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StPO III: Wenn Staatsanwalt und Richterin miteinander verheiratet sind, oder: Besorgnis der Befangenheit?

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Und als dritte Entscheidung dann ein AG-Beschluss. Das AG Kehl hat im AG Kehl, Beschl. v. 16.12.2020 – 5 OWi 505 Js 15819/20 über die – Frage der Befangenheit entschieden, wenn Richterin und Staatsanwalt verheiratet sind.

Folgender Sachverhalt: Dem Betroffenen wird im Bußgeldverfahren vorgeworfen, als Verlader oder Verantwortlicher des Verladers Gefahrgut entgegen den dafür geltenden Bestimmungen verladen zu haben. Dem Bußgeldverfahren vorausgegangen waren von Erster Staatsanwalt Z geführte strafrechtliche Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Offenburg wegen fahrlässiger Körperverletzung, da beim Entladen ein Behälter mit Gefahrgut aufgrund unsachgemäßer Stapelung geborsten sei; mangels Verletzungen der bei der Entladung zugegen gewesenen Personen hat Erster Staatsanwalt Z von der Erhebung der öffentlichen Klage abgesehen und das Verfahren zur Verfolgung der Ordnungswidrigkeit an das Landratsamt abgegeben. Nachdem der Betroffene gegen den Bußgeldbescheid Einspruch eingelegt hatte, leitete die Staatsanwaltschaft Offenburg das Verfahren zur Entscheidung über den Einspruch an das AG Kehl weiter, wo die nach dem Geschäftsverteilungsplan zuständige Richterin gemäß § 30 StPO anzeigte, dass sie mit Erster Staatsanwalt Z verheiratet sei.

Das AG hat die Selbstanzeige für unbegründet gehalten:.

„Es besteht keine Besorgnis der Befangenheit der Richterin am Amtsgericht Y.

Zwar rechtfertigt nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Richters die Ehe zwischen dem zuständigen Dezernent der Staatsanwaltschaft im Bußgeldverfahren und dem zur Entscheidung in der Sache berufenen Richter regelmäßig gemäß § 24 Abs. 2 StPO das Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters (AG Kehl, Beschluss vom 15. April 2014 – 5 OWi 304 Js 2546/14 –, NStZ-RR 2014, 224, zuletzt nicht veröffentlichte Beschlüsse vom 18. August 2020 – 5 OWi 304 Js 8923/20 – und 3. Juni 2020 – 5 OWi 304 Js 6758/20 –; zustimmend Artkämper, Die „gestörte“ Hauptverhandlung, 5. Aufl. 2017, Praktische Fälle verdeckter Störungen in der Hauptverhandlung, Rn. 733). Hier liegt der Fall jedoch anders. Erster Staatsanwalt Z hatte lediglich das mit einer Einstellung mangels hinreichenden Tatverdachts (§ 170 Abs. 2 StPO) abgeschlossene strafrechtliche Ermittlungsverfahren geführt. Für das nunmehr anhängige Bußgeldverfahren ist ein anderer Dezernent der Staatsanwaltschaft zuständig. Im Bußgeldverfahren ist Erster Staatsanwalt Z – bislang – nicht tätig geworden; als – unmittelbarer – Vertreter des Dezernatsinhabers ist er nach dem Geschäftsverteilungsplan der Staatsanwaltschaft nicht vorgesehen. Unter diesen Umständen ist im vorliegenden Verfahren keine, die Besorgnis der Befangenheit begründende „Nähe“ zwischen Richterin und Staatsanwalt (mehr) gegeben (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 21. Juni 2016 – 2 Ws 156/16 –, juris), zumal sich – wie die Staatsanwalt zutreffend bemerkt – die sachliche Prüfung von Erster Staatsanwalt Z hinsichtlich der dem Betroffenen vorgeworfenen Ordnungswidrigkeit lediglich darauf beschränkt hatte, ob Anhaltpunkte dafür vorhanden waren, dass die Tat als Ordnungswidrigkeit verfolgt werden kann (§ 43 Abs. 1 OWiG); eine eigene, umfassende Bewertung der Sach- und Rechtslage ist – anders als bei der Entschließung nach § 69 Abs. 4 Satz 2 OWiG (KK-OWiG/Ellbogen, 5. Aufl. 2018, OWiG § 69 Rn. 86-87) – ist damit gerade nicht verbunden (KK-OWiG/Lampe, 5. Aufl. 2018, OWiG § 43 Rn. 4-5 und 11-12).“

BGH I: Staatsanwalt als Zeuge, oder: Dann aber bitte kein Plädoyer

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So, mein Urlaub ist beendet, ich bin wieder vor Ort. D.h., dass auch die Kommentarfunktion wieder eingeschaltet ist.

Und ich starte dann in die 48. KW./2019 mit zwei BGH-Entscheidungen. Bei der ersten handelt es sich um den BGH, Beschl. v. 19.09.2019 – 1 StR 235/19. Das LG hatte den Angeklagten u.a. wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in 51 Fällen verurteilt. Dagegen die Revision des Angeklagten, die er auf §§ 337, 22 Nr. 5 analog, § 258 Abs. 1 StPO gestützt und u.a. damit begründet hat, der in der Hauptverhandlung als Zeuge vernommene Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft habe unzulässigerweise umfassend den Schlussvortrag gehalten und die abschließende Beweiswürdigung vorgenommen. Die Revision hatte Erfolg:

„Der genannten Verfahrensrüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

Der Angeklagte hat die ihm zur Last gelegten Taten – sexueller Missbrauch von Kindern und schwerer sexueller Missbrauch von Kindern an den Söhnen seiner damaligen Lebensgefährtin, den Zeugen He. und H. – nicht eingeräumt. Seine Überzeugung von den die Strafbarkeit des Angeklagten begründenden Tatsachen hat das Landgericht maßgeblich auf die Angaben der Geschädigten, der Zeugen He. und H. , gestützt. Diese haben den Sachverhalt in der Hauptverhandlung im Wesentlichen wie von der Strafkammer festgestellt geschildert. Zu den Aussagen der Zeugen im Ermittlungsverfahren hat die Strafkammer polizeiliche Vernehmungsniederschriften verlesen und den die damaligen staatsanwaltschaftlichen Vernehmungen durchführenden Staatsanwalt (GrL) S. als Zeugen vernommen.

Da Staatsanwalt (GrL) S. im vorliegenden Verfahren mit der Sitzungsvertretung betraut war, wurde die Staatsanwaltschaft während dessen Zeugenaussage vor der Strafkammer durch Oberstaatsanwalt V. vertreten; danach übernahm wiederum Staatsanwalt (GrL) S. die Vertretung der Staatsanwaltschaft und hielt auch für diese den Schlussvortrag.

Die Revision rügt das Halten des Schlussvortrags durch Staatsanwalt (GrL) S. nach dessen Vernehmung als Zeuge als verfahrensfehlerhaft und macht dabei geltend, Staatsanwalt (GrL) S. habe im Schlussvortrag unzulässigerweise auch seine eigene Zeugenaussage gewürdigt.

II.

Die Revision rügt zu Recht als verfahrensfehlerhaft, dass Staatsanwalt (GrL) S. umfassend den Schlussvortrag gehalten und in diesem Rahmen das Beweisergebnis gewürdigt hat, obwohl er zuvor von der Strafkammer als Zeuge zur staatsanwaltschaftlichen Vernehmung der Zeugen He. und H. vernommen worden war; die beanstandete Verfahrensweise verletzt § 22 Nr. 5 analog, § 258 Abs. 1 StPO (§ 337 Abs. 2 StPO).

1. Die Rüge ist zulässig erhoben. Das Revisionsvorbringen entspricht insbesondere den Anforderungen, die nach der Rechtsprechung an eine Verfahrensrüge zu stellen sind (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Februar 2018 – 4 StR 550/17 mwN; KK/Gericke, StPO, 8. Aufl., § 344 Rn. 38 f. mwN; Löwe-Rosenberg/Franke, StPO, 26. Aufl., § 344 Rn. 78 mwN); der Angeklagte hat sämtliche Verfahrenstatsachen vorgetragen, die erforderlich sind, um das Revisionsgericht in die Lage zu versetzen, allein anhand des Rügevorbringens das Vorliegen des behaupteten Verfahrensfehlers festzustellen.

2. Die Rüge ist auch begründet. Das Vorgehen der Staatsanwaltschaft war mit der Stellung des Staatsanwalts im Strafverfahren unvereinbar und deshalb unzulässig.

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Staatsanwalt, der in der Hauptverhandlung als Zeuge vernommen worden ist, insoweit an der weiteren Wahrnehmung der Aufgaben als Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft in der Hauptverhandlung gehindert, als zwischen dem Gegenstand seiner Zeugenaussage und der nachfolgenden Mitwirkung an der Hauptverhandlung ein unlösbarer Zusammenhang besteht (BGH, Beschlüsse vom 31. Juli 2018 – 1 StR 382/17 Rn. 12 und vom 14. Februar 2018 – 4 StR 550/17; Urteile vom 19. Oktober 1982 – 5 StR 408/82 Rn. 6 und vom 13. Juli 1966 – 2 StR 157/66 Rn. 20, BGHSt 21, 85, 89 f.). Nimmt der Staatsanwalt im Rahmen der weiteren Sitzungsvertretung eine Würdigung seiner eigenen Zeugenaussage vor oder bezieht sich seine Mitwirkung auf einen Gegenstand, der mit seiner Aussage in einem untrennbaren Zusammenhang steht und einer gesonderten Bewertung nicht zugänglich ist, liegt ein relativer Revisionsgrund nach § 337 StPO vor (Beschlüsse vom 31. Juli 2018 – 1 StR 382/17 Rn. 12 und vom 14. Februar 2018 – 4 StR 550/17; Urteil vom 3. Mai 1960 – 1 StR 155/60 Rn. 7, BGHSt 14, 265), der zur Aufhebung des Urteils führt, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Urteil hierauf beruht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 31. Juli 2018 – 1 StR 382/17 Rn. 12 und vom 14. Februar 2018 – 4 StR 550/17; Urteile vom 15. April 1987 – 2 StR 697/86 Rn. 24, BGHSt 34, 352 und vom 3. Mai 1960 – 1 StR 155/60 Rn. 7, BGHSt 14, 265).

b) Nach Maßgabe der vorgenannten Rechtsprechung war Staatsanwalt (GrL) S. vorliegend aus Rechtsgründen gehindert, den Schlussvortrag umfassend zu halten und das Beweisergebnis zu würdigen, soweit dieses mit den durch seine eigene Aussage eingeführten Aussagen der Zeugen He. und H. in Zusammenhang stand.

aa) Die Aussage von Staatsanwalt (GrL) S. vor der Strafkammer war ausweislich der Urteilsgründe (z.B. UA S. 14) gerade nicht darauf beschränkt, über Fragen der Verfahrensgestaltung oder sonstige Umstände Auskunft zu geben, die in keinem unlösbaren Zusammenhang mit dem maßgeblichen Tatgeschehen stehen und daher Gegenstand einer gesonderten Betrachtung und Würdigung sein können. Vielmehr betraf die Zeugenaussage von Staatsanwalt (GrL) S. in der Hauptverhandlung den Inhalt von Angaben, die die maßgeblichen Belastungszeugen in früheren Vernehmungen zu den hier verfahrensgegenständlichen Taten des Angeklagten gemacht hatten. Diese Angaben der Zeugen He. und H. waren ausweislich der Urteilsgründe für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Aussagen, die unter anderem auf eine Konstanzanalyse gestützt war, wesentlich und damit für die Überzeugungsbildung des Landgerichts von Bedeutung.

bb) Staatsanwalt (GrL) S. hätte somit zwar auch nach seiner Zeugenvernehmung weiter als Sitzungsvertreter am Verfahren teilnehmen können, er hätte aber im weiteren Verlauf der Verhandlung und vor allem im Schlussvortrag zum Ergebnis der Beweisaufnahme insoweit nicht Stellung nehmen dürfen, als er dabei auch seine eigene Aussage zu würdigen hatte (vgl. BGH, Urteil vom 21. Dezember 1988 – 2 StR 377/88 Rn. 6; Beschluss vom 7. Dezember 2000 – 3 StR 382/00 Rn. 3).

Dass Staatsanwalt (GrL) S. , wie sich aus dem von der Staatsanwaltschaft unwidersprochenen Revisionsvortrag zum Verfahrensgeschehen ergibt, umfassend den Schlussvortrag gehalten und dabei die in der Hauptverhandlung erhobenen Beweise erörtert und bewertet, mithin auch zumindest konkludent die eigene Aussage gewürdigt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Juli 2018 – 1 StR 382/17 Rn. 10), ist damit verfahrensfehlerhaft im Sinne des § 337 StPO.

c) Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Verurteilung des Angeklagten auf dem aufgezeigten Verfahrensfehler beruht. ….“

BGH I: Der (ehemalige) Staatsanwalt als Richter, oder: Sehenden Auges ins Verderben?

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Heute dann ein wenig Verfahrensrecht vom BGH.

Zunächst aber der Hinweis: Es ist heute ein besonderer Tag für das „BOB“, denn heute sprint der Zähler um. Es geht der 9.000 Beitrag online – immerhin :-). Und das allein, nun ja fast, da einige Beiträge aus der WKD-Zeit von der damaligen „Betreuerin“ stammen.Also, auf geht es- der Weg bsi zum 10.000 Beitrag ist ja nicht so lang. Der dürfte dann, wenn alles glat geht, im nächsten Jahr online gehen.

Den „Jubiläumstag“ eröffne ich dann mit dem BGH, Beschl. v.18.09.2018 – 1 StR 454/18. Er behandelt eine verfahrensmäßig geanz interessante Situation, die man unter die Überschrift „Staatsanwalt als Richter“ fassen könnte.

Ergangen ist der Beschluss in einem Verfahren wegen unerlaubten Handels mit Betäubungsmitteln. Die Sache war schon mal beim BGH, sie befand sich also nach Aufhebung und Zurückverweisung im zweiten „Rechtsgang“.Der Angeklagte hatte gegen seine Verurteilung Revision eingelegt und die hatte mit einer Verfahrensrüge nach § 338 Nr. 2 StPO i.V.m. § 22 Nr. 4 StPO Erfolg. Der Angeklagte hat zu Recht geltend gemacht, dass an der Entscheidung des Landgerichts ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen war:

„Der beisitzende Richter am Landgericht Dr. S. erstellte mit Verfügung vom 9. Oktober 2017 einen Vermerk, mit dem er darauf hinwies, dass Gegenstand der vorliegenden Akte auch Erkenntnisse aus einem Verfahrenskomplex gegen K. u.a. sind, der bei der Staatsanwaltschaft Karlsruhe – Zweigstelle Pforzheim – unter dem Aktenzeichen u.a. geführt wurde. Die aus diesem Verfahrenskomplex stammenden Vorwürfe gegen den Angeklagten wurden durch die Staatsanwaltschaft sämtlich gemäß §§ 154 Abs. 1, 170 Abs. 2 StPO eingestellt. An der Bearbeitung dieses Verfahrenskomplexes war der beisitzende Richter als Dezernent der Staatsanwaltschaft Karlsruhe – Zweigstelle Pforzheim – beteiligt. Nach seiner Einschätzung liege trotz seiner Befassung mit dem Parallelverfahren weder ein Fall des § 22 Nr. 4 StPO noch ein Grund für eine Selbstanzeige nach § 30 StPO vor.

Diesen Vermerk übersandte der Vorsitzende Richter Vizepräsident des Landgerichts R. am 23. Oktober 2017 dem Verteidiger des Angeklagten zur Kenntnis mit Vorschlägen für die Terminierung der Hauptverhandlung. Der Verteidiger erwiderte mit Schriftsatz vom 26. Oktober 2017, dass der Begriff der Sache i.S.d. § 22 StPO weit auszulegen sei und keine Verfahrensidentität voraussetze. Eine Änderung in der Besetzung der Strafkammer erfolgte nicht.

Der im Vermerk des beisitzenden Richters benannte Verfahrenskomplex bezog sich in Bezug auf den Angeklagten entsprechend der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Karlsruhe – Zweigstelle Pforzheim – vom 19. November 2015 u.a. auf den Tatvorwurf der Abgabe und gewerbsmäßigen Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige durch Überlassen und Verkauf von Marihuana und Haschisch an den 16-jährigen G. im Tatzeitraum zwischen Anfang 2014 und 31. August 2014. Gegenstand des Ermittlungsverfahrens gegen den Angeklagten war auch das Verbringen einer Schusswaffe in den Geltungsbereich des Waffengesetzes durch Einfuhr einer halbautomatischen Kurzwaffe aus Spanien nach Deutschland zwischen 1980 und dem 11. Februar 2015.

Verfahrensgegenstand im mit der Revision angegriffenen Urteil des Landgerichts ist die Abgabe von Betäubungsmitteln an den 16-jährigen G. im Tatzeitraum vom 1. Oktober bis 29. November 2014 in 16 im Einzelnen nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkten sowie der Besitz einer halbautomatischen Kurzwaffe, die beim Angeklagten bei einer Durchsuchung am 11. Februar 2015 aufgefunden wurde. Das Landgericht stützt seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten bei der Abgabe von Betäubungsmitteln im Wesentlichen auf die Angaben des Zeugen G. , die es für uneingeschränkt glaubhaft erachtet.

II.

Die zulässig erhobene Verfahrensrüge führt zur Urteilsaufhebung.

Der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 2 StPO i.V.m. § 22 Nr. 4 StPO ist gegeben. Bei dem angegriffenen Urteil wirkte ein Richter mit, der von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen war, weil er zuvor in der Sache als Beamter der Staatsanwaltschaft tätig gewesen war.

1. Nach § 22 Nr. 4 StPO ist ein Richter u.a. dann von der Ausübung seines Amtes ausgeschlossen, wenn er „in der Sache“ als Beamter der Staatsanwaltschaft tätig gewesen ist.

a) Unter „der Sache“ ist grundsätzlich dasjenige Verfahren zu verstehen, welches die strafrechtliche Verfolgung einer bestimmten Straftat zum Gegenstand hat. Es kommt also in erster Linie auf die Identität des historischen Ereignisses an, um dessen Aufklärung es zu der Zeit ging, als der Richter in nicht-richterlicher Funktion tätig war. Der Annahme einer solchen Identität steht auch das Vorliegen mehrerer selbständiger Taten im Sinne des § 264 StPO nicht entgegen. Vielmehr entscheidet in solchen Fällen regelmäßig die Einheit der Hauptverhandlung; sie kann auch solche Vorgänge, die bei natürlicher Betrachtung als verschiedene historische Ereignisse erscheinen, zu einer Einheit zusammenfassen (BGH, Urteile vom 2. Dezember 2003 – 1 StR 102/03, StraFo 2004, 91 und vom 16. Januar 1979 – 1 StR 575/78, BGHSt 28, 262, 263 mwN).

b) Allerdings ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass die Vorschrift des § 22 Nr. 4 StPO keineswegs nur dazu da ist, das Strafverfahren gegen eine aus früherer anderweitiger Tätigkeit abzuleitende Voreingenommenheit zu schützen. Sie ist vielmehr auch dazu bestimmt, bereits den Schein eines Verdachts der Parteilichkeit zu vermeiden (BGH, Urteile vom 2. Dezember 2003 – 1 StR 102/03, StraFo 2004, 91; vom 16. Januar 1979 – 1 StR 575/78, BGHSt 28, 262, 265 und vom 25. Mai 1956 – 2 StR 96/56, BGHSt 9, 193, 194 f.; Beschluss vom 12. August 2010 – 4 StR 378/10, NStZ 2011, 106). Daraus kann sich die Notwendigkeit ergeben, § 22 Nr. 4 StPO auch anzuwenden, wenn es an der für den Normalfall vorausgesetzten Verfahrenseinheit fehlt. Der Verdacht der Parteilichkeit kann jedoch bei mehreren für eine einheitliche Behandlung in Betracht zu ziehenden Verfahren vernünftigerweise nur aufkommen, wenn zumindest ein enger und für die zu treffende Entscheidung bedeutsamer Sachzusammenhang besteht (BGH, Urteile vom 2. Dezember 2003 – 1 StR 102/03, StraFo 2004, 91; vom 16. Januar 1979 – 1 StR 575/78, BGHSt 28, 262, 265 und vom 25. Mai 1956 – 2 StR 96/56, BGHSt 9, 193, 195).

2. Eine „Einheit der Sache“ in diesem Sinne gemäß § 22 Nr. 4 StPO ist hier gegeben.

Zwischen dem vom beisitzenden Richter im vorliegenden Verfahren zu beurteilenden Sachverhalt und dem von ihm in seiner früheren Funktion als Staatsanwalt bearbeiteten Verfahrenskomplex besteht ein solcher enger und bedeutsamer Sachzusammenhang. So betrifft die vom Landgericht abzuurteilende Tat nach Ziffer II. der Urteilsgründe (UA S. 7 f.) mit der Abgabe von Betäubungsmitteln durch den Angeklagten an den 16-jährigen Zeugen G. im Tatzeitraum vom 1. Oktober 2014 bis 29. November 2014 einen gleichgelagerten Lebenssachverhalt zu dem früher geführten Ermittlungsverfahren mit fast nahtlos aneinander anschließenden Tatzeiträumen von Anfang 2014 bis 31. August 2014. Bei beiden Taten war die Aussage und die Glaubwürdigkeit des Zeugen G. für den Tatnachweis von wesentlicher Bedeutung. Ein solcher enger Sachzusammenhang bestand auch in Bezug auf das unerlaubte Verbringen und den Besitz der halbautomatischen Kurzwaffe.“

M.E. mal wieder so eine Sache, in der die Strafkammer sehenden Auges ins Verderben rennt, vielleicht nach dem Motto: Soll schon gut gehen.

Wenn der Staatsanwalt untätig ist, oder: Rechtsbeugung?

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Den letzten Tag der Woche beschließen dann – vor dem RVG-Rätsel – zwei BGH-Entscheidungen. Ich beginne mir dem BGH, Beschl. v. 14.09.2017 – 4 StR 274/16. Gegenstand der Entscheidung: Rechtsbeugung (§ 339 StGB) durch einen Staatsanwalt. Das LG Freiburg hatte in dem Verfahren einen Staatsanwalt u.a. wegen Rechtsbeugung in Tateinheit mit Strafvereitelung im Amt in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Nach den Feststellungen des LG hatte der Angeklagte in sechs Fällen ausermittelte, anklagereife Ermittlungsverfahren nicht weiter bearbeitet, nachdem er sie zuvor mit Hilfe von Scheinverfügungen aus dem staatsanwaltschaftlichen Verfahrensregister hatte austragen lassen und so der Aufsicht seiner Dienstvorgesetzten entzogen hatte. In zwei dieser Fälle trat schließlich Verfolgungsverjährung ein, die anderen vier Verfahren wurden nach Aufdeckung der unterbliebenen Erledigung und nach der Suspendierung des Angeklagten zum ordnungsgemäßen Abschluss gebracht. Wer weitere Einzelh. braucht: Bitte in der 21 Seiten langen Entscheidung nachlesen.

Der BGH hat auf die Revision des Angeklagten die Verurteilung in den vier Fällen, in denen keine Verfolgungsverjährung eingetreten ist, aufgehoben, weil die Voraussetzungen der Rechtsbeugung vom LG nicht hinreichend festgestellt seien. In den beiden anderen Fällen hat er die verhängten Strafen aufgehoben, weil das LG möglicherweise bei der Strafrahmenwahl und der Strafzumessung von einem zu großen Schuldumfang des Angeklagten ausgegangen ist. Verwiesen wordne ist an das LG Karlsruhe.

Wie gesagt: Der BGH-Beschluss ist 21 Seiten lang. Das kann man hier nicht alles darstellen, sondern man kann nur „Obersätze“ bilden/herausgreifen, und zwar:

  • Ein Staatsanwalt kann Täter einer Rechtsbeugung im Sinne des § 339 StGB sein, wenn er wie ein Richter in einem rechtlich vollständig geregelten Verfahren zu entscheiden hat und dabei einen gewissen Grad sachlicher Unabhängigkeit genießt.
  • Als eine Beugung des Rechts im Sinne von § 339 StGB kommen nur elementare Rechtsverstöße in Betracht.
  • Eine Rechtsbeugung kann grundsätzlich auch durch einen Verstoß gegen Verfahrensrecht begangen werden.
  • Hat der Täter Verfahrensrecht durch ein Unterlassen (§ 13 Abs. 1 StGB) verletzt, wird das Tatbestandsmerkmal der Rechtsbeugung in der Regel nur dann als erfüllt angesehen werden können, wenn eine rechtlich eindeutig gebotene Handlung unterblieben ist. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn der Richter oder Staatsanwalt bewusst gegen eine Vorschrift verstoßen hat, die ein bestimmtes Handeln unabweislich zur Pflicht macht oder wenn er untätig bleibt, obwohl besondere Umstände sofortiges Handeln zwingend gebieten.
  • Die bewusste Nichterhebung der öffentlichen Klage in einem anklagereifen Ermittlungsverfahren mit der Folge, dass es im Falle des Unterlassens zum Eintritt der Verfolgungsverjährung kommt, ist für sich genommen grundsätzlich eine schwerwiegende Verletzung des Verfahrensrechts und verstößt gegen ein eindeutiges gesetzliches Handlungsgebot.

Und ich bin heute in Muscat/Oman. Schöne Stadt/Gegend. Da war ich schon mal 🙂 .

Die Rechtsbeugung des Staatsanwaltes, oder: Scheinerledigung

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Schon etwas länger hängt in meinem Blogordner das LG Freiburg, Urt. v. 25.02.2016 – 2 KLs 270 Js 21058/12. In dem geht es um die Verurteilung eines Freiburger Staatsanwaltes wegen Rechtsbeugung in Tateinheit mit Strafvereitelung (§§ 258, 258a, 339 StGB). Der Staatsanwalt hatte Akten nicht bearbeitet bzw. „scheinerledigt“ (vgl. die PM des LKG Freiburg und ein Bericht aus der Stuttgarter Zeitung). Der Staatsanwalt ist zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt worden. Aus der PM:

„Nach Auffassung der Kammer konnte dem Angeklagten in den genannten sechs Fällen je­weils ein Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz und die Pflicht zur zeitnahen Ankla­geerhebung nachgewiesen werden, da er die entsprechenden Verfahren nicht entsprechend seiner Pflicht bearbeitet hatte. Im Hinblick auf die Zeiträume der Nichtbearbeitung wurde durch das Gericht festgehalten, dass es sich bei jedem der Fälle um besonders gravierende Verstöße gehandelt hatte. Der Angeklagte hatte demnach die betreffenden Verfahren nur zum Schein erledigt, um insoweit keiner behördlichen Kontrolle mehr zu unterliegen, den Abschluss dieser Verfahren jedoch unterlassen. Das Gericht konnte nicht feststellen, dass der Angeklagte infolge einer Arbeitsüberlastung nicht in der Lage gewesen wäre, die Verfah­ren sachgemäß und zeitnah zu erledigen. Ebenso wenig ließ sich für die Große Strafkammer feststellen, dass der Ange­klagte die Verfahren etwa aus den Augen verloren hätte, diese gleichsam versehentlich lie­gen geblieben oder ihm „durchgerutscht“ wären.“

Zwei der sechs Fälle waren übrigens verjährt, in den übrigen vier Fällen konnten die Verfahren noch durchgeführt werden. Es ging dabei um Ermittlungsverfahren u.a. wegen Betrugs, versuchten Totschlags, Körperverletzung und sexuellen Missbrauchs.

Das Urteil des LG Freiburg ist nicht rechtskräft. Vermutlich hören wir zu der Sache also noch etwas vom BGH. Bahnbrechend Neues wird es allerdingsw ahrscheinlich nicht sein, denn das LG weist zu Recht darauf hin:

„Auch ein Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz durch pflichtwidrige Verfahrensverzögerung kann den Tatbestand der Rechtsbeugung erfüllen, insbesondere dann, wenn die Bedeutung des Beschleunigungsgebotes besonders hervorgehoben ist, wie beispielsweise in Haftsachen aufgrund Art. 2 Abs. 2 S. 2, 104 GG und Art. 5 Abs. 3, Abs. 4 MRK (vgl. BGHSt 47, 105, Rn. 11; OLG Karlsruhe, a.a.O.). Darüber hinaus gilt dies aber auch bei „Weglegen“ von Akten, unvertretbarem und sachwidrigen Hinausschieben gebotener Entscheidungen und sonstigem Unterlassen (Fischer, a.a.O., § 339 Rn. 24).“