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Strafzumessung II, oder: Wenn der Betrüger im 7. Semester Medizin studiert

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Die zweite Strafzumessungsentscheidung, die ich vorstelle, ist der OLG Frankfurt, Beschl. v. 20.12.2017 – 1 Ss 174/17. Über den hatte ich wegen der im Beschluss behandelten verfahrensrechtlichen Problemtaik schon einmal berichtet (vgl. hier: Selbstleseverfahren, oder: Wie geht man damit um – zwei Anfänger?).

Heute kommt er dann wegen der Strafzumessungsproblematik. Das AG hat den Angeklagten wegen Betruges in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 135 Tagessätzen zu je 35, EUR verurteilt. Das passt so nicht sagt das OLG:

4. Das Urteil des Amtsgerichts leidet jedoch im Strafausspruch bei der Anwendung des § 46 Abs. 1 S. 2 StGB an einem sachlichrechtlichen Mangel, der zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs einschließlich der diesem zuzuordnenden Feststellungen nötigt.

a) Die Strafzumessung ist zwar grundsätzlich Sache des Tatrichters. Das Revisionsgericht hat aber auf die Sachrüge zu überprüfen, ob dem Tatrichter bei dieser Entscheidung Rechtsfehler unterlaufen sind. Eine erschöpfende Darstellung aller Strafzumessungserwägungen durch den Tatrichter ist nicht erforderlich.

Ein solcher Fehler liegt aber unter anderem dann vor, wenn der Tatrichter die ihm nach § 46 StGB obliegende Pflicht zur Abwägung der für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände verletzt. Insbesondere sind die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben der Angeklagten in der Gesellschaft zu erwarten sind, gem. § 46 Abs. 1 S. 2 StGB zu berücksichtigen.

b) Eine Abwägung, die den Anforderungen an § 46 Abs. 1 S. 2 StGB gerecht wird, liegt hier nicht vor.

Das Amtsgericht berücksichtigt vorliegend insbesondere den hohen Schaden einerseits und die geständige Einlassung sowie die Schadenswiedergutmachung andererseits. Vor diesem Hintergrund fehlt die Auseinandersetzung mit einem bestimmenden Strafzumessungsgrund, nämlich den Auswirkungen einer Verurteilung auf das Leben der Angeklagten.

Nach den zugrundeliegenden Feststellungen studierte die Angeklagte im Zeitpunkt der Verurteilung Humanmedizin im 7. Semester.

Nach §§ 4 Nr. 1, 32 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 5a BZRG ist eine Verurteilung zu einer Geldstrafe von mehr als 90 Tagessätzen in ein Führungszeugnis aufzunehmen. Zur Erlangungen der ärztlichen Approbation und auch im Rahmen von Bewerbungen für Arbeitsstellen wird i.d.R. ein Führungszeugnis gefordert. Eine Verurteilung kann vor diesem Hintergrund gem. § 3 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 Bundesärzteordnung (BÄO) erhebliche Auswirkungen auf die Beurteilung der Zuverlässigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs haben und sich zudem auf Chancen eines Bewerbers am Arbeitsmarkt auswirken (vgl. auch OLG Nürnberg, Beschl. v. 30.08.2006 – 2 St OLG Ss 191/06, StV 2006, 695).

Diese Erwägungen stehen einer Verurteilung zu einer Geldstrafe von mehr als 90 Tagessätzen nicht grundsätzlich entgegen. Sie haben aber im vorliegenden Einzelfall Beachtung zu erfahren, um nicht eine Entsozialisierung der Angeklagten herbeizuführen (vgl. Fischer aaO., § 46 Rn. 7). Eine Auseinandersetzung mit diesen Strafzumessungsgründen lässt das Urteil jedoch gänzlich missen.“

In der Sache wohl richtig. In den Formulierungen. Na ja. Das „ der zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs einschließlich der diesem zuzuordnenden Feststellungen nötigt.“ stößt sauer auf, jedenfalls mir. Das kann man auch anders – wertfreier ausdrücken.

Strafzumessung I, oder: Wenn die Freiheitsstrafe länger als die restliche Lebenserwartung ist

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Heute mache ich dann mal wieder einen „Thementag“, und zwar zu Strafzumessungsfragen. Ich starte mit dem BGH, Beschl. v. 25.01.2018 – 3 StR 613/17, der in einem Verfahren wegen gefährlicher Körperverletzung ergangen ist. Das LG hat den Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Der BGH hebt den Strafausspruch auf:

„Das Landgericht hat zwar zugunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass er „an einer schweren Krebserkrankung leidet, die mit einer äußerst geringen Restlebenserwartung verbunden ist“. Es hat aber nicht bedacht, dass die restliche Lebenserwartung des Angeklagten den getroffenen Feststellungen zufolge wahrscheinlich nur ein bis zwei Jahre beträgt und deshalb deutlich kürzer ist als die gegen ihn verhängte Freiheitsstrafe. Diese stößt daher auf durchgreifende rechtliche Bedenken, weil es jedenfalls in solchen Fällen vor dem Hintergrund, dass einem zu einer Freiheitsstrafe Verurteilten im Hinblick auf den aus der Menschenwürde folgenden Freiheitsanspruch (Art. 2 Abs. 2 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG) grundsätzlich eine realistische Chance verbleiben muss, seine Freiheit wieder zu erlangen (BVerfG, Urteil vom 21. Juni 1977 – 1 BvL 14/76, BVerfGE 45, 187, 228 f., 239; Beschlüsse vom 22. Mai 1995 – 2 BvR 671/95, NStZ 1996, 53, 54; vom 24. April 1986 – 2 BvR 1146/85, BVerfGE 72, 105, 115 ff.), einer ausdrücklichen Erörterung bedarf, ob ein Ausgleich der Schuld möglicherweise auch noch durch eine geringere als die sonst schuldangemessene Strafe erreicht werden kann (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 23. Oktober 1986 – 2 StR 528/86, BGHR StGB § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 3; Urteil vom 29. April 1987 – 2 StR 107/87, BGHR StGB § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 7).“

Dauerbrenner, oder: Wie oft denn noch – das zulässige Verteidigungsverhalten gehört nicht in die Strafzumessung

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In die 12. KW. starte ich mit zwei Strafzumessungsentscheidungen. Zunächst weise ich auf den BGH, Beschl. v. 07.02.2018 – 4 StR 529/17 – hin. Nichts Besonderes bzw. besser nichts Neues. Denn „besonders“ ist es schon, wenn eine Strafkammer bei der Strafzumessung ein zulässiges Verteidigungsverhalten zum Nachteil des Angeklagten gewertet. Das sollte man wissen, dass das nicht geht – um es vorsichtig auszudrücken. Dann muss man auch nicht in einem BGH-Beschluss lesen:

„a) Der Angeklagte hat sich in der Hauptverhandlung dahin eingelassen, er habe den Geschädigten mit einem Messer verletzt, dabei allerdings in Notwehr gehandelt, weil dieser ihn gewürgt habe. Das Landgericht hat sich die Überzeugung verschafft, dass das Handeln des Angeklagten nicht durch Notwehr gerechtfertigt war, da schon keine Notwehrlage bestand. Im Rahmen der konkreten Strafzumessung hat es strafschärfend berücksichtigt, dass der Angeklagte „das Opfer zu Unrecht eines Angriffs auf sein eigenes Leben und damit einer Straftat bezichtigt“ habe (UA 12). Dies ist rechtsfehlerhaft.

b) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist es einem Angeklagten grundsätzlich nicht verwehrt, sich mit der Behauptung zu verteidigen, er habe in Notwehr gehandelt. Soweit damit Anschuldigungen gegen eine andere Person verbunden sind, werden die Grenzen eines zulässigen Verteidigungsverhaltens dadurch nicht überschritten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 29. Januar 2013 – 4 StR 532/12, NStZ-RR 2013, 170, 171; vom 6. Juli 2010 – 3 StR 219/10, NStZ 2010, 692; vom 22. März 2007 – 4 StR 60/07, NStZ 2007, 463). Eine wahrheitswidrige Notwehrbehauptung kann erst dann straferschwerend gewertet werden, wenn Umstände hinzukommen, nach denen sich dieses Verteidigungsverhalten als Ausdruck einer zu missbilligenden Einstellung darstellt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. März 2007 – 4 StR 60/07, NStZ 2007, 463; vom 25. April 1990 – 3 StR 85/90, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 8; vom 27. April 1989 – 1 StR 10/89, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 4); solche Umstände sind hier indes nicht ersichtlich.

c) Der Senat kann nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausschließen, dass sich die fehlerhafte Strafzumessungserwägung bereits bei der Strafrahmenwahl zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt hat. Über die Strafe ist deshalb insgesamt neu zu befinden.“

Beim Bezahlen im „Puff“ aufgefallen, oder: Falscher Fuffziger

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Heute dann mal ein „Exotic-Day“, d.h. Entscheidungen aus Bereichen und/oder zu Vorschriften, mit denen man nicht so häufig zu tun hat. Den Beginn macht das AG Dortmund, Urt. v. 28.04.2017 – 767 Ls-700 Js 2292/16 -16/17. Es hat eine Geldfälschungsproblematik (§ 146 StGB) zum Gegenstand, nämlich die Frage nach dem minder schweren Fall i.S. des § 146 Abs. 3 StGB. Der Angeklagte hatte sich über das „Darknet“ 35 falsche 50,00 EURO-Geldscheine. Hierfür zahlte er 480,00 EURO. Er hatte vor, das Geld zu nutzen, um „Abenteuer“ zu erleben. Die Qualität des Falschgeldes war zwar nicht gut, es war jedoch durchaus geeignet, mit echtem Geld verwechselt zu werden. Mit einem der Scheine wollte der Angeklagte eine Dienstleistung im Bordel bezahlen. Dabei file auf, dass es sich um einen falschen Schein handelte und das Verfahren kam in Gang. Das AG hat den Angeklagten wegen versuchten Betruges gemäß den §§ 263 Abs. I, Abs. II, 22, 23 StGB in Tateinheit (§ 52 StGB) mit Geldfälschung (§ 146 Abs. I Nr. 3 StGB) verurteilt. Zur Strafzumessung – der Angeklagte hatte einen minderschweren Fall geltend gemacht:

„Bei der Strafzumessung war dabei auszugehen von dem gesetzlichen Strafrahmen des § 146 Abs. I StGB. Ein minderschwerer Fall im Sinne des Abs. III kam nicht in Betracht. Es lag bei den von dem Angeklagten bestellten und besessenen Geldmengen nicht nur ein bloßer Bagatellfall vor. Auch war die Qualität der Geldscheine nicht derart dilettantisch, dass die Unechtheit der Geldscheine auf dem ersten Blick zu erkennen war. Die Geldscheine hatten Originalgröße und waren mit den Originalfarben eines üblichen 50,00-EURO-Scheines versehen. Der Angeklagte hatte für die Geldscheine dementsprechend einen recht hohen Betrag gezahlt, nämlich einen solchen von 480,00 EURO für 35 Stück Papier. Allein dies zeigt, dass bereits bei Ankauf der Geldscheine davon ausgegangen wurde, dass dieser unter Zugrundelegung eines späteren Einsatzes durchaus werthaltig für den Täter sein würden. Schließlich war zu berücksichtigen, dass der Angeklagte den einen 50,00-EURO-Schein, den er der Zeugin übergeben hatte, durchaus geeignet hielt, die Zeugin darüber zu täuschen, dass es sich um echtes Geld handelt. Aus der Tatsache, dass die Zeugin aufgrund des Schwarzlichtes sofort misstrauisch wurde, kann nicht geschlossen werden, dass es sich bei den Geldscheinen dementsprechend um eine schlechte Qualität gehandelt hat, die einer Fälschung im Verkehr sofort erkennen ließen.

Hierfür spricht auch die Äußerung des Zeugen B, der zwar erklärte, nicht häufig mit Falschgeld zu tun gehabt zu haben, jedoch gelegentlich schon einmal als Polizist Falschgeld in Händen gehalten zu haben. Der Zeuge B erklärte, dass die Fälschung der 50,00-EURO-Scheine, die er bei dem Angeklagten gefunden habe erst auf den zweiten Blick erkennbar gewesen seien. Auch die weiteren Umstände der Tat, nämlich das Geständnis und die Tatsache, dass kein wirtschaftlicher Schaden entstanden ist, lassen neben fehlenden strafrechtlichen Vorbelastungen keinen Schluss auf einen minderschweren Fall zu.

Es war dementsprechend von einer Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe auszugehen, die das Gericht auch als tat- und schuldangemessene Sanktion festgelegt hat. Das Gericht hat dabei jedoch schon zu Gunsten des Angeklagten bewertet, dass er selbst einen wirtschaftlichen Schaden bereits dadurch erlitten hat, dass er für die Geldscheine 480,00 EURO bezahlt hat und die Geldscheine nunmehr nicht mehr einsetzen kann. Zudem ist er strafrechtlich nicht vorbelastet und geständig. Auch aus der Tatsache, dass es sich bei den Fälschungen nicht um eine hervorragende Qualität handelte, hat das Gericht Strafmilderungsgründe entnommen.“

Strafzumessung: Rechtswidrige Beschneidung eines Kindes

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Und zum Schluss des heutigen Tages dann mal wieder etwas zur Strafzumessung, nämlich das OLG Hamm, Urt. v. 21.11.2017 – 5 RVs 125/17. Es verhält sich zu den Anforderungen an die Strafzumessung bei einer Verurteilung wegen Körperverletzung – der rechtswidrigen Beschneidung eines Kindes. das OLG führt u.a. aus:

„Unter Zugrundelegung dieser Begründungsanforderungen des § 267 Abs. 3 S. 1 StPO sind die für die Strafzumessung maßgeblichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil lückenhaft und unvollständig, denn zu dem eigentlichen Tathergang wird lediglich ausgeführt: „[…] Wie von Anfang an geplant, wurde an dem Freitag, dem 14.08.2015, in der Praxis C. die Vorhaut des B. beschnitten […].“ Weitere ergänzende Feststellungen hierzu hat das Landgericht – was auch bei einer Berufungsbeschränkung zulässig ist und hier erforderlich gewesen wäre – nicht getroffen. Es ergibt sich an keiner Stelle, wie der eigentliche „Beschneidungsvorgang“ abgelaufen ist und in welchem Ausmaß der Geschädigte bei der Operation, die regelmäßig mit Schmerzen verbunden sein dürfte, psychischen und physischen Belastungen ausgesetzt war. Ebenso wenig finden sich Feststellungen dazu, ob und welche Auswirkungen die Tat auf die spätere Entwicklung des Geschädigten in körperlicher, aber auch psychischer Hinsicht im Sinne sogenannter nachhaltiger Tatfolgen haben kann.

Ein Anlass zu derartigen Ausführungen ergibt sich auch aus der Regelung des § 1631d BGB, wonach der oder die sorgeberechtigten Elternteil(e) den beabsichtigten Eingriff mit dem Kind in einer seinem Alter und seinem Entwicklungsstand entsprechenden Art und Weise zu besprechen hat/haben. Es ist in kindgerechter Weise zu versuchen, mit ihm Einvernehmen herzustellen (OLG Hamm, Beschluss vom 30. August 2013, II-3 UF 133/13). Auch wenn dem Angeklagten zu keiner Zeit das Sorgerecht zustand, hätte er doch ein solches Gespräch mit seinem Kind vor der Durchführung der Beschneidung führen müssen. Ob und wenn, inwieweit ein solches Gespräch stattgefunden hat, lässt sich den Ausführungen der Strafkammer nicht entnehmen. Bei der Strafzumessung ist insoweit auch die Frage eines kindgerechten Umgangs mit dem Geschädigten zu erörtern. Auch dazu finden sich keine tragfähigen Ausführungen in dem angefochtenen Urteil, denn es heißt dort lediglich, dass W „trotz seines Alters keine Möglichkeit hatte, an der Entscheidung über die Beschneidung mitzuwirken“.

Aufgrund der aufgezeigten Darstellungsmängel war das Urteil im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben. Es ist nicht auszuschließen, dass die aufgezeigten Mängel Einfluss auf die Strafbemessung gehabt haben. Die Sache war an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Essen zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels nach § 354 Abs. 2 StPO zurückzuverweisen.“