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(Bloße) Wahrnehmung einer sexuellen Handlung durch ein Kind – ist das sexueller Missbrauch?

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In der Rechtsprechung des BGH zum sexuellen Missbrauch von Kindern scheint sich ein Streit zwischen den Senaten zu entwickeln. Ausgangspunkt ist u.a. das BGH, Urt. v. 12. 05. 2012 – 4 StR 699/10 – NStZ 2011, 633. In diesem hatte der 4. Strafsenat ausgeführt, dass es zur Erfüllung des Tatbestandes des sexuellen Missbrauchs von Kindern in der Form der Vornahme sexueller Handlungen vor einem Kind (§ 176 Abs. 4 Nr. 1 StGB) nicht ausreicht, dass das Kind die sexuelle Handlung (nur) wahrnimmt und der Täter dies erkennt. Erforderlich soll vielmehr sein, dass der Täter das Kind in der Weise in das sexuelle Geschehen einbezieht, dass für ihn gerade die Wahrnehmung der sexuellen Handlung durch das Kind von Bedeutung ist (vgl. auch noch BGH, Urt. v.14. 12.2004 – 4 StR 255/04).

Bedenken gegen dies Rechtsprechung hat jetzt der 3. Strafsenat des BGH im BGH, Beschl. v. 13. 11. 2012 – 3 StR 370/12 – angemeldet, und zwar bei folgendem Sachverhalt:

Der Angeklagte vergewaltigte nachts in der Wohnung seine Lebensgefährtin. Dies wurde von ihrem gemeinsamen fünfjährigen Sohn Christophe beobachtet. Er hatte in dem als Wohn- und Schlafzimmer genutzten Raum geschlafen, war aufgewacht und rief nun: „Papa macht Mama Aua“. Der Angeklagte nahm darauf keine Rücksicht und setzte die erzwungene sexuelle Handlung noch für ungefähr zehn Minuten fort

Dazu der 3. Strafsenat in seiner Entscheidung:

Diese Einschränkung des Tatbestands durch eine einengende Auslegung des Merkmals „wahrnehmen“ in § 184g Nr. 2 StGB in subjektiver Hinsicht mag in bestimmten Situationen (z.B. sexuellen Handlungen von Eltern in Anwesenheit des Kindes bei beengten Wohnverhältnissen) geboten sein, um einer Ausdehnung der Strafbarkeit entgegenzuwirken, die dadurch entstanden ist, dass der Gesetzgeber bei der Neufassung der Vorschrift durch das 6. Strafrechtsreformgesetz auf das Erfordernis der Tatmotivation einer sexuellen Erregung verzichtet hat (vgl. BGH, Urteil vom 14. Dezember 2004 – 4 StR 255/04, BGHSt 49, 376, 380). Der Senat hat allerdings Zweifel, ob dem auch für eine Konstellation zu folgen wäre, in der das Kind Zeuge einer Vergewaltigung der Mutter wird (anders indes BGH aaO).

Der Senat musste die Frage allerdings nicht entscheiden, da der Generalbundesanwalt einer Beschränkung der Strafverfolgung auf den Vorwurf der Vergewaltigung gemäß § 154a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StPO zugestimmt hatte. So geht es dann manchmal im Revisionsrecht.

 

Zeugin erkennt „ihr auf der Hülle eines Porno-Videos gezeigte männliche Genitalien nicht als solche“ – Folge?

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Das LG hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern verurteilt. Der BGH hebt auf die Revision des Angeklagten im BGH, Beschl. v.  28.08.2012 – 4 StR 155/12 auf, weil ihm die Feststellungen zur inneren Tatseite, also zum Vorsatz des Angeklagten nicht genügen. Die Strafkammer hatte nicht genügend zur sog. Schutzaltersgrenze festgestellt:

„Der innere Tatbestand des § 176 Abs. 1 StGB ist erfüllt, wenn der Täter in Bezug auf alle objektiven Tatbestandsmerkmale zumindest bedingten Vorsatz hat (BGH, Beschluss vom 12. August 1997 – 4 StR 353/97, Rn. 5). Das Landgericht hat nicht festgestellt, dass der Angeklagte mit der Möglichkeit rechnete oder gar wusste, dass die Zeugin im Zeitpunkt der Taten das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Auch dem Gesamtzusammenhang der Urteils-gründe kann dies nicht zweifelsfrei entnommen werden.

Nach den Feststellungen reichte der Tatzeitraum bis zum Tag vor dem 14. Geburtstag der Zeugin, diese wohnte in einer Nachbarwohnung und hielt sich zusammen mit ihrer Schwester häufiger in der Wohnung des Angeklagten auf. Gelegentlich betreute sie dessen Kinder, wenn er mit seiner Ehefrau aus-ging. Bei dieser Sachlage hätte es näherer Feststellungen dazu bedurft, ob der Angeklagte das Alter der Zeugin kannte oder ob die Zeugin zur Tatzeit – auch vom Angeklagten erkannt – nach ihrem Erscheinungsbild und ihrem Verhalten wie ein noch nicht 14 Jahre altes Kind wirkte (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Oktober 2002 – 3 StR 358/02, StV 2003, 393; Beschluss vom  12. August 1997 – 4 StR 353/97, Rn. 5). Allein der Umstand, dass sie ihr auf der Hülle eines Porno-Videos gezeigte männliche Genitalien nicht als solche erkannte, reicht nicht aus, um einen bedingten Vorsatz des Angeklagten in Bezug auf eine Unterschreitung der Schutzaltersgrenze zu belegen.“

 

„Paar zeugt Kind für Missbrauch“

so ist ein Artikel überschrieben, in dem in der SZ über einen Missbrauchsprozess beim LG Essen berichtet wird (vgl. dazu hier). Wenn man den Bericht liest, ist man schon fassungslos. Allerdings, wenn es denn so stimmt, wie es die SZ berichtet.

Rechtlich interessant an dem Fall ist m.E. aber die Frage – und die lässt sich anhand des SZ-Berichtes nicht beantworten: Ist die Absicht, das Kind zum Missbrauch zu zeugen – wenn das denn ordnungsgemäß festgestellt worden ist – ggf. strafschärfend berücksichtigt worden? Nur das ist m.E. möglich, da ich einen Straftatbestand in dem Geschehen zunächst mal als nicht erfüllt ansehe. Und wenn man das berücksichtigt hat: Geht das bzw. ist das zulässig, oder ist das eine Art von „Gesinnungsstrafrecht“?. Die Frage wird sicherlich demnächst den BGH beschäftigen – bei den Strafen von acht und fünf Jahren wird im Zweifel Revision eingelegt werden.

Sex in der Schule – der Religionslehrer und die 14-jährige Schülerin – Volltext hier

Das OLG Koblenz, Beschl. v. 29.12.2011 – 1 Ss 213/11 hat ja vor einigen Tagen die Gemüter/Blogs und die (Boulevard)Presse bewegt/aufgeregt. Damit war zu rechnen, Religionslehrer, 14-jährige Schülerin, Sex im Putzraum der Schule. Das ist der Stoff, aus dem man Meldungen macht.

Inzwischen habe ich vom Kollegen den Volltext der Entscheidung erhalten und sie eingestellt. M.E. recht überzeugend begründet der Freispruch durch das OLG. Es geht/ging eben um die  Anforderungen an ein Obhutsverhältnis i.S. des § 174 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB und die hat das OLG auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen verneint.

Damit keine strafrechtliche Schuld – über alles andere wird man reden können/müssen.

Sexueller Missbrauch – auf offener Straße? Eher unwahrscheinlich

Das  ist von folgenden Feststellungen ausgegangen:

Der Angeklagte begleitete „die ihm unbekannte neun Jahre alte Grundschülerin C. auf ihrem Schulweg. Dabei erzählte er ihr, dass zwei etwa 12 Jahre alte Freundinnen seiner Tochter bei ihm zuhause gebadet hätten. Eine von ihnen habe auf seine Aufforderung hin seinen Penis angefasst und sei anschließend von ihm von hinten „gefickt“ worden. Im Anschluss daran forderte er C. auf, ebenfalls seinen Penis anzufassen. Diese weigerte sich, ging aber weiter neben dem Angeklagten her. Kurz darauf kam ihr Vater hinzugeeilt und stellte den Angeklagten zur Rede. Ob C. die Bedeutung des Wortes „Ficken“ geläufig war, vermochte das Landgericht nicht sicher festzustellen. Sie war jedoch in der Lage, sowohl den sexu-ellen Bezug der Erzählungen, als auch den Inhalt der an sie gerichteten Aufforderung zu erfassen. Noch am Folgetag wirkte sie deshalb peinlich berührt.“

Das LG hat in den Erzählungen des Angeklagten einen sexuellen Missbrauch von Kindern im Sinne von § 176 Abs. 4 Nr. 4 StGB und in der sich anschließenden Aufforderung seinen Penis anzufassen einen hierzu in Tateinheit stehenden versuchten sexuellen Missbrauch eines Kindes gemäß § 176 Abs. 1 Fall 2, Abs. 6 Halbsatz 1; § 23 Abs. 1, § 22 StGB gesehen.

Der BGH sieht das im BGH, Beschl. v. 27.09.2011 – 4 StR 454/11 – anders:

„Ein versuchter sexueller Missbrauch eines Kindes wird durch die Feststellungen nicht belegt.

Eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt (§ 22 StGB). Noch nicht tatbestandsmäßige Handlungen erfüllen diese Voraussetzungen nur dann, wenn sie nach dem Tatplan der Verwirklichung eines Tatbestandsmerkmals so dicht  vorrgelagert sind, dass das Geschehen bei ungestörtem Fortgang ohne weiteren Zwischenakt in die Tatbestandsverwirklichung einmündet (BGH, Urteil vom 16. Januar 1991 – 2 StR 527/90, BGHSt 37, 294, 297 f.; Fischer, StGB, 58. Aufl., § 22 Rn. 10 mwN). Danach kann in der Aufforderung des Angeklagten, seinen Penis anzufassen, nur dann ein unmittelbares Ansetzen zur Verwirklichung des Tatbestandes des § 176 Abs. 1 Fall 2 StGB gesehen werden, wenn der Angeklagte dabei angenommen hat, dass es im unmittelbaren Anschluss – also auf offener Straße – zur Vornahme der angestrebten sexuellen Handlung kommt. Ausdrückliche Feststellungen hierzu hat das Landgericht nicht getroffen. Obgleich der Angeklagte in der Vergangenheit mehrfach wegen exhibitionistischer Handlungen und Vornahme sexueller Handlungen in der Öffentlichkeit verurteilt werden musste, versteht sich ein solcher Tatplan hier nicht von selbst.“

M.E. zutreffend. Das Ansetzen zur Verwirklichung des Tatbestandes auf offener Straße dürfte eher unwahrscheinlich sein.