Als zweite Entscheidung stelle ich dann das OLG Braunschweig, Urt. v. 14.07.2025 – 1 ORs 20/25 – zur Strafzumessung bei einer Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit versuchtem schweren sexuellen Missbrauch von Kindern vor.
Der Angeklagte ist im Berufungsverfahren, nachdem vom AG eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten festgesetzt worden war, vom LG noch zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden. Dagegen die Revision der Staatsanwaltschaft und die des Nebenklägers, die keinen Erfolg hatte. Das landgerichtliche Urteil hat beim OLG auch hinsichtlich der Strafzumessung Bestand. Das begründet das OLG recht umfangreich:
„2. Der Strafausspruch hält den Angriffen der Revisionen ebenfalls stand.
Die Kammer hat ihrer Strafzumessung zu Recht den Strafrahmen des § 176 Abs. 1 StGB zugrundegelegt, da dieser im vorliegenden Fall nach der Milderung des Strafrahmens des § 176c Abs 1 StGB gem. §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB die schwerste Strafe androht (§ 52 Abs. 2 Satz 1 StGB). Der Strafrahmen des § 176 Abs. 1 StGB ist identisch mit dem Strafrahmen der zugleich verübten sexuellen Nötigung gem. § 177 Abs. 5 StGB.
Die Entscheidung der Kammer, eine Verschiebung des Strafrahmens des § 176c Abs. 1 Nr. 2a StGB gem. §§ 23, 49 Abs. 1 StGB vorzunehmen, weist keine durchgreifenden Rechtsfehler auf.
Liegt ein Versuch vor oder ist das nach dem Grundsatz in dubio pro reo nicht auszuschließen, hat der Richter nach seinem pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden, ob er den milderen Sonderstrafrahmen zugrunde legen will. Aus den Urteilsgründen muss hervorgehen, dass ihm die Möglichkeit der Strafmilderung bewusst war und dass er sie erwogen hat. Auch muss das Urteil verdeutlichen, von welchem Strafrahmen die Kammer ausgegangen ist. Die formelhafte Wendung, die Strafe sei wegen Versuchs gemildert worden, genügt nicht, denn sie gibt nicht zu erkennen, von welchem Strafrahmen ausgegangen und was der Milderung zugrunde gelegt worden ist. (vgl. Murmann in: Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Aufl., § 23, Rn. 43).
Die Begründung für oder gegen eine Strafrahmenmilderung muss erkennbar machen, dass die hierfür maßgeblichen Gesichtspunkte Beachtung gefunden haben und in die Abwägung einbezogen wurden. Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH ist eine Gesamtschau aller tat- und täterbezogenen Faktoren vorzunehmen, die neben der Persönlichkeit des Täters die Tatumstände im weitesten Sinne insbesondere die versuchsbezogenen Gesichtspunkte einbezieht wie die Nähe zur Tatvollendung, die Gefährlichkeit des Versuchs und die eingesetzte kriminelle Energie (vgl. nur BGH, Urteil vom 6. September 1989, 2 StR 353/89, juris, Rn. 12; Urteil vom 15. Juni 2004, 1 StR 39/04, juris, Rn. 10; Urteil vom 22. November 2017, 2 StR 166/17, juris, Rn. 17).
Diesen Anforderungen ist die Kammer, auch eingedenk des begrenzten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs, nach dem die Entscheidung des Tatgerichts bis zur Grenze der Vertretbaren hinzunehmen ist (vgl. BGH, Urteil vom 15. Juni 2004, 1 StR 39/04, juris, Rn. 14), gerecht geworden.
Die Kammer hat alle wesentlichen Gesichtspunkte, die für oder gegen eine Versagung der Versuchsmilderung sprechen können, gesehen und gewertet.
Sie hat ausgeführt, sie habe zunächst die relative Nähe zum Taterfolg berücksichtigt. Der Angeklagte habe bereits den nackten Penis zwischen die nackten Pobacken des Kindes gedrückt und sein Glied dazwischen hin- und hergerieben. Gleichwohl habe sie (auch) in die Bewertung einbezogen, dass der Angeklagte bei der Tat nicht alle für die Herbeiführung des Erfolges erforderlichen Handlungen unternommen habe. So habe er keine Hilfsmittel verwendet, habe nicht mit der Hand oder den Fingern nachgeholfen, was die Herbeiführung des Taterfolges hätte begünstigen können, sein Penis sei bei der Tat nicht vollständig erigiert gewesen und es habe sich insgesamt um einen wenige Minuten dauernden Übergriff gehandelt. Erschwerend hat die Kammer weiter berücksichtigt, dass sich der Übergriff im familiären und vertrauten Umfeld des Jungen ereignet habe, wobei der Angeklagte bewusst das Vertrauen des Kindes und dessen Mutter ausgenutzt habe. Daneben hat die Kammer auch die Tatfolgen für das Kind (Beeinträchtigungen in seiner Lebensführung in den darauffolgenden Wochen und Monaten, Traumatherapie, kurzfristiger Vertrauensverlust zu anderen ihm nahestehenden Personen [z.B. dem Großvater], nicht altersentsprechendes Sexualverhalten) sowie die Folgen für die Eltern des Kindes berücksichtigt. Schließlich hat die Kammer erschwerend das deutlich unter der Schutzaltersgrenze liegende Alter des neunjährigen Kindes, die große Berührungsintensität, die Nichtverwendung eines Kondoms und die tateinheitliche Verwirklichung von drei Tatbeständen berücksichtigt, wobei insbesondere die durch das Festhalten des Jungen angewendete Gewalt den Unrechtsgehalt der Tat gesteigert habe, auch wenn das Kind allenfalls leichte Schmerzen verspürt habe.
Jedoch seien – so die Kammer – bei der anzustellenden Gesamtabwägung gewichtige Umstände für den Angeklagten zu berücksichtigen, nämlich dass es sich um einen spontan gefassten Tatentschluss gehandelt habe, der Angeklagte die Tat nicht vorbereitet und einen Tatort in der Öffentlichkeit gewählt habe, an dem Entdeckungsgefahr bestanden habe, so dass die Kammer die kriminelle Energie des Angeklagten als verhältnismäßig gering einschätze. Für den Angeklagten spreche weiter, dass er weder vor noch nach der Tat strafrechtlich in Erscheinung getreten sei, die Tat längere Zeit (2 Jahre 5 Monate) zurückliege und sich der Angeklagte in der Berufungsverhandlung vollständig und uneingeschränkt geständig eingelassen habe, was zwar erst zu einem recht späten Zeitpunkt des Verfahrens geschehen sei, aus Sicht der Kammer aber auch die bereits stattgefundene Reflexion seines Fehlverhaltens zeige. Auch habe er Umstände der Tat eingeräumt, deren Nachweis ohne seine geständige Einlassung deutlich erschwert gewesen wären. Er habe sich in der Berufungshauptverhandlung für die Tat entschuldigt und als Beitrag zur Wiedergutmachung des Schadens eine Zahlung von 6.000,- € angeboten. Er habe freiwillig über den Zeitraum von zwei Jahren eine Psychotherapie absolviert, wenngleich es sich nicht um eine Sexualtherapie oder um eine Behandlung gehandelt habe, die allein auf eine spezifische Aufarbeitung des gegenständlichen sexuellen Übergriffs gerichtet gewesen sei. Indes sei auch der inkriminierte Sachverhalt im Rahmen der Behandlung zur Sprache gekommen, worin jedenfalls zum Ausdruck komme, dass der Angeklagte bereit sei, sich mit sich und seiner Tat auseinanderzusetzen. Der Angeklagte sei auch weiterhin therapiebereit. Als Ersttäter sei der Angeklagte besonders haftempfindlich; aufgrund des außer Vollzug gesetzten Haftbefehls habe ihm eine freiheitsentziehende Maßnahme unmittelbar gedroht. Schließlich sei die Tat auch für den Angeklagten nicht ohne Folgen geblieben. Er habe seine Wohnung verloren und sei innerhalb der Verwandtschaft aufgrund der Tat weitgehend isoliert.
Wenn die Kammer nach alldem eine Strafmilderung nach den §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB vorgenommen hat, hat der Senat als Revisionsgericht dies hinzunehmen. Rechtsfehler, die ein Eingreifen durch den Senat ermöglichen und notwendig machen würden, lässt die Entscheidung der Kammer für eine Versuchsmilderung nicht erkennen.
Soweit die Staatsanwaltschaft meint, eine größere Nähe zur Vollendung eines schweren sexuellen Missbrauchs sei nicht vorstellbar, zudem habe die Kammer keine Feststellungen dahingehend getroffen, dass dem Angeklagten überhaupt Hilfsmittel wie z.B. eine Gleitcreme zur Verfügung gestanden hätten, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Die Kammer hat in dem Zusammenhang u.a auch darauf abgestellt, dass der Angeklagte weder seine Hand noch seine Finger zu Hilfe genommen habe, um, wenngleich das so von der Kammer nicht ausdrücklich bezeichnet wird, indes aus dem Zusammenhang geschlossen werden kann entweder seinem Penis die richtige Richtung bzw. mehr Druck zu geben oder den Anus des Jungen zu weiten oder seine eigene Erektion zu verstärken. Dies wäre dem Angeklagten auch während des nur wenige Minuten dauernden Übergriffs möglich gewesen, so dass der von der Generalstaatsanwaltschaft gesehene vermeintliche Widerspruch nicht besteht. Soweit die Generalstaatsanwaltschaft weiter darauf abstellt, dass der Penis des Angeklagten nach den Feststellungen der Kammer nicht vollständig erigiert war, es ihm mithin gar nicht möglich gewesen sei, eine Tatvollendung überhaupt zu erreichen, hätte er dazu wie ausgeführt seine Hand zu Hilfe nehmen können.
Soweit die Staatsanwaltschaft darauf abstellt, die Kammer habe außer Acht gelassen, dass der Nebenkläger mehrfach bekundet habe, der Penis des Angeklagten sei „in seinem Po“ bzw. „in dem Loch“ gewesen, verkennt sie, dass die Kammer dies ausweislich ihrer Beweiswürdigung gerade nicht feststellen konnte. Solche Umstände dürfen dann bei der Abwägung im Rahmen der Strafzumessung ebenfalls nicht verwendet werden. Gleiches muss für das subjektive Empfinden des Tatopfers gelten. Wenn eine Tat nach den Urteilsfeststellungen nicht vollendet worden ist, ist dies auch bei der Abwägung zugrunde zu legen. Unabhängig davon stellt die Staatsanwaltschaft im Rahmen ihrer eigenen Abwägung, die sie in unzulässiger Weise an die Stelle der Kammer zu setzen versucht, allein auf die Nähe zur Vollendung der Tat ab und lässt sämtliche andere Gesichtspunkte außer Acht. Dies genügt der erforderlichen Gesamtabwägung jedoch gerade nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 10. September 2013, 2 StR 353/13, juris, Rn. 5).
Der Staatsanwaltschaft ist hingegen zuzugestehen, dass die Kammer bei der Strafzumessung im engeren Sinne den Umstand, dass die Kindesmutter den Angeklagten aufgrund der Tat der Wohnung verwiesen hat, zu Unrecht als strafmildernden Umstand berücksichtigt hat, da solche Nachteile, die der Täter entweder bewusst riskiert hat oder die sich ihm aufdrängen mussten, i.d.R. nicht zu einer Milderung führen (vgl. Fischer, StGB, 72. Aufl., § 46, Rn. 34d). Dass das Verhalten des Angeklagten die fristlose Kündigung eines wohl bestehenden Mietverhältnisses rechtfertigt, liegt auf der Hand. Der Senat kann jedoch aufgrund der zahlreichen weiteren strafmildernden Umstände, die die Kammer zuvor benannt und damit (wohl) stärker gewichtet hat, ausschließen, dass die Kammer ohne Berücksichtigung dieser Folge der Tat für den Angeklagten die Strafe höher als geschehen festgesetzt hätte.
Auch die Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung der Strafe zur Bewährung gem. § 56 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 3 StGB ist angesichts des
eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs rechtsfehlerfrei. Bei der Entscheidung über die Strafaussetzung ist dem Tatrichter ein weiterer Beurteilungsspielraum zuerkannt, in dessen Rahmen das Revisionsgericht jede rechtsfehlerfrei begründete Entscheidung hinzunehmen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 22. März 2023, 6 StR 98/23, juris, Rn. 3, m.w.N.; OLG Braunschweig, Urteil vom 22. März 2023, 1 Ss 40/22, juris, Rn. 39). Hat das Tatgericht die für und gegen die Aussetzung sprechenden Umstände gesehen und gewürdigt ist dessen Entscheidung vom Revisionsgericht auch dann hinzunehmen, wenn eine andere Bewertung denkbar gewesen wäre. Diesen Anforderungen ist die Kammer gerecht geworden. Sie hat im Rahmen der Prognose (§ 56 Abs. 1 StGB) insbesondere auf die bisherige Unbestraftheit des Angeklagten, seine sozio-ökonomischen Lebensbedingungen und auf die schon wenige Monate nach der Tat absolvierte Psychotherapie abgestellt sowie hinsichtlich § 56 Abs. 2 StGB zusätzlich auf die vergleichsweise hohe Geldsumme, die der Angeklagte zur Schadenswiedergutmachtung angeboten hat.“
