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„Knappe“ Pauschgebühr im Revisionsverfahren, oder: Kompensation ggf. zulässig

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Am „Gebühren-Friday“ natürlich RVG, und zwar zunächst der OLG Hamm, Beschl. v. 27.10.2020 – III-5 RVGs 61/20, den mir der Kollege Rahmlow aus Duisburg geschickt hat. Der Kollege war Pflichtverteidiger in einem Verfahren wegen Computerbetruges u.a., das dann in der Revision das OLG Hamm beschäftigt hat (vgl. dazu: StPO II: Richtiger Beweisantrag, oder: Ablehnung wegen Bedeutungslosigkeit und Beweiswürdigung II: Das OLG Hamm und “Aussage-gegen-Aussage”

Nach Verfahrensbeendigung hat der Kollege eine Pauschgebühr (§ 51 RVG) für das Revisionsverfahren (Nr. 4130 VV RVG) beantragt und auch teilweise erhalten:

„Zu diesem Antrag hat der Vertreter der Staatskasse am 02,09.2020 ausführlich Stellung genommen und dabei den Tätigkeitsumfang des Antragstellers sowie die ihm zustehenden Gebühren zutreffend dargelegt. Trotz des Umfangs und der besonderen rechtlichen Schwierigkeit des Revisionsverfahrens sei der Antrag zurückzuweisen, da die vom Antragsteller im Revisionsverfahren entfalteten Tätigkeiten durch die unterdurchschnittlichen bzw. durchschnittlichen Verfahrensabschnitte. welche vom Pauschgebührenantrag nicht erfasst seien, hinreichend kompensiert wurden.

Der Antragsteller hat in seiner Gegenerklärung darauf hingewiesen. dass die Hauptverhandlungstermine am 29.11.2017, 04.12.2017, 08.12.2017 und 13,122017 umfangreich vorbereitet werden mussten, da die entscheidenden Zeugen R über sämtliche Termine verteilt geladen gewesen seien. Zudem sei die durchschnittliche Verhandlungsdauer von 2 h Stunden für eine Berufungsstrafkammer nicht untypisch. In Zusammenschau mit den weiteren Umständen — Komplexität des Sachverhalts, Aktenumfang. rechtliche Schwierigkeit – seien die weiteren Verfahrensabschnitte als durchschnittlich zu werten,

Unter dem 30.09.2020 hat das Landgericht das Strafverfahren nach § 153a StPO endgültig eingestellt.

Der Antrag auf Festsetzung einer Pauschgebühr nach § 51 Abs. 1 RVG ist im tenorierten Umfang begründet: Der weitergehende Antrag war jedoch abzulehnen.

1. Der entscheidende Einzelrichter geht in Übereinstimmung mit den zutreffenden Ausführungen des Vertreters der Staatskasse vom 02.09.2020 sowie der Stellungnahme der Senatsvorsitzenden vom 28.07.2020 davon aus, dass das Revisionsverfahren besonders umfangreich und in rechtlicher Hinsicht besonders schwierig war. Insbesondere musste der Antragsteller in der Revisionsbegründung vom 26.04 2018 zu den rechtlichen schwierigen Fragestellungen Stellung nehmen. welche Anforderungen an die Beweiswürdigung bei einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation sowie an die Ablehnung von Beweisanträgen zu stellen sind. Die rechtsfehlerhafte Ablehnung der Beweisanträge musste hierbei im Wege der Verfahrensrüge geltend gemacht werden. Mit Einschüben besitzt die Revisionsbegründungsschrift einen Umfang von 163 Seiten.

2. Aufgrund der besonderen Schwierigkeit und des besonderen Umfangs sind die gesetzlichen Pflichtverteidigergebühren dem Antragsteller nicht zumutbar, so dass eine Pauschvergütung zu bewilligen ist.

a) Entgegen der Auffassung des Vertreters der Staatskasse werden die im Revisionsverfahren entfalteten Tätigkeiten durch die Tätigkeiten in den weiteren Verfahrensabschnitten nicht hinreichend kompensiert. Zwar ist es zutreffend, dass sowohl die erstinstanzlichen als auch die zweitinstanzlichen Hauptverhandlungstermine locker terminiert waren sowie durchschnittlich lediglich 3.21 Stunden bzw. 2,37 Stunden und damit nicht lange dauerten, Außerhalb der Hauptverhandlung hat der Antragsteller jedoch umfangreiche Tätigkeiten entfaltet, welche über das normale Maß einer Strafverteidigung deutlich hinausgingen. So hat der Antragsteller zahlreiche Anträge und Anschreiben. hierunter insbesondere mehrere Arrestbeschwerden, mehrere Beweisanträge sowie eine siebzehnseitige Berufungsbegründung verfasst. In Zusammenschau mit den weiteren Umständen, vor allem dem Aktenumfang – und dem Verfahrensgegenstand lag der Tätigkeitsumfang des Antragstellers in den nicht vom Pauschgebührenantrag erfassten Verfahrensabschnitten, an der oberen Grenze des durchschnittlichen Bereichs.

b) Nach der somit vorzunehmenden umfassenden Abwägung erachtet der Senat unter Berücksichtigung sowohl der obigen Ausführungen zur Schwierigkeit und zum Umfang der Angelegenheit als auch der entfalteten Tätigkeiten in den weiteren Verfahrensabschnitten und der diesbezüglich entstandenen Pflichtverteidigergebühren anstelle der gesetzlichen Gebühr „Verfahrensgebühr für das Revisionsverfahren“ Nr. 4130 VV RVG in Höhe von 492,00 € eine Pauschgebühr in Höhe von 950,00 € für angemessen.

3. Die Bewilligung einer noch höheren Pauschgebühr kam hingegen nicht in Betracht. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist eine Pauschgebühr in Höhe bzw. im Bereich der Wahlverteidigerhöchstgebühren nur dann zu bewilligen, wenn das Verfahren die Arbeitskraft des Verteidigers für längere Zeit ausschließlich oder fast ausschließlich in Anspruch genommen hat {OLG Hamm, Beschluss vom 30. März 2017 — 5 RVGs 2/17 Rn. 10, juris). Es ist nicht davon auszugehen, dass ein soIcher Arbeitseinsatz aufgrund des Umfangs des Revisionsverfahren vorliegend erforderlich gewesen ist.

Nix wesentlich Neues. Bemerkenswert, aber auch nicht wirklich überraschend, dass das OLG an seiner falschen Auffassung zur Kompensation festhält. Und: Knapp bemessen – wie immer.

Pauschgebühr für den Wahlanwalt, oder: Das Doppelte der Höchstgebühren ist zu viel

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Und als zweite Entscheidung dann ein Beschluss des BGH zur Pauschvergütung des Wahlanwalts. Nichts Neues, aber: In der Not frisst der Teufel fliegen,

Ergangen ist der Beschluss in dem Verfahren, dass mit dem BGH, Beschl. v. 07.09.2017 –1 StR 300/17 – geeendet hat. Über das hatte ich ja auch unter: Anfängerfehler, oder: Oder das selbst als unzulässig zurückgewiesene Ablehnungsgesuch – berichtet. Nun noch der Pauschantrag des Wahlanwalts. Der hatte 2.775 EUR beantragt, zugesprochen hat der BGH im BGH, Beschl. v. 23.07.2020 – 1 StR 300/17 – 2.100 EUR:

„Der Wahlverteidiger H.   hat wegen des besonderen Umfangs und der besonderen Schwierigkeit seiner Tätigkeit im Revisionsverfahren 1 StR 300/17 beantragt, eine Pauschgebühr von insgesamt 2.775 Euro festzustellen. Nach Auffassung der Bezirksrevisorin sind die gesetzlichen Gebühren nach Nr. 4130 und 4131 VV RVG mit Zuschlag in Höhe von maximal 1.387,50 Euro im vorliegenden Fall nicht zumutbar; sie hält eine Pauschgebühr von 2.100 Euro für angemessen.

Der Senat stellt eine Pauschgebühr von 2.100 Euro fest.

Sind die für das Revisionsverfahren gesetzlich vorgesehenen Gebühren eines Wahlanwalts – wie hier – wegen des besonderen Umfangs und der besonderen Schwierigkeit nicht zumutbar, hat der Wahlanwalt gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1 RVG einen Anspruch auf Feststellung einer an die Stelle der gesetzlichen Gebühren (hier gemäß Nr. 4130 und 4131 VV RVG) tretenden Pauschgebühr, die das Doppelte der für die Gebühren des Wahlanwalts geltenden Höchstbeträge nicht übersteigen darf (§ 42 Abs. 1 Satz 4 RVG). Innerhalb dieses vorgegebenen Rahmens steht die Feststellung der Höhe der Pauschgebühr im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Unter Berücksichtigung des Umfangs und der Schwierigkeit der Tätigkeit des Antragstellers im Revisionsverfahren hält der Senat in Übereinstimmung mit der Bezirksrevisorin eine Pauschgebühr von 2.100 Euro für angemessen.

Für eine Verdoppelung der Höchstgebühr – wie beantragt – ist unter den hier gegebenen Umständen hingegen kein Raum. Ein Sonderfall, der die Feststellung der absoluten Höchstgrenze rechtfertigt, liegt gerade nicht vor, da der Wahlverteidiger bereits im Verfahren vor dem Landgericht Heilbronn sowohl mit den materiell-rechtlichen als auch mit den strafprozessualen Fragen befasst war.“

BGH zur Pauschgebühr, oder: Antragsbegründung

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Und eine Entscheidung gibt es dann heute auch, und zwar den BGH, Beschl. v. 14.7.2020 – 1 StR 277/17 – zu den Voraussetzungen für die Bewilligung einer Pauschgebühr für den Verfahrensabschnitt der Hauptverhandlung im Revisionsverfahren.

Der BGH sagt: Dafür gibt es nichts (mehr):

„Der bereits vom Landgericht als Pflichtverteidiger der Angeklagten R. beigeordnete Antragsteller wurde mit Verfügung des Senatsvorsitzenden vom 27. Juli2017 neben einem weiteren Pflichtverteidiger als Verteidiger der Angeklagten für die Hauptverhandlung vor dem Bundesgerichtshof bestellt. Am 7.November 2017 fand im ersten Rechtsgang eine Hauptverhandlung mit einer Dauer von einer Stunde und zehn Minuten vor dem Bundesgerichtshof statt, an der unter anderem neben dem weiteren Pflichtverteidiger auch der Antragsteller als Verteidiger der Angeklagten R. teilnahm. Im zweiten Rechtsgang wurden die von beiden Angeklagten eingelegten Revisionen im Beschlusswege verworfen.

Im nachfolgenden Vergütungsfestsetzungsverfahren hat das Landgericht auf Antrag des Antragstellers durch Beschluss vom 4. Juni 2018 dessen gesetzliche Gebühren und Auslagen für das erste Revisionsverfahren einschließlich einer Verfahrensgebühr gemäß Nr. 4131, 4130 RVG-VV in Höhe von 603 € und einer Terminsgebühr gemäß Nr. 4133, 4132 RVG-VV in Höhe von 328 € auf insgesamt 1.849,41€ festgesetzt. Mit Schriftsatz vom 8. April 2020 hat der Antragsteller die Bewilligung einer Pauschvergütung gemäß § 51 RVG für beide Revisionsverfahren (ein-schließlich der Hauptverhandlung) beantragt und zur Begründung ausgeführt, das Revisionsverfahren sei –insbesondere im ersten Rechtsgang–mit einem außergewöhnlich großen Zeit- und Arbeitsaufwand verbunden gewesen. Es sei um eine komplexe und schwierige Rechtsfrage und auch schwierige tatsächliche Fragen gegangen; zudem habe es sich um eine sehr schwierige Mandantschaft gehandelt, die einen hohen Erläuterungsbedarf gehabt habe. Durch Beschluss vom 30. April 2019 hat das Oberlandesgericht München eine Pauschvergütung für das gesamte Verfahren (erster und zweiter Rechtsgang) ausschließlich des Verfahrensabschnitts der Hauptverhandlung vor dem Bundesgerichtshof in Höhe von 10.000 € festgesetzt. Die Bundeskasse hat zu dem danach noch unbeschiedenen, die Haupt-verhandlung vor dem Bundesgerichtshof betreffenden Vergütungsantrag dahin Stellung genommen, dass für einen gerade mit der Hauptverhandlung im Revisionsverfahren in Zusammenhang stehenden besonderen Aufwand des Antrag-stellers, der eine Pauschgebühr rechtfertigen könnte, nichts ersichtlich sei. Sie hat beantragt, den Antrag abzulehnen.

II.

1. Die Zuständigkeit des Bundesgerichtshofs für die Entscheidung über die Bewilligung der vom Antragsteller geltend gemachten Pauschgebühr ist, weil der Bundesgerichtshof den Antragsteller für die Hauptverhandlung bestellt hat, gemäß § 51 Abs. 2 Satz 2 RVG eröffnet, soweit die Gebühr für die Hauptverhandlung im Revisionsverfahren des ersten Rechtsgangs (1 StR 277/17) geltend gemacht wird.

2. Die Voraussetzungen für die Bewilligung einer Pauschgebühr für den Verfahrensabschnitt der Hauptverhandlung im Revisionsverfahren sind vorliegend nicht erfüllt.

a) Nach § 51 Abs.1 Satz 1 RVG ist dem in einer Strafsache gerichtlich bestellten oder beigeordneten Rechtsanwalt für das Verfahren oder einzelne Verfahrensabschnitte auf Antrag eine über die gesetzlichen Gebühren hinaus-gehende Pauschgebühr zu bewilligen, wenn die in den Teilen 4 bis 6 des Vergütungsverzeichnisses bestimmten Gebühren wegen des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit der Sache nicht zumutbar sind. Dies ist nur der Fall, wenn sich die anwaltliche Mühewaltung von sonstigen –auch über-durchschnittlichen–Verfahren so deutlich abhebt, dass dem Anwalt die gesetzlichen Gebühren als Vergütung seiner Tätigkeit auch in Anbetracht des gelten-den Prinzips der Mischkalkulation nicht zumutbar sind (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Januar 2020 –1 StR 492/15 Rn.5 mwN; BVerfG, Beschluss vom 6. Oktober2008 –2 BvR 1173/08 Rn. 9 mwN; zum Prinzip der Mischkalkulation vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. Februar 2007 –1 BvR 910/05 und 1 BvR 1389/05 Rn. 72 mwN). Die Bewilligung einer Pauschgebühr ist nach dem gesetzlichen Vergütungssystem auf Ausnahmefälle beschränkt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 15. Januar 2020 –1 StR 492/15 Rn. 5 mwN; vom 19. Januar 2017 –2S StR 549/15 Rn. 1 und vom 1.Juni 2015 –4 StR 267/11 Rn. 5). Entscheidend ist für die Bewilligung einer Pauschgebühr, ob die konkrete Strafsache umfangreich oder rechtlich schwierig war und sie deshalb eine zeit-aufwendige, gegenüber anderen Verfahren deutlich erhöhte Tätigkeit des Verteidigers erforderlich gemacht hat. Zu berücksichtigen ist insoweit nur der Zeit-aufwand, der allein aus verfahrensbezogenen Tätigkeiten des Pflichtverteidigers herrührt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 15. Januar 2020 –1 StR 492/15 Rn. 5 mwN und vom 1. Juni 2015 –4 StR 267/11 Rn. 5mwN);etwa angefallene Fahrt- und Reisezeiten sind ohne Bedeutung (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Januar 2020 –1S tR 492/15 Rn. 5 mwN).

b) Die Voraussetzungen für die Bewilligung einer Pauschgebühr für den Verfahrensabschnitt der Hauptverhandlung im Revisionsverfahren liegen hier nicht vor. Der Antragsteller hat sich schon nicht dazu erklärt, wie hoch der ihm gerade im Zusammenhang mit der Hauptverhandlung im Revisionsverfahren entstandene Aufwand im Einzelnen tatsächlich war. Er hat damit auch nicht nachvollziehbar dargelegt, dass ihm ein Aufwand entstanden ist, der den üblicherweise für eine Hauptverhandlung im Revisionsverfahren anfallenden Aufwand in einem Maße übersteigt, dass dieser auch unter Berücksichtigung des dem Gesetz zugrundeliegenden Gedankens der gebührenrechtlichen Mischkalkulation nicht mehr mit den gesetzlichen Gebühren angemessen abgegolten ist. Dass es sich vorliegend um ein Revisionsverfahren gehandelt hat, in dem sich eine schwierige Rechtsfrage gestellt hat, und es sich zudem um eine schwierige Mandantin mit hohem Erläuterungsbedarf gehandelt haben mag, reicht zur Begründung der Voraussetzungen des § 51 Abs.1 Satz1 RVG nicht ohne Weiteres aus, zumal vorliegend unklar bleibt, welchen Aufwand dies dem Antragsteller gerade im Zusammenhang mit der Revisionshauptverhandlung tatsächlich verursacht hat. Zu berücksichtigen ist im Übrigen, dass die Hauptverhandlung im vorliegenden Fall mit einer Dauer von kaum mehr als einer Stunde nicht erheblich länger als eine durchschnittliche Hauptverhandlung gedauert hat, dass die rechtliche Aufarbeitung des Falles und der sich dabei stellenden revisionsrechtlichen Fragen auch und gerade durch die Verfahrensgebühr für das Revisionsverfahren abgegolten ist, wobei insoweit bereits eine Pauschgebühr bewilligt wurde, und dass der Vorbereitungsaufwand für die Hauptverhandlung zwischen dem Antragsteller und dem weiteren für die Angeklagte bestellten Verteidiger aufgeteilt werden konnte.2

Die Entscheidung zeigt die Bedeutung einer vernünftigen Antragsbegründung. Wegen der Änderungen in den §§ 142, 350 StPO werden wir im Übrigen demnächst m.E. in „neuen Verfahren“ nichts mehr vom BGH zur Pauschvergütung lesen.

Pauschgebühr beim OLG Schleswig, oder: Wir haben keine Ahnung von Gebühren

Smiley

Heute am Gebührenfreitag stelle ich dann mal wieder zwei RVG-Entscheidungen vor. Beide falsch, die eine zu Lasten, die andere zu Gunsten des Verteidigers.

Ich beginne mit dem OLG Schleswig, Beschl. v. 16.07.2020 – 1 AR 8/20, den mir der Kollege Marquort aus Kiel vor einigen Tagen mit dem Betreff: „Schöne“ Entscheidung, geschickt hat. Nun ja, „schön“ ist nun wirklich etwas anderes 🙂 .

Ergangen ist der Beschluss im Pauschgebührenverfahren (§ 51 RVG). Das OLG hat die vom Kollegen beantragte Pauschgebühr abgelehnt. Begründung:

„Es ist bereits zweifelhaft, ob die Sache einen besonderen Umfang im Sinne von § 51 Abs 1 Satz 1 RVG hatte. Der Umfang beschränkt sich auf fünf Aktenbände; von den insgesamt 18 Hauptverhandlungsterminen haben insgesamt acht Termine deutlich weniger als zwei Stunden angedauert. Allerdings mag grundsätzlich aufgrund des Verfahrensgegenstandes und der Einholung dreier unterschiedlich gelagerter Sachverständigengutachten von einer besonderen Schwierigkeit ausgegangen werden.

Gleichwohl liegen die Voraussetzungen für die Bewilligung einer Pauschgebühr nicht vor, denn der Antragsteller hat bislang lediglich die Festsetzung der Vergütung eines gerichtlich bestellten Verteidigers abgerechnet und damit noch nicht alle ihm zustehenden Vergütungsansprüche geltend gemacht.

Gemäß § 52 Abs. 1 RVG kann nämlich der gerichtlich bestellte Rechtsanwalt von dem Beschuldigten die Zahlung der Gebühren eines gewählten Verteidigers verlangen. Dieser Anspruch entfällt gemäß § 52 Abs. 1 Satz 2 RVG nur insoweit, als die Staatskasse Gebühren gezahlt hat. Gemäß § 52 Abs. 2 Satz 1 1. Halbsatz RVG kann der Anspruch nur insoweit geltend gemacht werden, als dem Beschuldigten ein Erstattungsanspruch gegen die Staatskasse zusteht. Diese Voraussetzungen liegen vorliegend allerdings vor, da der Angeklagte mit Urteil des Landgerichts Kiel vom 20. Dezember 2018 freigesprochen wurde und die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Landeskasse auferlegt wurden (§ 467 Abs 1 StPO). Unter Berücksichtigung dieses (weiteren) Vergütungsanspruches ist für die Bewilligung einer Pauschgebühr kein Raum, weil der Antragsteller nicht allein auf die Gebühren eines gerichtlich bestellten Rechtsanwaltes beschränkt ist und diese daher auch nicht unzumutbar sind.“

Ja, falsch, und zwar grottenfalsch. Dabei geht es mir nicht um die Ablehnung der Pauschgebühr an sich. Das wundert ja schon kaum noch, dass die OLG sich damit schwer tun. Nein, es ist die Begründung, und zwar der Hinweis auf § 52 RVG. Denn wäre das, was die Einzelrichterin des OLG hier verlangt, richtig, würde das bedeuten, dass der Verteidiger zunächst seinen Anspruch gegen den Mandanten geltend machen muss – § 52 RVG – , bevor er eine Pauschgebühr erhält. Das ist so neu (= falsch), dass es bisher nirgendwo vertreten worden ist. Diese Argumentation verkennt nicht nur das Gebührengefüge im RVG mit eigenen Ansprüchen des Pflichtverteidigers auf gesetzliche Gebühren und  den Ansprüchen des Mandanten nach Freispruch. Die haben nichts miteinander zu tun. Hinzu kommt der Wortlaut des § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG. Da geht es um die gesetzlichen Gebühren und die Frage, ob die „unzumutbar“ sind. Irgendwelche Ansprüche, die der Pflichtverteidiger vielleicht geltend machen könnte, spielen da keine Rolle. Auch Zahlungen Dritter bleiben außen vor, die haben ggf. erst bei der späteren Festsetzung der Pauschgebühr Bedeutung.

Das steht in jedem Kommentar zum RVG. Aber offenbar hat man die beim OLG Schleswig nicht, oder: Man schaut nicht rein, weil man keine Lust hat oder, um es vorsichtig auszudrücken, die Zeit nicht aufwenden will. Da erfindet man lieber etwas Neues und das natürlich auch als Einzelrichter. Ohne jede Belegstelle. Erschreckend, dass man bei einem OLG so mit anwaltlichen Gebühren umgeht. Wenn das die Leistung eines Schülers wäre, würde die sicherlich mit einer Note ganz am Ende der Notenskala bewertet.

Der Kollege wird es mit einer Gegenvorstellung versuchen, vielleicht hat er damit ja Erfolg. Und dann: Es bleibt wohl nur der Gang nach Karlsruhe, der allerdings, das räume ich ein, nicht sehr erfolgversprechend ist.

Rückforderung eines Vorschusses auf die PV, oder: Eine gefestigte und langjährige Rechtsprechung schafft einen „Vertrauenstatbestand“

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Am Dienstag erhielt ich den Anruf der Kollegin von Dreden aus Bonn. Doe sprach mich auf ein Telefonat an, dass wir vor einiger Zeit geführt hatten. Thema: Rückforderung eines Vorschusses auf eine Pauschvergütung nach § 51 RVG. Ich erinnerte mich dann und erinnerte mich dann auch an den Sachverhalt: Die Kollegin war in einem umfangreichen Verfahren Pflichtverteidigerin gewesen und hatte dann am Ende des Verfaherns noch einen „Vorschuss“ auf eine Pauschvergütung beantragt (§ 51 Abs. 1 Satz 5 RVG). Der war auch vom OLG Düsseldorf gewährt worden – entsprechend der Stellungnahme auch der Staatskase. Dann hatte die Kollegin den Vorschuss „abgerechnet“; das Verfahren lassen wir mal außen vor. Und siehe da: Die Pauschvergütung fiel nun nach Auffassung der Staatskasse und auch des OLG erheblich niedriger aus. Grund: Das OLG Düsseldorf hatte nach einem Vorsitzendenwechsel beim 3. Strafsenat getreu dem Spruch: Neue Besen kehren gut, seine Rechtsprechung zuungunsten der Pflichtverteidiger geändert, was das OLG damals leider häufiger getan hat. Ich erinnere nur an die Aufgabe der Rechtsprechung zu „500-Blatt-Formel“. Diese Änderung führte zu einer Rückforderung der Staatskasse im fünfstelligen Bereich.

Ich hatte der Kollegin in unserem damaligen Telefonat auf der Grundlage der bisherigen/damaligen Rechtsprechung nur wenig Hoffnung gemacht, der Rückforderung zu entgehen. So war es dann auch, das OLG hat auf der Grundlage seiner neuen Rechtsprechung eine erheblich niedrigere Pauschgebühr gewährt. Die Kollegin war dagegen sogar beim BVerfG in Karlsruhe, das die Sache aber mal wieder nicht zur Entscheidung angenommen hat.

Gestritten worden ist dann noch im Festsetzungsverfahren um die Höhe der Rückforderung der Staatskasse. Und da konnte die Kollegin nun hoch erfreut den OLG Düsseldorf, Beschl. v. 15.06.2020 – 1 Ws 289/19 – präsentieren. Der hat ihr in ihrem Recht gegeben. Der 1. Strafsenat hat die Rückforderung aus Gründen der Billigkeit versagt oder: Der Vorschuss war kein Vorschuss 🙂 :

„Das als einfache, lediglich fristgebundene Beschwerde nach § 56 Abs. 2 RVG iVm § 33 Abs. 3 Satz 1 und 3 RVG zulässige Rechtsmittel, über das der Senat nach § 33 Abs. 8 RVG in der Besetzung mit drei Richtern zu entscheiden hat, führt auch in der Sache zum Erfolg. Der Staatskasse steht gegen die Beschwerdeführerin kein Anspruch auf Rückerstattung überzahlten Pflichtverteidigervorschusses zu.

1. Das Landgericht geht zwar im Grundsatz zutreffend davon aus, dass ein dem Rechtsanwalt gewährter Vorschuss auf die zu erwartende Pauschgebühr auf der Grundlage eines öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs ganz oder teilweise zurückgefordert werden kann, wenn später eine Pauschgebühr nicht oder — wie hier — nicht in dem Vorschuss entsprechender Höhe bewilligt wird. Auch teilt der Senat die dieser Rechtsauffassung zugrunde liegende Bewertung, dass mit der Vorschussgewährung schon wegen ihres vorläufigen Charakters — jedenfalls in der Regel – keine rechtlich geschützte Erwartung auf die spätere Bewilligung einer Pauschgebühr geschaffen wird (vgl. OLG Düsseldorf, 3. Strafsenat, Beschluss III-3 AR 214/15; KG Beschluss 1 Ws 38/11 vom 8. Juni 2011; Burhoff in: Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 5. Aufl. 2017, § 51 Rn. 105). Im hier zur Rede stehenden Einzelfall liegen jedoch besondere Umstände vor, die ausnahmsweise Anlass zu einer abweichenden Bewertung geben.

a) Zu bedenken ist insoweit, dass der 3. Strafsenat über den Vorschussantrag der Beschwerdeführerin nicht etwa in einem frühen Verfahrensstadium entschieden hat, in dem die Höhe der insgesamt zu erwartenden Pauschgebühr noch nicht sicher zu prognostizieren gewesen wäre. Vielmehr war im Zeitpunkt der Bewilligungsentscheidung das erstinstanzliche Verfahren bereits abgeschlossen. Der gesamte Umfang der von der Pflichtverteidigerin bis dahin erbrachten Tätigkeiten war dem Senat also schon bekannt und bildete eine tragfähige Grundlage für die Schätzung der Höhe einer später endgültig festzusetzenden Pauschgebühr sowie zugleich für die Berechnung des hierauf nach § 51 Abs. 1 Satz 5 RVG zu gewährenden „angemessenen“ Vorschusses. Angesichts dieses Umstandes sowie mit Blick darauf, dass die Vorschussbewilligung nach einhelliger Ansicht nicht etwa nur die vage Möglichkeit, sondern die sichere Eiwartung der späteren Festsetzung einer Pauschgebühr voraus-setzt (vgl. etwa OLG Frankfurt am Main, Beschluss 2 ARs 45/09 vom 7. Juli 2009 mwN <juris>; Burhoff aa0, § 51 Rn. 96 mwN) durfte die Beschwerdeführerin davon ausgehen, dass einem nach Urteilsrechtskraft zu stellenden Antrag auf endgültige Bewilligung einer Pauschgebühr ohne Hinzutreten neuer Umstände jedenfalls annähernd in der Höhe des gewährten Vorschusses entsprochen werde.

b) Tatsächlich hat sich in der Zeit zwischen der Vorschussbewilligung und der Entscheidung des 3. Strafsenats über die endgültige Festsetzung der Pauschgebühr weder hinsichtlich der für die Bewilligungsentscheidung maßgeblichen Tatsachen noch hinsichtlich der Gesetzeslage irgendeine Veränderung ergeben. Die Diskrepanz zwischen der Höhe des gewährten Vorschusses und der später tatsächlich bewilligten Pauschgebühr beruht vielmehr ausschließlich darauf, dass der 3. Strafsenat seine noch während der Geltung der BRAGO entwickelte und nach Inkrafttreten des RVG im Jahre 2004 langjährig beibehaltene Rechtsprechung zur – großzügigen – Bewilligung von Pauschgebühren mit Beschluss vom 23. Juni 2015 (III-3 AR 65/14) aufgegeben hatte und unter Anschluss an die spätestens seit 2007 bekannte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. etwa BVerfGE 68, 237, 255; BVerfG NJW 2007, 3420; BVerfG, Nichtannahmebeschluss 2 BvR 51/07 vom 20. März 2007 <juris> jeweils mwN) zum Merkmal der „Unzumutbarkeit“ im Sinne des § 51 Abs. 1 RVG zu einer sehr viel restriktiveren Handhabung gelangt war. Mit der Änderung seiner zuvor vertretenen Gesetzesauslegung hat der 3. Strafsenat zwar nicht gegen Art. 20 Abs. 3 GG verstoßen. Höchstrichterliche Rechtsprechung schafft kein Gesetzesrecht und erzeugt damit keine vergleichbare Rechtsbindung. Die über den Einzelfall hinausgehende Geltung fachgerichtlicher Gesetzesauslegung beruht allein auf der Überzeugungskraft ihrer Gründe sowie der Autorität und den Kompetenzen des Gerichts. Es bedarf deswegen nicht des Nachweises wesentlicher Änderungen der Verhältnisse oder der allgemeinen Anschauungen, damit ein Gericht ohne Verstoß gegen Verfassungsrecht von seiner früheren Rechtsprechung abweichen kann (vgl. etwa BVerfGE 84, 212, 227f). Die Änderung einer ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung ist auch unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes grundsätzlich dann unbedenklich, wenn sie hinreichend begründet ist und sich im Rahmen einer vorhersehbaren Entwicklung hält (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss 1 BvR 1667/15 vom 05. November 2015 mwN; ebenso OLG Düsseldorf, 3. Strafsenat, Beschluss 3 AR 214/15 vom 17. Dezember 2015). Soweit jedoch durch eine gefestigte und langjährige Rechtsprechung ein Vertrauenstatbestand geschaffen wurde, ist diesem durch Billigkeitserwägungen im Einzelfall Rechnung zu tragen (vgl. BVerfG aaO). Ein solcher Fall ist hier gegeben. Nachdem der 3. Strafsenat seine bisherige Handhabung bei der Bewilligung von Pauschgebühren nach Einführung des § 51 Abs. 1 RVG über einen Zeitraum von 11 Jahren — ungeachtet der langjährig bekannten restriktiven Auslegung des Merkmals der Unzumutbarkeit durch das Bundesverfassungsgericht — weiter beibehalten und der Beschwerdeführerin bereits einen Vorschuss in der bisherigen Rechtsanwendung entsprechender Höhe gewährt hatte, hat er in ihrer Person ein geschütztes Vertrauen darauf begründet, dass er später auf ihren noch zu stellenden Antrag hin auch eine entsprechende Pauschgebühr bewilligen werde. Dass der Senat in der Zwischenzeit (in neuer personeller Besetzung) zu einer gänzlich anderen Auslegung der unverändert fortgeltenden Vorschrift gelangen würde, konnte und musste die Beschwerdeführerin nicht vorhersehen. Diesem bei Bewilligung der Pauschgebühr unberücksichtigt geblieben Umstand ist nunmehr dadurch Rechnung zu tragen, dass der Staatskasse eine Rückforderung des über-zahlten Vorschusses aus Gründen der Billigkeit zu versagen ist.“

Ich habe mich also in dem Telefonat dammals geirrt. Aber: Ein schöner Irrtum. Denn mit der Entscheidung hätte ich nicht gerechnet. Es handelt sich zwar um einen Sonderfall, aber er geht in die richtige Richtung. Ich habe die Rechtsprechung der OLG, die ihre Rechtsprechung einfach mal so ändern, was dann zu Rückforderungen zwar auch damals nicht für richtig gehalten. Aber: Es war nun mal so, gerade auch beim OLG Düsseldorf (vgl. Beschl. v. 17.12.2015 – III 3 AR 214/15). Dass Gegenwind aus dem eigenen Haus kommen würde, hätte ich nicht erwartet.

Was lernt man daraus:

  1. Auch Kommentatoren können irren.
  2. Nie aufgeben 🙂 .
  3. Aber auch: Entsprechende Anträge ggf. früh stellen bzw. abrechnen, dann kann eine Situation wie hier gar nicht erst entstehen.

Und: Gratulation an die Kollegin. Es handelt sich zwar um einen Sonderfall, aber trotzdem 🙂 .