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OLG Hamm: „Neu“ bei der nachträglichen Sicherungsverwahrung ist nur das, was nachträglich erkennbar geworden ist.

Jetzt hat auch das OLG Hamm in einem brandaktuellen Beschl. v. 05.01.2010 – 4 Ws 348/o9 zur Frage Stellung genommen, was „neue Tatsachen“ i.S. des § 66b StGB sind, die die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung rechtfertigen würden. Auch das OLG Hamm geht – unabhängig von der Entscheidung des BGH in 1 StR 372/09 – davon aus:

„Neu“ in zeitlicher Hinsicht sind deshalb nur solche Tatsachen, die nach der letzten Möglichkeit, Sicherungsverwahrung anzuordnen, erkennbar geworden sind. Dies folgt aus dem Vorrang des Erkenntnisverfahrens (BGH NStZ 2006, 568 (569)). Für die Frage der Neuheit von Tatsachen im Sinne des § 66 b StGB ist der entscheidende Zeitpunkt somit derjenige der letzten Tatsachenverhandlung, in der eine Entscheidung über die primäre Anordnung von Sicherungsverwahrung hätte erfolgen können (BGH a.a.O., BVerfG, StV 2006, 574 (576) = NStZ 2007, 87). Dazu gehört auch das „Nachverfahren“ über die (nachträgliche) Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung, da es Bestandteil des ursprünglichen Erkenntnisverfahrens ist (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl., § 275 a Rn. 3). Daraus folgt für das vorliegende Verfahren, dass nur solche Tatsachen „neu“ im Sinne von § 66 b Abs. 1 StGB sind, die im Verfahren über die Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung nach § 66 a Abs. 2 StGB nicht erkennbar waren oder gewesen wären. Andernfalls würde über § 66 b Abs. 1 StGB die Möglichkeit eröffnet, die Versäumung der zwingenden Frist des § 66 a Abs. 2 StGB über das Verfahren nach § 66 b Abs. 1 StGB zu umgehen, was nach den oben angeführten Grundsätzen in keinem Fall zu rechtfertigen wäre.“

Zu dieser Rechtsprechung passt dann abschließend die Meldung in der heutigen Tageszeitung, wonach die Bundesregierung eine Reform des Rechts der Sicherungsverwahrung plane.

Nachträgliche Sicherungsverwahrung: Was sind neue Tatsachen i.S. von § 66b Abs. 2 StGB??? Der BGH gibt die Antwort

Der BGH hat mit Urteil vom heutigen Tag in 3 StR 372/09 zum Begriff der „neuen Tatsache“ i.S. von § 66b Abs. 2 StGB Stellung genommen und ein Urteil des LG München I bestätigt (vgl. dazu die PM des BGH). „Neu“ sind danach Tatsachen dann nicht, wenn sie bereits bei der Anlassverurteilung erkennbar oder – wie im entschiedenen Fall– sogar schon bekannt waren. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts sind Tatsachen insbesondere dann nicht „neu“, wenn der Hang und die Gefährlichkeit aufgrund bereits damals bekannter und unverändert gebliebener Tatsachen lediglich anders bewertet werden. Das ist hier der Fall. Deshalb muss die auf gleicher Tatsachengrundlage bloß veränderte Bewertung von Hang und Gefährlichkeit als neue Tatsache ausscheiden. Andere „neu“ bekannt gewordene Tatsachen, insbesondere während des Strafvollzugs, auf welche die Gefährlichkeit gestützt werden könnte, hat das Landgericht nicht festgestellt.

Die Entscheidung ist m.E. nicht nur für die SV von Interesse, sondern auch für die Absprache. Denn auch da erlauben nur „neue Tatsachen“ nach § 257c Abs. 4 S. 1 StPO; dass sich das Gericht von der Bindungswirkung der Absprache löst.

EGMR: Deutsches Recht zur Sicherungsverwahrung verstößt gegen EMRK

Der EGMR hat heute ein Urteil über die Verlängerung der Sicherungsverwahrung von Straftätern verkündet. Der EGMR beanstandet darin, dass der deutsche Gesetzgeber die ursprünglich vorgesehene Höchstfrist der Sicherungsverwahrung von 10 Jahren auch für solche Straftäter aufgehoben hat, die ihre Tat schon vor dem Zeitpunkt der Gesetzesänderung begangen hatten. Der EGMR sieht darin einen Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Das Bundesverfassungsgericht hatte in seinem Urteil vom 05.02.2004 (2 BvR 2029/01) die Vereinbarkeit der Aufhebung der Höchstfrist auch für solche „Altfälle“ mit dem Grundgesetz bestätigt.

Das BMJ teilt dazu u.a. mit:

Da das Urteil des EGMR nach dem Maßstab der Europäischen Menschenrechtskonvention zu einem anderen Ergebnis kommt, bedarf seine Begründung einer ausführlichen Analyse und einer sorgfältigen rechtlichen Bewertung. Tragfähige Schlüsse auf mögliche Konsequenzen für das deutsche System der Sicherungsverwahrung können erst nach Abschluss dieser Prüfung gezogen werden.

Das Urteil des EGMR ist zunächst nicht endgültig und daher nicht unmittelbar verbindlich. Die Bundesregierung erwägt, gemäß Art. 43 EMRK die Verweisung der Rechtssache an die Große Kammer des EGMR zu beantragen. Im Lichte des endgültigen und für die Bundesrepublik Deutschland verbindlichen Urteils wird dann entschieden, auf welche Weise der festgestellte konventionswidrige Zustand beendet werden kann.

Eine zentrale Rolle wird auch die Frage spielen, wie auf rechtsstaatlicher Grundlage der notwendige Schutz der Bevölkerung vor notorisch gefährlichen Straftätern mit dem unbedingten Ausnahmecharakter der Sicherungsverwahrung sachgerecht zum Ausgleich gebracht werden kann.

vgl. PM vom heutigen Tage.

Ich frage mich: Was muss man denn da groß prüfen und analysieren. Der EGMR hat doch gesagt: Gewogen und zu leicht befunden.

EGMR, Urt. v. 17.12.2009 – 19359/04

Einschränkung nachträglicher Sicherungsverwahrung vom Großen Senat für Strafsachen des BGB bestätigt

Der Große Senat für Strafsachen des BGH hat mit Beschluss v. 07.10.2008 die Einschränkung einer nachträglichen Sicherungsverwahrung nach der Erledigung der Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus bei offener Strafverbüßung in derselben Sache bestätigt.

Der Große Senat hatte aufgrund einer Vorlage des 4. Strafsenats über die Frage eingeschränkter Anwendbarkeit der Spezialvorschrift des § 66b Abs. 3 StGB zu entscheiden, welche die Anordnung nachträglicher Sicherungsverwahrung gegen Verurteilte betrifft, bei denen die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus mangels Fortdauerns der dem zugrunde liegenden stabilen psychischen Störung für erledigt erklärt wurde, von denen aber trotzdem in Zukunft die Begehung gravierender Straftaten zu erwarten ist. Der 1. Strafsenat hatte die Anwendung in einer Entscheidung vom 28.08.2007 (Az.: 1 StR 268/07) auf Fälle noch offener Reststrafverbüßung aus derselben Verurteilung ausgeschlossen.

Der Große Senat bestätigte diese bisherige Rechtsprechung. Die restriktive Auslegung entspricht der eindeutigen Auffassung des Gesetzgebers in dem im Jahre 2004 durchgeführten Gesetzgebungsverfahren, sie widerstreitet dem Wortlaut der Norm nicht und steht im Einklang mit Systematik und Zweck des Gesetzes. Danach kommt nachträgliche Sicherungsverwahrung gemäß § 66b Abs. 3 StGB regelmäßig nur gegen Täter in Betracht, die wegen angenommener Schuldunfähigkeit nicht bestraft, sondern nur im psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden waren. Auf Täter, die wegen nicht aufgehobener, sondern nur erheblich verminderter Schuldfähigkeit daneben auch bestraft worden waren, ist § 66b Abs. 3 StGB hingegen nur in seltenen Ausnahmefällen anzuwenden, weil die verhängte Strafe in diesen Fällen regelmäßig nur zum Teil vor der Unterbringung vollstreckt wird. Bei fortdauernder massiver Gefährlichkeit solcher Verurteilter für die Allgemeinheit bleibt jedoch die Möglichkeit der Anordnung nachträglicher Sicherungsverwahrung nach den anderen Absätzen des § 66b StGB. Dabei sind die hierfür erforderlichen neuen Tatsachen gegeben, wenn vor dem Hintergrund der nicht (mehr) vorhandenen Voraussetzungen der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus die qualifizierte Gefährlichkeit des Verurteilten nunmehr auf abweichender Grundlage belegt ist.