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Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldes, oder: Welche Folgen waren wann wie absehbar?

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Im Kessel Buntes heute dann zwei Entscheidungen des OLG Düsseldorf.

Zunächst stelle ich das OLG Düsseldorf, Urt. v. 27.04.2021 – 1 U 152/20 – vor. Es geht um ein (weiteres) Schmerzensgeld nach einem schon länger zurückliegenden Schadensereignis. Das macht die Klägerin von den Beklagten wegen einer psychischen Erkrankung, die sie auf einen tödlichen Verkehrsunfall ihres Ehemannes im Jahr 2003 zurückführt, geltend. Am 09.09.2003 hatte ein durch den Beklagten zu 1) geführter und bei der Beklagten zu 3) haftpflichtversicherter Lkw, dessen Halterin die Beklagte zu 2) war, den Ehemann der Klägerin, überrollt, der noch am selben Tag seinen erlittenen Verletzungen erlag. Die alleinige Unfallverantwortlichkeit des LKW-Fahrers steht nicht in Streit.

Die Klägerin hatte daraufhin die Beklagten vor dem LG Duisburg (8 O 334/07) unter anderem auf Schmerzensgeld wegen infolge des Unfalls erlittener psychischer Beeinträchtigungen in Anspruch genommen. Das LG Duisburg holte ein psychiatrisches Gutachten der Sachverständigen K. ein, die bei der Klägerin eine Anpassungsstörung im Sinne einer abnormen prolongierten Trauerreaktion (ICD-10: F 43.21) diagnostizierte. Konkret gelangte die Sachverständige zu folgender Beurteilung: „Bei Frau C. zeigt sich eine anhaltende Trauerreaktion mit einer überwiegend depressiven Reaktion. […] Bei der prolongierten, abnormen Trauerreaktion handelt es sich um eine behandlungsbedürftige Störung. Durch die ambulante Psychotherapie kann die nicht ausreichend geleistete Trauerarbeit nachgeholt werden. Es besteht nach wie vor eine akute Behandlungsbedürftigkeit. Unter intensiver psychotherapeutischer Begleitung ist damit zu rechnen, dass die erhebliche Instabilität und Dysbalance von Frau C. gebessert und stabilisiert werden kann. Dass weitere unfallbedingte Beeinträchtigungen mit Krankheitswert eintreten können, erscheint unter einer psychotherapeutischen Begleitung unwahrscheinlich. Die oben beschriebenen unfallbedingten Beeinträchtigungen zeigen einen prolongierten Verlauf. Unter einer Fortsetzung der ambulanten Psychotherapie ist mittelfristig nicht davon auszugehen, dass eine irreversible schwere Störung bestehen bleibt. Ob vereinzelte Symptome einen dauerhaften Krankheitswert erreichen, ist abschließend nicht sicher zu beurteilen.“

Darüber hinaus wurden in dem Gutachten auch Suizidgedanken der Klägerin behandelt, die etwa bis zum Jahr 2007 bestanden hatten, jedoch zum Zeitpunkt der Exploration nach Einschätzung der Sachverständigen glaubhaft verneint wurden. Auf der Grundlage der sachverständigen Ausführungen entschied das Landgericht Duisburg mit Urteil vom 18.12.2008 u.a., dass die Beklagten ein Schmerzensgeld in Höhe von 5.000,00 Euro an die Klägerin zu zahlen haben und verpflichtet sind, ihr jeden weiteren über den ausgeurteilten Schmerzensgeldbetrag hinausgehenden Schaden aus dem Verkehrsunfall zu ersetzen.

Die Klägerin befand sich ab November 2007 in psychotherapeutischer Behandlung. Weil sie keine Besserung ihres Zustands festzustellen vermochte, brach sie diese Behandlung im Januar 2013 zunächst ab. Ab Dezember 2017 begab sie sich erneut in psychotherapeutische Behandlung. Ausweislich eines Befundberichts der langjährigen Therapeutin der Klägerin, Frau Dipl.-Psych. M., leidet diese noch immer an einer anhaltenden Anpassungsstörung, wobei prognostisch nicht mit einer wesentlichen Besserung des Beschwerdebildes zu rechnen sei.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 17.12.2018 forderte die Klägerin die Beklagte zu 3) auf, bis zum 14.01.2019 ein weiteres Schmerzensgeld in Höhe von 10.000 Euro an sie zu zahlen, was von der Beklagten zu 3) in einem Schreiben vom 15.01.2019 unter Verweis auf das rechtskräftige Urteil im Vorprozess abgelehnt wurde.

Darum ist dann im Verfahren gestritten worden. Das Landgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Das hatte beim OLG Bestand:

„Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Landgericht die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen, weil einem weitergehenden Anspruch der Klägerin auf Zahlung eines Schmerzensgeldes die Rechtskraft des Urteils im Vorprozess entgegensteht.

1. Der Grundsatz der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldes gebietet es, die Höhe des der Geschädigten zustehenden Schmerzensgeldes aufgrund einer ganzheitlichen Betrachtung der den Schadensfall prägenden Umstände unter Einbeziehung der absehbaren künftigen Entwicklung des Schadensbildes zu bemessen (vgl. BGH, Großer Senat für Zivilsachen, Beschluss vom 6. Juli 1955 – GSZ 1/55, BGHZ 18, 149, 151 ff.; Urteil vom 6. Dezember 1960 – VI ZR 73/60, VersR 1961, 164 f.; vom 20. März 2001 – VI ZR 325/99, VersR 2001, 876; vom 20. Januar 2015 – VI ZR 27/14, VersR 2015, 772; vom 10. Juli 2018 – VI ZR 259/15, juris Rn. 6). Verlangt ein Geschädigter für erlittene Körperverletzungen uneingeschränkt ein Schmerzensgeld, so werden durch den Klageantrag alle diejenigen Schadensfolgen erfasst, die entweder bereits eingetreten und objektiv erkennbar waren oder deren Eintritt jedenfalls vorhergesehen und bei der Entscheidung berücksichtigt werden konnte (BGH, Urteil vom 11. Juni 1963 – VI ZR 135/62, VersR 1963, 1048, 1049; vom 8. Juli 1980 – VI ZR 72/79, VersR 1980, 975 f.; vom 24. Mai 1988 – VI ZR 326/87, VersR 1988, 929 f.; vom 7. Februar 1995 – VI ZR 201/94, VersR 1995, 471, 472; vom 20. März 2001 – VI ZR 325/99, VersR 2001, 876; vom 20. Januar 2004 – VI ZR 70/03, VersR 2004, 1334; vom 14. Februar 2006 – VI ZR 322/04, VersR 2006, 1090 Rn. 7; vom 20. Januar 2015 – VI ZR 27/14, VersR 2015, 772 Rn. 7 f., vom 10. Juli 2018 – VI ZR 259/15, juris Rn. 6). Lediglich solche Verletzungsfolgen, die zum Beurteilungszeitpunkt noch nicht eingetreten waren und deren Eintritt objektiv nicht vorhersehbar war, an die auch ein mit der Beurteilung des Ausmaßes und der voraussichtlichen weiteren Entwicklung eines Schadens beauftragter Sachverständiger nicht zu denken brauchte, die aber entgegen aller Wahrscheinlichkeit schließlich doch eingetreten sind, mit denen also nicht oder nicht ernstlich gerechnet werden musste und die deshalb zwangsläufig bei der Bemessung des Schmerzensgeldes unberücksichtigt bleiben müssen, werden von dem Klageantrag nicht umfasst und können deshalb die Grundlage für einen Anspruch auf weiteres Schmerzensgeld und Gegenstand eines Feststellungsantrags sein (vgl. BGH, Urteil vom 8. Juli aaO.; Urteil vom 14. Februar 2006, aaO.; vom 20. Januar 2015, aaO.; vom 10. Juli 2018, aaO.).

Ob Verletzungsfolgen im Zeitpunkt der Zuerkennung eines Schmerzensgeldes erkennbar waren, beurteilt sich nicht nach der subjektiven Sicht der Parteien oder der Vollständigkeit der Erfassung des Streitstoffes durch das Gericht, sondern nach objektiven Gesichtspunkten, das heißt nach den Kenntnissen und Erfahrungen eines insoweit Sachkundigen (vgl. BGH, Urteil vom 24. Mai 1988, aaO., vom 7. Februar 1995. aaO.; vom 14. Februar 2006, aaO.). Maßgebend ist, ob sich bereits in jenem Verfahren eine Verletzungsfolge als derart nahe liegend darstellte, dass sie schon damals bei der Bemessung des Schmerzensgeldes berücksichtigt werden konnte (vgl. BGH, Urteil vom 8. Juli 1980, aaO.; vom 24. Mai 1988, aaO.; vom 7. Februar 1995, aaO.; vom 14. Februar 2006, aaO.).

Entscheidend ist demnach, ob ein Geschädigter nach objektiven Maßstäben die konkrete Möglichkeit hatte, den zukünftigen Eintritt einer bestimmten Verletzungsfolge bei der Verfolgung seines Schmerzensgeldanspruchs zu berücksichtigen. Er muss nach Einholung sachkundigen Rats in der Lage sein, zu entscheiden, ob er eine uneingeschränkte Klage erhebt und dabei den Eintritt der Verletzungsfolge als schmerzensgelderhöhenden Faktor geltend macht, oder ob er das Risiko, dass das Gericht die Verletzungsfolge bei der Entscheidung nicht oder nicht in ausreichendem Maße berücksichtigt, dadurch vermeidet, dass er seine Schmerzensgeldforderung im Wege der offenen Teilklage (vgl. BGH, Urteil vom 20. Januar 2004 – VI ZR 70/03, juris, Rn. 13 ff.) auf die im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung eingetretenen Verletzungsfolgen beschränkt und sich so die Möglichkeit einer erneuten Klage für den Fall offen hält, dass die Verletzungsfolge tatsächlich eintritt.

2. Nach diesen Maßstäben ist die Entwicklung zu dem aktuellen Gesundheitszustand der Klägerin bereits im Vorprozess objektiv vorhersehbar gewesen und als Möglichkeit sogar konkret vorhergesehen worden.

Dies ergibt sich daraus, dass sie – nach ihren Angaben – weiterhin im Wesentlichen unter derselben Erkrankung leidet wie damals, nämlich unter einer behandlungsbedürftigen Anpassungsstörung im Sinne einer abnormen prolongierten Trauerreaktion und es nicht ohne weiteres zu erwarten war, dass eine Therapie zu einem – vorzeitigen – Behandlungserfolg führen würde.

Ist – wie hier – ein behandlungsbedürftiger Zustand gegeben, so ist die Möglichkeit, dass es zu einem Fehlschlagen der Therapie oder etwa zu einer Chronifizierung kommt, im Rahmen einer Prognose der zukünftigen Entwicklung grundsätzlich zu berücksichtigen, weil der sichere Eintritt eines Behandlungserfolgs vielfach nicht unterstellt werden kann. Dabei sind vielfältige Gründe für das Ausbleiben eines Behandlungserfolgs denkbar. So kann es etwa bereits an verfügbaren Therapiemöglichkeiten fehlen, wie es auch im Fall der Klägerin anklingt, wonach sie nicht in der Lage gewesen sei, einen dauerhaften Therapieplatz zu erhalten, sodass sie mit Notfallsitzungen bei wechselnden Therapeuten habe Vorlieb nehmen müssen. Auch kann mangelnde Qualität der Therapiemaßnahmen einer Besserung des Krankheitsbildes entgegenstehen. Schließlich können auch in der Person des Erkrankten Faktoren liegen, die eine Besserung des Zustands verhindern, wenn dieser etwa nicht willens oder in der Lage ist, sich auf die Therapiemaßnahmen einzulassen, oder bereits begonnene Maßnahmen wieder abbricht.

Dass die im Vorprozess aufgestellte Prognose, wonach mit einer Besserung des Zustands der Klägerin zu rechnen sei, an die Voraussetzung einer erfolgreichen Therapie geknüpft ist, hat die Sachverständige K. an mehreren Stellen ihres Gutachtens deutlich hervorgehoben. Sie hat damit inzident verdeutlicht, dass diese Therapie auch scheitern und der Behandlungserfolg ausbleiben kann. Insofern war es vorhersehbar, dass der Krankheitszustand der Klägerin gegebenenfalls auch ohne Besserung bleiben kann.

Wegen der vielfachen Hinweise der Sachverständigen auf die Behandlungsbedürftigkeit der Erkrankung hatte die Klägerin im Vorprozess Gelegenheit wie auch Anlass, entweder einen Aufschlag auf das Schmerzensgeld wegen des fortbestehenden Risikos der Chronifizierung geltend zu machen oder aber sich auf eine offene Teilklage zu beschränken, mit der die mögliche, aber noch nicht eingetretene Schadensfolge (Chronifizierung) aus der Schmerzensgeldbemessung herausgenommen worden wäre. Eine solche Beschränkung hätte indes einer ausdrücklichen Erklärung bedurft und kann nicht schon daraus abgeleitet werden, dass die Klägerin neben einem Schmerzensgeldantrag einen Antrag auf Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz weiterer immaterieller Schäden gestellt hat (BGH, Urteil vom 08. Juli, aaO., juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 15. Dezember 2009 – 7 U 145/08, juris Rn. 11).

3. Es bedarf keiner Feststellungen zu der Frage, wie wahrscheinlich ein Misserfolg einer psychotherapeutischen Behandlung und damit eine Chronifizierung der Erkrankung im Zeitpunkt des Vorprozesses gewesen ist.

Maßgeblich ist – wie ausgeführt – allein die konkrete Möglichkeit, eine bestimmte Verletzungsfolge im Rahmen der Schmerzensgeldforderung zu berücksichtigen. Eine solche Möglichkeit besteht grundsätzlich unabhängig von dem Grad der Wahrscheinlichkeit, der für den Eintritt dieser Verletzungsfolge spricht. Auch wenn nach den Erkenntnismöglichkeiten eines Sachkundigen nur eine geringe Wahrscheinlichkeit für den Eintritt der Verletzungsfolge spricht, wird der Geschädigte grundsätzlich in die Lage versetzt, seine Schmerzensgeldforderung zu beschränken und eine weitere Klage zu erheben, sobald die Folge eingetreten ist. Nur dann, wenn eine Berücksichtigung der Verletzungsfolge so gut wie ausgeschlossen erscheint, weil die Möglichkeit ihres Eintritts eher theoretischer Natur ohne konkrete Anhaltspunkte ist, weswegen sie ein Sachkundiger nicht in eine Darstellung möglicher Verletzungsfolgen aufnehmen würde, fehlt es an der objektiven Vorhersehbarkeit im oben dargestellten Sinne (vgl. BGH, Urteil vom 07. Februar 1995, aaO., zu einer mit einem Wahrscheinlichkeitsgrad von 3 Promille zu erwartenden Verletzungsfolge). Um eine solche eher theoretische Möglichkeit handelt es sich bei der Chronifizierung der Erkrankung der Klägerin aber gerade nicht.

4. Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, liegt auch in dem (Wieder)Auftreten von Suizidgedanken bei der Klägerin kein im Zeitpunkt des Vorprozesses unvorhersehbarer Umstand. Da solche Gedanken ausweislich des Gutachtens im Vorprozess bereits im Zeitraum bis 2007 aufgetreten sind, hat nicht ferngelegen, dass diese auch in der Zeit danach erneut auftreten können. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der nunmehr behaupteten Situation, dass die Klägerin entgegen der Erwartung im Vorprozess ihre Erkrankung trotz jahrelanger Therapiebemühungen nicht hat überwinden können und sich nunmehr anstelle einer erhofften Normalisierung ihrer Lebensumstände mit dauerhaft bestehenden Beeinträchtigungen konfrontiert sieht.“

Einsatz eines Rettungssanitäters, oder: Was sind (noch) berufsspezifische Risiken?

Im „Kessel Buntes“ damm heute zunächst das OLG Schleswig, Urt. v. 01.08.2019 – 7 U 14/18. Es geht um die Klage eines (hauptamtlichen) Rettungsassistent, der beim DRK tätig ist. Der Kläger nimmt die Beklagte als Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherer eines Pkws auf materiellen und immateriellen Schadenersatz in Anspruch.

Dieser u. a. mit einer Gasanlage versehene Pkw verunglückte am 15.08.2014 gegen 09.30 Uhr auf einer Kreisstraße; der Fahrer und Halter dieses Fahrzeuges kam bei dem Unfall ums Leben. Das Fahrzeug geriet in Brand; zum Löschen und Bergen wurde die örtliche freiwillige Feuerwehr hinzugerufen. Der Kläger und ein Kollege wurden ebenfalls zur Unfallstelle gerufen. Bei Ankunft des Klägers stand das verunfallte Fahrzeug bereits in Vollbrand, der Fahrer war tot.
Im Zuge der Löscharbeiten explodierte der Gastank des verunfallten Fahrzeuges. Durch den Feuerball und herumfliegende Fahrzeugteile wurden mehrere Feuerwehrleute, die dem Kläger aus seiner eigenen jahrelangen Tätigkeit bei der Freiwilligen Feuerwehr zum Teil persönlich bekannt waren, erheblich verletzt. Der Kläger selbst wurde durch die Druckwelle zwar zu Boden geworfen, erlitt aber keine äußeren Verletzungen. Vielmehr übernahm er bis zum Eintreffen weiterer Kräfte die Einsatzleitung vor Ort.

In der Folgezeit befand sich der Kläger in psychologischer Behandlung und war bis zum 08.12.2014 arbeitsunfähig krankgeschrieben. Inzwischen ist nach Einholung eines psychiatrischen Gutachtens unstreitig geworden, dass der Kläger infolge der Explosion eine Traumafolgestörung erlitten hat, die in ihrer Qualität zwar einer posttraumatischen Belastungsstörung entspricht, aber nicht deren Vollbild erreicht hat und daher als Anpassungsstörung (ICD10-F43.2) zu klassifizieren ist.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei als Haftpflichtversicherer des Fahrzeuges zur Zahlung von materiellem und immateriellem Schadenersatz verpflichtet.
Angemessen sei ein Schmerzensgeld von (mindestens) 5.000,00 €, darüber hinaus sei ihm ein materieller Schaden in Höhe von 659,58 € entstanden, darunter ein Verdienstausfallschaden in Höhe von 582,35 € (brutto).

Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hatte teilweise Erfolg. Das OLG differenziert, wie sich aus den nachfolgenden Leitsätzen zu der Entscheidung ergibt:

1. Zu den berufsspezifischen Risiken eines Rettungsassistenten und damit zum allgemeinen Lebensrisiko gehört es, an Unfallstellen Schwerverletzte versorgen zu müssen. Dies gilt auch, wenn bei dem Rettungseinsatz bekannte oder gar befreundete Feuerwehrleute des Rettungsassistenten verletzt werden.

2. Hingegen gehört es nicht mehr zu den berufsspezifischen Risiken eines Rettungsassistenten, an einer Unfallstelle selbst einer Explosion ausgesetzt zu sein. Soweit daraus unmittelbare psychische Folgen ausgelöst worden sind, kann dies Schadenersatzansprüche begründen.

3. Ein Rettungsassistent, der infolge einer Gasexplosion am Unfallort eine psychische Anpassungsstörung (ICD10-F43.2) erleidet, erhält ein Schmerzensgeld von lediglich 2.500 €, wenn – nach eigenem Vortrag –  nicht nur die Explosion bestimmend war für das eigene Betroffen sein, sondern ebenso die entschädigungslos hinzunehmende mittelbare Betroffenheit durch die Verletzungen ihm bekannter oder befreundeter Rettungskräfte.

 

verlangtEr wurde zu einem brennenden Fahrzeug hinzugerufen, dessen Gastank bei den Löscharbeiten explodierte. Hierbei wurden ihm bekannte oder mit ihm befreundete Feuerwehrleute erheblich verletzt. Der Kläger erlitt eine Traumafolgestörung in Form einer Anpassungsstörung; er verlangt ein Schmerzensgeld. Das OLG Schleswig differenziert zwischen den durch die Explosion entstandenen psychischen Schäden sowie dem Miterleben der Folgen bei verletzten Polizisten und Feuerwehrleuten. Hinsichtlich Letzterem fehle es am Zurechnungszusammenhang, da sich lediglich das allgemeine Lebensrisiko realisiert habe. Zu den berufsspezifischen Risiken eines Rettungsassistenten gehöre es, an Unfallstellen Schwerverletzte versorgen zu müssen. Dies gelte auch bei Verletzungen von Freunden oder Kollegen während des Einsatzes, solange es nicht um Familienangehörige oder Ehepartner gehe.

 

Das grob fahrlässig falsche Glaubwürdigkeitsgutachten, oder: Schadensersatz und Schmerzensgeld vom Sachverständigen

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Und als zweite Entscheidung dann noch eine BGH-Entscheidung, die sich mit Sachverständigenfragen befasst. Es handelt sich um den BGH, Beschl. v. 30.08.2018 – III ZR 363/17. Ergangen ist er (ebenfalls) in einem Verfahren über eine Nichtzulassungsbeschwerde. Diese richtete sich gegen das OLG Saarbrücken, Urt. v. 23.11.2017 – 4 U 26/15. Die zu dem Urteil ergangene PM hing schon länger in meinem Blogordner und wartete auf die „Veröffentlichung“ hier. Nachdem (nun) der BGH entschieden hat, ist es dafür (endlich) an der Zeit.

Das Urteil des OLG ist sehr lang, mehr als 50 Seiten. Daher nehme ich – ausnahmsweise – mal die PM, um den Sach- und Streitstand darzustellen:

„In dem Berufungsverfahren betreffend die Schadensersatzklage eines nach Wiederaufnahme des Strafverfahrens Freigesprochenen gegen die damalige Gerichtsgutachterin hat der zuständige 4. Zivilsenat in seinem heute verkündeten Urteil nach Durchführung einer Beweisaufnahme die grundsätzliche Haftung der Beklagten bestätigt und das dem Kläger zustehende Schmerzensgeld um 10.000 € auf 60.000 € erhöht.

Der Senat hat die Begutachtung durch die Beklagte im Strafprozess unter Berücksichtigung der umfangreichen und vom Senat für in jeder Hinsicht überzeugend erachteten Ausführungen des zweitinstanzlich beauftragten Sachverständigen Prof. Dr. Steller aus Berlin als grob fahrlässig fehlerhaft eingestuft. Die Beklagte habe noch im Jahr 2004 die vom Bundesgerichtshof 1999 aufgestellten Anforderungen an eine aussagespsychologische Begutachtung in mehreren entscheidenden Punkten nicht beachtet. Die Kernaussage des Gutachtens der Beklagten, dass die Angaben der Belastungszeugin mit hoher Wahrscheinlichkeit als glaubhaft einzuschätzen seien, sei demnach nicht haltbar. Nach der im Regressprozess maßgeblichen Sicht des Senats hätte eine strafrechtliche Verurteilung des Klägers nicht erfolgen dürfen. Die weiteren gegen den Schadensersatzanspruch erhobenen Einwände der Beklagten, insbesondere die Verjährungseinrede, hat der Senat eingehend geprüft und nicht für durchgreifend erachtet.

Bei der Erhöhung des erstinstanzlich zugesprochenen Schmerzensgeldes fielen als besondere, den Kläger massiv belastende Umstände der mit der Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs der Pflegetochter verbundene Makel, die Umstände der Inhaftierung für insgesamt 683 Tage in verschiedenen Justizvollzugsanstalten und die erst Ende 2013 – dann allerdings umfassend – erfolgte Rehabilitierung ins Gewicht.“

Also: Schadensersatz des Gutachters für ein „grob fahrlässiges Glaubwürdigkeitsgutachten“. Dazu die Leitsätze der OLG-Entscheidung:

1. Zur Haftung des gerichtlichen Sachverständigen für ein unrichtiges aussagepsychologisches Gutachten im Strafprozess.
2. Im Schadensersatzprozess gegen den gerichtlichen Sachverständigen hat das Regressgericht nach dem Maßstab des § 287 ZPO über den hypothetischen Ausgang des Vorprozesses (hier: des Strafprozesses) zu befinden.
3. Sind im Regressprozess bessere oder andere Erkenntnismöglichkeiten vorhanden, als sie dem für den Vorprozess zuständigen Gericht zur Verfügung standen, dann entspricht es, wie im Rahmen der Rechtsberaterhaftung, der materiellen Gerechtigkeit, dem Schadensersatzkläger deren Verwendung nicht zu versagen.
4. Der normative Schadensbegriff gilt auch für die deliktische Haftung des gerichtlichen Sachverständigen.
5. Das Nichteinholen eines Privatgutachtens im Strafprozess fällt nicht unter § 839 Abs. 3 BGB (Anschluss an BGH, Beschluss vom 27. Juli 2017, III ZR 440/16, NJW-RR 2017, 1105).

Der BGH hat im BGH, Beschl. v. 30.08.2018III ZR 363/17 – die Nichtzulassungsbeschwerde verworfen. Auch insoweit nur die Leitsätze:

1. Für den Anspruch nach § 839a BGB ist danach zu unterscheiden, ob das unrichtige Gutachten für den Inhalt der gerichtlichen Entscheidung (mit-)ursächlich geworden ist („beruhen auf“; haftungsbegründende Kausalität) und ob der geltend gemachte Schaden durch die von dem unrichtigen Gutachten beeinflusste Gerichtsentscheidung herbeigeführt worden ist (haftungsausfüllende Kausalität).

2. Bei der Frage, ob der geltend gemachte Schaden auf die vom unrichtigen Gutachten beeinflusste Gerichtsentscheidung zurückzuführen ist, ist maßgebend, wie der Ausgangsprozess bei Vorlage eines richtigen Gutachtens des Sachverständigen richtigerweise hätte entschieden werden müssen.

Sollte man ggf. „auf dem Schirm haben“.

Hinweis: Das Urteil des OLG kann ich wegen des Umfangs der Entscheidung aus technischen Gründen leider nicht auf meiner HP im Volltext einstellen. Daher hier das PDF.

Schmerzensgeld/zukünftiger Schaden, oder: Wie hoch ist der Gegenstandswert?

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Heute am Gebührenfreitag dann zwei Entscheidungen zum Gegenstandswert. Gegenstandswert? Ja, der kann auch in Strafverfahren eine Rolle spielen, und zwar bei den Wertgebühren Nr. 4142 bzw. 4143 VV RVG.

Fangen wir mit der Nr. 4143 VV RVG an. Ist auch ein BGH, Beschl., nämlich der BGH, Beschl. v. 06.06.2018 – 2 StR 337/14. Das ist das Verfahren, in dem der 2. Strafsenat eine Änderung beim Schmerzensgeld einläuten wolle (vgl. Neues vom “Rebellensenat”: Aufgeräumt werden soll auch im Zivilrecht, und zwar beim Schmerzensgeld). Das hatten die Vereinigten Großen Senate des BGh dann letztlich anders gesehen (vgl. 2. Strafsenat des BGH: Auch Vorstoß zum Umdenken beim Schmerzensgeld gescheitert…). Und der Beschl. v. 06.06.2018 ist dann der letzte in der Reihe. Jetzt geht es ums Geld 🙂 :

„Die Antragstellerin, die der Nebenklägerin im Adhäsionsverfahren als Rechtsanwältin beigeordnet worden war, hat mit Schreiben vom 27. Dezember 2017 beantragt, den Gegenstandswert für die anwaltliche Tätigkeit im Revisionsverfahren festzusetzen.

II.

Der Gegenstandswert war mit 8.000 Euro festzusetzen.

1. Der Gegenstandswert für die Rechtsanwaltsgebühren wird gemäß § 33 Abs. 1 RVG durch gesonderten Beschluss des Gerichts des jeweiligen Rechtszuges festgesetzt. Funktionell zuständig für die Entscheidung ist der Senat (BGH, Beschluss vom 2. März 2010 – II ZR 62/06, NJW 2010, 1373).

2. Der Gegenstandswert für die Berechnung der Anwaltsgebühren ist nach dem Wert zu bestimmen, den die anwaltliche Tätigkeit hat (§§ 2 Abs. 1, 23 Abs. 1 RVG). Im Hinblick auf die erstinstanzliche Verurteilung zu 5.000 Euro Schmerzensgeld entspricht der Streitwert für den Zahlungsanspruch im Revisionsverfahren diesem Betrag.

3. Soweit im Adhäsionsverfahren die Feststellung der Haftung für künftige Schäden begehrt wird, hängt der Gegenstandswert davon ab, wie hoch der drohende Schaden bzw. das Risiko eines künftigen Schadens und einer tatsächlichen Inanspruchnahme des Angeklagten ist (BGH, Beschluss vom 28. November 1990 – VIII ZB 27/90, NJW-RR 1991, 509; KG, aaO). Im Hinblick auf die vom Landgericht festgestellten Schadensfolgen bei der Nebenklägerin hält der Senat insoweit einen Gegenstandswert von 3.000 Euro für angemessen.“

Damit dürfte das Verfahren nun aber auch endgültig erledigt sein…..

Schmerzensgeld für vermeintlichen Attentäter?, oder: Jetzt ja

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Der BGH hat im BGH, Urt. v. 07.09.2017 – III ZR 71/17 – seine frühere Rechtsprechung, wonach nach hoheitlichen Einsätzen keine immateriellen Schäden be-/gezahlt werden,  aufgegeben.

Im Verfahren ging es um eine Schadensersatzklage wegen einer Verletzung, die der Kläger bei einem Polizeieinsatz erlitten hatte. Es war am 23.10.2010 wurde aus einem fahrenden PKW ein Schuss auf ein Döner-Restaurant abgegeben worden. Im Zuge der darauf eingeleiteten Fahndungsmaßnahmen entdeckte eine Polizeistreife auf einem Tankstellengelände das mutmaßliche Tatfahrzeug. Der Kläger befand sich zusammen mit einem Mitarbeiter im Verkaufsraum der Tankstelle. Weil auch die grobe Personenbeschreibung der Täter auf den Kläger und seinen Begleiter passte, gingen die Polizeibeamten davon aus, dass es sich bei ihnen um die Tatverdächtigen handele. Nachdem eine weitere Streifenwagenbesatzung zur Verstärkung eingetroffen war, liefen die Polizeibeamten in den Tankstellenverkaufsraum. Da sie vermuteten, der Kläger und dessen Mitarbeiter führten eine Schusswaffe mit sich, forderten sie zur Eigensicherung beide auf, die Hände hoch zu nehmen, brachten sie zu Boden und legten ihnen Handschellen an. Dabei erlitt der Kläger eine Schulterverletzung. Es stellte sich dann aber heraus, dass er und sein Mitarbeiter mit der Schussabgabe nichts zu tun hatten. Darauf wurden ihnen die Handfesseln abgenommen.

Der Kläger verlangt Ersatz des aufgrund der Verletzung erlittenen Vermögensschadens und ein Schmerzensgeld. LG und OLG haben angenommen, die Polizeibeamten hätten angesichts der Sachlage, die sich ihnen dargeboten habe, zwar rechtmäßig unmittelbaren Zwang zur Durchsetzung einer Identitätsfeststellung gemäß § 163b Abs. 1 StPO angewendet. Jedoch habe der Kläger einen Entschädigungsanspruch aus Aufopferung. Auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des BGH haben LG und OLG allerdings nur einen Ausgleich für den erlittenen materiellen Schaden zuerkannt. Die Schmerzensforderung haben sie für unbegründet gehalten.

Der III. Zivilsenat hat nun in seinem Urt. v. 07.09.2017 – III ZR 71/17 – unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung darauf erkannt, dass der Entschädigungsanspruch aus Aufopferung auch den Ausgleich immaterieller Schäden, mithin auch ein Schmerzensgeld, umfasst.

Der BGH hat in einer früheren „Grundentscheidung“ vom 13.02.1956 – III ZR 175/54 – ausgeführt, aus der Gesamtbetrachtung der Rechtsordnung ergebe sich, dass Ersatz für immaterielle Schäden grundsätzlich nicht geschuldet werde. Nur in jeweils ausnahmsweise ausdrücklich gesetzlich normierten Fällen gebe es einen Ersatzanspruch auch für Nichtvermögensschäden. Eine entsprechende Bestimmung fehle für den allgemeinen Aufopferungsanspruch, der sich gewohnheitsrechtlich aus §§ 74, 75 der Einleitung des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten vom 01.06.1794 entwickelt habe.

Der BGH hat nun ausgeführt, von einem Willen des Gesetzgebers, die Ersatzpflicht bei Eingriffen in immaterielle Rechtsgüter grundsätzlich auf daraus folgende Vermögensschäden zu beschränken, könne nicht mehr ausgegangen werden. Mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften vom 19.07.2002 (BGBl. I S. 2674) und der hierdurch bewirkten Ausweitung des Schmerzensgeldanspruchs infolge der Änderung des § 253 BGB habe der Gesetzgeber den Grundsatz, auf den der Senat sein Urteil vom 13.02.1956 gestützt habe, verlassen. Dies ergebe sich auch aus der Änderung der Vorschriften über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen im Jahr 1971, nach denen für zu Unrecht erlittene Haft eine Entschädigung auch für Nichtvermögensschäden gewährt werde. Zudem habe mittlerweile eine Vielzahl von Bundesländern Bestimmungen eingeführt, nach denen Ersatz auch des immateriellen Schadens bei Verletzung des Körpers oder der Gesundheit infolge präventiv-polizeilicher Maßnahmen geschuldet werde.