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Zurückverweisung durch das Revisionsgericht, oder: Abwicklungstätigkeiten des Rechtsanwalts?

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Und als zweite Entscheidung dann hier der AG Nürnberg, Beschl. v. 14.02.2024 – 401 Ds 207 Js 8267/22. Der liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Rechtsanwalt ist dem Angeklagten als Pflichtverteidiger beigeordnet worden  nd hat ihn seither im ersten, zweiten sowie dritten Rechtszug vertreten. Die Revision des Angeklagten gegen das landgerichtliche Berufungsurteil war teilweise erfolgreich und die Sache wurde mit Beschluss des BayObLG vom 23.11.2023 im Umfang der erfolgten Aufhebung an eine andere Strafkammer des LG Nürnberg-Fürth zurückverwiesen.

Dort ging die Sache am  29.12.2023 wieder ein und wurde mit dortiger Verfügung vom 03.01.2024 an die 15. Strafkammer übertragen. Als erste Verfahrenshandlung dieser Kammer wurde mit Beschluss vom 10.01.2024 die Pflichtverteidigerbestellung gemäß § 143 Abs. 2 StPO aufgehoben.

Der Rechtsanwalt hat in seinem Kostenfestsetzungsantrag vom 13.01.2024 die Verfahrensgebühr Nr. 4124 VV RVG samt einer Post- und Telekommunikationspauschale nach Nr. 7002 VV RVG geltend. Der Rechtspfleger des AG hat die Gebühr nicht festgesetzt:

„Grundsätzlich können mehrere Angelegenheiten im Falle einer Verweisung entstehen. Zu unterscheiden ist dabei danach, ob an ein Gericht desselben oder eines niedrigeren Rechtszugs verwiesen wird. Bei einer Verweisung an das Gericht desselben Rechtszugs zählt das weitere Verfahren noch zur selben gebührenrechtlichen Angelegenheit (§ 20 S. 1 RVG). Wird dagegen – wie vorliegend – an ein Gericht eines niedrigeren Rechtszugs verwiesen, handelt es sich bei dem weiteren Verfahren nach Verweisung um eine neue Angelegenheit i. S. d. § 15 RVG (§ 20 S. 2 RVG).

Damit die Gebühr nach VV Nr. 4124 RVG entsteht, muss allerdings auch eine entsprechende, die Gebühr auslösende Tätigkeit des Anwalts erfolgt sein. In seinen Ausführungen gibt Rechtsanwalt pp. auf Nachfrage des Gerichts hierzu an, er habe seinem Mandanten mit Schreiben vom 13.01.2024 die Sach- und Rechtslage im Hinblick auf die Erfolgsaussichten einer etwaigen sofortigen Beschwerde gegen die Entpflichtungsentscheidung erläutert. Er habe seinen Mandanten weiterhin mit Schreiben vom 27.11.2023 auch über das Ergebnis der erfolgreichen Revision und den weiteren Verlauf des Berufungsverfahrens informiert.

Grundsätzlich gilt für die Gebühr VV-Nr. 4124 RVG, dass die Einlegung einer Berufung und die Besprechung der erstinstanzlichen Entscheidung noch durch die Verfahrensgebühr der ersten Instanz abgedeckt sind. Analog auf das Verfahren nach Zurückverweisung angewendet ist demnach die im Schreiben vom 27.11.2023 entfaltete Tätigkeit noch von der – bereits am 23.01.2024 aufgrund eines anderen Kostenfestsetzungsantrages des Antragstellers – festgesetzten Verfahrensgebühr der dritten Instanz abgedeckt. Eine allgemeine Information über den grundsätzlichen weiteren Verlauf der neuen Berufungsinstanz vor der eigentlichen Anhängigkeit bei der 15. Strafkammer löst ebenfalls noch keine neue Verfahrensgebühr aus. Es ist üblich, dass sich nach der Kenntnisnahme einer Entscheidung der Prozessbevollmächtigte gegenüber dem Mandanten mündlich oder schriftlich äußert. Diese Tätigkeit ist jedoch noch der gerade zu Ende gegangenen Instanz zuzurechnen.

Die Erläuterung der Sach- und Rechtslage im Hinblick auf die Erfolgsaussichten einer etwaigen sofortigen Beschwerde gegen die erfolgte Entpflichtung erfolgte zeitlich nach der Entpflichtungsentscheidung. Allein deshalb ist bereits keine Grundlage mehr für eine Festsetzung gegen die Staatskasse gegeben. Zudem ist jedoch anzumerken, dass die im Schreiben vom 13.01.2024 entfaltete Tätigkeit m.E. an der Stelle in der neuen Berufungsinstanz die Gebühr VV-Nr. 4124 RVG generell auch noch nicht ausgelöst hat: Die von Rechtsanwalt pp. Fundstelle „Burhoff, Nr. 4124 VV, Rn. 13″ listet zwar unter den von VV-Nr. 4124 RVG erfassten, allgemeinen Tätigkeit u.a. „Pflichtverteidigerbestellung und damit ggf. zusammenhängende Rechtsmittel“, meint m.E. damit aber auch explizit Tätigkeiten in Bezug nur auf eine Bestellungs- und eben gerade nicht auf eine Entpflichtungsentscheidung. Die Prüfung von Erfolgsaussichten dazu sind m.E. vielmehr zunächst nach den VV-Nr. 2100 ff RVG durch den Mandanten selbst zu tragen. Wäre ein Rechtsmittel eingelegt worden, würden dafür dann die üblichen Anrechnungsmodalitäten auf später entstehenden Gebühren gelten.

Die Post- und Telekommunikationspauschale war ebenfalls abzusetzen, da diese grundsätzlich nur entstehen kann, wenn auch eine Gebühr in einer Angelegenheit entstanden war.“

M.E. falsch. Die Argumentation ähnelt der, die wir bei der Frage nach der Erstattung der Gebühren kennen, wenn die Staatsanwaltschaft ihr Rechtsmittel vor Begründung zurücknimmt. Zudem ist die Revisionsinstanz mit der Entscheidung des Revisionsgerichts beendet und es liegt eine neue Angelegenheit vor, die eben nicht mehr von der Gebühr für das Revisionsverfahren honoriert wird. Die Tätigkeiten des Rechtsanwalts gehen m.E. auch erheblich über bloße Abwicklungstätigkeiten hinaus. Also: Die Gebühr hätte festgesetzt werden müssen.

Gegenstandswert I: Gebühren im Adhäsionsverfahren, oder: Wert im Revisionsverfahren

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Und dann am Freitag Gebühren, heute zwei Entscheidungen zum Gegenstandswert.

Ich beginne mit dem BGH, Beschl. v. 12.02.2024 – 5 StR 243/23 – zum Gegenstandswert  für die Rechtsanwaltsgebühren des Verteidigers des Angeklagten im Adhäsionsverfahren in der Revisionsinstanz.

Das LG hat im Adhäsionsverfahren den Angeklagten verurteilt, an den Adhäsionskläger U.L. 9.319,38 EUR „nebst 5 % über Basiszins“ ab dem 30. Dezember 2022 zu zahlen, soweit „diese nicht auf Dritte übergegangen sind“. Darüber hinaus hat es festgestellt, dass der Angeklagte dem Grunde nach verpflichtet ist, an die Adhäsionskläger U. und H. L. alle künftigen materiellen und immateriellen Schäden, die ihnen aus der Tötung des J.L. entstanden sind, zu zahlen, soweit der Anspruch nicht auf Dritte übergegangen ist. Im Übrigen hat es von einer Entscheidung über die Adhäsionsanträge abgesehen.

Der Pflichtverteidiger hat beantragt, den Gegenstandswert des Adhäsionsverfahrens in der Revisionsinstanz festzusetzen (§ 33 Abs. 1 RVG). Eine bindende Wertfestsetzung durch das Gericht (§ 32 RVG, § 63 GKG) gibt es bislang nicht.

Der BGh führt aus:

„Der Gegenstandswert im Adhäsionsverfahren bestimmt sich nach dem wirtschaftlichen Interesse der Antragsteller. Im Rechtsmittelverfahren ist gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 RVG iVm § 47 Abs. 1 Satz 1 GKG der Antrag des Rechtsmittelführers maßgeblich, wobei der Wert durch denjenigen des Streitgegenstands im ersten Rechtszug beschränkt ist (§ 47 Abs. 2 Satz 1 GKG). Insoweit kommt es hier auf die vom Angeklagten im Revisionsverfahren abgewehrten Ansprüche der Adhäsionskläger an, mithin diejenigen wegen derer es zu einer Verurteilung durch das Landgericht gekommen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Oktober 2023 – 6 StR 198/22).

Danach beträgt der Gegenstandswert des Adhäsionsverfahrens in der Revisionsinstanz 23.319,38 Euro. Dieser Betrag setzt sich aus dem ausgeurteilten Zahlungsbetrag in Höhe von 9.319,38 Euro und dem geschätzten Wert des Gegenstands des Ausspruchs über die Feststellungsanträge, soweit ihnen stattgegeben worden ist, zusammen (6.000 Euro betreffend den Adhäsionskläger U. L, 8.000 Euro betreffend die Adhäsionsklägerin H.L.).“

War das (fristwahrende) Rechtsmittel notwendig?, oder: Überprüfung der Verteidigerentscheidung?

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Und heute dann RVG-Tag. Zum Glück habe ich in den letzten Tagen zwei Entscheidungen geschickt bekommen, so dass ich die vorstellen kann. Mein Aufruf, mir (gebührenrechtliche) Entscheidungen zu schicken, gilt aber nach wie vor.

Hier dann also der LG Heidelberg, Beschl. v. 09.05.2023 – 12 Qs 16/23 -, den mir der Kollege Nagel aus Limburg geschickt hat. Der hat um seine Gebühren im Rechtsmittelverfahren kämpfen müssen. Der Kollege hatte als Pflichtverteidiger den Angeklagten in einem Verfahren wegen Beleidigung in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte u.a. verteidigt. Nachdem der Angeklagte vom AG zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten verteilt worden war, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, hat der Kollege hiergegen im Namen des Angeklagten Berufung eingelegt. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass die Einlegung zunächst fristwahrend erfolge, um dem Mandanten die Möglichkeit zu geben, sich erneut mit ihm zu besprechen. Hintergrund sei, dass die Staatsanwaltschaft im Hauptverhandlungstermin eine Freiheitsstrafe von zwölf Monaten ohne Bewährung beantragt und in der Hauptverhandlung keinen Rechtsmittelverzicht erklärt habe, weswegen nicht abgeschätzt werden könne, ob diese das Urteil akzeptiere.

Nachdem die Staatsanwaltschaft kein Rechtsmittel eingelegt hat, hat der Kollege, der die Sach- und Rechtslage zwischenzeitlich sowohl mit seinem Mandanten als auch mit dem Vorsitzenden der Berufungskammer erörtert hatte, die Berufung namens und im Auftrag seines Mandanten zurückgenommen.

Das AG hat – dem Kostenfestsetzungsantrag des Verteidigers folgend – die Pflichtverteidigervergütung festgesetzt und dabei auch die Gebühren nach Nrn. 4124, 4141 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 VV RVG gewährt. Der Vertreter der Staatskasse hat das beanstandet und Erinnerung eingelegt, mit der er beantragt hat, die festgesetzten Pflichtverteidigergebühren – durch Abzug der Gebühren für das Berufungsverfahren – zu reduzieren. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass die insoweit geltend gemachten und festgesetzten Gebühren auf nicht notwendigem Verteidigerhandeln beruhten und daher nicht erstattungsfähig seien. Der Pflichtverteidiger dürfe nicht besser gestellt werden, als er stünde, wenn er als Wahlverteidiger beauftragt und die Staatskasse erstattungspflichtig wäre. Auch in diesem Fall würde nur die durch notwendige Verteidigung entstandene Vergütung ersetzt werden. Da dem Angeklagten nach der Berufungsrücknahme die Kosten auferlegt worden seien, bestünde in diesem Fall für einen Wahlverteidiger kein Erstattungsanspruch; der Pflichtverteidiger dürfe insoweit nicht bessergestellt werden. Werde die Berufung zurückgenommen, so sei davon auszugehen, dass schon die Einlegung nicht notwendig gewesen sei.

Das AG ist dem dann gefolgt. Die dagegen gerichtete Beschwerde des Kollegen hatte Erfolg. Das LG hat sowohl die Nr. 4124 VV RVG als auch die Nr. 4141 VV RVG gewährt:

„Der Beschwerdeführer hat einen Anspruch auf Festsetzung von Pflichtverteidigergebühren in Höhe von insgesamt 1.982,25 €, weshalb der angefochtene Beschluss des Amtsgerichts mit dem dieser Betrag um die Gebühren für das Berufungsverfahren gekürzt wurde, aufzuheben war.

Sowohl die Verfahrensgebühr für die Berufung (Nr. 4124 VV RVG) als auch die Gebühr für die Berufungsrücknahme (Nr. 4141 Abs. 1 Nr. 3 VV RVG) sind entstanden. Letztgenannte Gebühr entsteht gemäß Nr. 4141 Abs. 2 VV RVG nur dann nicht, wenn eine auf die Förderung des Verfahrens gerichtete Tätigkeit (des Verteidigers) nicht ersichtlich ist, was hier nicht der Fall ist. Die Berufungseinlegung selbst sowie beratende Tätigkeit vor der Einlegung werden mit der Verfahrensgebühr für das erstinstanzliche Verfahren abgegolten; Tätigkeiten des Verteidigers nach Einlegung des Rechtsmittels aber über die Verfahrensgebühr für die Rechtsmittelinstanz (vgl. KG Berlin v. 20.01.2009 (1 Ws 382/08). Nach Aktenlage hat der Verteidiger nach der Berufungseinlegung sowohl mehrere Beratungsgespräche mit seinem Mandanten geführt als auch die Sach- und Rechtslage mit dem Vorsitzenden der Berufungskammer erörtert, so dass ein Tätigwerden nach Berufungseinlegung vorliegt.

Wie der Bezirksrevisor in seiner Stellungnahme vom 22.03.2022 zutreffend ausführt, ist die Frage, ob Gebührenansprüche des Verteidigers entstanden sind, grundsätzlich von der Frage zu unterscheiden, ob diese auch von der Staatskasse zu erstatten sind. Vorliegend hat jedoch eine Erstattung zu erfolgen, weil das Tätigwerden des Verteidigers im Rahmen des Berufungsverfahrens – entgegen der Ansicht des Bezirksrevisors und des Amtsgerichts – kein „nicht notwendiges Verteidigerhandeln“ darstellt.

Soweit im angefochtenen Beschluss auf einen Vergleich mit einem Wahlverteidiger abgestellt und ausgeführt wird, dass der Pflichtverteidiger keine Erstattung verlangen könne, weil er ansonsten besser stehe als der Wahlverteidiger, der – aufgrund der vollständigen Kostentragung des Angeklagten bei Berufungsrücknahme – keinen Erstattungsanspruch habe, trägt diese Argumentation nicht. Zum einen handelt es sich um andere, nicht vergleichbare Konstellationen, zum anderen hätte sie zur Konsequenz, dass der Pflichtverteidiger in keinem Fall, in dem sein Mandant verurteilt wird und dementsprechend die Kosten zu tragen hat, eine Erstattung verlangen könnte. Auch der Begründung des Bezirksrevisors, woraus sich schon aus der Rücknahme des Rechtsmittels ergebe, dass deren Einlegung nicht notwendig gewesen sei, vermag die Kammer nicht zu teilen.

Denkbar wäre allenfalls die Notwendigkeit des Verteidigerhandelns nach der Berufungseinlegung dann zu verneinen, wenn die Berufungseinlegung allein vorsorglich für den Fall einer Einlegung auch durch die Staatsanwaltschaft erfolgt wäre. In einem solchen Fall könnte man – in Anlehnung an die bestehende und in der Erinnerung des Bezirksrevisors zitierte Rechtsprechung, wonach Verteidigertätigkeit auf ein allein von der Staatsanwaltschaft eingelegtes Rechtsmittel noch vor dessen Begründung nicht notwendig und damit nicht erstattungsfähig sei (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, 65. A. 2022, § 464a Rn 10 m.w.N.) – möglicherweise von einem nicht notwendigen Verteidigerhandeln ausgehen. Ob die genannte Rechtsprechung auf eine solche Fallgestaltung übertragen werden kann, kann aber letztlich dahinstehen, da ein solcher Fall nicht vorliegt. Der Verteidiger führte im Rahmen seiner Berufungseinlegung vom 24.07.2019 zwar aus, dass diese vor dem Hintergrund erfolge, dass man nicht wisse, ob das Urteil seitens der Staatsanwaltschaft akzeptiert werde, nannte als weiteren Beweggrund aber auch den Umstand, dass die Einlegung erfolge, um nochmals die Möglichkeit zu haben, sich mit seinem Mandanten zu besprechen. In der Folge machte er deutlich, dass er sich für den Fall, dass die Staatsanwaltschaft kein Rechtsmittel einlege, erneut mit seinem Mandanten beraten und die Berufung dann gegebenenfalls zurücknehmen werde. Dass die Einlegung ausschließlich für den Fall einer Rechtsmitteleinlegung auch durch die Staatsanwaltschaft erfolgte, lässt sich dem gerade nicht entnehmen. Dass die eigene Berufung im Falle einer Nichteinlegung der Staatsanwaltschaft wieder zurückgenommen wird, wird zwar als Möglichkeit in Aussicht gestellt, aber keineswegs verbindlich angekündigt.

Auch wenn das Amtsgericht im erstinstanzlichen Verfahren im Wesentlichen dem Antrag der Verteidigung gefolgt ist, so lässt sich auch daraus nicht entnehmen, dass das Weiterverfolgen der eigenen Berufung (auch ohne gleichzeitige Einlegung der Staatsanwaltschaft) mit dem Ziel, eine für den Mandanten günstigere Entscheidung zu erwirken, von vornherein sinn- oder zwecklos wäre. Das Amtsgericht hat den Angeklagten zwar – dem Antrag des Verteidigers folgend – zu einer Bewährungsstrafe verurteilt und dabei auch die vom Verteidiger vorgeschlagenen Bewährungsauflagen übernommen, es ging aber auch über den Verteidigerantrag hinaus, indem es eine Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten ausgesprochen hat, während der Verteidiger eine solche von sieben Monaten beantragt hatte. Hinzu kommt, dass der Angeklagte die ihm vorgeworfenen Taten ausweislich des Protokolls in der Hauptverhandlung zwar weitgehend, aber nicht vollumfänglich eingeräumt hat. Hinsichtlich einer der vier angeklagten Taten hatte der Verteidiger zudem eine Einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO angeregt, welcher die Staatsanwaltschaft entgegengetreten war. Schließlich kommt hinzu, dass nach Einlegung der Berufung wegen neuerlicher Straffälligkeit eines neues Verfahren seitens der Staatsanwaltschaft Heidelberg gegen den Angeklagten geführt wurde (am 08.08.2019 erging deshalb erneut Haftbefehl gegen ihn) und für die Verteidigung nunmehr auch die Möglichkeit einer Gesamtstrafenbildung im Falle der Weiterverfolgung der Berufung zu bedenken war. Diese Thematik wurde seitens des Verteidigers am 26.09.2019 mit dem Vorsitzenden der Berufungskammer erörtert, wobei der Verteidiger dabei noch erklärte, dass er sich wegen dieses Umstandes zunächst an einer Berufungsrücknahme gehindert sehe und er die Angelegenheit nochmals mit seinem Mandanten besprechen wolle.

Angesichts dieser Umstände vermag die Kammer nicht festzustellen, dass die Einlegung der Berufung bzw. das weitere Tätigwerden im Berufungsverfahren – auch nachdem bekannt war, dass die Staatsanwaltschaft kein Rechtsmittel eingelegt hat – nicht notwendig gewesen wäre. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass die Entscheidung über die Art und Weise der Verteidigung grundsätzlich dem Verteidiger und seinem Mandanten obliegt und im Rahmen einer gerichtlichen Überprüfung dieser Entscheidung im Hinblick auf die Notwendigkeit einzelner Verteidigungshandlungen eine gewisse Zurückhaltung geboten erscheint.“

Dazu kurz Folgendes:

  1. Das LG „verteilt“ die vom Kollegen, der auch im Ausgangsverfahren tätig war, in Zusammenhang mit einem Rechtsmittel zu erbringenden Tätigkeiten zutreffend: Die Rechtsmitteleinlegung selbst sowie beratende Tätigkeit vor der Einlegung werden mit der Verfahrensgebühr für das erstinstanzliche Verfahren abgegolten, was aus § 19 Abs. 1 Satz. 2 Nr. 10 RVG folgt. Alles Tätigkeiten des Verteidigers nach Einlegung des Rechtsmittels werden aber von der jeweiligen Verfahrensgebühr für die Rechtsmittelinstanz erfasst, was sowohl für das Berufungsverfahren gilt (Nr. 4124 VV RVG) als auch für das Revisionsverfahren.
  2. Der Kollege hatte Verteidiger bei der Einlegung seiner Berufung darauf hingewiesen hatte, dass die Einlegung zunächst nur fristwahrend erfolge. Daraus und aus der später erfolgten Berufungsrücknahme nun den Schluss ziehen zu wollen – was der Vertreter der Staatskasse tut –, dass deshalb die Verfahrensgebühren für das Berufungsverfahren nicht entstanden seien, ist m.E. abwegig. Entscheidend ist – und darauf will das LG auch wohl abstellen – die Sicht „ex ante“. Aus der Sicht war die Berufungseinlegung aber notwendig, schon um ggf. in Gesprächen mit der Staatsanwaltschaft nach Rücknahme einer ggf. von dort aus eingelegten Berufung über die beiderseitige Rücknahme „verhandeln“ zu können. Wohltuend ist in dem Zusammenhang der Hinweis des LG, dass die Entscheidung über die Art und Weise der Verteidigung grundsätzlich dem Verteidiger und seinem Mandanten obliege und im Rahmen einer gerichtlichen Überprüfung dieser Entscheidung im Hinblick auf die Notwendigkeit einzelner Verteidigungshandlungen eine gewisse Zurückhaltung geboten erscheine. Das liest man leider viel zu selten und das wird leider noch viel seltener beachtet. Im Grunde geht es die Vertreter der Staatskasse gar nichts an, warum Berufung eingelegt worden ist.
  3. Aber Vorsicht. Die Entscheidung ist kein Freibrief für Verteidigerhandeln im Rechtsmittelverfahren. Das LG lässt m.E. deutlich erkennen, dass es ggf. zu einer Beurteilung gekommen wäre, wenn der Verteidiger die Rücknahme der Berufung verbindlich angekündigt hätte, falls die Staatsanwaltschat ein ggf. von ihr eingelegtes Rechtsmittel wieder zurücknimmt. „Gerettet“ hat den Verteidiger/Mandanten hier der Umstand, dass man auch in dem Fall die Sach- und Rechtslage noch einmal mit dem Mandanten erörtern wollte. Das sollte bei der Rechtsmitteleinlegung beachtet und ggf. ausgeführt werden.

Streitwert für Abwehr mehrerer Adhäsionsanträge, oder: Wirtschaftliches Interesse des Antragstellers

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Die zweite Entscheidung kommt vom BGH, der sich ja zu gebührenrechtlichen Fragen nicht so häufig äußert. Der hat nun im BGH, Beschl. v. 07.11.2022 – 6 StR 124/22 – zum Gegenstandswert im Adhäsionsverfahren Stellung genommen, wenn es um die Abwehr mehrerer Adhäsionsansprüche geht.

Der BGH meint:

„Das Landgericht hatte den Angeklagten im Adhäsionsverfahren verurteilt, Schmerzensgeld an die beiden Geschädigten zu zahlen, an die Adhäsionsklägerin S.K.in Höhe von 2.000 Euro und an den Adhäsionskläger M.K.in Höhe von 12.000 Euro. Außerdem hatte es festgestellt, dass der Angeklagte verpflichtet ist, beiden Adhäsionsklägern künftige materielle Schäden zu ersetzen, die aus den abgeurteilten Taten entstehen, und dass die Ansprüche der Adhäsionskläger aus vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlungen des Angeklagten herrühren. Gegen das Urteil hatte der Angeklagte unbeschränkt Revision eingelegt. Im Kostenfestsetzungsverfahren hat der dem Angeklagten beigeordnete Verteidiger nunmehr beantragt, den Gegenstandswert seiner Tätigkeit im Adhäsionsverfahren in der Revisionsinstanz betreffend die Adhäsionsklägerin S.K. festzusetzen (§ 33 Abs. 1 RVG).

Der Antrag auf Wertfestsetzung für die Rechtsanwaltsgebühren ist dahin auszulegen, dass er sich auf beide Adhäsionskläger bezieht (§ 300 StPO). Tritt der Verteidiger – wie hier – im Adhäsionsverfahren den Anträgen mehrerer Adhäsionskläger entgegen, ist für die Gebührenberechnung der Gesamtgegenstandswert maßgeblich (vgl. OLG Düsseldorf, NStZ-RR 2017, 296), der sich aus einer Zusammenrechnung der Gegenstandswerte der einzelnen Adhäsionsanträge ergibt (vgl. Volpert in Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, Mehrere Auftraggeber (§ 7, Nr. 1008 VV) Rn. 1590 mwN).

Für die beantragte Wertfestsetzung ist nach § 1 Abs. 3 RVG i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG der Berichterstatter als Einzelrichter zuständig (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. August 2021 – GSZ 1/20; vom 18. August 2021 – 1 StR 363/18).

Der Gegenstandswert von Adhäsionsanträgen bestimmt sich nach dem wirtschaftlichen Interesse der Antragsteller, insbesondere nach den in den Anträgen genannten Beträgen (vgl. MüKo-StPO/Maier, § 472a Rn. 28). Im Rechtsmittelverfahren ist gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 RVG i.V.m. § 47 Abs. 1 Satz 1 GKG der Antrag des Rechtsmittelführers maßgeblich, wobei der Wert durch denjenigen des Streitgegenstands im ersten Rechtszug beschränkt ist (§ 47 Abs. 2 Satz 1 GKG).

Danach beläuft sich der Gesamtgegenstandswert hier auf 19.000 Euro. Er ergibt sich aus den zuerkannten Schmerzensgeldbeträgen von 2.000 Euro und 12.000 Euro sowie dem Wert der Aussprüche über die Feststellung der Ersatzpflicht des Angeklagten für künftige materielle Schäden der Adhäsionskläger, den der Senat in Anbetracht der sich aus den Urteilsgründen ergebenden Umstände – ebenso wie das Landgericht für das erstinstanzliche Verfahren – mit jeweils 2.500 Euro bemisst. Die Feststellungsaussprüche, wonach die Ansprüche der Adhäsionskläger aus vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlungen des Angeklagten herrühren, erhöhen den Gegenstandswert nicht, weil insoweit wirtschaftliche Identität mit den auf Vorsatztaten beruhenden Schmerzensgeldaussprüchen besteht (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Februar 2013 – II ZR 46/13, NJW-RR 2013, 1022 Rn. 3 mwN).“

Versterben des Angeklagten während des Revisionsverfahrens, oder: Auslagenentscheidung

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Heute am Gebührentag zwei BGH-Entscheidungen in den Fällen der Einstellung des Verfahrens im Revisiosnverfahren  in den Fällen, in denen der Angeklagte während des Revisionsverfahrens verstorben ist, und zwar den BGH, Beschl. v. 21.07.2020 – 2 StR 319/19 – und den BGH, Beschl. v. 25.08.2020 – 6 StR 124/20.

Kurz gefasst macht der BGH/das Revisionsgericht Folgendes: Das Verfahren wird nach § 206a StPO eingestellt. Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 467 StPO. Danach werden die die notwendigen Auslagen des Angeklagten aber der Staatskasse nicht auferlegt, wenn das Rechtsmittel es Angeklagten keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte. Genauer nachzulesen hier im BGH, Beschl. v. 21.07.2020 – 2 StR 319/19:

„Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes in Tateinheit mit Raub mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von 14 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Während des Verfahrens über die Revision des Angeklagten ist dieser am 28. Oktober 2019 verstorben.

Das Verfahren ist gemäß § 206a StPO einzustellen (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Juni 1999 – 4 StR 595/97, BGHSt 45, 108, 110 ff.). Das angefochtene Urteil ist damit gegenstandslos, ohne dass es einer Aufhebung bedarf.

Die Kostenentscheidung richtet sich im Fall des Todes des Angeklagten nach den Grundsätzen, die bei Einstellung des Verfahrens wegen eines Verfahrenshindernisses allgemein anzuwenden sind. Deshalb fallen die Auslagen der Staatskasse dieser gemäß § 467 Abs. 1 StPO zur Last. Jedoch wird nach § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO davon abgesehen, die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse aufzuerlegen, weil er nur deshalb nicht rechtskräftig verurteilt wird, da mit seinem Tod ein Verfahrenshindernis eingetreten ist (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Februar 2014 – 1 StR 631/13, NStZ-RR 2014, 160; Beschluss vom 18. Oktober 2017 – 3 StR 342/15). Da das Rechtsmittel des Angeklagten aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 13. September 2019 genannten Gründen keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte, wäre es unbillig, der Staatskasse die notwendigen Auslagen des Angeklagten aufzuerlegen (vgl. Senat, Beschluss vom 30. Juli 2014 – 2 StR 248/14).“