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VerfGH Berlin rügt das knauserige KG, oder: Verfassungsrechtlich unzulässiges Sonderopfer

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Und die zweite Entscheidung bringt dann mal etwas – oder besser: ein klein wenig – Positives zur Pauschgebühr. Es handelt sich um den VerGH Berlin, Beschl. v. 22.04.2020 – VerfGH 177/19. Der hat eine Entscheidung des KG zur Pauschgebühr des Pflichtverteidigers (§ 51 RVG) aufgehoben. Der VerfGH bejaht in dem Fall ein verfassungsrechtlich unzulässiges Sonderopfer des Pflichtverteidigers durch Zuerkennung einer zu geringen Pauschgebühr (für das Ermittlungsverfahren) durch das KG:

„Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt und war ab März 2016 als Wahlverteidiger für Herrn pp. tätig. Am 13. Juli 2016 bestellte das Landgericht Berlin den Beschwerdeführer als Pflichtverteidiger und am 20. Oktober 2016 den mit ihm in einer Partnerschaftsgesellschaft verbundenen Rechtsanwalt pp. als weiteren Pflichtverteidiger.

Nach 71 Sitzungstagen verurteilte das Landgericht (Schwurgerichtskammer) Herrn … am 24. Januar 2018 wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwölf Fällen und wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Der Beschwerdeführer beantragte im Januar 2019 die Festsetzung einer Pauschgebühr in Höhe von 104.672,97 Euro (brutto) nach § 51 des Gesetzes über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte – RVG -. Zur Begründung gab er an, die Pflichtverteidigervergütung (Vergütung nach dem Vergütungsverzeichnis der Anlage 1 zum RVG) für das Verfahren belaufe sich auf 43.906,24 Euro und reiche wegen des besonderen Umfangs und der besonderen Schwierigkeit des Verfahrens zur Vergütung seiner Tätigkeit nicht aus.

Der Bezirksrevisor des Kammergerichts teilte zum Antrag des Beschwerdeführers mit, er halte eine Pauschgebühr von 2.799,00 Euro für den anwaltlichen Zeitaufwand im Ermittlungsverfahren für angezeigt. Der Beschwerdeführer habe an außergewöhnlich umfangreichen Vernehmungen, zahlreichen Besprechungen mit seinem in das Zeugenschutzprogramm aufgenommenen Mandanten und den dafür erforderlichen organisatorischen Besprechungen und Treffen mit Beamten des Landeskriminalamtes teilgenommen. Die Pflichtverteidigergebühren würden diesem Aufwand nicht gerecht und könnten nur teilweise durch die im Verhältnis zur Terminsdauer angesetzten Terminsgebühren im Hauptverfahren kompensiert werden. Eine darüber hinausgehende Pauschgebühr sei indes nicht angezeigt. Das Verfahren sei zwar besonders schwierig und auch umfangreich, aber es sei nicht ersichtlich, dass der Beschwerdeführer seine Arbeitskraft längere Zeit fast ausschließlich diesem Verfahren habe widmen müssen.

Das Kammergericht hat den Antrag des Beschwerdeführers auf Festsetzung einer Pauschgebühr mit Beschluss vom 24. Oktober 2019, diesem am 29. Oktober 2019 zugegangen, zurückgewiesen. Das Ermittlungsverfahren habe den Beschwerdeführer zeitlich stark beansprucht und die Hauptverhandlung sei schwierig gewesen. Diese Umstände würden indes kompensiert durch gesetzlich vorgesehene erhöhte Gebühren für das Schwurgerichtsverfahren, eine Belastungsverringerung durch den zweiten Pflichtverteidiger, die Möglichkeit der Bearbeitung weiterer Mandate insbesondere mit Blick auf den zweiten Pflichtverteidiger und durchschnittlich nur knapp dreistündige Hauptverhandlungstermine an durchschnittlich nur 1,1 Tagen pro Woche. Dem Umstand, dass sich der Mandant im Zeugenschutzprogramm befunden habe, sei durch die Zuschläge für nicht auf freiem Fuß befindliche Beschuldigte Rechnung getragen worden. Auch die Sprachkenntnisse des Mandanten rechtfertigten keine Pauschgebühr.

Mit seiner am Montag, dem 30. Dezember 2019 erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seines Grundrechtes auf Berufsausübungsfreiheit. Das Kammergericht verkenne den Bedeutungsgehalt des Grundrechts und habe bei der Entscheidung sachfremde Erwägungen angestellt. Eine Kompensation für Umfang und Schwierigkeit des Verfahrens sei nicht eingetreten. Eine Kompensation für die besondere Schwierigkeit sei schon unzulässig. Die Schwierigkeit sei auch nicht wegen seiner Erfahrung geringer einzuschätzen. Davon sei das Kammergericht jedoch ausgegangen. Die erhöhten Gebühren für das Schwurgerichtsverfahren kompensierten Umfang und Schwierigkeit entgegen der kammergerichtlichen Auffassung nicht, anderenfalls könne für derartige Verfahren nie eine Pauschgebühr festgesetzt werden. Die Tätigkeiten in den Ermittlungsverfahren, die nicht zur Anklage im vorliegenden Verfahren geführt hätten, seien zu berücksichtigen, denn sie seien für die Beweisaufnahme und Beweiswürdigung im vorliegenden Verfahren relevant und hätten zu einer Strafmilderung geführt. Zudem seien in diesen Ermittlungsverfahren keine Kostenentscheidungen ergangen. Die Bestellung eines zweiten Pflichtverteidigers habe nicht zu einer Kompensation geführt. Beide Pflichtverteidiger seien in gleichem Umfang mit der Sache befasst gewesen und es habe eine Arbeitsteilung im herkömmlichen Sinne gefehlt. Zudem sei die Bestellung erst nach Abschluss des arbeitsintensiven Ermittlungsverfahrens erfolgt und der zweite Pflichtverteidiger habe die ihm zur Verfügung stehenden drei Wochen bis zur Hauptverhandlung benötigt, um sich einzuarbeiten.

Der Beschwerdeführer hat mit seiner Verfassungsbeschwerde eine unvollständige Kopie des angegriffenen kammergerichtlichen Beschlusses eingereicht, worauf er mit Schreiben vom 15. Januar 2020 vom Verfassungsgerichtshof hingewiesen worden ist. Am 20. Januar 2020 hat er einen Wiedereinsetzungsantrag gestellt, diesen begründet und eine vollständige Kopie des Beschlusses sowie eine eidesstaatliche Erklärung seiner Fachangestellten pp. übersandt.

Der Äußerungsberechtigte hat Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.

 II.

Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist begründet.

1. …..

2. Das Kammergericht hat bei seiner Auslegung des § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG Bedeutung und Tragweite der Berufsfreiheit des Beschwerdeführers verkannt. Es enthält ihm für den ersten Abschnitt des Strafverfahrens die von Verfassungs wegen gebotene Vergütung für seine Tätigkeit als Pflichtverteidiger vor und schränkt dadurch seine Berufsfreiheit unverhältnismäßig ein. Zur Wahrung der verfassungsrechtlichen Zumutbarkeit ist die Festsetzung einer Pauschgebühr zwar nicht für das gesamte Verfahren, aber in erhöhter Form für den Verfahrensabschnitt bis zum Eingang der Anklageschrift beim Landgericht erforderlich.

a) Die Pflichtverteidigerbestellung ist ein Eingriff in die durch Art. 17 der Verfassung von Berlin – VvB – grundrechtlich geschützte Berufsausübung (vgl. zu Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes: BVerfG, Beschlüsse vom 1. Februar 2005 – 2 BvR 2456/04 -, juris Rn. 4 und vom 28. April 1975 – 2 BvR 207/75 -, juris Rn. 12). Der Eingriff dient der Sicherung der Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens und damit dem Gemeinwohl. Zweck der Pflichtverteidigung ist es, im öffentlichen Interesse dafür zu sorgen, dass Beschuldigte in schwerwiegenden Fällen rechtskundigen Beistand erhalten und das Verfahren ordnungsgemäß abläuft. Der Gesetzgeber hat die im öffentlichen Interesse liegende Aufgabe der Pflichtverteidigung nicht als eine vergütungsfrei zu erbringende Ehrenpflicht angesehen, sondern dem Pflichtverteidiger eine Vergütung zuerkannt. Dass sein Vergütungsanspruch unter den gesetzlichen Rahmenhöchstgebühren des Wahlverteidigers liegt, ist durch einen im Sinne des Gemeinwohls vorgenommenen Interessenausgleich, der auch das Interesse an einer Einschränkung des Kostenrisikos berücksichtigt, gerechtfertigt, sofern die Grenze der Zumutbarkeit für den Pflichtverteidiger gewahrt ist. Das Grundrecht des Pflichtverteidigers auf freie Berufsausübung gebietet in besonders umfangreichen oder besonders schwierigen Verfahren, seiner Inanspruchnahme Rechnung zu tragen und ihn entsprechend zu vergüten. § 51 Abs. 1 RVG soll dies sicherstellen (BVerfG, Beschlüsse vom 1. Juni 2011 – 1 BvR 3171/10 -, juris Rn. 17 f. und vom 20. März 2007 – 2 BvR 51/07 -, juris Rn. 3 f. jeweils m. w. N.; s. a. BT-Drs. 15/1971 S. 201). Nach dieser Vorschrift ist in Strafsachen dem gerichtlich bestellten oder beigeordneten Rechtsanwalt für das ganze Verfahren oder für einzelne Verfahrensabschnitte auf Antrag eine Pauschgebühr zu bewilligen, die über die Gebühren nach dem Vergütungsverzeichnis hinausgeht, wenn die in den Teilen 4 bis 6 des Vergütungsverzeichnisses bestimmten Gebühren wegen des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit nicht zumutbar sind.

b) Die Grenze der verfassungsrechtlichen Zumutbarkeit ist für den Beschwerdeführer durch die Pflichtverteidigergebühren nach dem Vergütungsverzeichnis nicht gewahrt. Dem Beschwerdeführer ist ein unzumutbares Sonderopfer wegen der Zuerkennung einer zu geringen Pauschgebühr für den ersten Verfahrensabschnitt auferlegt worden. Dies hat das Kammergericht bei der Anwendung von § 51 Abs. 1 RVG verkannt.

aa) Der Beschwerdeführer hat für den Verfahrensabschnitt bis zum Eingang der Anklageschrift beim Landgericht jeweils mit einem Zuschlag für einen nicht auf freiem Fuß befindlichen Mandanten eine Grundgebühr von 192,00 Euro (Nr. 4101), eine Verfahrensgebühr von 161,00 Euro (Nr. 4105) sowie zwei Terminsgebühren für die Teilnahme an Vernehmungen durch Strafverfolgungsbehörden von 322,00 Euro (Nr. 4103) und damit insgesamt 675,00 Euro erhalten. Diese Gebühren nach dem Vergütungsverzeichnis stehen außer Verhältnis zu seiner Indienstnahme in diesem Verfahrensabschnitt und werden nicht kompensiert durch die Pflichtverteidigergebühren für den sich anschließenden Verfahrensabschnitt ab Eingang der Anklage beim Landgericht.

Die Arbeitskraft des Beschwerdeführers war durch das vorbereitende Verfahren weit überdurchschnittlich gebunden. In diesem Verfahrensabschnitt nahm er nicht nur an Vernehmungen durch die Strafverfolgungsbehörden teil, sondern auch an 17 Besprechungsterminen mit seinem Mandanten, dem Landeskriminalamt und dem Oberstaatsanwalt. Die Termine fanden an unterschiedlichen und vorgegebenen Orten sowie zu vorgegebenen Zeiten statt, weil der Mandant nach vorangegangener Beratung und notwendiger Vorbereitung durch den Beschwerdeführer ins Zeugenschutzprogramm aufgenommen worden war. Die Zuschläge für nicht auf freiem Fuß befindliche Beschuldigte (Teil 4 Vorbemerkung 4 Absatz 4 des Vergütungsverzeichnisses) in Höhe von insgesamt 123,00 Euro (Nr. 4101, 32,00 Euro; Nr. 4105, 31,00 Euro; Nr. 4103, 60,00 Euro) gleichen dies nicht aus. Auch die erheblich über solche in einem gleichartigen Verfahren hinausgehenden Vor- und Nachbereitungen der Termine nahmen überdurchschnittlich viel Zeit ein, insbesondere weil der Mandant sowohl Beschuldigter als auch Hauptbelastungszeuge im Zusammenhang mit verschiedenen Tatkomplexen war und eine Strafmilderung nach § 46b StGB anstrebte. Die Möglichkeit des Beschwerdeführers, andere Mandate zu bearbeiten, war deshalb während des mehrere Monate umfassenden vorbereitenden Verfahrens erheblich eingeschränkt.

Die weit überdurchschnittliche Inanspruchnahme des Beschwerdeführers im vorbereitenden Verfahren ist nicht durch eine unterdurchschnittliche Inanspruchnahme im Verfahren vor dem Schwurgericht kompensiert worden. In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass ein besonderer Umfang oder eine besondere Schwierigkeit innerhalb eines Verfahrensabschnitts ganz oder teilweise durch einen unterdurchschnittlichen Umfang oder eine unterdurchschnittliche Schwierigkeit innerhalb eines anderen Verfahrensabschnitts kompensiert werden können (OLG Bamberg, Beschluss vom 7. Juni 2017 – 10 AR 30/16 -, juris Rn. 10 m. w. N.). Dies ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. Februar 2005 – 2 BvR 2456/04 -, juris Rn. 9; dagegen offener: BVerfG, Beschluss vom 1. Juni 2011 – 1 BvR 3171/10 -, juris Rn. 27). Voraussetzung für eine Kompensation ist nach diesem – auch vom Kammergericht zugrunde gelegten – Maßstab ein unterdurchschnittlicher Umfang oder eine unterdurchschnittliche Schwierigkeit innerhalb eines Verfahrensabschnitts. Daran fehlt es hier. Das Verfahren vor dem Schwurgericht war weder unterdurchschnittlich schwierig noch unterdurchschnittlich umfangreich. Von einer unterdurchschnittlichen Schwierigkeit und/oder einem unterdurchschnittlichen Umfang geht auch das Kammergericht nicht aus.

bb) Dem Beschwerdeführer wurde kein Sonderopfer abverlangt, soweit ihm das Kammergericht für den Verfahrensabschnitt ab Eingang der Anklage beim Landgericht lediglich die Pflichtverteidigergebühren nach dem Vergütungsverzeichnis zugestanden hat. Die Grenze der verfassungsrechtlichen Zumutbarkeit ist insoweit noch gewahrt.

Dem Beschwerdeführer stehen für diesen Verfahrensabschnitt eine Verfahrensgebühr von 385,00 Euro (Nr. 4119), Terminsgebühren von 517,00 Euro (Nr. 4121) für jeden der 69 wahrgenommenen Hauptverhandlungstage sowie Längenzuschläge für zwei Terminsgebühren von insgesamt 424,00 Euro (Nr. 4122) und damit 36.482,00 Euro zu. Diese Gebühren stehen nicht außer Verhältnis zur Indienstnahme des Beschwerdeführers in dem Verfahrensabschnitt, obgleich das Verfahren in dem achtzehnmonatigen Verfahrensabschnitt besonders umfangreich und besonders schwierig war.

Das gerichtliche Verfahren war über das Normalmaß hinaus umfangreich und insbesondere in tatsächlicher Hinsicht verwickelt und deshalb schwierig. Der Beschwerdeführer hatte einen auch für ein Schwurgerichtsverfahren außergewöhnlich großen Aktenbestand durchzuarbeiten. Das gerichtliche Verfahren war geprägt von der Stellung des im Zeugenschutzprogramm befindlichen Mandanten als Hauptbelastungszeuge und Angeklagter, der abweichenden Verteidigungsstrategie und den komplexen Angriffen der Mitbeschuldigten, den Angriffen des Nebenklägers, der Vielzahl vernommener Zeugen und den vielen Hauptverhandlungsterminen. Zudem traf der Beschwerdeführer seinen gesundheitlich angeschlagenen Mandanten vielfach auch außerhalb der Hauptverhandlung, insbesondere zur Planung des weiteren Prozessverhaltens.

Auch unter Berücksichtigung des mit einem durchschnittlichen Schwurgerichtsverfahren nicht vergleichbaren Aufwandes des Beschwerdeführers ist ihm in dem Verfahrensabschnitt kein unzumutbares Sonderopfer abverlangt worden. Es ist insbesondere nicht ersichtlich, dass der Beschwerdeführer durch seine Pflichtverteidigerbestellung so belastet gewesen ist, dass dies seine Existenz gefährdete oder zumindest erhebliche negative finanzielle Auswirkungen auf seinen Kanzleibetrieb hatte. Zu berücksichtigen sind insoweit insbesondere die Dauer der durchschnittlich etwas mehr als einmal wöchentlich durchgeführten Hauptverhandlungstermine und die Bestellung des weiteren Pflichtverteidigers. Sie ermöglichten dem Beschwerdeführer, Mandate neben seinem Pflichtverteidigermandat zu bearbeiten und den Kanzleibetrieb aufrechtzuerhalten. Die Pflichtverteidigervergütung im Hauptverfahren ist durch die Terminsgebühr geprägt. Diese soll die Vor- und Nachbereitung des Termins sowie die Teilnahme am Termin bis zu fünf Stunden abgelten. Das Kammergericht ist unter Berücksichtigung jeweils mehrstündiger Vor- und Nachbereitungszeiten verfassungsrechtlich unbedenklich von einer im Verhältnis zur durchschnittlich knapp dreistündigen Hauptverhandlungsteilnahme des Beschwerdeführers hohen Terminsgebühr ausgegangen. Soweit die Hauptverhandlung betroffen ist, ist das Kammergericht ebenfalls verfassungsrechtlich unbedenklich davon ausgegangen, dass neben der Vergütung für die Vielzahl von Hauptverhandlungsterminen die Möglichkeit einer Arbeitsteilung für den Beschwerdeführer durch die hier gerade mit Blick auf die zur Sicherung der zügigen Durchführung des Verfahrens erfolgte Bestellung des weiteren Pflichtverteidigers nach § 144 StPO zu berücksichtigen ist. Vertreten zwei Verteidiger einen Angeklagten in der Hauptverhandlung, ist die Belastung für jeden der beiden Verteidiger regelmäßig geringer, als wenn nur ein Verteidiger allein einen Angeklagten verteidigt.“

Ein Schritt in die richtige Richtung, mehr aber leider nicht. Aber immerhin rügt mal ein Verfassungsgericht die restriktive Pauschgebührpraxis eines OLG.

Sind Pauschgebühren außerordentliche Einkünfte?, oder: Pauschgebühr wird normal versteuert

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Als zweite Entscheidung des Tages dann ein Beschluss des BFH mit gebührenrechtlichem Einschlag. Nein, es geht nicht um die Frage, welche Gebühren ggf. im finanzgerichtlichen Verfahren entstehen, sondern darum, ob es sich bei der Pauschgebühr nach § 51 RVG um sog. außerordentliche Einkünfte i.S. von § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG handelt.

Davon war ein (Pflicht)Verteidiger in Sachsen ausgegangen und hatte damit beim Sächsischen G keinen Erfolg. Der BFH hat dann im BFH, Beschl. v. 20.01.2020 – VIII B 121/19 – auch seine Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen:

„Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO -). Die von dem Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor oder sind nicht in einer den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügenden Form dargelegt worden.

1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der vorgelegten Rechtsfragen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) zuzulassen.

a) Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Die Rechtsfrage muss klärungsbedürftig und in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig sein (Beschluss des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 28.04.2016 – IX B 18/16, BFH/NV 2016, 1173). An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es, wenn sich die Beantwortung der Rechtsfrage ohne Weiteres aus dem klaren Wortlaut und Sinngehalt des Gesetzes ergibt oder die Rechtsfrage offensichtlich so zu beantworten ist, wie es das Finanzgericht (FG) in seiner Entscheidung getan hat, wenn die Rechtslage also eindeutig ist. Darüber hinaus ist eine Rechtsfrage auch dann nicht klärungsbedürftig, wenn sie durch die Rechtsprechung hinreichend geklärt ist und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar oder vorgetragen sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser Frage geboten erscheinen lassen (BFH-Beschluss vom 08.07.2014 – VII B 129/13, BFH/NV 2014, 1776).

b) Nach diesen Grundsätzen ist die vom Kläger für grundsätzlich bedeutsam gehaltene Frage, „ob eine nur auf gerichtlichen Antrag zu gewährende Pauschvergütung nach § 51 Abs. 1, Abs. 2 RVG, über die stets ein Gericht oder zumindest das Oberlandesgericht zu entscheiden hat und die nur zu gewähren ist, wenn das OLG die Unzumutbarkeit der regulären RVG-Vergütung feststellt, … zusammengeballt zufließt und nach § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG zu behandeln ist, wenn das der Vergütung zugrundeliegende und betreute Verfahren mehrere Veranlagungszeiträume und mehr als 12 Monate umfasste“, nicht klärungsbedürftig.

aa) Für die Einkünfte aus selbständiger Arbeit gemäß § 18 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ist geklärt, dass die Anwendung der Tarifermäßigung nach § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG für eine mehrjährige Tätigkeit auf besondere Tätigkeiten beschränkt ist, die von der üblichen Tätigkeit eines Freiberuflers abgrenzbar sein müssen (BFH-Urteil vom 30.01.2013 – III R 84/11, BFHE 240, 156, BStBl II 2018, 696, Rz 15; zur Abgrenzung zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit s. BFH-Urteil vom 07.05.2015 – VI R 44/13, BFHE 249, 523, BStBl II 2015, 890, Rz 14 f.). Die Vergütung wird für eine mehrjährige Tätigkeit erzielt, wenn der Steuerpflichtige sich während mehrerer Jahre ausschließlich einer bestimmten Sache gewidmet und die Vergütung dafür in einem einzigen Veranlagungszeitraum erhalten hat oder wenn eine sich über mehrere Jahre erstreckende Sondertätigkeit vorliegt, die von der übrigen Tätigkeit des Steuerpflichtigen ausreichend abgrenzbar ist und nicht zum regelmäßigen Gewinnbetrieb gehört, sowie in einem einzigen Veranlagungszeitraum entlohnt wird (BFH-Urteile vom 06.10.1993 – I R 98/92, BFH/NV 1994, 775; vom 14.12.2006 – IV R 57/05, BFHE 216, 247, BStBl II 2007, 180; vom 16.09.2014 – VIII R 1/12, juris; in BFHE 240, 156, BStBl II 2018, 696). Unter die Tarifermäßigung fallen auch Vergütungen für die mehrjährige regelmäßige Tätigkeit, die aufgrund einer vorangegangenen rechtlichen Auseinandersetzung atypisch zusammengeballt zufließen, weil für den Steuerpflichtigen in diesem Fall regelmäßig nicht disponibel ist, wann der – je nach Gewinnermittlungsart entweder durch das Zufluss- oder das Realisationsprinzip vorgegebene – Zeitpunkt der letztendlichen einkommensteuerlichen Erfassung dieser Einnahme eintritt (BFH-Urteil in BFHE 216, 247, BStBl II 2007, 180).

bb) Der Kläger trägt keine Gesichtspunkte vor, die für eine Ausweitung der Fallgruppen auf den vorliegenden Sachverhalt sprechen und zu einer Überprüfung der bisherigen Rechtsprechung Anlass geben könnten. Der von ihm hervorgehobene Sinn und Zweck der Regelung in § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG, die Progressionswirkung für zusammengeballt erzielte Einkünfte zu mildern, ist in der Rechtsprechung wiederholt bei der Entwicklung der oben genannten Fallgruppen und Abgrenzung zu nicht begünstigten Einkünften herangezogen worden und spricht für sich betrachtet nicht für eine Ausweitung der Rechtsprechung. Zwar fallen nach dem vom Kläger zitierten BFH-Urteil in BFHE 216, 247, BStBl II 2007, 180 Vergütungen für eine mehrjährige Tätigkeit, die aufgrund einer vorangegangenen rechtlichen Auseinandersetzung atypisch zusammengeballt zufließen, unter die Regelung des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG, weil für den Steuerpflichtigen in diesem Fall regelmäßig nicht disponibel ist, wann der Zeitpunkt der letztendlichen einkommensteuerlichen Erfassung dieser Einnahme eintritt. Bei dieser Entscheidung handelt es sich im Kontext der gefestigten Rechtsprechung des BFH zur Zusammenballung von berufsüblichen Einkünften eines Freiberuflers, die grundsätzlich nicht unter die Steuerbegünstigung des § 34 EStG fallen, jedoch um eine singuläre Entscheidung, die darauf beruht, dass dem Steuerpflichtigen erst nach Durchführung eines Rechtsstreits zusammengeballt die Einkünfte zuflossen, die ihm bereits zu einem früheren Zeitpunkt rechtlich zugestanden hätten. Davon zu unterscheiden ist jedoch der vorliegende Streitfall. Die nach § 51 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) gezahlten höheren Pauschgebühren sind mit den Honoraren von Freiberuflern gleichzusetzen, die erst nach der Auftragsbeendigung für eine mehrjährige Tätigkeit zusammengeballt gezahlt werden und nach der gefestigten Rechtsprechung des BFH nicht unter die Tarifbegünstigung des § 34 EStG fallen. Hierfür spricht auch, dass dem Rechtsanwalt nach § 51 Abs. 1 Satz 5 RVG auf Antrag ein angemessener Vorschuss auf die Pauschgebühr bewilligt werden kann, was bei einem gerichtlichen Rechtsstreit über die Höhe eines Honorars – wie in dem dem BFH-Urteil in BFHE 216, 247, BStBl II 2007, 180 zugrundeliegenden Fall – nicht möglich ist. Danach ist die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage offensichtlich zu verneinen und somit nicht klärungsbedürftig.“

Fazit: Pauschgebühr wird normal versteuert.

Pauschgebühr für den Nebenklägervertreter, oder: Aber nur „Anerkennungsgebühr“

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Und als zweite Entscheidung dann mal wieder ein Beschluss zur Pauschvergütung (§ 51 RVG). In diesem Fall war es der Nebenklägervertreter, der nach Abschluss eines Verfahrens wegen Mordes eine Pauschvergütung beantragt hat.

Das OLG Dresden hat sie im OLG Dresden, Beschl. v. 11.12.2019 – 1 (S) AR 60/19 – bewilligt:

1. Dem Antragsteller ist nach § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG eine Pauschgebühr zu bewilligen, weil die Gebühren nach dem Vergütungsverzeichnis wegen des besonderen Umfangs der Sache unzumutbar sind. Der Senat hält im Rahmen seines insoweit auszuübenden pflichtgemäßem Ermessen eine Pauschgebühr von zusätzlich 700,00 € für angemessen.

a) Gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 und 3 RVG ist Voraussetzung der Bewilligung einer Pauschgebühr, die über die gesetzlichen Gebühren hinausgeht, dass diese wegen des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit der Sache bzw. des betroffenen Verfahrensabschnitts nicht zumutbar ist. Die Bewilligung einer Pauschgebühr stellt dabei die Ausnahme dar; die anwaltliche Mühewaltung muss sich von sonstigen auch überdurchschnittlichen Sachen – in exorbitanter Weise abheben (BGH, Beschluss vom 01. Juni 2015, 4 StR 267/11, juris). Bei der Beurteilung ist ein objektiver Maßstab zugrunde zu legen (vgl. BVerfG NJW 2005, 1264). Besonders umfangreich im Sinne des § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG ist eine Strafsache, wenn der vom Verteidiger hierfür erbrachte zeitliche Aufwand erheblich über dem Zeitaufwand liegt, den er in einer normalen Sache zu erbringen hat (vgl. OLG Celle StRR 2011, 240). Als Vergleichsmaßstab sind dabei Verfahren heranzuziehen, die den Durchschnittsfall der vor dem jeweiligen Spruchkörper verhandelten Sachen darstellen (vgl. BGH Rpfl. 1996, 169; NStZ 1997, 98; OLG Hamm JurBüro 1999, 194; OLG Celle a.a.O.).

b) Ein Schwergewicht der Arbeit des Nebenklägervertreters lag hier zweifellos in der Einarbeitung in die mit mehr als 23.000 Seiten weit über Durchschnitt umfangreichen Ermittlungsakten bis zum Beginn der Hauptverhandlung. Für die Einarbeitung hat der Senat einen zusätzlichen Arbeitsaufwand angenommen, der sich einerseits am Ansatz der Bezirksrevisorin in ihrer Stellungnahme vom 18. November 2019 orientiert und der auf 700,00 € zu erhöhen war, da der Aktenumfang von mehr als 23.000 Blatt den Ansatz der Bezirksrevisorin von lediglich 10.000 Blatt erheblich überstiegen hat. Der Senat geht hierbei davon aus, dass erfahrungsgemäß die Einarbeitung in das Kerngeschehen eines Falles den größten Arbeitsaufwand verursacht, während im übrigen eine jedenfalls weniger intensive Einarbeitung in Randgeschehnisse der Angelegenheit möglich ist, so dass sich die proportionale Multiplizierung des Ansatzes der Bezirksrevisorin verbietet. Aufgrund des Umfangs der Sache war aber die Erhöhung des Ansatzes der Bezirksrevisorin auf 700,00 € veranlasst.

2. Dem Antragsteller steht eine weitere Pauschgebühr in Höhe von 2.000,00 € wegen der Schwierigkeit der Sache zu. Zu Recht weist der Antragsteller darauf hin, dass es sich um ein 30 Jahre zurückliegendes Tötungsdelikt handelt, das mangels Geständnis des Angeklagten innerhalb von 42 Verhandlungstagen erstinstanzlich aufgeklärt werden musste, wobei umfangreicher Zeugen- und Sachverständigenbeweis erhoben werden musste. Damit ist die Sache als komplex einzustufen. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass angesichts der Besonderheiten des vorliegenden Falles ein öffentlichkeitswirksames Geschehen vorlag, das den Verfahrensbeteiligten auch besondere Belastungen auferlegte. Angesichts dessen hält der Senat eine zusätzliche Pauschgebühr von 2.000,00 € für angemessen.

Aus der Stellungnahme der Bezirksrevisorin vom 18. November 2019 folgt, dass der gesetzliche Gebührenanspruch vorliegend 16.212,00 € beträgt. Dieser Betrag ist um die vorgenannten Beträge (700,00 € und 2.000,00 €) zu erhöhen, so dass sich eine Pauschvergütung von insgesamt 18.912,00 € ergibt.

3. Ein weitergehender Antrag auf Zuerkennung einer Pauschgebühr steht dem Antragsteller nicht zu.

Maßgebend für die Höhe der Pauschgebühr ist das Gesamtgepräge des Verfahrens. Beurteilungskriterien sind etwa die Anzahl der Hauptverhandlungstage, der Umfang der Gerichtsakten, die Anzahl der vernommenen Zeugen und Sachverständigen, die Anzahl und Dauer von Vorbesprechungen mit dem Mandanten, der sonstige Vorbereitungsaufwand sowie die Anzahl und der Umfang gefertigter Schriftsätze (vgl. OLG Celle StraFo 2005, 273). Nur soweit eine Gesamtschau dieser Kriterien dem Verfahren das Gepräge gibt, dass die Arbeitskraft des Verteidigers durch das Verfahren in besonderer Weise gebunden war (BVerfG NStZ-RR 2015, 395), ist eine Pauschgebühr veranlasst Nach diesem Maßstab ist die Zuerkennung einer weiteren Pauschgebühr nicht angemessen. Zu Recht hat die Bezirksrevisorin in ihrer Stellungnahme vom 18. November 2019 hinsichtlich einer besonders umfangreichen außergerichtlichen Tätigkeit bzw. hinsichtlich besonders vieler Hauptverhandlungen darauf hingewiesen, dass die Bewilligung einer Pauschvergütung angesichts erfolgter Gebührenanpassungen grundsätzlich nicht in Betracht kommt. Hiervon abzuweichen besteht kein Anlass.2

Da ist sie wieder die falsche „Bemerkung“ des  BGH zur „exorbitanten Weise“, die alle OLG übernehmen, ohne mal zu prüfen, ob sie richtig ist. Und die Beträge? Na ja, auch nicht viel mehr als eine „Anerkennungsgebühr“.

200 EUR für 9,5 Stunden sind nicht unzumutbar, oder: Zum Kotzen

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So heute am Gebührenfreitag dann zunächst zwei Entscheidungen zum Ärgern. Ja, ich kann es nicht ändern. 🙂

Zunächst ein Beschluss des BVerfG zur Pauschvergütung bei einem Zeugenbeistand. Wenn man den BVerfG, Beschl. v. 22.07.2019 – 1 BvR 1955/17 – liest, weiß man nicht, über wen man sich mehr ärgern muss/soll: Über das OLG Düsseldorf, das den Zeugenbeistand, der an drei Hauptverhandlungstagen an der insgesamt 9,5 Stunden dauernden Vernehmung seines Mandanten teilgenommen hatte, mit 200 EUR – ja, richtig gelesen – abspeist oder über das BVerfG, das in seinem Beschluss meint, das sei noch nicht unzumutbar? Es ist „unfassbar“:

„II.

1. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer vornehmlich eine Verletzung seiner Berufsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG.

Die gesetzliche Vergütung der Tätigkeit des Beschwerdeführers als Zeugenbeistand an drei Hauptverhandlungstagen mit nur einer Gebühr in Höhe von 200 Euro stelle ein grundrechtsverletzendes wirtschaftliches Sonderopfer dar. Das Oberlandesgericht berufe sich zu Unrecht auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Bewilligung einer Pauschgebühr bei einer Existenzgefährdung, weil diese bloß für einen Pflichtverteidiger gelten könne. Die Voraussetzungen für die Bewilligung einer Pauschgebühr nach § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG hätten vorgelegen. Die Versagung im vorliegenden Fall stelle einen nicht mehr gerechtfertigten Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG dar, da sie dem Beschwerdeführer die verfassungsrechtlich gebotene finanzielle Kompensation für den staatlichen Eingriff vorenthalte. Die Vergütung seiner Arbeitskraft an drei Verhandlungstagen mit 200 Euro netto sei existenzgefährdend.

2. Zu der Verfassungsbeschwerde und den durch sie aufgeworfenen Fragen haben das Ministerium der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen, die Präsidentin des Oberlandesgerichts Düsseldorf für die Landeskasse, die Bundesrechtsanwaltskammer, der Deutsche Anwaltverein e.V., der Deutsche Strafverteidiger e.V. und der Weisse Ring e.V. Stellung genommen. Die Akten des Ausgangsverfahrens haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.

III.

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Sie hat weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt (§ 93a Abs. 2 BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg, weil nicht erkennbar ist, dass der Beschwerdeführer in seinen Grundrechten verletzt sein könnte.

1. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts ist mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar.

a) Die Bestellung einer Rechtsanwältin oder eines Rechtsanwalts als Zeugenbeistand ist – wie die Bestellung als Pflichtverteidiger (vgl. BVerfGE 68, 237 <253 f.> – eine besondere Form der Indienstnahme Privater zu öffentlichen Zwecken. Verfassungsrechtlich ist geklärt, dass dieser Eingriff in die Freiheit der Berufsausübung und der sich daraus ableitenden kostenrechtlichen Folge ausreichenden Gründen des Gemeinwohls, nämlich der Sicherung der Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens, dient (zur Bestellung eines Pflichtverteidigers vgl. BVerfGE 39, 238 <241 f.>). Daher ist die Begrenzung des Vergütungsanspruchs eines Rechtsanwalts durch einen vom Gesetzgeber im Sinne des Gemeinwohls vorgenommenen Interessenausgleich, der auch das Interesse an einer Einschränkung des Kostenrisikos berücksichtigt, gerechtfertigt, sofern die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt ist (vgl. BVerfGE 68, 237 <255>). In Strafsachen besonderen Umfangs, die die Arbeitskraft einer Rechtsanwältin oder eines Rechtsanwalts für längere Zeit ausschließlich oder fast ausschließlich in Anspruch nehmen, ohne dass sie sich dieser Belastung entziehen könnten, gewinnt die Höhe der Vergütung existentielle Bedeutung (zum Pflichtverteidiger vgl. BVerfGE 68, 237 <255>). Eine Indienstnahme zu den gesetzlichen Gebühren könnte dann dem Rechtsanwalt ein unzumutbares Opfer abverlangen. Das Grundrecht auf freie Berufsausübung (Art. 12 Abs. 1 GG) gebietet für solch besondere Fallgestaltungen eine Regelung, die es, wie heute § 51 RVG, ermöglicht, der aufgezeigten Inanspruchnahme Rechnung zu tragen und ihn entsprechend zu vergüten (vgl. BVerfGE 47, 285 <321 f.>; 68, 237 <255>), um ein angemessenes Verhältnis zwischen Eingriffszweck und Eingriffsintensität sicherzustellen (vgl. BVerfGE 101, 331 <347>).

b) Gemessen hieran ist ein unzumutbarer Eingriff in die Berufsfreiheit des Beschwerdeführers nicht ersichtlich. Das Oberlandesgericht hat bei seiner Auslegung des § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG Bedeutung und Tragweite des Art. 12 Abs. 1 GG nicht verkannt. Obgleich die Heranziehung der verfassungsrechtlichen Zumutbarkeitsgrenze zur Ausfüllung des Tatbestandsmerkmals „nicht zumutbar“ im Sinne des § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG einfach-rechtlich nicht zwingend ist, ist die Annahme des Oberlandesgerichts, die niedrige gesetzliche Gebühr sei nicht unzumutbar, da die Indienstnahme des Beschwerdeführers an drei Hauptverhandlungstagen keine längere Zeit darstelle, die seine wirtschaftliche Existenz hätte gefährden können, jedenfalls vorliegend verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

aa) Zwar sind neben der Fallgruppe der wirtschaftlichen Existenzbedrohung – gerade hinsichtlich des Zeugenbeistands – grundsätzlich auch weitere Härtefälle denkbar, in denen von einem verfassungsrechtlich unzumutbaren Sonderopfer wegen zu geringer Vergütung auszugehen sein könnte. Auch kann schon eine im Vergleich zu einem Pflichtverteidiger deutlich geringere zeitliche Inanspruchnahme eines Zeugenbeistands dessen wirtschaftliche Existenz bedrohen, da der Zeugenbeistand – anders als der Pflichtverteidiger – nicht für jeden Hauptverhandlungstag mit einer Terminsgebühr vergütet wird.

bb) Vorliegend ist aber weder dargetan noch ersichtlich, dass die Grenze der verfassungsrechtlichen Zumutbarkeit nicht gewahrt und dem Beschwerdeführer ein unzumutbares Sonderopfer aufgebürdet worden wäre. Das Oberlandesgericht hat zwar insoweit lediglich auf den vom Beschwerdeführer erbrachten Gesamtaufwand von drei Verhandlungstagen in einem besonders umfangreichen Verfahren abgestellt und insbesondere weder die notwendige Vorbereitung noch den für die Anreise zum Gerichtsort erforderlichen Zeitaufwand ausdrücklich berücksichtigt. Doch auch unter Einbeziehung dessen ist nicht erkennbar, dass dem Beschwerdeführer ein unzumutbares Sonderopfer abverlangt worden wäre, insbesondere, weil er durch seine Tätigkeit als Beistand so belastet gewesen sei, dass dies seine Existenz gefährdet hätte oder zumindest erhebliche finanzielle Aus-wirkungen auf seinen Kanzleibetrieb gehabt haben könnte. Der Vortrag, die gesetzliche Vergütung sei offensichtlich existenzgefährdend, genügt insoweit nicht.“

Vorsichtig ausgedrückt: Kopfschüttel. Etwas drastischer: Zum Kotzen….

Pauschgebühr II: Vorschussgewährung, oder: Aber nicht auf das, was noch kommt

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Die zweite Entscheidung, die ich vorstelle, der OLG Naumburg, Beschl. v. 13.08.2019 –  1 AR (Kost) 7/19 – kommt vom OLG Naumburg. Er hat eine „Vorschussproblematik“ zum Gegenstand (§ 51 Abs. 1 Satz 5 RVG).

Bewilligt worden ist ein Vorschuss von 78.900,00 EUR bewilligt worden. Einen höheren Vorschuss hat das OLG abgelehnt:

„Gem. § 51 Abs. 1 S. 5 RVG ist dem Rechtsanwalt „ein angemessener Vorschuss zu bewilligen, wenn ihm insbesondere wegen der langen Dauer des Verfahrens nicht zugemutet werden kann, die Festsetzung der Pauschgebühr abzuwarten“.

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist hier ein Vorschussanspruch im Hinblick auf den außerordentlichen Umfang sowie die Länge und die Schwierigkeit des Verfahrens dem Grunde nach gerechtfertigt. Der Höhe nach erachtet der Senat im Anschluss an die Ausführungen der Bezirksrevisorin in deren Stellungnahme vom 31.07.2019 einen Vorschuss i.H.v. 78.900,00 € (entspricht den doppelten Pflichtverteidigergebühren) für angemessen. Hiermit hat sich der Antragsteller in seinem Schriftsatz vom 09.08.2019 auch einverstanden erklärt und seinen weitergehenden Antrag zurückgenommen.

Dem im Schriftsatz vom 09.08.2019 gestellten Antrag, auszusprechen, dass die doppelte Pflichtverteidigergebühr auch als Pauschvorschuss für das noch weiterhin durchzuführende Verfahren gilt, konnte hingegen nicht entsprochen werden. Maßstab für einen Vorschuss ist stets die bereits erbrachte Leistung. Auf erst noch zu erbringende Leistungen kann demnach kein Vorschuss gezahlt werden, sondern es kann erst nach (weiterer) Leistungserbringung ein (weiterer) Vorschuss verlangt werden kann, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 S. 5 RVO vorliegen (vgl. Gerold/Schmidt, RVG, 23. Aufl., § 51 Rn. 69, 73, 74 m.w.N.“

M.E. zutreffend.