, sie hat aber nicht die gebotenen Feststellungen zu einer etwaigen Strafmilderung nach §§ 49 Abs.1, 21 StGB getroffen. Solche Feststellungen wären erforderlich gewesen, weil die Kammer Schuldunfähigkeit nicht ausschließen konnte und lediglich von verminderter Schuldfähigkeit ausgegangen ist (UA S. 14). Ist das Verhältnis von Vollrausch und Rauschtat ein Stufenverhältnis, das die Anwendung des Grundsatzes „in dubio pro reo“ rechtfertigt, dürfen einem Angeklagten keine Nachteile aus seiner Anwendung erwachsen. Die Kammer hätte deshalb die Milderung des Strafrahmens erwägen müssen (vgl. hierzu: BGH, Beschluss vom 17.10.1991, 4 StR 465/91, juris, Rn. 7; BGH, NStZ-RR 1996, 290; BGH, Urteil vom 28.06.2000, 3 StR 156/00, juris, Rn. 14; Münchner Kommentar/Geisler, § 323 a StGB, Rn. 80).

Sodann durfte das Landgericht die Höhe der Blutalkoholkonzentration von 2,15 g Promille, die aus Sicht der Kammer ein besonderes Maß an Pflichtwidrigkeit offenbare (UA S. 15), nicht strafschärfend berücksichtigen. Das Landgericht hat damit in unzulässiger Weise den Grund der Strafbarkeit, nämlich den Rausch, strafschärfend gewertet haben (vgl. hierzu: BGHR § 46 Abs. 3 StGB Vollrausch 1).

Ein weiterer Fehler ist der Kammer unterlaufen, als sie den hohen Schaden des Pkw (ca. 9000,- €) zulasten des Angeklagten gewertet hat (UA S.6, 16). Diesen Schaden durfte die Kammer zwar als besondere Folge der Tat berücksichtigen, obgleich sich die Strafzumessung grundsätzlich an den tatbezogenen Umständen der Rauschtat zu orientieren hat (Fischer, StGB, 61. Aufl., § 323 a Rn. 22) und die Gefährdung des Täterfahrzeugs bei § 315 c StGB nicht vom Schutzbereich erfasst wird (BGHSt 27, 40; BGH, Beschluss vom 19.01.1999, 4 StR 663/98, juris, Rn. 9; Fischer, StGB, 61. Aufl., § 315 c Rn. 15 c). Das Landgericht hätte den Schaden jedoch nicht – wie geschehen – auf der Grundlage einer bloßen „Einschätzung des Zeugen B.“ ermitteln dürfen, weil nicht erkennbar ist, weshalb der Zeuge (Polizeibeamter) über die erforderliche Sachkunde verfügt.“

Strafzumessungsfehler sind (zu) häufig, oder: Das kleine 1 x 1 der Strafzumessung

© Dan Race - Fotolia.com

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„Strafzumessungsfehler sind häufig, ich habe ja auch schon häufiger darüber berichtet. Sie sind aber nicht nur häufig, sondern häufig auch unverständlich, weil man nämlich häufig den Eindruck hat, dass die Tatgerichte das kleine 1 x 1 der Strafzumessung nicht beherrschen. So m.E. im BGH, Beschl. v. 26.06.2014 – 2 StR 157/14, in dem der BGH die Ausführungen einer Strafkammer zum (abgelehnten) minder schweren Fall des Raubes moniert:

Die Strafkammer hat in ihrer Gesamtabwägung zur Ablehnung eines minder schweren Falls Umstände angeführt, an deren Berücksichtigung sie von Rechts wegen gehindert war. Sie durfte zu Lasten des Angeklagten schon nicht in Rechnung stellen,  dass „keine Spontantat“ vorlag, noch anführen, dass der Angeklagte „grundsätzlich bereit war, an der Tat mitzuwirken“, dass er „die Möglichkeit“ hatte, „die Mitwirkung an der Tat abzulehnen und sich … zu entfernen“ und dass er sich nicht passiv verhielt, sondern „aktiv an der Tatbegehung“ mitwirkte.

Nachvollziehbare, verständliche Motive für eine Tatbegehung können ebenso wie die Tatverstrickung durch Dritte strafmildernd zu Buche schlagen; ihr Fehlen berechtigt allerdings nicht, dies zu Lasten des Angeklagten zu berücksichtigen (BGH, Beschluss vom 23. März 2011 – 2 StR 35/11). Die Erwägungen verstoßen im Übrigen gegen das Verbot der Doppelverwertung von Strafzumessungserwägungen (entsprechend § 46 Abs. 3 StGB), da sie in ihrem sachlichen Gehalt nicht über die Hervorhebung des Umstandes hinausgehen, dass der Angeklagte an der Tat mitgewirkt hat.“

Strafzumessung II: 3 Monate für 0,5 g Marihuana-Besitz ggf. „kein gerechter Schuldausgleich“

CannabisNach dem Posting: Strafzumessung I: Einmal hopp – klassischer Fehler, einmal topp, ein weiterer Hinweis auf eine Strafzumessungsentscheidung des BGH, die für die Verteidigung in BtM-Verfahren interessant ist. Es geht um den BGH, Beschl. v. 15.04.2013 – 2 StR 626/13: Das LG hat den Angeklagten wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln , und zwar 0,5 g Marihuana, zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt. Das schmeckt dem BGH nicht. Denn:

Das Landgericht hat für den Besitz von 0,5 Gramm Marihuana eine Freiheitsstrafe von drei Monaten verhängt und deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Angeklagte einschlägig vorbestraft ist und unter Bewährung stand, bleibt die Strafkammer den Nachweis schuldig, dass diese Strafe noch einen gerechten Schuldausgleich für das begangene Tatunrecht darstellt. Bewegt sich ein Konsumentenfall, um den es hier augenscheinlich geht, im untersten Bereich der geringen Menge, sind der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und das Übermaßverbot (vgl. BVerfGE 90, 145, 188 ff.) besonders zu beachten. Bei einem derartigen Bagatelldelikt mag zwar die Ablehnung eines Absehens von Strafe gemäß § 29 Abs. 5 BtMG hinzunehmen sein, wenn der Angeklagte wie hier ca. neun Monate zuvor wegen eines Betäubungsmitteldelikts zu einer längeren Freiheitsstrafe verurteilt worden war. Die Verhängung einer nicht zur Bewährung ausgesetzten kurzfristigen Freiheitsstrafe steht aber in keinem angemessenen Verhältnis zu dem abgeurteilten Tatun-recht (vgl. Patzak, in: Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 7. Aufl., § 29 Teil 13, Rn. 74), wenn nicht besondere Umstände gerade auch die Anordnung einer kurzfristigen Freiheitsstrafe unter sechs Monaten, die eingehend auch unter Berücksichtigung des § 47 StGB zu begründen wäre, rechtfertigen (Patzak, a.a.O., Rn. 75).

Solche Umstände aber hat das Landgericht nicht dargetan. Dass der Angeklagte „dreist und unbelehrbar“ (UA S. 30) sein soll, wird von den kargen Feststellungen zur abgeurteilten Tat nicht belegt. Allein der (erneute) Verstoß gegen Vorschriften des BtMG neun Monate nach einer Verurteilung, der sich offensichtlich in dem Eigenkonsum geringer Mengen (die auf dem Wohnzimmertisch aufgefunden wurden) erschöpft, rechtfertigt diese moralisierende Einschätzung des Landgerichts nicht. Zusätzliche Gesichtspunkte, die diese Wertung tragen könnten, hat das Landgericht nicht vorgebracht. Soweit es anführt, der Angeklagte sei auch nicht dadurch entlastet, dass er, wie es sonst oft der Fall sei, drogenabhängig gewesen wäre und es sich nicht um einen geringfügigen Rückfall gehandelt habe, stellt dies keinen strafschärfenden Umstand dar. Vielmehr lassen diese Formulierungen besorgen, das Landgericht habe das Fehlen strafmildernder Umstände nachteilig zu Lasten des Angeklagten gewichtet. Hinzu kommt, dass die Strafkammer jede Erklärung dafür  schuldig bleibt, warum es sich angesichts einer am untersten Rand bewegen-den Menge von Betäubungsmitteln nicht um einen „geringfügigen“ Rückfall handeln sollte.“

Liest sich für die Kammer nicht so schön: „Karge Feststelllungen“, „jede Erklärung dafür schuldig bleibt“.

Auf der Linie wie der BGH liegt übrigens auch das OLG Hamm im OLG Hamm, Beschl. v. 06.03.2014 – 1 RVs 10/14 und dazu: Sieben Monate für 19,3 g Haschisch-Besitz – “kein gerechter und angemessener Schuldausgleich”

Strafzumessung I: Einmal hopp – klassischer Fehler, einmal topp

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Ich habe ja schon häufiger darauf hingewiesen, dass Strafzumessungsfragen in der Rechtsprechung des BGH eine größere Rolle spielen. Häufig(er) werden landgerichtliche Urteile aufgehoben, weil die Tatgerichte bei der Strafzumessung die „Enden nicht richtig zusammen bekommen“. Aus dem daher doch recht reichlichen Fundus von BGH-Entscheidungen zu Strafzumessungsfragen heute zunächst der Hinweis auf zwei Entscheidungen aus neuerer Zeit, und zwar einmal hopp, einmal topp = einmal hatte die Revision Erfolg, einmal hat der BGH „kein Haar in der Suppe gefunden.

  • Keinen Erfolg hatte die Revision in dem JGG-Verfahren wegen Raubes, das mit dem BGH-Beschl. v. 02.04.2014 – 2 StR 349/13 – geendet hat. In dem stellt der BGH fest, dass zur Bemessung einer Jugendstrafe vor dem Hintergrund des Erziehungsgedankens berücksichtigt werden kann, dass der Angeklagte einen weiteren – nicht angeklagten – Raubüberfall – geplant und dieser Überfall ohne sein Zutun und zu seiner Verärgerung gescheitert war. Zudem kann der vierfachen Begehung von Überfällen innerhalb kurzer Zeit auch unter gleichzeitiger Berücksichtigung des Charakters der Handlungen als Tatserie mit sinkender Hemmschwelle straferhöhende Bedeutung beigemessen werden.

„Der Strafausspruch hält entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Landgericht hat zu Lasten des Angeklagten dessen hohe kriminelle Energie berücksichtigt, „zumal hier nicht eigener Suchtdruck oder massive finanzielle Nöte Triebfeder des Handelns wa-ren, sondern reines Gewinnstreben“ (UA S. 14). Diese Formulierung lässt nicht nur besorgen, dass die Kammer entgegen § 46 Abs. 3 StGB mit dem Gewinn-streben einen bereits zum Tatbestand des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln gehörenden Umstand verwertet hat (vgl. BGH NStZ-RR 2010, 24). Sie deutet darüber hinaus darauf hin, dass das Landgericht das bloße Fehlen genannter strafmildernder Umstände strafschärfend berücksichtigt hat (Senat, NStZ 2013, 46). Der Senat kann letztlich nicht sicher ausschließen, dass das Landgericht bei richtiger Würdigung trotz der großen Mengen von Betäubungsmitteln, mit denen Handel getrieben wurde, angesichts zahlreicher zu Gunsten wirken-der Umstände einen minder schweren Fall angenommen oder bei Anwendung des Normalstrafrahmens jedenfalls zu niedrigeren Einzelstrafen gelangt wäre.