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Pauschgebühr beim OLG Schleswig, oder: Wir haben keine Ahnung von Gebühren

Smiley

Heute am Gebührenfreitag stelle ich dann mal wieder zwei RVG-Entscheidungen vor. Beide falsch, die eine zu Lasten, die andere zu Gunsten des Verteidigers.

Ich beginne mit dem OLG Schleswig, Beschl. v. 16.07.2020 – 1 AR 8/20, den mir der Kollege Marquort aus Kiel vor einigen Tagen mit dem Betreff: „Schöne“ Entscheidung, geschickt hat. Nun ja, „schön“ ist nun wirklich etwas anderes 🙂 .

Ergangen ist der Beschluss im Pauschgebührenverfahren (§ 51 RVG). Das OLG hat die vom Kollegen beantragte Pauschgebühr abgelehnt. Begründung:

„Es ist bereits zweifelhaft, ob die Sache einen besonderen Umfang im Sinne von § 51 Abs 1 Satz 1 RVG hatte. Der Umfang beschränkt sich auf fünf Aktenbände; von den insgesamt 18 Hauptverhandlungsterminen haben insgesamt acht Termine deutlich weniger als zwei Stunden angedauert. Allerdings mag grundsätzlich aufgrund des Verfahrensgegenstandes und der Einholung dreier unterschiedlich gelagerter Sachverständigengutachten von einer besonderen Schwierigkeit ausgegangen werden.

Gleichwohl liegen die Voraussetzungen für die Bewilligung einer Pauschgebühr nicht vor, denn der Antragsteller hat bislang lediglich die Festsetzung der Vergütung eines gerichtlich bestellten Verteidigers abgerechnet und damit noch nicht alle ihm zustehenden Vergütungsansprüche geltend gemacht.

Gemäß § 52 Abs. 1 RVG kann nämlich der gerichtlich bestellte Rechtsanwalt von dem Beschuldigten die Zahlung der Gebühren eines gewählten Verteidigers verlangen. Dieser Anspruch entfällt gemäß § 52 Abs. 1 Satz 2 RVG nur insoweit, als die Staatskasse Gebühren gezahlt hat. Gemäß § 52 Abs. 2 Satz 1 1. Halbsatz RVG kann der Anspruch nur insoweit geltend gemacht werden, als dem Beschuldigten ein Erstattungsanspruch gegen die Staatskasse zusteht. Diese Voraussetzungen liegen vorliegend allerdings vor, da der Angeklagte mit Urteil des Landgerichts Kiel vom 20. Dezember 2018 freigesprochen wurde und die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Landeskasse auferlegt wurden (§ 467 Abs 1 StPO). Unter Berücksichtigung dieses (weiteren) Vergütungsanspruches ist für die Bewilligung einer Pauschgebühr kein Raum, weil der Antragsteller nicht allein auf die Gebühren eines gerichtlich bestellten Rechtsanwaltes beschränkt ist und diese daher auch nicht unzumutbar sind.“

Ja, falsch, und zwar grottenfalsch. Dabei geht es mir nicht um die Ablehnung der Pauschgebühr an sich. Das wundert ja schon kaum noch, dass die OLG sich damit schwer tun. Nein, es ist die Begründung, und zwar der Hinweis auf § 52 RVG. Denn wäre das, was die Einzelrichterin des OLG hier verlangt, richtig, würde das bedeuten, dass der Verteidiger zunächst seinen Anspruch gegen den Mandanten geltend machen muss – § 52 RVG – , bevor er eine Pauschgebühr erhält. Das ist so neu (= falsch), dass es bisher nirgendwo vertreten worden ist. Diese Argumentation verkennt nicht nur das Gebührengefüge im RVG mit eigenen Ansprüchen des Pflichtverteidigers auf gesetzliche Gebühren und  den Ansprüchen des Mandanten nach Freispruch. Die haben nichts miteinander zu tun. Hinzu kommt der Wortlaut des § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG. Da geht es um die gesetzlichen Gebühren und die Frage, ob die „unzumutbar“ sind. Irgendwelche Ansprüche, die der Pflichtverteidiger vielleicht geltend machen könnte, spielen da keine Rolle. Auch Zahlungen Dritter bleiben außen vor, die haben ggf. erst bei der späteren Festsetzung der Pauschgebühr Bedeutung.

Das steht in jedem Kommentar zum RVG. Aber offenbar hat man die beim OLG Schleswig nicht, oder: Man schaut nicht rein, weil man keine Lust hat oder, um es vorsichtig auszudrücken, die Zeit nicht aufwenden will. Da erfindet man lieber etwas Neues und das natürlich auch als Einzelrichter. Ohne jede Belegstelle. Erschreckend, dass man bei einem OLG so mit anwaltlichen Gebühren umgeht. Wenn das die Leistung eines Schülers wäre, würde die sicherlich mit einer Note ganz am Ende der Notenskala bewertet.

Der Kollege wird es mit einer Gegenvorstellung versuchen, vielleicht hat er damit ja Erfolg. Und dann: Es bleibt wohl nur der Gang nach Karlsruhe, der allerdings, das räume ich ein, nicht sehr erfolgversprechend ist.

200 EUR für 9,5 Stunden sind nicht unzumutbar, oder: Zum Kotzen

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So heute am Gebührenfreitag dann zunächst zwei Entscheidungen zum Ärgern. Ja, ich kann es nicht ändern. 🙂

Zunächst ein Beschluss des BVerfG zur Pauschvergütung bei einem Zeugenbeistand. Wenn man den BVerfG, Beschl. v. 22.07.2019 – 1 BvR 1955/17 – liest, weiß man nicht, über wen man sich mehr ärgern muss/soll: Über das OLG Düsseldorf, das den Zeugenbeistand, der an drei Hauptverhandlungstagen an der insgesamt 9,5 Stunden dauernden Vernehmung seines Mandanten teilgenommen hatte, mit 200 EUR – ja, richtig gelesen – abspeist oder über das BVerfG, das in seinem Beschluss meint, das sei noch nicht unzumutbar? Es ist „unfassbar“:

„II.

1. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer vornehmlich eine Verletzung seiner Berufsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG.

Die gesetzliche Vergütung der Tätigkeit des Beschwerdeführers als Zeugenbeistand an drei Hauptverhandlungstagen mit nur einer Gebühr in Höhe von 200 Euro stelle ein grundrechtsverletzendes wirtschaftliches Sonderopfer dar. Das Oberlandesgericht berufe sich zu Unrecht auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Bewilligung einer Pauschgebühr bei einer Existenzgefährdung, weil diese bloß für einen Pflichtverteidiger gelten könne. Die Voraussetzungen für die Bewilligung einer Pauschgebühr nach § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG hätten vorgelegen. Die Versagung im vorliegenden Fall stelle einen nicht mehr gerechtfertigten Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG dar, da sie dem Beschwerdeführer die verfassungsrechtlich gebotene finanzielle Kompensation für den staatlichen Eingriff vorenthalte. Die Vergütung seiner Arbeitskraft an drei Verhandlungstagen mit 200 Euro netto sei existenzgefährdend.

2. Zu der Verfassungsbeschwerde und den durch sie aufgeworfenen Fragen haben das Ministerium der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen, die Präsidentin des Oberlandesgerichts Düsseldorf für die Landeskasse, die Bundesrechtsanwaltskammer, der Deutsche Anwaltverein e.V., der Deutsche Strafverteidiger e.V. und der Weisse Ring e.V. Stellung genommen. Die Akten des Ausgangsverfahrens haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.

III.

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Sie hat weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt (§ 93a Abs. 2 BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg, weil nicht erkennbar ist, dass der Beschwerdeführer in seinen Grundrechten verletzt sein könnte.

1. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts ist mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar.

a) Die Bestellung einer Rechtsanwältin oder eines Rechtsanwalts als Zeugenbeistand ist – wie die Bestellung als Pflichtverteidiger (vgl. BVerfGE 68, 237 <253 f.> – eine besondere Form der Indienstnahme Privater zu öffentlichen Zwecken. Verfassungsrechtlich ist geklärt, dass dieser Eingriff in die Freiheit der Berufsausübung und der sich daraus ableitenden kostenrechtlichen Folge ausreichenden Gründen des Gemeinwohls, nämlich der Sicherung der Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens, dient (zur Bestellung eines Pflichtverteidigers vgl. BVerfGE 39, 238 <241 f.>). Daher ist die Begrenzung des Vergütungsanspruchs eines Rechtsanwalts durch einen vom Gesetzgeber im Sinne des Gemeinwohls vorgenommenen Interessenausgleich, der auch das Interesse an einer Einschränkung des Kostenrisikos berücksichtigt, gerechtfertigt, sofern die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt ist (vgl. BVerfGE 68, 237 <255>). In Strafsachen besonderen Umfangs, die die Arbeitskraft einer Rechtsanwältin oder eines Rechtsanwalts für längere Zeit ausschließlich oder fast ausschließlich in Anspruch nehmen, ohne dass sie sich dieser Belastung entziehen könnten, gewinnt die Höhe der Vergütung existentielle Bedeutung (zum Pflichtverteidiger vgl. BVerfGE 68, 237 <255>). Eine Indienstnahme zu den gesetzlichen Gebühren könnte dann dem Rechtsanwalt ein unzumutbares Opfer abverlangen. Das Grundrecht auf freie Berufsausübung (Art. 12 Abs. 1 GG) gebietet für solch besondere Fallgestaltungen eine Regelung, die es, wie heute § 51 RVG, ermöglicht, der aufgezeigten Inanspruchnahme Rechnung zu tragen und ihn entsprechend zu vergüten (vgl. BVerfGE 47, 285 <321 f.>; 68, 237 <255>), um ein angemessenes Verhältnis zwischen Eingriffszweck und Eingriffsintensität sicherzustellen (vgl. BVerfGE 101, 331 <347>).

b) Gemessen hieran ist ein unzumutbarer Eingriff in die Berufsfreiheit des Beschwerdeführers nicht ersichtlich. Das Oberlandesgericht hat bei seiner Auslegung des § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG Bedeutung und Tragweite des Art. 12 Abs. 1 GG nicht verkannt. Obgleich die Heranziehung der verfassungsrechtlichen Zumutbarkeitsgrenze zur Ausfüllung des Tatbestandsmerkmals „nicht zumutbar“ im Sinne des § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG einfach-rechtlich nicht zwingend ist, ist die Annahme des Oberlandesgerichts, die niedrige gesetzliche Gebühr sei nicht unzumutbar, da die Indienstnahme des Beschwerdeführers an drei Hauptverhandlungstagen keine längere Zeit darstelle, die seine wirtschaftliche Existenz hätte gefährden können, jedenfalls vorliegend verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

aa) Zwar sind neben der Fallgruppe der wirtschaftlichen Existenzbedrohung – gerade hinsichtlich des Zeugenbeistands – grundsätzlich auch weitere Härtefälle denkbar, in denen von einem verfassungsrechtlich unzumutbaren Sonderopfer wegen zu geringer Vergütung auszugehen sein könnte. Auch kann schon eine im Vergleich zu einem Pflichtverteidiger deutlich geringere zeitliche Inanspruchnahme eines Zeugenbeistands dessen wirtschaftliche Existenz bedrohen, da der Zeugenbeistand – anders als der Pflichtverteidiger – nicht für jeden Hauptverhandlungstag mit einer Terminsgebühr vergütet wird.

bb) Vorliegend ist aber weder dargetan noch ersichtlich, dass die Grenze der verfassungsrechtlichen Zumutbarkeit nicht gewahrt und dem Beschwerdeführer ein unzumutbares Sonderopfer aufgebürdet worden wäre. Das Oberlandesgericht hat zwar insoweit lediglich auf den vom Beschwerdeführer erbrachten Gesamtaufwand von drei Verhandlungstagen in einem besonders umfangreichen Verfahren abgestellt und insbesondere weder die notwendige Vorbereitung noch den für die Anreise zum Gerichtsort erforderlichen Zeitaufwand ausdrücklich berücksichtigt. Doch auch unter Einbeziehung dessen ist nicht erkennbar, dass dem Beschwerdeführer ein unzumutbares Sonderopfer abverlangt worden wäre, insbesondere, weil er durch seine Tätigkeit als Beistand so belastet gewesen sei, dass dies seine Existenz gefährdet hätte oder zumindest erhebliche finanzielle Aus-wirkungen auf seinen Kanzleibetrieb gehabt haben könnte. Der Vortrag, die gesetzliche Vergütung sei offensichtlich existenzgefährdend, genügt insoweit nicht.“

Vorsichtig ausgedrückt: Kopfschüttel. Etwas drastischer: Zum Kotzen….

Pauschgebühr beim Schwurgericht, oder: „Nicht unzumutbar“ oder was?

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Seit längerem heute mal wieder eine Entscheidung zur Pauschgebühr nach § 51 RVG, und zwar der OLG Hamburg, Beschl. v. 20.03.2018 – 5 S AR 7/18. Ergangen ist er in einem Schwurgerichtsverfahren, das beim LG Hamburg anhängig war. Nach Abschluss des Verfahrens hatte die Verteidigerin eine Pauschgebühr beantragt. Sie hatte das – ich kenne den Antrag nicht – u.a. wohl mit den 117 Hauptverhandlungstagen und dem erheblichen Vorbereitungsaufwand und Aufwand während der Zeit der Hauptverhandlung. Das OLG lehnt natürlich ab.

Wir lesen das, was wir immer in diesen Fällen lesen, nämlich den Hinweis auf die Rechtsprechung des BVerfG und das Sonderopfer usw. Und weiter:

„Gemessen an diesen Grundsätzen war die durch § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG in den Blick genommene besondere Fallkonstellation in vorliegendem Fall zur Überzeugung des Senats nicht gegeben.

Zu berücksichtigen ist zunächst, dass der Gesetzgeber den Gebührenrahmen für Schwurgerichtssachen gegenüber anderen landgerichtlichen Strafverfahren erheblich höher angesetzt hat und damit dem Umfang und der Schwierigkeit dieser Verfahren bereits bei den Regelgebühren in erheblichem Umfang Rechnung getragen hat. So beträgt die Terminsgebühr je Hauptverhandlungstag in den allgemeinen Strafsachen vor dem Landgericht, in denen sich der Mandant in Haft befindet, gemäß Nr. 4115 des Vergütungsverzeichnis (VV) 312,- €, bei Schwurgerichtssachen gemäß Nr. 4121 VV 517,- €. Dauert der Verhandlungstag länger als 5 Stunden, beträgt die zusätzliche Gebühr statt 128,- € (Nr. 4116 VV) 212,- € (Nr. 4122 W).

Es ist zwar nicht zu verkennen, dass das vorliegende Verfahren, auch an den besonderen Maßstäben für Schwurgerichtssachen gemessen, sicher umfangreich und angesichts der Problematik um die Würdigung einer Zeugin vom Hörensagen und der Einführung fremdsprachiger TKÜ in tatsächlicher Hinsicht nicht einfach war. Der Tatvorwurf an sich war allerdings sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht überschaubar.

Soweit die Antragstellerin in Ergänzung ihres Antrags einen erheblichen Vorbereitungsaufwand und Aufwand während der Zeit der Hauptverhandlung vorträgt, ist zu bedenken, dass dieser Aufwand durch die Anzahl der Hauptverhandlungstage, durch die die Regelvergütung maßgeblich bestimmt wird, wieder relativiert wird. Gemessen an 114 Hauptverhandlungstagen ist dieser Aufwand relativ gering. Entsprechendes gilt für die Vernehmung von lediglich 70 Zeugen und 5 Sachverständigen bezogen auf 117 Hauptverhandlungstage. Außerdem wurde hier von der Verteidigung der drei Angeklagten offenbar eine einheitliche Verteidigungslinie geführt, was die Möglichkeit der Arbeitsteilung eröffnete. Das zahlreiche wechselseitige Anschließen an die Anträge der jeweils anderen Verteidiger verdeutlicht diese Arbeitsweise. Die von der Antragstellerin als besondere Belastung geltend gemachten Besprechungen mit den anderen Verteidigern ist vor diesem Hintergrund eher als Mittel der Arbeitserleichterung relevant.

Angesichts des überschaubaren Tatvorwurfs konzentrierte sich die weit überwiegende Zahl der Anträge der Antragstellerin auf Indiztatsachen zur Glaubwürdigkeit der Belastungszeugin und der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben sowie Fragen der Richtigkeit der Übersetzungen fremdsprachiger Telefongespräche.

Der Senat verkennt den Arbeitsaufwand, der mit diesen Anträgen verbunden war, nicht. Gleichwohl vermag dieser Einsatz nicht zu erklären, dass sich die Dauer der Hauptverhandlung über 2 Jahre erstreckte und 117 Verhandlungstage in Anspruch nahm. Die Durchsicht des Protokolls ergibt, dass ein wesentlicher Teil der Hauptverhandlung durch Auseinandersetzungen zu Beanstandungen, Würdigungen von Verhaltensweisen von Verfahrensbeteiligten, Fragen der Protokollierung von Äußerungen, insbesondere im Hinblick auf § 183 GVG, Diskussionen zur Protokollierung von Pausen, Auseinandersetzungen um die Reihenfolge bei der Ausübung des Fragerechts und ähnliches geprägt war.

Exemplarisch und zur Verdeutlichung sei hier eine Passage aus dem Hauptverhandlungsprotokoll vom 27. August 2015 wiedergegeben:……

Bei den skizzierten Auseinandersetzungen handelt es sich um solche, die einen erheblichen Teil der Hauptverhandlung in Anspruch nahmen, ihrer Natur nach aber keinen großen Vorbereitungs- und Nachbearbeitungsaufwand bei den Verfahrensbeteiligten erforderten. Vielmehr konnte hier spontan aus der jeweiligen Hauptverhandlungssituation heraus agiert werden. Es dürfte auf der Hand liegen, dass es sich dabei nicht um Problematiken handelt, die einen besonderen Umfang oder eine besondere Schwierigkeit gemäß § 51 RVG für die Antragstellerin begründeten. Die Verhandlungsführung wird in diesen Situationen für die Vorsitzende sicher besonders schwer gewesen sein. Diese Erschwernis lässt sich aber nicht in gleicher Weise auf die Verfahrensbeteiligten übertragen.

Die Belastung durch eine lang dauernde Hauptverhandlung wird auch wesentlich durch die Verhandlungsdichte bestimmt. Es liegt auf der Hand, dass das übliche Geschäft eines Rechtsanwalts im stärkeren Maße bei hoher Verhandlungsdichte im Rahmen einer Pflichtverteidigung leidet. Hier war die Verhandlungsdichte unterdurchschnittlich. Sie betrug auf den Gesamtzeitraum bezogen lediglich 1,1 Tage pro Woche. In diesem Zeitraum gab es auch keine vorübergehend hohe Konzentration der Verhandlungsdichte, die die Aussagekraft dieses Durchschnittswerts relativieren könnte. Hinzu kommt, dass die Mehrheit der Hauptverhandlungstage lediglich bis zu 3 Stunden dauerte, was den Aufwand zusätzlich relativiert.

Die Antragstellerin hat, wenn auch in geringem Umfang, von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, sich bei Verhinderung vertreten zu lassen. Auch insofern konnte sie ihren eigentlichen beruflichen Verpflichtungen nachgehen.

Nach allem erscheint es dem Senat angesichts der Regelpflichtverteidigergebühren in Höhe von 69.216,- € nicht als unbillig, es bei diesen zu belassen. Von einer Unzumutbarkeit der gesetzlich bestimmten Gebühren kann keine Rede sein.“

Tja, das war es dann. Was bleibt, ist zunächst die Frage: Was verneint das OLG denn nun eigentlich? War das Verfahren nicht besonders umfangreich/besonders schwierig oder sind die gesetzlichen Gebühren nicht unzumutbar i.S. des § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG? Da geht es in dem Beschluss ein wenig durcheinander, zumindest ist das nicht klar zu erkennen. Ich tendiere zu „nicht unzumutbar“. Und dann die Frage: Kann man noch etwas machen? Sicher, kann man. Man kann Verfassungsbeschwerde einlegen. Nur wage ich die Prognose, dass die nichts bringen wird.

Was für mich darüber hinaus noch bleibt, ist ein leicht säuerlicher Beigeschmack. Das OLG legt im Einzelnen mit der „Passage aus dem Hauptverhandlungsprotokoll vom 27. August 2015″ das Geschehen in der Hauptverhandlung an dem Tag als Beispiel dafür dar, dass es in der Hauptverhandlung wohl immer wieder „hoch her gegangen“ ist. Abgesehen davon, dass nicht klar ist, inwieweit die antragstellende Verteidigerin an dem Geschehen „beteiligt war – in der vorgestellten Passage ist sie es kaum – hat das für mich so ein wenig den Beigeschmack der Retourkutsche bzw. könnte das die Stelle sein, an der man sich der Rechtsprechung anschließen will, die „unnötige Anträge“  bei der Gewährung einer Pauschgebühr nicht berücksichtigen will, was man aber dann lieber doch nicht sagt.

Und wer jetzt kommentieren will: Bitte die gesetzlichen Gebühren nicht auf die erbrachten Stunden umrechnen. Das mögen die OLG ja nun gar nicht.

Unverschämt, oder: Für 162 € kann man doch wohl „knapp 24.400 Blatt“ Akten lesen

AktenstapelJa, unverschämt ist m.E. das, was die mit R 2 doch recht gut gepolsterte Einzelrichterin des 2. Strafsenats des OLG Frankfurt da im OLG Frankfurt, Beschl. v. 10.02.2016 – 2 ARs 56/15 – einem Pflichtverteidiger in einem Verfahren wegen des Vorwurfs mitgliedschaftlicher Beteiligung an terroristischen Vereinigungen im Ausland u. a. zugemutet hat. Der Pflichtverteidiger hatte nach Abschluss des Verfahrens eine Pauschgebühr nach § 51 Abs. 1 RVG beantragt. Die Eckdaten des Verfahrens: Schon im Vorverfahren „knapp 24.400 Blatt“ Akten, umfangreiche weitere Tätigkeiten des Pflichtverteidigers wie Haftbesuche usw. und dann Teilnahme an 23 HV-Tagen. Dafür hatte der Pflichtverteidiger eine Pauschgebühr von 15.000 € für das Vorverfahren und von 12.000 € für das Hauptverfahren beantragt.

Bekommen hat er nichts. Ja, richtig gelesen: NICHTS. Und das ist in meinen Augen unverschämt/unfassbar, zumindest was das Vorverfahren betrifft, über das Hauptverfahren kann man streiten. Jedenfalls bleibt es so für den Pflichtverteidiger für das Vorverfahren bei 162 € (Nr. 4100, 4101 VV RVG a.F.) und wenn man zu Gunsten des OLG dann noch die 4104, 4105 VV RVG a.F. hinzunimmt noch einmal bei 137 €, also bei maximal 299 €. Und die Beträge sind nach Auffassung der Einzelrichterin – man glaubt es nicht – zumutbar.

Begründung der Einzelrichterin dazu u.a.:

„Soweit der Antragsteller den erheblichen Aktenumfang anführt, hat der Senat dieser Besonderheit des vorliegenden Verfahrens bereits dadurch Rechnung getragen, dass dem Angeklagten zwei Pflichtverteidiger beigeordnet worden sind. Insoweit fallen durch die Doppelpflichtverteidigung bereits Pflichtverteidigergebühren in doppelter Höhe an, obgleich bei natürlicher Betrachtung die Arbeitsbelastung der Pflichtverteidiger aufgeteilt werden kann und dadurch für den Einzelnen geringer wird. Dies mag zwar im Einzelfall auch eine zusätzliche Abstimmung verlangen, trägt aber im Ergebnis zur Verminderung des Aufwandes bei, der vorliegend insbesondere in der Durchsicht der Akten lag. Im Übrigen erlaubte diese Handhabung auch eine leichtere Einarbeitung in die rechtlichen Besonderheiten, die Gegenstand des vorliegenden Verfahrens waren….“

M.E. falsch. Denn was interessiert es den einen Pflichtverteidiger, dass es einen zweiten Pflichtverteidiger gibt? Das bedeutet doch nicht, dass die Pflichtverteidiger sich nicht in die gesamten Akten einarbeiten = diese lesen müssen. Oder will die Einzelrichterin etwa sagen, dass auch die Kenntnis nur der halben Akte ausreicht, um zu verteidigen. Das Ganze liest sich an der Stelle auch ein wenig weinerlich, so als ob man von einem „Sonderopfer“ der Staatskasse ausgehe, weil man ja zwei Pflichtverteidiger beigeordnet hat.

Im Übrigen: Im Beschluss kein Wort zu der anderen Ansicht des OLG Düsseldorf, das im OLG Düsseldorf, Beschl. v. 23.06.2015 – III-3 AR 65/14 (vgl. dazu Wie viel Seiten muss ein (Pflicht)Verteidiger für eine Grundgebühr lesen?) davon ausgeht, dass der Pflichtverteidiger nicht mehr als 500 Blatt Akten für eine Grundgebühr lesen muss. Entweder kennt man die Rechtsprechung nicht oder man will sich mit ihr nicht auseinandersetzen, weil man es besser zu wissen meint. Aber vielleicht hat man ja auch nur keine Argumente gegen diese Ansicht, mit der man sich als OLG schon auseinander setzen sollte/muss.

Der Pflichtverteidiger hat m.E. auf diesen Beschluss richtig reagiert. Er hat Verfassungsbeschwerde eingelegt. Ja, ich weiß, Einzelfallfehlentscheidung (da bin ich mir beim OLG Frankfurt nicht so sicher) und das BVerfG ist keine Superrechtsmittelinstanz. Wenn aber nicht in einem solchen Fall wie in diesem, wann soll denn dann Verfassungsbeschwerde eingelegt und dem BVerfG Gelegenheit gegeben werden, seine Rechtsprechung zur „Unzumutbarkeit“ i.S. des § 51 Abs. 1 RVG vielleicht doch noch mal zu prüfen? Bei der Gelegenheit: Ich behaupte: Wenn die Expertenkommission zum RVG 2002/2003 gewusst/geahnt hätte, was die OLG aus dem § 51 RVG machen würden, dann wäre er so nicht Gesetz geworden. Ich habe schon damals in der Kommission gegen die Aufnahme des Begriffs „unzumutbar“ argumentiert, aber hatte keinen Erfolg. Das Ergebnis sehen wir jetzt. Die OLG haben den § 51 RVG praktisch abgeschafft.

Den letzten Ausschlag für den Pflichtverteidiger, Verfassungsbeschwerde einzulegen, hat übrigens der Umgang des OLG mit seiner Gegenvorstellung gegeben. Darauf ist ihm nämlich von der Einzelrichterin in einer Verfügung (!) mitgeteilt worden:

„….ist in der von Ihnen angestrengten Pauschvergütungssache das. Verfahren mit der Entscheidung des Senats vom 10. Februar 2016 abgeschlossen. Soweit mit der Gegenvorstellung vom 26.02.2016 gegen diese Entscheidung das Ziel verfolgt wird, aufgrund einer Neubewertung oder aufgrund neuen Vortrags eine abweichende Beurteilung der Begründetheit des bisherigen Antrags zu erreichen, wird darauf hingewiesen, dass der außerordentliche Rechtsbehelf in der Gegenvorstellung nach Auffassung des Senats seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 30.04.20103 (Az.: I PBvU 1/02 BVerfGE 107, 395 ff., = NJW 2003, 1924 ff.) nicht mehr gegeben ist…“

Kannte ich so bisher auch noch nicht. Aber man lernt ja nie aus. Der Verteidiger hat es anders kommentiert: „Hinzu kam als Movens die Behandlung meiner Gegenvorstellung, die erkennen lässt, dass sich jedenfalls der zuständige Senat des OLG Frankfurt am Main regelrecht eingemauert hat, um ja nicht durch vernünftige Argumente behelligt zu werden.“ Der Eindruch ist so falsch wohl nicht.