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Terminsgebühr nach zu später Absage des Termins, oder: Rechtsanwalt muss nicht im Saal „erscheinen“

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Und dann heute der letzte Arbeitstag in 2022. Auch hier ist heute der Tag, an dem ich in 2022 zum letzten Mal Entscheidungen vorstelle. Und da es Freitga ist, gibt es – traditionsgemäß – Gebührenentscheidungen. Zum Glück hatte ich noch zwei Entscheidungen in meinem Blogordner, die (weitgehend) zutreffend entschieden haben.

Ich beginne mit dem OLG Brandenburg, Beschl. v. 10.08.2022 – 1 Ws 22/22 (S) , der leider erst jetzt veröffentlicht worden ist. Er behandelt die Frage nach der Terminsgebühr nach Vorbem. 4 Abs. 3 Satz 2 VV RVG in den Fällen des sog. „geplatzten Termins“.

Die Rechtsanwältin war Pflichtverteidigerin des Angeklagten. In dem Verfahren, in dem sie für den Angeklagten tätig geworden ist, hat die Hauptverhandlung vor der Strafkammer des LG Neuruppin als große Jugendkammer vom 05.05. 2021 bis zum 26.08.2021 stattgefunden. Es war für den 25.05.2021 ein Fortsetzungstermin bestimmt. Dieser Termin ist wegen plötzlicher Erkrankung eines Schöffen kurzfristig aufgehoben worden. Die Abladung erreichte die Pflichtverteidigerin telefonisch am Morgen jenes Sitzungstages in einem Hotel in Neuruppin, nachdem die in D. ansässige Rechtsanwältin anlässlich des Termins bereits am Vorabend angereist war.

Im Rahmen der Vergütungsfestsetzung hat die Pflichtverteidigerin u.a. die Festsetzung einer Terminsgebühr Nr. 4120, 4121 VV RVG für den am 25.05.2021 anberaumten, dann aber „geplatzten“ Termin beantragt. Diese Gebühr ist dann nicht festgesetzt worden. Die dagegen eingelegte Erinnerung der Pflichtverteidigerin hatte keinen Erfolg. Das OLG hat auf die Beschwerde hin dann aber die Terminsgebühr festgesetzt:

„1. Die geltend gemachte Terminsgebühr Nr. 4120, 4121 VV RVG in Höhe von 517,00 € nebst 19 % MwSt. Nr. 7008 VV RVG, mithin in Höhe von brutto 615,23 € für den am 25. Mai 2021 zu 10:00 Uhr anberaumten und erst am frühen Morgen des gleichen Tages abgesagten Hauptverhandlungstermin ist vorliegend erstattungsfähig.

Gemäß Vorbemerkung 4 Abs. 3 S. 2 u. 3 zu VV-RVG erhält ein Rechtsanwalt eine Terminsgebühr für die Teilnahme an gerichtlichen Terminen, soweit nichts anderes bestimmt ist. Die gerichtliche Terminsgebühr setzt also grundsätzlich die Tätigkeit eines Rechtsanwalts u.a. in einer Hauptverhandlung nach Aufruf der Sache voraus und erfordert die Anwesenheit in seiner Eigenschaft als verfahrensbeteiligter Rechtsanwalt (vgl. Hartmann/Toussaint, Kostenrecht, 49. Auflage, VV 4106, 4107 Rn. 7). Von dieser Regelung abweichend erhält ein Rechtsanwalt die Terminsgebühr auch dann, wenn er zu einem anberaumten Termin erscheint, dieser aber aus Gründen, die er nicht zu vertreten hat, nicht stattfindet (Vorb. 4 Abs. 3 S. 2 VV RVG). Dies gilt nicht, wenn er rechtzeitig von der Aufhebung oder der Verlegung des Termins Kenntnis erlangt hat (Vorb. 4 Abs. 3 S. 3 VV RVG).

Die von der obergerichtlichen Rechtsprechung bislang vorgenommene enge Auslegung dahingehend, dass ein Rechtsanwalt nur dann zu einem anberaumten Termin erschienen ist, wenn er im Gerichtsgebäude körperlich anwesend ist, greift nach Ansicht des Senats zu kurz (a.A. OLG München, Beschluss vom 23. April 2007 – 1 Ws 986/07 -; Beschluss vom 23. April 2018 – 6 St K 12/18 -; Beschluss vom 04. August 2014 – 6 St K 22/14 -; Beschluss vom 15. September 2014 – 6 St K 24/14 -; OLG Naumburg, Beschluss vom 12. August 2020 – 1 Ws (s) 154/20 -).

In der Gesetzesbegründung heißt es:

„Es ist kein Grund ersichtlich, warum der Verteidiger, der zur Hauptverhandlung erscheint, hierfür keine Gebühr erhalten soll. Er erbringt unter Umständen einen nicht unerheblichen Zeitaufwand schon zur Vorbereitung des Termins. Soweit dieser wegen des Nichtstattfindens der Hauptverhandlung gering ist, lässt sich dies ohne weiteres bei der Bemessung der Gebühr innerhalb des Gebührenrahmens berücksichtigen.“ (BTDrs. 15/1971, S. 221)

Der Senat folgt den Überlegungen des Landgerichts Magdeburg, wonach Sinn und Zweck der Eingrenzung auf den Rechtsanwalt, der „zu einem anberaumten Termin erscheint“, ist, dass derjenige Rechtsanwalt von der Terminsgebühr ausgeschlossen sein soll, der ungeachtet der Terminsaufhebung zu dem Hauptverhandlungstermin ohnehin nicht erschienen wäre (LG Magdeburg, Beschluss vom 15. April 2020 – 21 Ks 5/19 –, Rn. 22, juris).

In systematischer Hinsicht ist zudem der Zusammenhang der Sätze 2 und 3 der Vorbemerkung 4 Abs. 3 VV-RVG zu berücksichtigen. Der erschienene Rechtsanwalt soll die Terminsgebühr – abgesehen von dem Fall seines Vertretenmüssens hinsichtlich der Terminsaufhebung – nur dann nicht erhalten, wenn er rechtzeitig von der Aufhebung oder Verlegung des Termins in Kenntnis gesetzt worden ist.

Es ist zwar weder legaldefiniert noch obergerichtlich geklärt, wann eine Inkenntnissetzung von dem Nichtstattfinden eines Termins rechtzeitig ist, um den Anspruch auf die Terminsgebühr entfallen zu lassen. Es ist insoweit jedoch auch zur Überzeugung des Senats ein Maßstab anzulegen, der dem Rechtsanwalt bei der gebotenen Flexibilität seiner Arbeitsorganisation noch eine anderweitige Nutzung zumindest eines Großteils seiner für den Termin vorgesehenen Arbeitszeit ermöglicht. Das ist sicherlich der Fall, wenn – wie in dem Fall des Beschlusses des Oberlandesgerichts München vom 04. August 2014 (Az. 6 St (K) 22/14) – die Terminsaufhebung dem Rechtsanwalt am Vortag des geplanten Termins zur Kenntnis gelangt.

Wenn dem Begriff der Rechtzeitigkeit überhaupt eine Bedeutung beigemessen werden soll, kann der bereits auf dem Wege zum Gericht befindliche Rechtsanwalt in der Regel nicht mehr als rechtzeitig informiert gelten. Jedenfalls im vorliegenden Fall, bei dem augenscheinlich nicht mehr von einer Rechtzeitigkeit der Inkenntnissetzung von der Terminsaufhebung auszugehen ist, da sich die Verteidigerin nach ihrer knapp 550 km langen Anreise am Vortag bereits in unmittelbarer Nähe und praktisch auf direktem Wege zum Gericht befand, ist die Rechtsanwältin als erschienen anzusehen.

Es wäre eine Wertungswiderspruch, würde man ihr die Terminsgebühr im Gegensatz zu einem Anwaltskollegen, der bei gleichzeitiger Inkenntnissetzung von der Terminsaufhebung das Gericht bereits erreicht hatte, verwehren, nur weil sie die letzten Schritte zum Gericht nicht mehr gegangen ist.“

Dazu ist anzumerken: Der erste Kommentar nach dem Lesen der Ausführungen des OLG zum Anfall der Terminsgebühr nach Vorbem. 4 Abs. 3 Satz 2 VV RVG ist sicherlich bei vielen Leser: Endlich. Ja, richtig. Endlich schlägt ein OLG ein Loch in die Mauer, die in der Rechtsprechung der anderen OLG um die Vorbem. 4 Abs. 3 S. 2 VV RVG gebaut worden ist. Denn bislang haben die OLG in Fällen wie diesen oder in vergleichbaren Konstellationen durch ein Festkleben an der Formulierung „erscheint“ in der Vorbem. 4 Abs. 3 Satz 2 VV RVG ein Mauer errichtet, die schier unüberwindbar erschien. Das hat dazu geführt, dass der Anwendungsbereich der Vorbem. 4 Abs. 3 Satz 2 VV RVG quasi gegen Null tendiert(e), bislang ist auch nur die vom OLG Brandenburg angeführte Entscheidung des LG Magdeburg bekannt geworden, die das unter Hinweis auf den Sinn und Zweck der Ausnahmeregelung zutreffend anders gesehen hat; das OLG Naumburg hatte die Entscheidung dann übrigens aufgehoben – beide waren hier Gegenstand der Berichterstattung. Dem LG Magdeburg schließt sich das OLG nun nter Betonung des Sinns der Regelung an. Das ist zutreffend. Warum und wieso, liegt m.E. auf der Hand. Ich erspare mir die Gründe, auf die ich in den Anmerkungen zu den Entscheidungen schon hingewiesen habe, hier noch einmal zu wiederholen (vgl. dazu auch Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Vorbem. 4 VV Rn 95 ff.). Es ist zu hoffen, dass sich diese – richtige – Sicht nun endlich durchsetzt und die anderen OLG ihre abweichende Rechtsprechung.

Für die Anwendung der Entscheidung bei der Frage, ob ggf. die Terminsgebühr nach Vorbem. 4 Abs. 3 Satz 2 VV RVG entstanden ist, gilt: Der Verteidiger muss nicht im Gerichtssaal erschienen sein. Ausreichend ist, dass er sich bereits auf dem Weg zum Gericht befindet oder sogar schon am Gerichtsort – wie hier – eingetroffen ist und ihn dann erst die Inkenntnissetzung von der Terminsaufhebung erreicht. Das ist nicht mehr rechtzeitig und führt zum Entstehen der jeweiligen Terminsgebühr. Von daher erschließt sich der Hinweis des OLG auf den OLG München, Beschl. v. 04.08.2014 (6 St (K) 22/14, AGS 2025, 70 = RVGreport 2015, 67 = StRR 2014, 451) nicht. Denn in dem dieser Beschluss zugrunde liegenden Verfahren – es war das NSU-Verfahren – war der Verteidiger zu mehreren nacheinander terminierten Hauptverhandlungsterminen von Köln aus angereist und hatte dann erst in München erfahren, dass einer von den Terminen kurzfristig abgesetzt worden war. Das war auf der Grundlage der (neuen) Rechtsprechung des OLG Brandenburg an sich nicht mehr „rechtzeitig“ und hätte zum Anfall der Gebühr führen müssen. Das sieht das OLG Bandenburg aber offenbar (doch) anders, wofür es allerdings eine nachvollziehbare Begründung nicht gibt. Das ist aber nur ein kleiner Schönheitsfehler an der ansonsten insoweit zutreffenden Entscheidung.

Ja, nur „insoweit zutreffend“. Denn das OLG hat noch eine andere Frage entschieden. Die aber leider falsch. Darauf komme ich dann in 2023 zurück.