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Strafzumessung I: U-Haft bei der Strafzumessung, oder: Das geht nicht so einfach

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Heute dann – seit längerem – mal wieder ein „Strafzumessungstag, den ich mit dem BGH, Urt. v. 28.06.2017 – 2 StR 92/17 – eröffne. Verurteilt worden ist der Angeklagte u.a. wegen besonders schweren Raubes zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren. Bei der Strafzumessung hat das LG die gegen den Angeklagten vollzogene U-Haft berücksichtigt. Das beanstandet der BGH auf die Revision der Staatsanwaltschaft:

„Die wirksam auf den Strafausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Strafrahmenwahl und Strafzumessung im engeren Sin-ne halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Sie weisen einen den An-geklagten begünstigenden Rechtsfehler auf.

Das Landgericht hat sowohl bei der Strafrahmenwahl als auch bei der Strafzumessung im engeren Sinne zugunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass er sich „einige Monate“ in Untersuchungshaft befand. Dies begegnet rechtlichen Bedenken. Untersuchungshaft ist, jedenfalls bei der Verhängung einer zu verbüßenden Freiheitsstrafe, kein Strafmilderungsgrund; sie wird ge-mäß § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB grundsätzlich auf die zu vollstreckende Strafe angerechnet. Anderes gilt nur in Fällen, in denen der Vollzug von Untersuchungshaft ausnahmsweise mit ungewöhnlichen, über das übliche Maß deutlich hinausgehenden Beschwernissen verbunden ist (Senat, Urteil vom 24. August 2016 – 2 StR 504/15, NStZ-RR 2017, 40, 42; BGH, Urteil vom 19. Dezember 2013 – 4 StR 303/13, NStZ-RR 2014, 82, 83). Will der Tatrichter wegen besonderer Nachteile für den Angeklagten den Vollzug der Untersuchungshaft bei der Strafzumessung strafmildernd berücksichtigen, müssen diese Nachteile in den Urteilsgründen dargelegt werden (Senat, Urteil vom 24. August 2016 – 2 StR 504/15, aaO). Hieran fehlt es. Insoweit hat das Landgericht allein darauf abgestellt, dass der Angeklagte „als nicht der deutschen Sprache hinreichend mächtiger Angeklagter“ besonders haftempfindlich sei. Dabei hat es nicht erkennbar bedacht, dass der Angeklagte bereits seit dem Jahr 2000 in Deutschland lebt, mehrere Cafés betrieben hat und familiäre Bindungen im Inland hat. Bei dieser Sachlage genügte der bloße Hinweis auf unzureichende Sprachkenntnisse zur Begründung einer besonderen Haftempfindlichkeit nicht.“

Ein Strafzumessungsfehler – zugunsten des Angeklagten -, der häufiger gemacht wird.

Strafzumessung III: Die unbelehrbare Strafkammer, oder: Wert des Einziehungsgegenstandes

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Bei der dritten vorgestellten Entscheidung handelt es sich um den BGH, Beschl. v. 26.04.2017 – 4 StR 129/17. Er ist ebenfalls in einem Verfahren wegen schweren Bandendiebstahls u.a. ergangen. Das Verfahren war schon mal beim BGH. Der hatte im Dezember 2015 ein erstes Urteil des LG Essen aufgehoben und zurückverwiesen. Da hat man es dann noch einmal versucht. Und: Es hat wiederum nicht geklappt. Der BGH hat den Strafzumessungsausspruch erneut aufheben müssen:

Der Strafausspruch kann erneut nicht bestehen bleiben. Zum einen hat das Landgericht nur für den Fall II. 14 der früheren Urteilsgründe eine Einzelstrafe festgesetzt, obwohl der Senat den gesamten Strafausspruch des früheren Urteils aufgehoben hatte, so dass auch für die übrigen bereits abgeurteilten 29 Fälle neue Einzelstrafen hätten festgesetzt werden müssen. Darüber hinaus hat das Landgericht bei der Bemessung der Einzelstrafe im Fall II. 14 der früheren Urteilsgründe den Wert der eingezogenen Fahrzeuge (wiederum) nicht berücksichtigt, was bereits der Grund für die Aufhebung des gesamten Strafausspruchs durch den Senatsbeschluss vom 1. Dezember 2015 war. Es hat lediglich bei der Bemessung der Gesamtstrafe den Wert der – teils außergerichtlich – eingezogenen Gegenstände strafmildernd erwogen, was nicht genügt (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Mai 2014 – 3 StR 137/14, StV 2015, 633).“

Knapp, aber deutlich. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass der BGH ein wenig „angefressen“ ist. Derselbe Fehler bei der Strafzumessung wie im ersten Durchgang. Das muss/sollte nicht sein.

Strafzumessung II: Bandendiebstahl, oder: Wert der Beute von Bedeutung?

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Auch die zweite Entscheidung des heutigen Tages, der BGH, Beschl. v. 30.05.2017 – 3 StR 136/17 – behandelt einen Klassiker. Dass das der Fall ist, kann man m.E. immer aus den vorhandenen Hinweisen/Zitaten der eigenen Rechtsprechung des BGH ableiten. So auch hier, wenn es bei einer Verurteilung u.a. wegen schweren Bandendiebstahls um die Berücksichtigung des Wertes der gestohlenen Sachen geht. Das ist – nach auch schön älterer Rechtsprechung – zulässig:

1. Das Landgericht hat im Rahmen der Strafzumessung, um den Er-folgsunwert der Diebstahlstaten zu bestimmen, rechtsfehlerfrei auf den Bruttoverkaufspreis der in den Geschäftsräumen des Einzelhandels entwendeten Kleidungsartikel abgestellt; es war nicht gehalten, den Nettoeinkaufspreis zu ermitteln:

Der objektive Verkehrswert der gestohlenen Sache zum Zeitpunkt der Tat stellt ein taugliches Strafzumessungskriterium dar. Die Grenze der Geringwertigkeit nach § 243 Abs. 2 und § 248a StGB, in der nach der gesetzlichen Wertung ein erheblich verminderter Erfolgsunwert zum Ausdruck kommt (vgl. Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 5. Aufl., Rn. 581), richtet sich ebenfalls nach diesem Wert (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Oktober 1980 – 4 StR 534/80, NStZ 1981, 62, 63; ferner RG, Urteil vom 12. November 1917 – 1 D 437/17, GA 65 [1918], 545, 546; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16. März 1987 – 5 Ss 44/87 – 48/87 I, NJW 1987, 1958).

Ist die Sache beim Gewahrsamsinhaber zum Verkauf bestimmt, so bemisst sich der objektive Verkehrswert nach ihrem konkreten Verkaufspreis als dem tatsächlichen Marktpreis (vgl. SSW-StGB/Kudlich, 3. Aufl., § 243 Rn. 43; MüKoStGB/Schmitz, 2. Aufl., § 243 Rn. 67; LK/Vogel, StGB, 12. Aufl., § 243 Rn. 58). Auch die im Einzelhandel ausgewiesene Umsatzsteuer ist dabei Bestandteil dieses Preises (s. AG Kassel, Urteil vom 12. Dezember 2012 – 282 Ds – 2820 Js 13802/12, juris Rn. 35). Auf Wiederbeschaffungs- oder Herstellungskosten kommt es für die Verkehrswertbemessung hingegen nicht an (vgl. LK/Vogel, aaO). Das gilt umso mehr, als anderenfalls der Verkehrswert von schuldindifferenten Zufälligkeiten abhinge, beispielsweise davon, ob in Verkaufsräumlichkeiten Ware, die ein Kunde bereits an sich genommen hat, vor oder nach dem Bezahlvorgang gestohlen wird.

2. Ebenso ohne Rechtsfehler hat das Landgericht davon abgesehen, bei der Tat II. 5 etwaige saisonbedingte Preisreduzierungen zur Verkaufsförderung in Abzug zu bringen. Der dem zugrundeliegende Gedanke, dass der reguläre Verkaufspreis die Wertvorstellung der Marktteilnehmer prägt, ist sachlich nicht zu beanstanden.

Strafzumessung I: Zulässiges Verteidigungsverhalten, oder: Unbelehrbarkeit als Strafschärfungsgrund?

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Nach den unruhigen Tagen in und um Hamburg und den G20-Gipfel – sie werden uns sicherlich noch länger beschäftigen – heute dann wieder „Normales“. Und das sind dann drei Entscheidungen zur Strafzumessung. Bei der ersten handelt es sich um den BGH, Beschl. v. 09.05.2017 – 1 StR 626/16. Es geht  um einen Dauerbrenner, nämlich die Frage, inwieweit (zulässiges) Verteidigungsverhalten bei der Strafzumessung berücksichtigt werden darf. Nun, die Antwort liegt auf der Hand. Nämlich: Wenn überhaupt, nur in Ausnahmefällen. Dazu der BGH:

„4. Der nicht in jeder Hinsicht rechtsfehlerfrei begründete Strafausspruch kann bestehen bleiben, weil der Senat die Strafe gemäß § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO für angemessen hält.

a) Der Strafausspruch ist insoweit rechtsfehlerhaft als das Landgericht zu Lasten des Angeklagten eine „erhebliche Unbelehrbarkeit“ berücksichtigt hat, die sich darin manifestiere, „dass er allein seine eigenen – abwegigen – Rechtsansichten akzeptiert und dabei nicht davor zurückschreckt, vorsätzliche Straftaten zu begehen, um die seiner Meinung nach richtige Ansicht durchzusetzen, obgleich ihm Behörden und Gerichte wiederholt bescheinigt haben, dass er im Unrecht ist“. Das lässt eine zu Unrecht erfolgte strafschärfende Berücksichtigung von (noch) zulässigem Verteidigungsverhalten (vgl. BGH, Be-schlüsse vom 9. Mai 2007 – 1 StR 199/07; vom 4. August 2010 – 3 StR 192/10; vom 7. September 2011 – 1 StR 343/11, NStZ-RR 2011, 373, 374 und vom 29. Januar 2014 – 1 StR 589/13, NStZ 2014, 396, 397) besorgen. Grundsätzlich darf als Nachtatverhalten nicht zu Lasten eines Angeklagten gewertet werden, dass er – selbst nach Rechtskraft des Schuldspruchs – die Tatbegehung weiterhin leugnet (BGH, Beschluss vom 29. Januar 2014 – 1 StR 589/13, NStZ 2014, 396, 397 mwN). Dabei macht es im rechtlichen Ausgangspunkt regelmäßig keinen entscheidenden Unterschied, ob dies durch Leugnung der Täterschaft aus tatsächlichen Gründen oder wie hier durch rechtliche Erwägungen, wie die Überzeugung sich gegen vermeintlich rechtswidriges Verhalten des Staats wehren zu dürfen, erfolgt. Zwar sind, wie vom Landgericht insoweit beanstandungsfrei angenommen, die Ausführungen des Angeklagten rechtlich völlig fernliegend. Zulässiges Verteidigungsverhalten darf aber lediglich dann strafschärfend berücksichtigt werden, wenn es im Hinblick auf die Art der Tat und die Persönlichkeit des Täters auf besondere Rechtsfeindlichkeit und Gefährlichkeit schließen lässt (st. Rspr.; siehe nur BGH aaO NStZ 2014, 396, 397). Diese Voraussetzungen ergeben sich aus dem angefochtenen Urteil nicht.

b) Auf der Grundlage des zutreffend ermittelten, im Übrigen vollständigen und aktuellen Strafzumessungssachverhalts kann aber der Senat selbst entscheiden, dass die vom Landgericht verhängte Strafe angemessen im Sinne von § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO ist. Maßgeblich dafür ist insbesondere, dass der Angeklagte die hier fragliche Tat gerade auch zum Nachteil derjenigen be-gangen hat, die bereits durch seine früheren Betrugstaten betroffen waren. Zudem ist der Angeklagte mit erheblicher krimineller Energie vorgegangen, die sich u.a. in dem von ihm betriebenen großen Aufwand niederschlägt, um eine Entdeckung der von ihm nach Luxemburg transferierten Gelder auf Dauer zu verhindern.“

Nachträgliche Reparatur der Strafzumessung geht nicht, oder: „Unbehelflich“

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Und zum Abschluss der kleinen Reihe von ein wenig kuriosen BGH, Entscheidungen bzw. zugrunde liegenden „Fällen“ dann noch das BGH, Urt. v. 10.05.2017 – 2 StR 427/16. Es geht um eine Verurteilung wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a. Dabei hatte das LG bei den abgeurteilten Fällen aus dem Zeitraum 1996 bis zum 31. März 1998 Einzelfreiheitsstrafen von jeweils einem Jahr wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern im minder schweren Fall gemäß § 176a Abs. 1, 3 StGB aF verhängt. Das war aber die falsche Rechtsnorm. Das hat die Strafkammer dann auch bei Abfassung der Urteils erkannt und hat das zur Tatzeit geltende Recht bei der Strafzumessung angeführt. Geht nicht, oder wie der BGH sagt: „Unbehelflich“.

„1. Die Verurteilung in den Fällen II. 5-9 ist rechtsfehlerhaft, weil das Landgericht eine falsche Rechtsnorm angewandt hat. Der Qualifikationstatbe-stand des § 176a StGB ist – was das Landgericht ausweislich der Urteilsgründe im Nachhinein selbst erkannt hat – erst aufgrund des 6. StrRG vom 26. Januar 1998 (BGBl. I, S. 164) mit Wirkung zum 1. April 1998 in Kraft getreten. Die Missbrauchshandlungen in den Fällen II. 5-9 sind demnach als „einfacher“ se-xueller Missbrauch abzuurteilen. Der Senat hat den Schuldspruch entsprechend geändert.

2. Die Schuldspruchänderung bedingt auch – zu Gunsten des Angeklag-ten – die Aufhebung der in den Fällen II. 5-9 verhängten Einzelfreiheitsstrafen. § 176 Abs. 1 2. Halbsatz StGB sah für minder schwere Fälle Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe vor, § 176a Abs. 3 StGB in der Fassung bis zum 31. März 2004 hingegen Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren. Da sich die Strafkammer bei den verhängten Strafen jeweils an der Untergrenze des zur Verfügung stehenden Strafrahmens orientiert hat, kann der Senat nicht ausschließen, dass die Anwendung des milderen Rechts in den Fällen II. 5-9 auch zu niedrigeren Einzelfreiheitsstrafen geführt hätte; dies gilt auch gerade vor dem Hintergrund, dass das Landgericht für die von der Begehungsweise identischen Taten in den Fällen II. 3 sowie 10-21 unter Anwendung des ver-schärften Rechts Einzelfreiheitsstrafen von ebenfalls einem Jahr verhängt hat.

Soweit die Strafkammer, die ihren Fehler noch vor Abfassung des Urteils erkannt hat, ihren – schriftlichen – Strafzumessungserwägungen nunmehr den Strafrahmen des § 176 Abs. 1 2. Halbsatz StGB aF zugrunde legt, ist dies unbehelflich. Die schriftlichen Urteilsgründe müssen die Gründe des Gerichts dokumentieren, die in der Bewertung unter Beteiligung der Schöffen gewonnen worden sind. Sie dienen dazu, dem Revisionsgericht die Nachprüfung der ge-troffenen Entscheidung zu ermöglichen. Deshalb ist es unzulässig, zur Absicherung der Entscheidung andere Gründe einzufügen, wie etwa bei Abfassung des Urteils gewonnene neue Erkenntnisse.“

Im übertragenen Sinn: „Wer schreibt, der bleibt“….