Schlagwort-Archive: Strafzumessung

Vorsitz in einem „Rocker-Chapter“, oder: „gefahrgeneigte Freizeitbeschäftigung“

entnommen wikimedi.org Urheber Noop1958

entnommen wikimedi.org
Urheber Noop1958

Ich habe länger nicht mehr über Strafzumessungsentscheidungen berichtet. Das will/kann ich dann heute mal wieder tun mit dem Hinweis auf den OLG Frankfurt, Beschl. v. 17.06.2016 – 1 Ss 381/15, in dem das OLG aber nur in einer „Segelanweisung“ Hinweise zur Strafzumessung gibt; der Entscheidungsschwerpunkt liegt an anderer Stelle, nämlich bei einer Wiedereinsetzungsproblematik.

Es geht in dem Beschluss um die Berufung eines Angeklagten, der vom LG „wegen Führens einer halbautomatisierten Schusswaffe in Tateinheit mit Besitz von 7 Schuss Munition und des Besitzes einer Schusswaffe in Tateinheit mit Besitz von 5 Schuss Munition zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt [wurde], deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.“ Der Angeklagte ist Vorsitzender eines (Rocker)Chapters, was die Strafkammer in der Strafzumessung verwertet hat. Dazu das OLG:

„Der Senat weist für das weitere Verfahren auf folgende Gesichtspunkte hin:

(1) Das Berufungsgericht hat zwar – insoweit zutreffend – zu Gunsten des Angeklagten die Tatsache gewertet, dass er Morddrohungen einer rivalisierenden Rockergruppe erhalten hat. Die Beweggründe des Täters stellen einen zulässigen Strafzumessungsgesichtspunkt gemäß § 46 Abs. 2 StGB dar. Rechtlich bedenklich ist hingegen, dass das Berufungsgericht diesen Gesichtspunkt mit dem Argument relativiert hat, der Angeklagte habe sich bewusst einer allgemein bekannten „gefahrgeneigten Freizeitbeschäftigung“ angeschlossen.

Diese Erwägung erweist sich bereits deshalb als bedenklich, da eine konkrete Bezeichnung der drohenden Gefahren der Freizeitbeschäftigung fehlt, insbesondere die Darlegung, ob der Angeklagte beim Beitritt zu den oder jedenfalls Übernahme des Vorsitzes des Chapters der … Morddrohungen rivalisierender Rockergruppen hätte vorhersehen müssen. Letztlich ist bedenklich, ob das Berufungsgericht hierdurch in unzulässiger Weise die Art der Lebensführung des Angeklagten im Rahmen der Strafzumessung berücksichtigt hat. Dies wäre nur dann möglich gewesen, wenn die Art der Lebensführung in Beziehung zur Tat stünde und Rückschlüsse auf die Tatschuld zuließe (Fischer, 63. Aufl., StGB, § 46 Rn. 37a m.w.N.).

(2) Auch die Erwägung des Berufungsgerichts, dass der Angeklagte sich in einem Problemviertel aufgehalten habe, wo das Ausbrechen eines entsprechenden Konfliktes und damit die Gefahr der Notwendigkeit der Verwendung der Waffe besonders akut war, stößt auf Bedenken. Damit hat das Berufungsgericht die Möglichkeit jeglichen Schusswaffengebrauchs durch den Angeklagten gewertet, ohne zu berücksichtigen, dass ein solcher gegebenenfalls gerechtfertigt gewesen wäre.“

Sicherlich so nicht alltäglich, aber die Art der Lebensführung kann ja immer mal eine Rolle spielen.

Schweigen in der Hauptverhandlung, oder: das „nonverbale Verhalten“ zeigt keine Unrechtseinsicht

© Corgarashu – Fotolia.com

© Corgarashu – Fotolia.com

Starten wir heute mal mit einer „Strafzumessungsentscheidung“, nämlich dem OLG Hamm, Beschl. v. 19.04.2016 – 1 RVs 20/16. Das AG hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen Mitführens einer Schutzwaffe bei einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel zu einer Geldstrafe verurteilt. Nach den Feststellungen des AG war der Angeklagte Teilnehmer einer Demonstration unter dem Motto „keine Rückzugsräume für Nazis“, welche in E anlässlich zweier gleichzeitig stattfindender Versammlungen der Partei „die Rechte“ unter Beteiligung von zunächst ca. 1.000 Menschen stattfand. Der Angeklagte trug eine schwarze Jacke und darunter einen schwarzen Kapuzenpullover. Die Kapuze seines Pullovers hatte er über den Kopf gezogen. Vor seinem Gesicht trug er eine nach dem äußeren Zuschnitt dem Visier eines Helmes ähnliche rechteckig zugeschnittene durchsichtige Kunststofffolie, mit der Augen und Nase überdeckt und geschützt waren und darunter eine schwarze Sonnenbrille. Durch das Tragen der selbst gefertigten Folie, die mit einem Gummiband am Kopf über der Kapuze befestigt war, wollte der Angeklagte nach den getroffenen Feststellungen verhindern, dass er im Fall eines Polizeieinsatzes oder aber durch Verhalten der anderen Versammlungsteilnehmer durch verwendetes Pfefferspray oder pyrotechnische Erzeugnisse im Gesicht getroffen und in seiner Handlungsfähigkeit beeinträchtigt werden würde.

Das OLG äußert sich zum „Schutzwaffenbegriff“, den es bejaht. So weit, so gut, das mag dem Selbststudium des Lesers vorbehalten bleiben. Mich interessieren mehr die Strafzumessungserwägungen des AG, die das OLG als rechtsfehlerhaft beanstandet hat:

„2. Der Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils hält dagegen hinsichtlich der erkannten Geldstrafe entsprechend den Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

Das Amtsgericht hat zur Strafzumessung im Hinblick auf den in der Hauptverhandlung schweigenden Angeklagten unter anderem folgendes ausgeführt:

„Dagegen musste sich zu Lasten des Angeklagten auswirken, dass er durch sein Verhalten, insbesondere sein Nachtatverhalten den Polizeieinsatz in einer sehr unübersichtlichen Situation erschwert hat.

Auch sein nonverbale Verhalten in der Hauptverhandlung lies nicht den geringsten Ansatz von Unrechtseinsicht und Problembewusstsein für die schwierige Lage der Polizei in E an diesem Tag erkennen.“

Die Generalstaatsanwaltschaft hat hierzu in ihrer Zuschrift vom 17. März 2016 wie folgt Stellung bezogen:

„Soweit das Amtsgericht Dortmund strafschärfend berücksichtigt hat, „auch das nonverbale Verhalten der Hauptverhandlung“ habe „nicht den geringsten Ansatz von Unrechtseinsicht und Problembewusstsein für die schwierige Lage der Polizei in E an diesem Tag“ erkennen lassen, begegnet dies gemessen an vorstehenden Anforderungen durchgreifenden Bedenken, da es unzulässig ist, das Fehlen eines Geständnisses strafschärfend zu berücksichtigen. Zudem kann ein sich nicht einlassender oder leugnender Angeklagter weder Reue noch Schuldeinsicht zeigen, ohne seine (rechtlich zulässige) Verteidigungsposition aufzugeben, weswegen auch ein solches Verhalten nicht strafschärfend berücksichtigt werden darf (zu vgl. Fischer, StGB, 62. Aufl., § 46 Rn. 50b).

Darüber hinaus findet der vom Amtsgericht strafschärfend berücksichtigte Umstand, der Angeklagte habe durch „sein Nachtverhalten (Anmerkung des Senats: gemeint ist offenbar Nachtatverhalten) den Polizeieinsatz in einer sehr unübersichtlichen Situation erschwert“, weder eine Grundlage in den Feststellungen des angefochtenen Urteils, noch ist ersichtlich, an welche der in § 46 Abs. 2 StGB genannten Strafzumessungsgesichtspunkte das Tatgericht insoweit anknüpfen will. Das Verhalten nach der Tat ist als Strafzumessungsgrund nur verwertbar, soweit sich aus ihm Rückschlüsse auf die innere Einstellung des Täters zu seiner Tat oder auf deren Unrechtsgehalt ziehen lassen (zu vgl. Fischer, a.a.O., § 46 Rn. 46). Das Erschweren eines Polizeieinsatzes in unübersichtlicher Situation lässt für sich genommen einen derartigen Rückschluss nicht zu.“

Dem schließt sich der Senat nach eigener Prüfung uneingeschränkt an.“

Dazu passt: Immer wieder….

Strafzumessung: Bei der Vergewaltigung ist eine längere intime Beziehung kein Strafmilderungsgrund

© Dan Race Fotolia .com

© Dan Race Fotolia .com

Das BGH, Urt. v. 20.04.2016 – 5 StR 37/16 – befasst sich mit der Strafzumessung bei einer Vergewaltigung. Der BGH hat auf die Revision der StA den Strafausspruch aufgehoben. Begründung:

„2. Das Landgericht hat die für die Tat verhängte Einzelfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten dem Strafrahmen des § 177 Abs. 1 StGB entnommen. Die Tat weiche in ihrem Unrechts- und Schuldgehalt wesentlich vom Regeltatbild des § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB „nach unten ab“. Der Angeklagte und die Nebenklägerin hätten seit längerem eine intime Beziehung geführt. Vor der Tat sei es vier- bis fünfmal zum Analverkehr gekommen. Zwar habe die Nebenklägerin dabei jeweils zum Ausdruck gebracht, dass sie den Analverkehr nicht wolle, diese Sexualpraktik aber dann doch über sich ergehen lassen. Wegen dieses Verhaltens sei die Hemmschwelle des Angeklagten herabgesetzt worden, „noch einen Schritt weiter zu gehen“ und den Analverkehr nicht nur gegen den verbalen, sondern auch gegen den körperlichen Widerstand der Nebenklägerin durchzusetzen.

3. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Die Nichtanwendung des Strafrahmens des § 177 Abs. 2 Satz 1 StGB trotz Erfüllung eines Regelbeispiels nach § 177 Abs. 2 Satz 2 StGB begegnet nur dann keinen rechtlichen Bedenken, wenn nach einer Gesamtwürdigung der relevanten Strafzumessungstatsachen gewichtige Milderungsgründe hierfür streiten (vgl. BGH, Beschluss vom 25. März 1998 – 1 StR 116/98, NStZ-RR 1998, 299; Urteil vom 25. Februar 2009 – 2 StR 554/08, NStZ-RR 2009, 203). Dies hat das Landgericht verkannt, indem es der durch die Verwirklichung des § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB begründeten Regelwirkung lediglich die Erwägung zu einer womöglich verminderten „Hemmschwelle“ des Angeklagten gegenübergestellt hat. Es bestehen schon Bedenken, ob dieser Gesichtspunkt für sich genommen eine ausschlaggebende Entlastung des Angeklagten begründen könnte. Das bedarf jedoch keiner Entscheidung, weil die Tat ausweislich der Äußerung des Angeklagten, die Nebenklägerin „verdiene“ die Vergewaltigung, Bestrafungscharakter aufweist. Bereits dies schließt es aus, früher gepflogene, von der Nebenklägerin überdies stets abgelehnte Sexualpraktiken strafmildernd in Ansatz zu bringen (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Juli 2007 – 3 StR 242/07, BGHR StGB § 177 Abs. 2 Strafrahmenwahl 19). Darüber hinaus hat das Landgericht die weiteren den Angeklagten schwer belastenden Umstände (gewichtige Gewaltausübung, besondere Demütigung der Nebenklägerin, Durchführung des Analverkehrs bis zum Samenerguss, Traumatisierung der Nebenklägerin) nicht wie geboten im Rahmen einer Gesamtbetrachtung gewürdigt.“

Strafzumessung bei BtM: Ist das Zweieinhalbfache der nicht geringen Menge gering?

Cannabis BlattUnd zum Tagesschluss, dann eine weitere „Strafzumessungsentscheidung“, und zwar den BGH, Beschl. v. 25.02.2016 – 2 StR 39/16. Ergangen in einem Verfahren wegen des Vorwurfs des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Das LG hatte den Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Bei der Strafzumessung ist es vom Vorliegen eines minder schweren Falls im Sinne von § 30a Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 3 BtMG ausgegangen. Dabei und bei der Strafzumessung im engeren Sinne hat es zulasten des Angeklagten gewertet, dass sich das Handeltreiben auf Amphetamin bezog, welches „rund das 2,5-fache der nicht geringen Menge“ umfasste. Ferner hat es ihm angelastet, dass „er während des laufenden Verfahrens weiter – wenn auch reduziert – Betäubungsmittel konsumiert hat.“

Der BGH beanstandet diese Strafzumessung:

„a) Eine geringe Überschreitung der Untergrenze zur nicht geringen Menge ist ein Strafmilderungsgrund (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juli 2012 – 2 StR 166/12, BGHR BtMG § 29 Strafzumessung 39). Das Zweieinhalbfache der nicht geringen Menge an Betäubungsmitteln ist auch noch derart gering, dass dies jedenfalls nicht als bestimmender Strafschärfungsgrund gewertet werden kann.

b) Die weitere Bemerkung des Landgerichts, dass auch die Fortsetzung des Betäubungsmittelkonsums als Strafschärfungsgrund bewertet wurde, ist ebenfalls rechtsfehlerhaft. Nach den Feststellungen „raucht der Angeklagte gelegentlich Joints und konsumierte jedenfalls zweimal Amphetamin“, seit er aus der Untersuchungshaft wegen der vorliegenden Tat entlassen wurde. Um den Marihuanakonsum zu vermeiden, nimmt er zudem Beruhigungsmittel. Bei dieser Sachlage ist der für sich genommen straflose Eigenkonsum von (zuletzt nur noch weichen) Drogen als Nachtatverhalten kein bestimmender Strafschärfungsgrund. Die Urteilsgründe lassen auch nicht erkennen, aus welchem straf-zumessungsrechtlichen Gesichtspunkt – der Schuld (§ 46 Abs. 1 Satz 1), der Spezialprävention (§ 46 Abs. 1 Satz 2 StGB) oder der Generalprävention – das Landgericht diesen Aspekt hervorgehoben hat.“

Also: Zweiter Durchlauf.

Der „grundlose Messerangriff“ ist strafschärfend

BGH-Entscheidungen sind in der letzten Zeit ein wenig kurz gekommen. Daher zum Abschluss der Woche vor dem langen Pfingstwochenende – es kommt natürlich noch das RVG-Rätsel – noch ein BGH, Beschluss, und zwar der BGH, Beschl. v. 14.10.2015 – 5 StR 355/15. Er behandelt Strafzumessungsfragen bei einer Verurteilung wegen versuchten Mordes. Wo der BGH Bedenken hatte, ergibt sich aus der Aufhebungsbegründung:

© Dan Race Fotolia .com

© Dan Race Fotolia .com

„1. Der Strafausspruch hält in den Fällen II.3 bis II.6, in denen der Angeklagte wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden ist, rechtlicher Überprüfung nicht stand.

a) Insoweit hat das Landgericht bei der Strafzumessung jeweils strafschärfend gewertet, dass der Angeklagte mit direktem Tötungsvorsatz gehandelt hat. Diese Erwägung verstößt gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB. Der Tatbestand des Totschlags setzt vorsätzliche Tatbegehung voraus, deren normativer Regelfall die Tötung mit direktem Vorsatz ist. Der Umstand, dass der Angeklagte mit direktem Vorsatz gehandelt hat, darf daher als solcher nicht straferschwerend berücksichtigt werden (st. Rspr., vgl. BGH, Beschlüsse vom 1. Dezember 1989 – 2 StR 555/89, BGHR StGB § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 3 mwN; vom 17. September 1990 – 3 StR 313/90, BGHR StGB § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 4; vom 19. März 2009 – 4 StR 53/09, NStZ 2009, 564, und vom 11. März 2015 – 1 StR 3/15).

Außerdem hat das Landgericht in den vier Fällen des versuchten Mordes rechtsfehlerhaft (§ 46 Abs. 3 StGB) jeweils die Tatausführung straferschwerend gewertet, wonach der Angeklagte bei der Tat II.3 dem Geschädigten T. „nach dem ersten Messerstich sogar noch nachsetzte und ihm einen zweiten Messerstich in den Rücken beibrachte, um seine Tat zu vollenden“ (UA S. 44), bei der Tat II.4 „sofort einen gezielten Messerstich gegen den Hals des Geschädigten und somit gegen eine besonders empfindliche Körperregion“ und „mit Wucht“ führte (UA S. 45), bei der Tat II.5 „seinen ersten Stich sofort in Richtung des Kopfes des Geschädigten M. und somit gegen eine besonders empfindliche Körperregion“ führte (UA S. 47) und er bei der Tat II.6 „den Geschädigten durch den Halsschnitt in potentielle Lebensgefahr versetzte“ (UA S. 48). Es kann auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht entnommen werden, dass der Angeklagte das Maß an Gewalt überschritten hat, das zur Verwirklichung seines jeweiligen Entschlusses, die von ihm angegriffene Person zu töten, erforderlich war. Die Anwendung der zur Tötung erforderlichen Gewalt darf indes grundsätzlich nicht straferschwerend gewertet werden (st. Rspr., vgl. BGH, Beschlüsse vom 12. Januar 1988 – 5 StR 657/87, BGHR StGB § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 2; vom 28. September 1995 – 4 StR 561/95, BGHR StGB § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 6; vom 24. März 1998 – 4 StR 34/98, StV 1998, 657 und vom 8. Oktober 2008 – 4 StR 226/08, StV 2009, 464).

b) Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet weiter die jeweils straferschwerende Wertung des Landgerichts, dass die Messerangriffe des Angeklagten jeweils „völlig grundlos“ erfolgt seien. Die Schwurgerichtskammer hat sich – wie sie selbst ausdrücklich festhält (UA S. 6) – von einem Motiv für diese vom Angeklagten pauschal bestrittenen Taten keine sichere Überzeugung bilden können. Bei dieser Sachlage verbietet es sich, eine Grund- bzw. Anlasslosigkeit der Taten zu berücksichtigen (vgl. auch BGH, Beschluss vom 23. März 2011 – 2 StR 56/11). Soweit die Schwurgerichtskammer die Grundlosigkeit der Taten beispielhaft im Fall II.4 mit der weiteren Erwägung charakterisiert, dass auch eine Provokation durch den Geschädigten als Motiv für die Tat nicht erfolgt sei, hat sie verkannt, dass ein solcher Umstand in der Regel zu-gunsten eines Täters wirkt. Das Fehlen eines solchen möglichen Strafmilderungsgrundes darf nicht zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt werden.

2. Ungeachtet der Angemessenheit der verhängten Strafen kann der Senat nicht gänzlich ausschließen, dass sich die aufgezeigten Rechtsfehler im Fall II.4 bei der Wahl des Strafrahmens des § 211 Abs. 1 StGB ohne die fakultative Versuchsmilderung gemäß § 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB und in den drei übrigen Fällen bei der konkreten Strafzumessung ausgewirkt haben. Die Aufhebung der betreffenden Einzelstrafen entzieht der Gesamtstrafe die Grundlage.“