Schlagwort-Archive: Statthaftigkeit

Corona II. Sitzungspolizeiliche „Corona-Anordnung“, oder: Es gilt die 3-G Regel und das Maskengebot

Bild von Wilfried Pohnke auf Pixabay

Und als zweite Entscheidung kommt hier dann der VGH Mannheim, Beschl. v. 01.08.2022 – 2 S 437/22 – zur sitzungspolizeilichen Anordnung wegen Corona. Gestritten wird um die sitzungspolizeiliche Anordnung einer Einzelrichterin einer Kammer des VG Freibur. Die hatte

„auf der Grundlage von § 176 Abs. 1 GVG Folgendes bestimmt:

1. 3-G Regel: Die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung ist für gegen COVID-19 geimpfte oder von COVID-19 genesene Personen gestattet.

Nicht immunisierten Personen ist die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung nur nach Vorlage eines auf sie ausgestellten Antigen- oder PCR-Testnachweises mit negativem Ergebnis gestattet. Die zugrundeliegende Testung darf im Falle eines Antigen-Schnelltests maximal 24 Stunden, im Falle eines PCR-Tests maximal 48 Stunden zurückliegen. Ein Testnachweis ist ein Nachweis über einen Test, der von einem der folgenden Leistungserbringer vorgenommen oder überwacht wurde.

Zur Vornahme oder Überwachung des Tests sind berechtigt:

• die zuständigen Stellen des öffentlichen Gesundheitsdienstes und die von ihnen betriebenen Testzentren,

• die von diesen Stellen als weitere Leistungserbringer beauftragten Dritten und

• Arztpraxen, Zahnarztpraxen, Apotheken, medizinische Labore, Rettungs- und Hilfsorganisationen, und die von den Kassenärztlichen Vereinigungen betriebenen Testzentren.

Der Impf-, Genesenen- oder Testnachweis ist zur Kontrolle bereitzuhalten.

2. Abstandsgebot…

3. Mund-Nasen-Schutz

Die Beteiligten und ihre Bevollmächtigten sowie Zeugen, Sachverständige und Dolmetscher und die als Teil der Öffentlichkeit an der mündlichen Verhandlung teilnehmenden Personen haben im Gerichtssaal einen Atemschutz, welcher die Anforderungen der Standards FFP2 (DIN EN 149:2001), KN95, N95 oder eines vergleichbaren Standards erfüllt, zu tragen.“

Gegen diese Anordnung hatte der Kläger, der Rechtsanwalt ist und sich in dem Verfahren vor dem VG, in dem er sich gegen die Zahlung eines Rundfunkbeitrags wandte und die Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht für eine Zweitwohnung rückwirkend ab 01.01.2013 begehrte, Beschwerde eingelegt. Ohne Erfolg. Hier die Leitsätze zu der Entscheidung:

1. Ein Rechtsbehelf gegen eine auf § 176 GVG gestützte sitzungspolizeiliche Anordnung ist grundsätzlich nicht statthaft.

2. Eine Ausnahme gilt, wenn der sitzungspolizeilichen Anordnung eine über die Dauer der Hauptverhandlung oder sogar über die Rechtskraft des Urteils hinausgehende Wirkung zukommt und Grundrechte oder andere Rechtspositionen des von einer sitzungspolizeilichen Maßnahme Betroffenen dauerhaft tangiert und beeinträchtigt werden.

3. Es ist nicht zu beansatnden, wenn ein Gericht eine Testung von Verfahrensbeteiligten zumindest mit einem Antigen- oder PCR-Test für geeignet hält/hielt, um das Risiko einer Ansteckung mit dem Corona-Virus SARS-Cov-2 während der mündlichen Verhandlung zu reduzieren.

Die Entscheidung/Grundsätze gelten nicht nur im Verwaltungsgerichtsverfahren, sondern auch im Straf- und/oder Zivilverfahren.

OWi I: Antrag auf gerichtliche Entscheidung, oder: Konformitätsbescheinigung und Konformitätserklärung

entnommen wikimedia.org
Urheber KarleHorn

Heute dann mal wieder ein OWi-Tag.

Und den eröffne ich mit dem  OLG Düsseldorf, Beschl. v. 21.01.2021 – 2 RBs 1/21, der im Wesentlichen zwei Punkte behandelt, nämlcih die Statthaftigkeit eines Antrags auf gerichtliche Entscheidung (§ 62 OWiG) und die Frage eines Beweisverwertungsverbotes, weil das AG die Konformitätsbescheinigung und die Konformitätserklärung zu einem Messgerät nicht beigezogen hat.

Dazu das OLG:

„1. a) Dass die Bußgeldbehörde einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung im Falle der Nichtabhilfe dem nach § 68 OWiG zuständigen Gericht vorzulegen hat, ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz (§ 62 Abs. 2 Satz 2 OWiG, § 306 Abs. 2 StPO) und bedarf keiner – so die Antragsschrift – „Grundsatzentscheidung“.

Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass der Verteidiger im Verfahren der Bußgeldbehörde keinen statthaften Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 62 OWiG gestellt hatte. Er hatte mit Einlegung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid um Übersendung diverser Unterlagen (u. a. Konformitätsbescheinigung, Konformitätserklärung) und der digitalen Falldaten gebeten. Am Ende der Einspruchsschrift vom 11. Mai 2020 heißt es:

„Wir gehen davon aus, dass eine Übersendung der Falldaten bis zum 25.05.2020 erfolgt. Sollte eine Übersendung bis dahin nicht erfolgen, stellen wir bereits jetzt den Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 62 Abs. 2 OWiG.“

Eine Daten-CD mit der digitalen Falldatei, Messfoto-Screenshots und Unterlagen zur Historie des verwendeten Messgerätes (PoliScan M1 HP, Softwareversion 3.7.4) hat der Verteidiger erhalten. Gegenstand des vorab gestellten Antrags auf gerichtliche Entscheidung (§ 62 OWiG) war die „Übersendung der Falldaten“, das Messgerät betreffende Unterlagen (u. a. Konformitätsbescheinigung, Konformitätserklärung) waren hier nicht benannt.

Ohnehin ging der bei der Bußgeldbehörde vorab gestellte Antrag auf gerichtliche Entscheidung (§ 62 OWiG) ins Leere, da keine Anordnung, Verfügung oder sonstige Maßnahme der Bußgeldbehörde vorlag, gegen die sich der Rechtsbehelf hätte richten können. Gegen eine Entscheidung, die noch gar nicht erlassen worden ist, kann in statthafter Weise kein Rechtsmittel oder Rechtsbehelf eingelegt werden (vgl. BGH NJW 1974, 66, 67; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., vor § 296 Rdn. 4), und zwar auch nicht vorsorglich mit künftiger Wirkung (vgl. OLG Koblenz NJW-RR 1986, 935; OLG Bamberg BeckRS 2017, 102375).

b) Auch zur Frage des von dem Betroffenen geltend gemachten Beweisverwertungsverbotes, das bereits der erforderlichen tatsächlichen Grundlage entbehrt, bedarf es keiner Rechtsfortbildung…….

Zu dem Punkt stellt das OLG in seinem Leitsatz fest:

Der Umstand, dass das Messgerät geeicht war, impliziert, dass der Eichbehörde die Konformitätsbescheinigung und die Konformitätserklärung vorgelegen haben und das Messgerät ordnungsgemäß in den Verkehr gebracht worden ist.

 

Probezeitmaßnahme/Nachschulung droht, oder: Rechtsbeschwerde statthaft oder nicht?

Führerschein und Nachschulung

Muss der Betroffene als Folge einer eintragungspflichtigen bußgeldrechtlichen Verurteilung eine Probezeitmaßnahme nach § 2a Abs. 2 StVG befürchten, stellt sich die Frage, ob ggf. deshalb die Rechtsbeschwerde gegen die Verurteilung statthaft ist. Das OLG Bamberg hat die Frage verneint. Es handele sich nicht um eine Nebenfolge „nichtvermögensrechtlicher Art“ i.S.v. § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG (vgl. OLG Bamberg, Beschl. v. 16.02.2017 – 3 Ss OWi 174/17):

„Die vom Betr. befürchteten, diesem vom AG in seinem Urteil nicht selbst auferlegten Probezeitmaßnahmen führen entgegen der Rechtsauffassung der Verteidigung nicht etwa zur Statthaftigkeit einer keiner Zulassung nach § 79 I 2 OWiG mehr bedürfenden Rechtsbeschwerde in analoger Anwendung von § 79 I 1 Nr. 2 OWiG, sondern sind, da nicht Bestandteil des bußgeldrechtlichen Sanktionensystems des materiellen Ordnungswidrigkeitenrechts keine Nebenfolgen „nichtvermögensrechtlicher Art“ i.S.v. § 79 I 1 Nr. 2 OWiG. Vielmehr handelt es sich nur um mittelbare, auf der Eintragung der Verurteilung ins Fahreignungsregister (FAER) aufbauende verwaltungsinterne Folgen (hier nach § 2a II StVG) der rechtskräftigen bußgeldrechtlichen Verurteilung (vgl. schon BayObLG, Beschl. v. 24.07.1969 -1a Ws [B] 16/69 = NJW 1969, 2296; ferner u.a. OLG Hamm, Beschl. v. 01.10.1996 – 2 Ss OWi 1150/96 = DAR 1997, 29 = NStZ-RR 1998, 85 = VRS 92 [1997], 345; OLG Bamberg, Beschl. v. 29.11.2010 – 3 Ss OWi 1756/10 = DAR 2011, 93 = NZV 2011, 208 = VM 2011, Nr. 39 = OLGSt StVG § 25 Nr. 49 = NStZ-RR 2011, 256 und zuletzt [zur Rechtsnatur des vorläufigen Vollstreckungsaufschubs nach § 25 IIa 1 StVG] OLG Celle, Beschl. v. 20.10.2015 – 2 Ss [OWi] 308/15 = StraFo 2016, 298 = BA 53 [2016], 326 = DAR 2016, 471 = VRS 2016, 126 = ZfS 2016, 530; vgl. auch KK/Senge OWiG 4. Aufl. § 79 Rn. 17; BeckOK/Bär OWiG [Stand: 15.12.2016] § 79 Rn. 17 und Burhoff [Hrsg.]/Junker, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 4. Aufl. Rn. 3365, jeweils m.w.N.).“

Untätigkeitsbeschwerde? Ein kleines Loch in der Mauer

© Alex White - Fotolia-com

© Alex White – Fotolia-com

Die Frage, ob es im Strafverfahren eine „Untätigkeitsbeschwerde“gibt oder nicht, war vor Einführung der §§ 198, 199 GVG umstritten Nach Einführung der Verzögerungsrüge hat sich die h. die m.E unzutreffend dahin entwickelt, das unter Hinweis auf die Neuregelung der § 198, 199 GG die Statthaftigkeit einer Untätigkeitsbeschwerde verneint worden ist. M.E. ist das u.a. deshalb falsch, weil die §§ 198, 199 GVG nicht weniger, sondern mehr Rechtsschutz bringen sollten. Aber gegen den „geballten Sachverstand“ der OLG kommt ma nicht an.

Um so mehr hat es mich da  gefreut, als ich den KG, Beschl. v. 26.05.2015 – 2 Ws 104/15 – gelesen habe. Ein kleiner Lichtblick bzw. ein kleines Loch in der Mauer. Denn das KG macht einen „Neigungsbeschluss“ und sagt (jetzt) für einen Teilbereich:

„1. Der Senat neigt dazu, eine Untätigkeitsbeschwerde auch nach Einführung der §§ 198 ff. GVG ausnahmsweise als statthaft anzusehen, wenn ein weiteres Hinausschieben der Entscheidung (hier: Fortdauer der Sicherungsverwahrung gemäß § 67d Abs. 3 StGB) zu einer durch finanzielle Kompensation nicht auszugleichenden Verletzung des Freiheitsgrundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG führt.

2. Andere Rechtsschutzmöglichkeiten müssen zuvor ausgeschöpft worden sein.“

Ist zwar ein wenig „Wasch mich, aber mach mich nicht nass“ – ist ja auch nur ein Neigungsbeschluss 🙂 , aber immerhin ein kleines Loch in der Tür, das man vielleicht vergrößern kann.