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StPO III: Wenn von der Unterbringung abgesehen wird, oder: Keine Beschwer des Angeklagten

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Und der dritte Beschluss des BGH stammt auch aus dem Rechtsmittelrecht. Im BGH, Beschl. v. 26.09.2023 – 5 StR 399/23 – geht es noch einmal um die Beschwer des Angeklagten bei fehlender Entscheidung über die Unterbringung:

„Das Landgericht hatte den Angeklagten im ersten Rechtsgang mit Urteil vom 9. Mai 2022 wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Von seiner Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) hatte es abgesehen. Auf die Revision des Angeklagten hatte der Senat mit Beschluss vom 22. November 2022 (5 StR 416/22) das Urteil – unter Aufrechterhaltung der Feststellungen – aufgehoben, soweit die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt unterblieben war. Nunmehr hat das Landgericht mit dem angegriffenen Urteil von einer Unterbringung nach § 64 StGB erneut abgesehen. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision.

Das Rechtsmittel ist mangels Beschwer unzulässig. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, von der abzuweichen der vorliegende Fall keinen Anlass bietet, dass ein Angeklagter ein gegen ihn ergangenes Urteil nicht allein deswegen anfechten kann, weil gegen ihn neben der Strafe keine Maßregel nach § 64 StGB angeordnet worden ist (BGH, Urteil vom 21. März 1979 – 2 StR 743/78, BGHSt 28, 327 ff.; Beschlüsse vom 13. Juni 1991 – 4 StR 105/91, BGHSt 38, 4, 7; vom 29. August 2011 – 5 StR 329/11; vom 19. April 2016 – 1 StR 45/16; vom 6. März 2019 – 3 StR 60/19 mwN). Diese Grundsätze gelten auch, wenn nach Aufhebung und Zurückverweisung allein noch über die Frage zu entscheiden war, ob die Maßregel anzuordnen sei (vgl. BGH, Beschlüsse vom 1. August 2023 – 5 StR 279/23; vom 27. April 2021 – 5 StR 102/21).“

Rechtsmittel I: Mal wieder der BGH zur Verfahrensrüge, oder: Auch die StA hat „Probleme“

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Ich beginne die Berichterstattung heute mit dem BGH, Urt. v. 28.06.2023 – 4 StR 212/22. Das Urteil/Verfahren behandelt einen Ableger“ aus dem „Lübcke-Fall“. Dem Angeklagten war der Verkauf der Tatwaffe an den Mörder des CDU-Politikers Walter Lübcke zur Last gelegt worden. Das LG hatte ihn freigesprochen. Dagegen die Revision der Staatsanwaltschaft, die beim BGH keinen Erfolg hatte. evision. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

Die StA hatte neben der Sachrüge auch mehrere Verfahrensrügen erhoben, die – so der BGH – alle unzulässig, weil nicht ausreichend begründet, waren. Ist ein bisschen mehr Text, aber ganz interessant. Und das Urteil beweist: Die StA hat auch Probleme mit dem § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO

„1) Die Verfahrensrügen, mit denen die Beschwerdeführerin die fehlerhafte Ablehnung eines Beweisantrags und einen Verstoß gegen die Aufklärungspflicht geltend macht, sind unzulässig, weil sie nicht in der gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO gebotenen Weise ausgeführt sind.

a) Mit der Rüge der Verletzung des § 244 3 StPO beanstandet die Beschwerdeführerin, dass das Landgericht ihren auf die Vernehmung des Kriminalbeamten G. als Zeugen zum Beweis der Tatsache, dass die in einem Erdlager des Zeugen Er. auf dem Gelände seines damaligen Arbeitgebers gefundene, näher bezeichnete Schusswaffe „Amadeo Rossi S.A.“, Kaliber .38 Special, aus der Schweiz stamme, gerichteten Beweisantrag zu Unrecht abgelehnt habe. Nach dem Revisionsvorbringen lag dem Antrag zugrunde, dass der Zeuge Er.   vor seiner ersten polizeilichen Vernehmung eine Skizze angefertigt hatte, in welcher der Buchstabe „E.“, der den Angeklagten bezeichnet habe, durch Linien unter anderem mit den Ländernamen „Belgien“ und „Schweiz“ verbunden war. Das Landgericht hat den Beweisantrag wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit der Beweisbehauptung abgelehnt.

aa) Die Verfahrensrüge ist nicht in einer den Anforderungen des § 344 2 Satz 2 StPO entsprechenden Weise ausgeführt, weil die Beschwerdeführerin diese Skizze, auf die sowohl der Beweisantrag als auch der denselben ablehnende Beschluss des Landgerichts ausdrücklich Bezug genommen haben, nicht vorgelegt hat. Die Vorlage der Skizze ist hier nicht deshalb entbehrlich, weil ihr Inhalt in der Revisionsbegründung hinreichend verbal beschrieben worden wäre. Denn den Ausführungen der Revision einschließlich der in ihr wiedergegebenen Dokumente (Beweisantrag und ablehnender Beschluss) kann insoweit nur entnommen werden, dass die Skizze die Namen mehrerer Personen enthält, „von denen der Zeuge Er.   Waffen erworben bzw. veräußert haben soll“, sowie die Angabe der Länder Belgien und Schweiz, die „mit geraden Strichen“ mit einer „Bezeichnung ‚E‘“ verbunden sind, wobei neben dieser „E.N.“ vermerkt ist.

Diese erkennbar nur vereinfachte Beschreibung der Skizze genügt den Begründungsanforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO deshalb nicht, weil sie den Senat nicht in die Lage versetzt, die Schlüsse nachzuvollziehen, die der Beweisantrag aus ihr ziehen zu können meint, und damit die – vom Landgericht verneinte – Bedeutung der behaupteten Indiztatsache zu beurteilen. Aus der nur verbalen Wiedergabe des Dargestellten nicht verständlich wird insbesondere, ob und wie der Skizze entnommen werden kann, dass mit dem Wort „Schweiz“ und dessen Verbindung zu einer mit „E.“ bezeichneten Person die Herkunft von Waffen, namentlich der zur Tötung des Geschädigten Dr. Lübcke eingesetzten Tatwaffe, aus der Schweiz bezeichnet sein sollte, wie es der Beweisantrag ausweislich seiner Begründung angenommen hat. Dasselbe gilt für die Behauptung des Beweisantrags, durch eine „Bestätigung der aus der erwähnten Skizze ersichtlichen Angaben des Zeugen Er.   in dem gegen ihn gerichteten Strafverfahren durch die weiteren Ermittlungen“ könnte belegt werden, dass der Zeuge den Angeklagten wahrheitsgemäß als Verkäufer unter anderem der zur Tötung des Dr. Walter Lübcke eingesetzten Waffe bezeichnet habe. Welche Angaben aus der Skizze ersichtlich sind, die (oder deren Bestätigung) zu diesem Beleg geeignet sein könnten, erschließt sich ohne nähere Kenntnis des Inhalts der Skizze nicht. Dies gilt umso mehr, als das Landgericht die Ablehnung des Beweisantrags unter anderem damit begründet hat, die Skizze weise „nach derzeitigem Beweisergebnis keinen konkreten Bezug zur Tatwaffe“ auf, sich also aus beiden von der Revision wiedergegebenen Dokumenten, dem Beweisantrag und seiner Ablehnung, offenbar unterschiedliche Deutungen des Aussagegehalts der Skizze ergeben.

bb) Daneben nimmt der Kammerbeschluss umfangreich Bezug auf die – teils inkonstanten – Aussagen des Zeugen Er.   in dem gegen ihn gerichteten Ermittlungsverfahren, ohne dass die Revision die Protokolle der polizeilichen und ermittlungsrichterlichen Vernehmungen vorgelegt hätte. Auch hierdurch bleibt sie hinter den Begründungsanforderungen des § 344 2 Satz 2 StPO zurück, denn diese gebieten regelmäßig, dass Vernehmungsprotokolle, welche in der Revisionsbegründung in Bezug genommen werden, vollständig vorgelegt werden müssen (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Januar 2023 – 5 StR 298/22; Beschluss vom 16. Februar 2021 – 4 StR 517/20 6, jew. mwN).

Auf die Vorlage der Vernehmungsprotokolle kann hier nicht deshalb verzichtet werden, weil das auf die zulässig erhobene Sachrüge der Beschwerdeführerin vom Senat zur Kenntnis zu nehmende Urteil (wesentliche) Teile deren Inhalts wiedergibt. Dabei kann offenbleiben, ob und inwieweit eine unzureichende Revisionsbegründung grundsätzlich auch dann durch Angaben in dem (auch mit der Sachrüge) angegriffenen Urteil ergänzt werden kann, wenn der Beschwerdeführer – wie hier – nicht ausdrücklich auf den Urteilsinhalt verweist und ihn als zutreffend bezeichnet (vgl. hinsichtlich des fehlenden Vortrags einer einzelnen Tatsache bejahend BGH, Urteil vom 20. März 1990 – 1 StR 693/89, BGHSt 36, 384, 385; vgl. a. Urteil vom 14. Dezember 2022 – 6 StR 338/22, NStZ-RR 2023, 81, 82 mwN). Denn im vorliegenden Fall bleibt der Vortrag der Revision jedenfalls deshalb unzureichend, weil der von ihr vorgelegte Beschluss, mit dem das Landgericht den rügegegenständlichen Beweisantrag beschieden hat, einerseits und das Urteil andererseits die maßgeblichen Vernehmungsinhalte nicht in jeder Hinsicht übereinstimmend wiedergeben. So werden die Bekundungen des Zeugen zum Erwerb der Tatwaffe in seiner ersten verantwortlichen Vernehmung vom 25. Juni 2019 im Urteil dahingehend mitgeteilt, er habe im Jahr 2016 von dem Angeklagten die Tatwaffe, bei der es sich um eine „38er Taurus“ gehandelt habe, gekauft. Demgegenüber hat die Strafkammer zur Begründung der Ablehnung des Beweisantrags ausgeführt, der Zeuge Er.   habe „in der ersten Beschuldigtenvernehmung am 25. Juni 2019 den Angeklagten als diejenige Person bezeichnet“, die ihm „die Tatwaffe – einen Revolver des Herstellers ROSSI Kaliber 0.38 – im Jahre 2016 zum Preis von 1.100,00 Euro verkauft“ habe.

Überdies versetzen die im Urteil und in den von der Revision mitgeteilten Gründen des ablehnenden Kammerbeschlusses wiedergegebenen Teile der Aussagen des Zeugen Er.   den Senat auch nicht in die Lage nachzuvollziehen, ob die – von der Revision angegriffene – Annahme des Landgerichts zutrifft, der Zeuge habe nach seiner Angabe bei Anfertigung der Skizze nicht die Herkunft der Tatwaffe darstellen wollen, sondern es sei ihm lediglich darum gegangen, „zum Zwecke der Gefahrenabwehr aufzuzeigen, wo aktuell noch Waffen im Umlauf seien“. Ebenso wenig erschließt sich aus dem Vortrag der Revision – selbst unter zusätzlicher Berücksichtigung der Urteilsgründe -, dass der Zeuge in seiner polizeilichen Vernehmung mit dem auch in der Skizze enthaltenen Wort „N.       “ den damaligen Wohnort des Angeklagten bezeichnet hat.

cc) Die Verfahrensrüge wäre schließlich – ihre Zulässigkeit unterstellt – auch unbegründet, denn die Ablehnung des Beweisantrags wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit der unter Beweis gestellten Indiztatsache, dass eine näher bezeichnete, in einem Lager des Zeugen Er. gefundene Schusswaffe aus der Schweiz stamme, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. allgemein zu den Anforderungen des Ablehnungsgrundes nach § 244 3 Satz 3 Nr. 2 StPO BGH, Beschluss vom 6. Dezember 2018 – 4 StR 484/18, NStZ 2019, 295 9 mwN). Soweit die Revision dagegen vorbringt, dass „die unter Beweis gestellte Tatsache der Kenntnis des gesondert Verfolgten Er.   von Waffenbeschaffungsmöglichkeiten des Angeklagten“ ein gewichtiges Indiz für die Richtigkeit der Belastung des Angeklagten als Waffenlieferant durch den Zeugen gewesen wäre, legt sie zum einen eine andere als die in dem abgelehnten Beweisantrag genannte Beweistatsache zugrunde; zum anderen setzt sie – revisionsrechtlich unbehelflich – lediglich ihre eigene Wertung an die Stelle der in dem Beschluss niedergelegten antizipierten Beweiswürdigung der Strafkammer.

b) Auch die weitere Verfahrensrüge, mit der die Beschwerdeführerin geltend macht, die Strafkammer habe gegen formelles Recht verstoßen, weil sie – entgegen einem entsprechenden Antrag der Generalstaatsanwaltschaft – es unterlassen hat, das Verfahren wegen des dem Teilfreispruch zugrundeliegenden Anklagevorwurfs abzutrennen und bis zum rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens gegen den gesondert verfolgten Zeugen Er.   und dem damit verbundenen Wegfall des Auskunftsverweigerungsrechts des Zeugen (§ 55 StPO) auszusetzen, führt nicht zum Erfolg.

aa) Dabei rügt die Beschwerdeführerin im Wesentlichen einen Verstoß gegen die Aufklärungspflicht gemäß § 244 2 StPO. Eine Verletzung des § 228 1 Satz 1 StPO wird zwar nicht selbständig geltend gemacht; dem Vorbringen kann aber entnommen werden, dass auch insoweit ein Ermessensfehler behauptet werden soll (vgl. zu solcher Konstellation auch BGH, Urteil vom 8. Juni 2016 – 2 StR 539/15 Rn. 11 ff.; Urteil vom 24. Juli 1990 – 5 StR 221/89, juris Rn. 23 [insoweit in BGHSt 37, 141 nicht abgedruckt]).

bb) Diese Rüge ist bereits unzulässig, weil sie in mehrfacher Hinsicht nicht den Begründungsanforderungen (§ 344 2 Satz 2 StPO) entspricht.

(1) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt eine zulässig erhobene Aufklärungsrüge unter anderem voraus, dass der Beschwerdeführer eine bestimmte Beweistatsache und die Umstände angibt, aufgrund deren sich das Tatgericht zu der vermissten Beweiserhebung hätte gedrängt sehen müssen (vgl. nur BGH, Urteil vom 14. Dezember 2022 – 6 StR 338/22 Rn. 8 mwN). Zu beidem trägt die Beschwerdeführerin nicht hinreichend vor.

(a) Zunächst fehlt es bereits an der erforderlichen bestimmten Beweisbehauptung. Soweit die Revision vorbringt, die Einvernahme des Zeugen Er.  nach dem rechtskräftigen Abschluss des gegen ihn geführten Strafverfahrens hätte den Nachweis erbracht, dass der Angeklagte dem Zeugen die zur Tötung des Geschädigten Dr. Lübcke verwendete Tatwaffe verkauft habe, handelt es sich lediglich um ein Beweisziel, also die Folgerung, die das Gericht nach Auffassung der Beschwerdeführerin aus von ihr nicht näher umschriebenen tatsächlichen Vorgängen oder Zuständen, die Gegenstand der Wahrnehmung des Zeugen sein könnten, ziehen sollte (vgl. zur Abgrenzung BGH, Beschluss vom 10. April 2019 – 4 StR 25/19 Rn. 4 mwN). Der Vortrag eines hinreichend konkret beschriebenen Sachverhalts, dessen Beweis die (weitere) Vernehmung des Zeugen Er.   in der Hauptverhandlung hätte erbringen können, war hier insbesondere deshalb unerlässlich und der Beschwerdeführerin auch möglich, weil der Zeuge Er.   in dem gegen ihn geführten Strafverfahren vielfach vernommen worden war, wobei er namentlich zu dem Erwerb der Tatwaffe mehrere voneinander abweichende Sachverhalte bekundete, unter anderem zum Typ der Waffe und zu dem Jahr ihres Erwerbs. Bei dieser Sachlage oblag es der Beschwerdeführerin, im Rahmen ihrer Aufklärungsrüge einen dieser Sachverhalte oder ein anderes Verkaufsgeschehen phänomengebunden zu behaupten. Dies hat sie nicht getan.

(b) Auch lässt die Revision den gebotenen Vortrag dazu vermissen, warum sich das Landgericht zur Abtrennung und Aussetzung des Verfahrens zum Zweck der späteren Vernehmung des Zeugen Er.  , dessen durch die Vernehmung von Verhörspersonen eingeführte Aussagen die Revision als teilweise widersprüchlich bewertet, gedrängt sehen musste (vgl. zu diesem Erfordernis BGH, Urteil vom 14. Dezember 2022 – 6 StR 338/22, NStZ-RR 2023, 81, 82; Urteil vom 29. Juni 2021 – 1 StR 287/20 Rn. 14; jew. mwN; speziell zur Abtrennung eines Verfahrensteils im Sachaufklärungsinteresse auch Urteil vom 24. Juli 1990 – 5 StR 221/89, juris Rn. 23 [insoweit in BGHSt 37, 141 nicht abgedruckt]). Der Verweis auf die Möglichkeit, dem Zeugen – in der Revisionsbegründung nicht näher konkretisierte – Nachfragen zu stellen und sich so einen persönlichen Eindruck von seiner Glaubwürdigkeit zu verschaffen, genügt hierfür nicht, zumal die Revision auch hier weder die Protokolle der polizeilichen Vernehmung des Zeugen Er.   noch die von ihm gefertigte Skizze vorgelegt hat, auf welche auch der vom Landgericht zurückgewiesene Aussetzungsantrag der Beschwerdeführerin Bezug genommen hatte.

(2) Wird – wie hier – mit der Aufklärungsrüge zugleich die fehlerhafte Ablehnung eines Antrags auf Aussetzung des Verfahrens beanstandet, mit dem eine Änderung der Prozesslage und hierauf beruhende erweiterte Beweiserhebungsmöglichkeiten erreicht werden sollten, muss die Revision darüber hinaus auch diejenigen Umstände vortragen, ohne deren Kenntnis das Revisionsgericht die Ermessensausübung des Tatgerichts bei der Ablehnung des Aussetzungsantrags nicht zu beurteilen vermag. Da über die – gesetzlich nicht ausdrücklich geregelte – Aussetzung des Verfahrens zum Zweck der Sachaufklärung nur aufgrund einer Gesamtwürdigung der Umstände, namentlich unter Beachtung der gegenläufigen Verfahrensmaxime der Beschleunigung, entschieden werden kann, müssen insbesondere diejenigen Tatsachen vorgetragen werden, aus denen sich ergibt, welches Ausmaß an Verzögerung mit der beantragten Verfahrensaussetzung verbunden gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 8. Juni 2016 – 2 StR 539/15 Rn. 11; LR/Becker, StPO, 27. Aufl., § 228 Rn. 10). Auch diesem Erfordernis wird die Revisionsbegründung nicht gerecht.

Die Beschwerdeführerin hat insoweit zwar zu dem – damaligen -Verfahrensstand des gegen den Zeugen Er.  geführten Strafverfahrens wegen der Tötung des Geschädigten Dr. Lübcke ausreichend vorgetragen, indem sie mitgeteilt hat, dass die dortigen Akten am 25. November 2021 bei dem Bundesgerichtshof eingegangen seien und bis zum Erlass des vorliegend angefochtenen Urteils ein Termin zur Revisionshauptverhandlung noch nicht bestimmt gewesen sei. Damit ist den diesbezüglichen Vortragsanforderungen unter den hier vorliegenden Umständen aber nicht Genüge getan. Denn wie sich aus dem angefochtenen Urteil und der Anklageschrift ergibt, stand neben dem hier gegenständlichen Verkauf der Tatwaffe eine Vielzahl weiterer möglicher Waffenkäufe des Zeugen Er.   von dem Angeklagten im Raum, darunter der Verkauf einer Schusswaffe des Kalibers 4 mm, den die Strafkammer in Ermangelung einer Aussage des Zeugen Er.   für strafrechtlich nicht hinreichend konkretisierbar gehalten hat. Bei diesen weiteren Waffengeschäften, die – anders als es das Landgericht ausweislich der Urteilsgründe offenbar angenommen hat – nicht Gegenstand der hiesigen Anklage und damit der gerichtlichen Kognitionspflicht waren, könnte es sich um noch verfolgbare Straftaten des Zeugen gehandelt haben, die mit dem angeklagten Verkauf der Tatwaffe im Jahr 2016 in einem so engen Zusammenhang standen, dass die Beantwortung von Fragen hierzu die Gefahr der Verfolgung wegen dieser anderen Taten mit sich gebracht hätte. Infolgedessen könnte dem Zeugen Er.   auch nach dem rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens wegen des Tötungsdelikts das von ihm gegenüber dem Landgericht geltend gemachte (umfassende) Auskunftsverweigerungsrecht betreffend seine etwaigen Kontakte zu dem Angeklagten zugestanden haben (vgl. zum Umfang des Auskunftsverweigerungsrechts nach § 55 StPO bei im Zusammenhang miteinander stehenden Straftaten BGH, Urteil vom 6. April 2017 – 3 StR 5/17, NStZ 2017, 546, 547; Urteil vom 8. Juni 2016 – 2 StR 539/15 Rn. 13). Zu etwaigen weiteren Strafverfahren wegen Waffengeschäften des Zeugen Er.   mit dem Angeklagten und gegebenenfalls deren Verfahrensständen verhält sich die Revisionsbegründung aber nicht.“

Revision I: Verletzung der Unterbrechungsvorschriften, oder: Nichts Neues – beim BGH – zu EncroChat

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Und heute dann Revisionsentscheidungen.

Ich beginne mit dem BGH, Beschl. v. 01.08.2023 – 5 StR 260/23. Ergangen ist der Beschluss in einem Verfahren mit dem Vorwurf des Verstosses gegen das BtMG. Gegen die Verurteilung ist Revision eingelegt worden. Mit der sind von einem der Angeklagten zwei Verfahrensfehler gerügt worden. Beide Rügen hatten keinen Erfolg.

Zunächst hier die Ausführungen des BGH zur Verletzung der Unterbrechungsvorschriften (§ 229 StPO):

„Die mit der Angriffsrichtung eines Verstoßes gegen die Vorschriften zur Unterbrechung der Hauptverhandlung in § 229 StPO geführte Rüge ist jedenfalls unbegründet. Die Strafkammer hatte wegen Erkrankung der Vorsitzenden durch Beschluss vom 4. August 2022 gemäß § 229 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StPO eine Hemmung der Unterbrechungsfrist nach § 229 Abs. 2 StPO bis zum 5. August 2022 festgestellt. Durch den Verhandlungstermin vom 15. August 2022 wurde die Frist schon aufgrund des in § 229 Abs. 3 Satz 2 StPO normierten Fristendes gewahrt. Hierzu war dieser Termin – wie in der Zuschrift des Generalbundesanwalts ausgeführt – auch geeignet, da in ihm zur Sache verhandelt wurde (zu den Anforderungen vgl. nur BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 – 5 StR 496/20, NStZ 2021, 381).“

Und dann hatte sich der Angeklagte gegen die Verwertung von EncroChat-Daten gewendet. Auch insoweit – natürlich – erfolglos:

„Soweit sich der Beschwerdeführer gegen die Verwertung von EncroChat-Daten wendet, ist die Rüge mangels Vortrags der maßgeblichen Verfahrenstatsachen unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Ein solcher war entgegen der Revision auch nicht etwa deshalb entbehrlich, weil „das Vorgehen der Ermittlungsbehörden im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen die EncroChat-Nutzer und die neueren Erkenntnisse [zur] Zusammenarbeit der deutschen, französischen und europäischen Behörden“ dem Senat bereits „hinreichend bekannt“ wären. Zu derartigen Umständen existieren keine für das hiesige Verfahren bindenden Feststellungen; solche wurden auch in früheren Revisionsverfahren des Senats nicht getroffen.“

Zu Letzterem. Mal sehen, was sich heute am 05.09.2023 tut. Denn es ist für heute – 9.30 Uhr – die Entscheidung des BVerfG im Verfahren 2 BvR 558/22 angekündigt (vgl. hier). Ich vermute, dass wir nach der Entscheidung des BVerfG die Geschichte über EncroChat nicht neu schreiben müssen. Wenn das BVerfG überhaupt Fehler in der Datenerhebung bejaht, wird es die m.E. über die Abwägungslehre glatt ziehen. Aber spannend bleibt es.

 

StPO I: Absprache – Mitteilungspflicht verletzt, oder: „vage erinnerte und nur mögliche Verfahrensabläufe“

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Und heute dann noch einmal ein paar StPO-Entscheidungen. Heute habe alle drei mit Rechtsmitteln zu tun.

Hier zunächst der BGH, Beschl. v. 18.04.2023 – 6 StR 124/23 -, der sich noch einmal zum erforderlichen Umfang/Vortrag für eine ausreichende Begründung der Verfahrensrüge (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) äußert, wenn ein Verstoß gegen die Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO – Stichwort: Verständigung – geltend gemacht wird.

Das LG hat den Angeklagten wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Dagegen dann u.a. die Rüge der Verletzung formellen Rechts. Die hate keinen Erfolg:

„1. Die Verfahrensrüge, das Landgericht habe seine Mitteilungspflicht aus § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO verletzt, greift nicht durch.

a) Der Beschwerdeführer trägt folgendes Verfahrensgeschehen vor:

Am ersten Sitzungstag regte der Strafkammervorsitzende ein „Rechtsgespräch“ an und unterbrach zu diesem Zweck die Hauptverhandlung. Bei dem sodann zwischen den Berufsrichtern, den Schöffen, der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft und dem Verteidiger geführten „Rechtsgespräch“ wurde die „Frage des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge erörtert“, wobei die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft darauf hinwies, dass aus ihrer Sicht kein minder schwerer Fall vorliege. Über dieses Gespräch berichtete der Vorsitzende nach Fortsetzung der Hauptverhandlung nicht; die Sitzungsniederschrift enthält für den Zeitpunkt der Fortsetzung nach dem „Rechtsgespräch“ den Hinweis, dass „eine Verständigung jedoch nicht erzielt wurde“. Der Angeklagte machte keine Angaben zur Sache; zu einer Verfahrensabsprache kam es auch später nicht.

Der Beschwerdeführer macht geltend, Inhalt und Ablauf der Gespräche nicht näher vortragen zu können. Sein Verteidiger habe ihm im Anschluss an das „Rechtsgespräch“ lediglich mitgeteilt, dass es für ihn „nicht gut aussehe“ und die Staatsanwaltschaft nicht unter fünf Jahren Freiheitsstrafe beantragen werde. Deshalb habe er ihm geraten zu schweigen. Im Revisionsverfahren erbat der Beschwerdeführer Auskunft von der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft über Inhalt und Ablauf des „Rechtsgesprächs“. Diese erklärte hierauf in einer E-Mail: „Da (…) aus meiner Sicht ein minder schwerer Fall nicht vorlag, vertrat ich die Auffassung, dass von einer Mindeststrafe von fünf Jahren auszugehen sei. Ich meine auch zu erinnern, dass das Gericht die Auffassung äußerte, dass sich nach derzeitiger Lage ein minder schwerer Fall zumindest nicht aufdrängen würde“.

Aus dem Verfahrensablauf und den Angaben der Sitzungsvertreterin folgert der Beschwerdeführer, dass das „Rechtsgespräch“ verständigungsbezogene Erörterungen zum Gegenstand hatte und der Mitteilungspflicht aus § 243 Abs. 4 StPO unterstand.

b) Die Verfahrensrüge ist schon unzulässig, weil das Revisionsvorbringen nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügt.

aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind für eine zulässige Verfahrensrüge die den Mangel begründenden Tatsachen so vollständig und genau anzugeben, dass das Revisionsgericht allein aufgrund der Revisionsbegründung prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorläge, wenn die behaupteten Tatsachen erwiesen wären (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 11. September 2007 – 1 StR 273/07, BGHSt 52, 38, 40). Für die Rüge einer Verletzung von § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO ist danach erforderlich, dass Tatsachen vorgetragen werden, aus denen sich ergibt, dass ein nach dieser Vorschrift mitteilungspflichtiges Gespräch stattgefunden hat und dessen wesentlicher Inhalt in der Hauptverhandlung nicht oder nicht ausreichend mitgeteilt und protokolliert wurde (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Juni 2022 – 2 StR 269/21). Notwendig ist deshalb die bestimmte Behauptung von Tatsachen, die eine Überprüfung dahin gestatten, ob dabei ausdrücklich oder konkludent die Möglichkeit und die Umstände einer Verständigung im Raum standen, was jedenfalls dann der Fall ist, wenn Fragen des prozessualen Verhaltens in einen Konnex zum Verfahrensergebnis gebracht wurden, damit die Frage nach oder die Äußerung zu einer Straferwartung nahelag und somit die Mitteilungspflicht ausgelöst wurde (vgl. BGH, Beschlüsse vom 29. September 2015 – 3 StR 310/15, NStZ 2016, 362; vom 7. März 2017 – 5 StR 493/16, NStZ 2017, 424).

bb) Diesen Anforderungen genügt die Revision nicht.

(1) Es fehlt bereits an einem konkret behaupteten vollständigen Verfahrensgeschehen. Die bloße Wiedergabe vage erinnerter und nur möglicher Verfahrensabläufe (vgl. BGH, Urteil vom 24. März 1964 – 3 StR 60/63, BGHSt 19, 273, 275) ersetzt den notwendigen bestimmten Tatsachenvortrag nicht (vgl. im Einzelnen KK-StPO/Gericke, 9. Aufl., § 344 Rn. 33 mwN).

(2) Dessen ungeachtet wäre auch anhand der mitgeteilten Stellungnahme der Staatsanwaltschaft für das Revisionsgericht nicht abschließend zu überprüfen, ob es sich um verständigungsbezogene oder lediglich um unverbindliche sonstige verfahrensfördernde Erörterungen gehandelt hat, die nicht auf eine einvernehmliche Verfahrenserledigung abzielten (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 14. April 2015 – 5 StR 9/15, NStZ 2015, 535, 536). Denn als Gegenstände unverbindlicher Erörterungen, die das Gericht ohne Verständigungsbezug allein als Ausdruck eines transparenten kommunikativen Verhandlungsstils führen kann, sind etwa Rechtsgespräche und Hinweise auf die vorläufige Beurteilung der Beweislage oder die strafmildernde Wirkung eines Geständnisses für unbedenklich erachtet worden (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., BVerfGE 133, 168, 228; BGH, Beschluss vom 14. April 2015 – 5 StR 9/15, BGHR StPO § 243 Abs. 4 Mitteilung 4; vom 7. März 2017 – 5 StR 493/16). Dies gilt gleichermaßen für die Klärung der – einer Verständigung entzogenen (vgl. BVerfG, aaO, S. 228; BGH, Beschluss vom 25. April 2013 – 5 StR 139/13, NStZ 2013, 540) – Vorfrage, ob überhaupt die Möglichkeit der Verständigung bei Annahme eines minder schweren Falles in Betracht kommt, ohne dass ein Prozessverhalten des Angeklagten in Rede steht (vgl. BGH, Beschluss vom 18. August 2021 – 5 StR 199/21, NStZ 2022, 55, 56). Ob der Gesprächsgegenstand hier bereits über diese abstrakte Vorfrage einer möglicherweise erwogenen Verständigung hinausging, vermag der Senat ohne Vortrag näherer Inhalte nicht abschließend zu prüfen.

(3) Nichts anderes gilt vor dem Hintergrund des übrigen Revisionsvorbringens (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. Juli 2014 – 1 StR 210/14, NStZ 2015, 48; vom 21. März 2017 – 1 StR 622/16, NStZ 2017, 482, 483), das sich auf die pauschale Behauptung beschränkt, auf Initiative des Gerichts sei „ein Rechtsgespräch“ (vgl. BGH, Beschlüsse vom 29. April 2014 – 3 StR 24/14, NStZ 2014, 529 f.; vom 23. Juni 2022 – 2 StR 269/21, NStZ-RR 2022, 355) durchgeführt, eine Verständigung „jedoch nicht erzielt“ worden (vgl. KK-StPO/Schneider, 9. Aufl., § 243 Rn. 112 mwN).

(4) Der Beschwerdeführer behauptet schließlich auch nicht, dass es ihm oder seinem Revisionsverteidiger unmöglich gewesen wäre, nähere Informationen zum Verfahrensgeschehen bei seinem Instanzverteidiger einzuholen (vgl. hierzu BVerfG [Kammer], Beschluss vom 22. September 2005 – 2 BvR 93/05, StraFo 2005, 512, 513; BGH, Urteil vom 3. August 2022 – 5 StR 203/22; Beschluss vom 23. November 2004 – 1 StR 379/04, NStZ 2005, 283; Hamm/Pauly, Die Revision in Strafsachen, 8. Aufl. Rn. 408 mwN).“

StPO III: Nochmals Encro-Chat in der Revision, oder: Keine Vorlage an den EuGH

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Und als dritte Entscheidung dann noch der BGH, Beschl. v. 27.04.2023 – 5 StR 421/22. Er hat noch einmal das „Lieblingsthema“ einiger Kollegen in BtM-Verfahren zum Gegenstand, nämlich Encro-Chat und die Verwertbarkeit der gewonnenen Daten.

Das LG hat hat die Angeklagten u.a. wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt. Einer der Angeklagten hat die Verfahrensrüge erhoben – ohne Erfolg:

„1. Den von dem Angeklagten M. A. C.  erhobenen Verfahrensrügen bleibt aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen der Erfolg versagt. Ergänzend dazu bemerkt der Senat:

a) Die Rüge einer Verletzung des § 261 StPO wegen der vermeintlichen Unverwertbarkeit der Erkenntnisse aus den von französischen Behörden im Wege der Rechtshilfe übermittelten Chatprotokolle des Krypto-Messengerdienstes EncroChat ist mit der Stoßrichtung einer Verletzung von Art. 6 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2014/41/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen (EEA-RL) jedenfalls unbegründet. Wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat, ergeben sich weder aus dem bekannten Verfahrenssachverhalt noch dem weiteren von Spekulationen und Mutmaßungen getragenen Revisionsvorbringen Hinweise darauf, dass „deutsche Stellen […] weit im Vorfeld der erstmaligen Erlangung von Daten durch französische Strafverfolgungsbehörden […] an der Ermittlungstätigkeit beteiligt waren.“

b) Soweit die Rüge mit der Stoßrichtung erhoben ist, ein Verwertungsverbot ergebe sich aus einem Verstoß gegen das „unionsrechtlich überformte Datenschutzrecht“, insbesondere hätten die zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/680 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2008/977/JI des Rates (Datenschutzrichtlinie für Polizei und Justiz) erlassenen Vorschriften der §§ 45 ff. BDSG angewendet werden müssen, trifft dies nicht zu. Die §§ 45 ff. BDSG finden auf den hier gegebenen Sachverhalt keine Anwendung, weil den Vorschriften der Strafprozessordnung als bereichsspezifischen Sonderregelungen – wie sich aus § 1 Abs. 2 Satz 1 BDSG und § 500 Abs. 2 StPO erschließt – der Vorrang gebührt (vgl. etwa BeckOK-Datenschutzrecht/Wolff, 43. Edition [Stand: 1. November 2021], § 45 BDSG Rn. 39; Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, StPO, 65. Aufl., 2022, § 500 Rn. 2; BeckOK-StPO/von Häfen, 46. Edition [Stand: 1. Januar 2023], § 500 Rn. 6b; vgl. auch KK-StPO/Weingarten, 9. Aufl., § 161 Rn. 1b; KK-StPO/Henrichs/Weingast, aaO; § 105 Rn. 1; Mosbacher, JuS 2022, 726, 729 f.; aA offenbar KK-StPO/Graf, aaO, § 500 Rn. 5; Singelnstein NStZ 2020, 639; wohl auch LG Kiel, StraFo 2022, 30; diesem für die Frage der Wirksamkeit einer Einwilligung in strafprozessuale Zwangsmaßnahmen, die eine Datenerhebung beinhalten, folgend Gola/Heckmann/Braun, Datenschutz-Grundverordnung, Bundesdatenschutzgesetz, 3. Aufl., § 45 BDSG Rn. 4).

c) Eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahrens kommt nach Art. 267 Abs. 2 AEUV nur in Betracht, wenn das Gericht eines Mitgliedstaats eine Entscheidung des EuGH über eine klärungsbedürftige europarechtliche Frage „zum Erlass seines Urteils für erforderlich“ hält, mithin nur dann, wenn die aufgeworfene Frage entscheidungserheblich ist. Dies ist hier nicht der Fall, weil die Rügen losgelöst von europarechtlichen Fragen erfolglos bleiben. Dies gilt entgegen der Revision erst recht, wenn ein vermeintlich aus europarechtlichen Vorschriften herrührendes Beweisverwertungsverbot schon nicht in zulässiger Weise zum Gegenstand einer Verfahrensrüge gemacht worden ist.“