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Pflichti I: Rechtsfragen aus Bereichen außerhalb des Kernstrafrechts

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Ich eröffne den heutigen Tag – ein „Pflichtverteidigungstag“ 🙂 – mit dem KG, Beschl. v. 09.02.2016 – (4) 121 Ss 231/15 (5/16) – betreffend die Frage der Beiordnung eines Pflichtverteidigers für die Berufungshauptverhandlung, die in Abwesenheit eines Verteidigers stattgefunden hat (§ 338 Nr. 5 StPO). Das KG meint: Dem Angeklagten hätte ein Pflichtverteidiger beigeordnet werden müssen, denn:

„Aber die Schwierigkeit der Rechtslage machte die Mitwirkung eines Verteidigers an der Berufungshauptverhandlung notwendig.

(1) Eine solche Schwierigkeit besteht insbesondere dann, wenn nicht abschließend geklärte Rechtsfragen namentlich aus Bereichen außerhalb des Kernstrafrechts entscheidungserheblich sind oder wenn die Subsumtion im Einzelfall problematisch ist (vgl. OLG Hamburg StV 2011, 655 m.w.Nachw.). Das ist vorliegend im Hinblick auf die Frage der (Un-)Möglichkeit der Handlungspflichterfüllung durch den Angeklagten der Fall.

Sowohl der Bankrott nach § 283 Abs. 1 Nr. 7b) StGB als auch die Verletzung der Buchführungspflicht gemäß § 283b Abs. 1 Nr. 3b) StGB sind echte Unterlassungsdelikte. Die Strafbarkeit nach den genannten Normen entfällt daher bei rechtlicher oder tatsächlicher Unmöglichkeit der Bilanzerstellung. Eine solche Unmöglichkeit wird nach herrschender Meinung und der gefestigten obergerichtlichen Rechtsprechung insbesondere dann angenommen, wenn sich der Pflichtige zur Erstellung der Bilanz oder zu ihrer Vorbereitung der Hilfe eines Steuerberaters bedienen muss, die hierfür erforderlichen Mittel jedoch nicht aufbringen kann (vgl. BGHSt 28, 231; NStZ 1992, 182; NStZ 1998, 192; BGH wistra 2003, 232; OLG Düsseldorf StraFo 1998, 348).

Zwar will eine im Vordringen befindliche neuere Meinung (vgl. etwa Fischer, StGB 63. Aufl., § 283 Rn. 29c; Püschel in Leipold/Tsambikakis/Zöller, AK-StGB 2. Aufl., § 283, Rn. 27, 20) mit beachtlichen Argumenten auch hier einen Rückgriff auf die Rechtsfigur der omissio libera in causa in Betracht ziehen und dem Bilanzierungspflichtigen die – strafbefreiende – Berufung auf die finanzielle Unmöglichkeit der Beauftragung eines Steuerberaters versagen, wenn er trotz sich abzeichnender Liquiditätsprobleme eingehende Zahlungen und sonstige Vermögenswerte schuldhaft nicht zur Bildung von Rücklagen zur Bezahlung der externen Bilanzierung genutzt hat. Insoweit soll für die Finanzierung der Buchführungspflichten dieselbe Vorsorgeverpflichtung gelten, wie für die Entrichtung der Sozialversicherungsbeiträge durch den Arbeitgeber im Sinne des § 266a Abs. 1 StGB (vgl. hierzu BGHSt 47, 318).

Der Bundesgerichtshof hat aber – anders als es das angefochtene Urteil und die Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft nahelegen wollen – in seinem Beschluss vom 20. Oktober 2011 (NStZ 2012, 511) ausdrücklich offen gelassen, ob an der bisherigen Rechtsprechung (namentlich: BGH wistra 2003, 232; NStZ 1998, 192, s.o.) „uneingeschränkt festzuhalten ist, oder ob nicht vielmehr – um den gerade für Fälle eingetretener Zahlungsknappheit geschaffenen § 283 Abs. 1 [Nr. 5 und] Nr. 7 StGB nicht leerlaufen zu lassen – ein Geschäftsführer, der ein Unternehmen betreibt, [in vorgenanntem Sinne] so rechtzeitig Vorsorge zu treffen hat, dass das [Führen der Bücher und] Erstellen der Bilanzen gerade auch in der Krise, bei der dem Führen ordnungsgemäßer Bücher besondere Bedeutung zukommt, gewährleistet ist“. Denn in dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall lag es – anders als vorliegend, die abweichende Wertung der Kammer wird von ihren Feststellungen, namentlich zur fachlichen Qualifikation des Angeklagten und seinem beruflichen Werdegang, nicht getragen – nach den Feststellungen des Landgerichts nahe, dass der Angeklagte selbst in der Lage war, eine den handelsrechtlichen Anforderungen genügende Bilanz zu erstellen.

Danach kann nicht davon gesprochen werden, dass die hier entscheidungserhebliche Rechtsfrage, ob das finanzielle Unvermögen der S GmbH zur Beauftragung eines Steuerberaters mit der Erstellung der Bilanzen für die verfahrensgegenständlichen Zeiträume, welches der Angeklagte ausweislich der Gründe des angefochtenen Urteils (auch) in der Berufungshauptverhandlung geltend gemacht hat, ihm die (fristgerechte) Erfüllung seiner Pflicht zur Bilanzerstellung (tatsächlich) unmöglich gemacht hat und seine Strafbarkeit nach den genannten Vorschriften entfallen ließ, abschließend geklärt ist.

(2) Hinzu kommt vorliegend der Umstand, dass sich der Angeklagte in dem Zeitraum, in dem er die Bilanzen hätte erstellen (lassen) müssen, in Privatinsolvenz befand. Dies hinderte ihn möglicherweise, in rechtlich zulässiger Weise die Gelder für die externe Bilanzerstellung für die S GmbH – etwa durch eine Gesellschaftereinlage – aus privaten Mitteln zur Verfügung zu stellen. Zudem erscheint dieser Umstand auch von Relevanz für die Frage, ob der Angeklagte schuldhaft gegen eine etwa anzunehmende Verpflichtung, bei sich abzeichnenden Liquiditätsproblemen der Gesellschaft Rücklagen zur Bezahlung der (externen) Bilanzierung zu bilden, verstoßen hat, wenn er zu diesem Zeitpunkt davon ausgehen konnte, einen mit der Bilanzierung zu beauftragenden Steuerberater gegebenenfalls aus privaten Mitteln bezahlen zu können.“