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Handy I: Ist ein mit Messwertespeicher versehener Laser-Entfernungsmesser ein elektronisches Gerät?

entnommen wikimedia.org
Author Zátonyi Sándor (ifj.) Fizped

So, ich hoffe, alle haben die Weihnachtsfeiertage gut überstanden und sind bereit, heute, am ersten Tag „zwischen den Jahren, ein wenig zu arbeiten. So ganz viel ist es ja in diesem Jahr nicht. Heute und morgen – und dann ist schon wieder Wochenende, dem sich Silvester und Neujahr anschließen.

Ich mache heute mal einen Tag der Smartphones bzw. der elektronischen Geräte, also § 23 Abs. 1a StVO. Da liegt inzwischen einige Rechtsprechung vor, was zeigt, dass die Neuregelung in der Praxis = bei den Gerichten angekommen ist.

Und den Tag eröffne ich mit dem OLG Karlsruhe, Beschl. v. 05.10.2018 – 2 Rb 9 Ss 627/18. In dem hat das OLG zu der Frage Stellung genommen, ob es sich bei einem mit einem Messwertespeicher versehenen Laser-Entfernungsmesser um ein elektronisches Gerät i.S. der Neuregelung in § 23 Abs. 1a StVO handelt. Das OLG hat die Frage – ebenso wie schon das AG – bejaht:

5. Eine zusätzliche Hilfe für die Auslegung des Begriffs des elektronischen Geräts bietet die – über § 23 Abs. 1a Satz 2 StVO hinaus gehende – weitere beispielhafte Aufzählung elektronischer Geräte in der Verordnungsbegründung (BR-Drs. 556/17, S. 27). Demnach sollen nach dem Willen des Verordnungsgebers – der auch in der Verordnungsbegründung die Begriffe des elektronischen Geräts, der Kommunikation, der Information und der Organisation nicht (näher) definiert – insbesondere „sämtliche Handys, Smartphones, BOS- und CB-Funkgeräte und Amateurfunkgeräte, auch solche mit reinem push-to-talk-Modus, Tablet-Computer, Touchscreens, elektronische Terminplaner, Diktiergeräte, E-Book-Reader, MP3-Player, Personal Computer, DVD- und Blu-Ray-Player, CD-Rom-Abspielgeräte, Smartwatches, Walkman, Discman und Notebooks“ von § 23 Abs. 1a Satz 1 StVO umfasst sein.

6. In der obergerichtlichen Rechtsprechung hat sich bislang – soweit ersichtlich – nur das OLG Oldenburg näher mit der Auslegung des Begriffs des elektronischen Geräts im Sinne des § 23 Abs. 1a Satz 1 StVO beschäftigt (OLG Oldenburg, Beschluss vom 25.06.2018 – 2 Ss (OWi) 175/18 -, juris). Nach Auffassung des OLG Oldenburg fällt ein – reiner – Taschenrechner nicht unter die Norm. Zur Begründung hat das OLG Oldenburg ausgeführt, dass ein – reiner – Taschenrechner unter keinen der genannten Oberbegriffe (der Kommunikation, Information oder Organisation) – ohne diese (näher) zu definieren – falle. Die Annahme, die Eingabe einer Rechenoperation und deren anschließendes Ablesen unterfiele einem Informationszweck, überdehnte nach Auffassung des OLG Oldenburg die Auslegung der Norm und sei für den Normadressaten nicht erkennbar (zustimmend Eggert in: Freymann/Wellner, a.a.O., § 23 StVO Rn. 24.1; Krenberger, jurisPK-VerkR 17/2018 Anm. 4).

7. Die bislang zur Neufassung des § 23 Abs. 1a StVO – soweit ersichtlich – ergangene Literatur (Eggert in: Freymann/Wellner, a.a.O., § 23 StVO Rn. 21 ff.; Burhoff in: Burhoff (Hrsg.), a.a.O., Rn. 2838 ff.; ders., ZAP 2018, 987 [weitgehend inhaltsgleich veröffentlicht in StRR 2018, Nr. 4, 4]; Fromm, a.a.O.; Rebler, a.a.O.) hat bislang nicht versucht, die Begriffe des elektronischen Geräts, der Kommunikation, der Information und der Organisation (näher) zu definieren. Die Autoren beschränken sich im Wesentlichen darauf, die in der Verordnungsbegründung aufgezählten Gerätebeispiele (vgl. oben) wiederzugeben und auf den „technikoffenen“ Ansatz der Norm (vgl. oben) hinzuweisen.

8. Ausgehend hiervon hält die Bewertung durch das Amtsgericht rechtlicher Nachprüfung stand. Bei einem elektronischen Laser-Entfernungsmesser, der über einen Messwertespeicher verfügt, handelt es sich um ein „elektronisches Gerät“, dass „der Information dient oder zu dienen bestimmt ist“ im Sinn des § 23 Abs. 1a Satz 1 StVO. Eine solche Auslegung ist vom Wortlaut der Norm gedeckt und entspricht zudem deren Sinn und Zweck.

a) Dabei verkennt der Senat nicht, dass der strenge Gesetzesvorbehalt des § 3 OWiG (Art. 103 Abs. 2 GG) es der rechtsprechenden Gewalt verbietet, Bußgeldtatbestände oder Sanktionen im Wege richterlicher Rechtsfortbildung – etwa durch die Bildung von Analogien oder die Verschleifung von Tatbestandsmerkmalen – zu begründen oder zu verschärfen (BVerfGE 71, 108 ; 130, 1; BGH, NStZ-RR 2015, 40; OLG Stuttgart, a.a.O.). Die Auslegung eines Gesetzes findet ihre Grenze in dem – aus Sicht des Bürgers – noch möglichen Wortsinn (BVerfGE 71, 108; NJW 2010, 754; OLG Stuttgart, a.a.O.; Gürtler in: Göhler, OWiG, 17. Aufl. 2017, § 3 Rn. 6; KK-Rogall, OWiG, 5. Aufl. 2018, § 3 Rn. 31 [jeweils m.w.N.]). Soweit auf den Willen des Gesetzgebers abgestellt werden soll, muss dieser im Gesetz einen hinreichend bestimmten Ausdruck gefunden haben. § 3 OWiG (Art. 103 Abs. 2 GG) verpflichtet den Gesetzgeber, die Voraussetzungen eines Bußgeldtatbestandes so konkret zu umschreiben, dass Tragweite und Anwendungsbereich sowie Rechtsfolgen eines Verstoßes zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen (BVerfGE 47, 109; 55, 144; 71, 108; NJW 2010, 754; BGH, a.a.O.; Senat, NStZ-RR 2007, 60; OLG Stuttgart, a.a.O.; Gürtler in: Göhler, a.a.O., § 3 Rn. 1; KK-Rogall, a.a.O., § 3 Rn. 28 m.w.N.). Diese Verpflichtung dient einem doppelten Zweck. Es geht einerseits um den rechtsstaatlichen Schutz des Normadressaten. Jedermann soll vorhersehen können, welches Verhalten verboten und mit Strafe oder mit Geldbuße bedroht ist. Im Zusammenhang damit soll andererseits sichergestellt werden, dass der Gesetzgeber selbst über die Strafbarkeit oder die Bußgeldvoraussetzungen entscheidet. Insoweit enthält § 3 OWiG (Art. 103 Abs. 2 GG) einen strengen Gesetzesvorbehalt, der es der vollziehenden und der rechtsprechenden Gewalt verwehrt, über die Voraussetzungen einer Bestrafung oder der Auferlegung einer Geldbuße selbst zu entscheiden (BVerfGE 47, 109; 71, 108; NJW 2010, 754; OLG Stuttgart, a.a.O.; Göhler in: Gürtler, a.a.O., § 3 Rn. 1; KK-Rogall, a.a.O., § 3 Rn. 30 m.w.N.). Gegenstand der Auslegung gesetzlicher Bestimmungen kann immer nur der Gesetzestext sein. Der mögliche Wortsinn des Gesetzes markiert die äußerste Grenze zulässiger richterlicher Interpretation. Dieser Wortsinn ist aus der Sicht des Bürgers zu bestimmen (BVerfGE 71, 108; 130, 1; NJW 2010, 754; OLG Stuttgart, a.a.O.; KK-Rogall, a.a.O., § 3 Rn. 31 m.w.N.).

b) Das Amtsgericht hat den Wortlaut des § 23 Abs. 1a Satz 1 StVO bei seiner Auslegung nicht überdehnt.

aa) Dass es sich bei dem tatgegenständlichen Laser-Entfernungsmesser um ein „elektronisches Gerät“ handelt, ist nach den Feststellungen des Amtsgerichts (vgl. oben) – ohne dass hierzu eine nähere Definition des Begriffs erforderlich wäre – unzweifelhaft, zumal das Gerät über ein Display verfügte.

bb) Der Laser-Entfernungsmesser „diente“ zudem – wie das Amtsgericht in den Urteilsgründen zutreffend ausgeführt hat – jedenfalls deswegen „der Information“, weil er die mit ihm ermittelten Messwerte nicht nur unmittelbar nach der Messung temporär anzeigt, sondern diese zusätzlich in einem internen Messwertespeicher ablegt und vorhält, aus dem die Messwerte dann zu einem beliebigen späteren Zeitpunkt – wie vorliegend geschehen – durch den Benutzer zur Information über das Ergebnis vergangener Messungen abgerufen und vom Display abgelesen werden können.

Diese Auslegung ist zum einen zwanglos mit dem erkennbaren Wortsinn des Begriffs der Information zu vereinbaren. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird unter Information/Informieren insbesondere die „Unterrichtung über eine bestimmte Sache“ verstanden (Duden, Deutsches Universalwörterbuch, 8. Aufl. 2015). Der Betroffene konnte folglich anhand des Wortlauts von § 23 Abs. 1a Satz 1 StVO voraussehen, dass sein Verhalten ordnungswidrig und mit Geldbuße bedroht ist.

Ein solches Verständnis der Norm entspricht zum anderen auch – wie das Amtsgericht ebenfalls zutreffend in den Urteilsgründen ausgeführt hat – dem Sinn und Zweck der Neuregelung. Von dem Aufnehmen des elektronischen Geräts und dem Aufrufen und Ablesen des Messwertes geht eine erhebliche mentale Ablenkung des Betroffenen vom Verkehrsgeschehen aus, die der Verordnungsgeber aufgrund deren Gefahrenträchtigkeit unterbinden will (vgl. oben). Dabei ist den beispielhaften – bewusst nicht abschließenden – Aufzählungen zahlreicher elektronischer Geräte in § 23 Abs. 1a Satz 2 StVO und der Verordnungsbegründung (vgl. oben), der bewusst „technikoffenen“ Formulierung (vgl. oben) sowie der beabsichtigten Sicherung des Verkehrs (vgl. oben) zu entnehmen, dass der Verordnungsgeber einen weiten Begriff des elektronischen Geräts im Sinne des § 23 Abs. 1a Satz 1 StVO vor Augen hatte.

Vor dem Hintergrund des mit der Verordnungsänderung verfolgten Zwecks kommt es schließlich nach Auffassung des Senats bei der Frage, ob ein elektronisches Gerät der Information dient oder zu dienen bestimmt ist, auch nicht auf die allgemeine (primäre) Zweckbestimmung, sondern die konkrete Verwendung des elektronischen Geräts beim Führen eines Fahrzeugs an.

Das Ablesen der auf dem elektronischen Laser-Entfernungsmesser gespeicherten Daten auf dem Display dient nach alledem unzweifelhaft der Informationsgewinnung im Sinne des § 23 Abs. 1a Satz 1 StVO.“

Nun ja, kann man so sehen. Ob das allerdings die „Information“ ist, die der VO-Geber gemeint hat?

Fiktiver Teilfreispruch, oder: Kostenentscheidung ist besser, als „abgespeist“ mit § 21 GKG

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Und als zweite Entscheidung des Tages eine weitere, in der Geld stecken könnte. Es ist der OLG Karlsruhe, Beschl. v. 30.11.2018 – 3 Ws 576/18, den mir der Kollege Urbanczyk aus Mannheim geschickt hat. Es geht um die Anwendung des § 465 Abs. 2 StPO in den Fällen des fiktiven Teilfreispruchs.

Das AG hatte gegen den Angeklagten einen Strafbefehl wegen des Vorwurfs des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis erlassen, weil er am 12.12.2017 unter dem Einfluss von 8,5 ng/ml THC ein Kleinkraftrad geführt hatte, ohne im Besitz einer Fahrerlaubnis zu sein. Hierbei wurde übersehen, dass dem Angeklagten zwar durch Strafbefehl des AG vom 6.12.2017 die Fahrerlaubnis entzogen worden war, der Strafbefehl aber erst am 03.1.2018 rechtskräftig wurde, so dass sich der Angeklagte am 12.12.2017 (noch) im Besitz einer Fahrerlaubnis befunden hatte.

Nach Einspruchseinlegung hat das AG den Angeklagten deshalb vom Vorwurf des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis frei gesprochen. Es hat ihn außerdem auch wegen vermeintlich eingetretener Verfolgungsverjährung auch vom Vorwurf des fahrlässigen Führens eines Kraftfahrzeugs unter dem Einfluss berauschender Mittel gern. § 24a Abs. 2 StVG frei-gesprochen. Auf die von der Staatsanwaltschaft Mannheim hinsichtlich der unterbliebenen Verurteilung gemäß § 24a StVG eingelegte Berufung wurde der Angeklagte dann durch Urteil des LG wegen der genannten Ordnungswidrigkeit verurteilt. Außerdem hat das Berufungsgericht dem Angeklagten die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen auferlegt. In den Urteilsgründen hat die Berufungskammer darauf hingewiesen, dass dem Umstand, dass die Berufung der Staatsanwaltschaft allein aufgrund der fehlerhaften Annahme der Verjährung der Ordnungswidrigkeit durch das erstinstanzliche Gericht beruht habe, hinsichtlich der Kosten des Berufungsverfahrens durch die Anwendung von § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG Rechnung getragen werden könne. Die gegen die Kostenentscheidung eingelegte sofortige Beschwerde des Angeklagten/Verteidigers hatte Erfolg:

„1. Die Kostenentscheidung des Landgerichts entspricht zwar der gesetzlichen Regelung des § 465 Abs. 1 StPO, weil der Angeklagte in der Berufungshauptverhandlung (wenngleich „nur“ wegen einer Ordnungswidrigkeit) verurteilt wurde. Allerdings hat die Kammer nicht bedacht, dass ein Ausnahmefall des § 465 Abs. 2 StPO vorliegt, wonach aus Billigkeitsgründen besondere Auslagen der Staatskasse und besondere notwendige Auslagen des Angeklagten ganz oder teilweise der Staatskasse auferlegt werden können, wenn Untersuchungen zugunsten des Angeklagten ausgegangen sind. Die Möglichkeit, eine von § 465 Abs. 1 StPO abweichende Billigkeitsentscheidung zu treffen, besteht vor allem in den Fällen des sog. fiktiven Teilfreispruchs, d. h. bei der Nichtverurteilung wegen einzelner abtrennbarer Teile einer Tat (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., Rdn. 7 zu § 465; BeckOK-Niesler, StPO, Stand 1.6.2018, Rdn. 8 zu § 465; OLG Düsseldorf, B. v. 18.7.1988 – 1 Ws 420/188 – bei juris). Dann können die Mehrauslagen, die bei einer von vornherein erfolgten Begrenzung des Schuldvorwurfs auf den Umfang der späteren Verurteilung nicht entstanden wären, nach Billigkeit ganz oder teilweise der Staatskasse auferlegt werden (OLG Stuttgart, Die Justiz 1974, 136). Ist anzunehmen, dass der Angeklagte einen Bußgeldbescheid hingenommen hätte, so können seine gesamten notwendigen Auslagen der Staatskasse auferlegt werden (Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O.; BeckOK-Niesler, a.a.O.; BGHSt 25, 109; OLG Stuttgart, Die Justiz 1987, 160).

2. Im vorliegenden Fall ergibt sich hieraus folgendes:

Hätte die Staatsanwaltschaft bereits zutreffend erkannt, dass sich der Angeklagte am Tattag, dem 12.12.2017, im Besitz einer Fahrerlaubnis befunden hat, hätte sie keinen Strafbefehlsantrag wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis gestellt, sondern die Sache an die Bußgeldbehörde abgegeben. Angesichts des Umstandes, dass der Angeklagte die zweitinstanzliche Verurteilung zu einer Geldbuße und einmonatigem Fahrverbot akzeptiert hat, ist davon auszugehen, dass ein im Umfang der landgerichtlichen Verurteilung erlassener Bußgeldbescheid rechtskräftig geworden wäre. Es wären daher lediglich Gebühren und Auslagen im Verwaltungsverfahren (u.a. Gebühr für den Erlass des Bußgeldbescheids. Kosten für Zustellungsurkunde, Entnahme und Untersuchung der Blutprobe etc.) entstanden, die der Angeklagte zu tragen hat. Die übrigen Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) sowie seine gesamten notwendigen Auslagen hat die Staatskasse zu tragen.“

Nur kurz dazu: Die Vorschrift des § 465 Abs. 2 StPO wird nicht selten übersehen, vor allem eben in den Fällen des sog. fiktiven Teilfreispruchs (vgl. dazu a. BGH RVGreport 2015, 199 = StRR 2015, 180). So auch hier, wo das LG den Angeklagten mit dem Hinweis auf § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG „abgespeist“ hat. Zu Recht hat der Verteidiger sich damit nicht zufrieden gegeben, denn bei § 21 GKG handelt es sich um eine „Kannvorschrift“. Mit der vom OLG gefundenen Kostenverteilung in der Kostengrundetnscheidung steht sich der Angeklagte besser.

Verzögerte Kostenfestsetzung II, oder: Auch hiermit kann man der Staatskasse ggf. Beine machen

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Wenn ich mich mit Kollegen über gebührenrechtliche Fragen unterhalte, werden immer zwei Dinge besonders beklagt: Einmal die restriktive „Bemessungspraxis“ der Justiz betreffend die anwaltlichen Rahmengebühren – also eine Problematik des § 14 RVG – und dann die lange Dauer von Vergütungsfestsetzungsverfahren – also § 55 RVG. Manchmal müssen die Kollegen monatelang – zum Teil noch länger – auf ihre – eh schon nicht hohen – gesetzlichen Gebühren warten. In dem Zusammenhang weise ich dann immer auf die §§ 198 f.- GVG und das OLG Zweibrücken, Urt. v. 26.01.2017 – 6 SchH 1/16 EntV– hin (dazu Verzögerte Kostenfestsetzung, oder: Hiermit kann man der Staatskasse ggf. Beine machen).

In Zukunft kann ich meinen Hinweis erweitern. Denn jetzt gibt es eine weitere OLG-Entscheidung, auf die man wegen der verzögerten Vergütungsfestsetzung und sich daraus ergebender Ansprüche hinweisen kann. Es handelt sich um das OLG Karlsruhe, Urt. v. 16.10.2018 – 16 EK 10/18, das sich mit der Entschädigung eines Pflichtverteidigers wegen unangemessener Dauer eines Vergütungsfestsetzungsverfahrens befasst. In dem Verfahren ist das Land Baden-Württemberg zur Zahlung einer Entschädigung von  924,00 € nebst Zinsen verurteilt worden. Der klagende Pflichtverteidiger hatte mit Schriftsatz vom 21.12.2015, beim AG Karlsruhe eingegangen am 04.01.2016, beantragt, seine Vergütung auf insgesamt 2.144,74 € festzusetzen. Nach einigem Hin und Her betreffend Aktenanforderung hat der Kollege dann unter dem 17.05.2016 erstmals Verzögerungsrüge erhoben. Nach weiterem Hin und Her wegen nicht vorliegender/greifbarer Aktenhat der Kollege unter dem 03.03.2017, Eingang 06.03.2017, gegenüber dem AG Karlsruhe nochmals Verzögerungsrüge erhoben. Festgesetzt worden ist dann endlich am 21.03.2017.

Das OLG führt zunächst aus, dass die Vorschriften der §§ 198 ff. GVG auch auf das Vergütungsfestsetzungsverfahren anzuwenden sind. Auch könne eine Entschädigungsklage gemäß § 198 Abs. 5 GVG bereits vom Moment des Verfahrensabschlusses an erhoben werden, wenn das als verspätet gerügte Verfahren vor Ablauf der Sechs-Monats-Frist abgeschlossen wurde. Die Verfahrensdauer sei auch unangemessen i.S.d. § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG, wobei es allerdings auch das Verhalten des Kollegen berücksichtigt.

Und:

„5) Dem Kläger ist auch ein immaterieller Nachteil im Sinne des § 198 Abs. 2 S. 1 GVG entstanden.

a) Ein immaterieller Nachteil wird dabei gemäß § 198 Abs. 2 S. 1 GVG vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Dabei handelt es sich um eine widerlegbare Vermutung, die dem Betroffenen die Geltendmachung eines immateriellen Nachteils erleichtern soll, weil in diesem Bereich ein Beweis oft nur schwierig oder gar nicht zu führen ist. Diese Vermutungsregel entspricht der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (BGH, Urteil vom 13.04.2017 – III ZR 277/16 -, juris, Rn. 20). Dieser nimmt eine starke, aber widerlegbare Vermutung dafür an, dass die überlange Verfahrensdauer einen Nichtvermögensschaden verursacht hat, aber auch anerkennt, dass der immaterielle Schaden in bestimmten Fällen sehr gering sein oder gar nicht entstehen kann. In diesem Fall müsse der staatliche Richter seine Entscheidung mit einer ausreichenden Begründung rechtfertigen (EGMR [Große Kammer], Urteil vom 29.03.2006 – 36813/97Scordino/Italien, Nr. 1, NJW 2007, 1259, Rn. 204).

Im Entschädigungsprozess ist die Vermutung widerlegt, wenn der Beklagte das Fehlen eines immateriellen Nachteils darlegt und beweist, wobei ihm, da es sich um einen Negativbeweis handelt, die Grundsätze der sekundären Behauptungslast zugutekommen können. Dabei dürfen – wie allgemein im Beweisrecht – an den Beweis des Gegenteils keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden. Die Vermutung eines auf der Verfahrensdauer beruhenden immateriellen Nachteils ist dann widerlegt, wenn das Entschädigungsgericht unter Berücksichtigung der vom Kläger gegebenenfalls geltend gemachten Beeinträchtigungen nach einer Gesamtbewertung der Folgen, die die Verfahrensdauer mit sich gebracht hat, die Überzeugung gewinnt, dass die (unangemessene) Verfahrensdauer nicht zu einem Nachteil geführt hat (BGH, Urteil vom 13.04.2017 – III ZR 277/16 -, juris, Rn. 21; Urteil vom 12.02.2015 – III ZR 141/14 -, juris, Rn. 41). 

b) Dem beklagten Land ist es vorliegend nicht gelungen, die gesetzliche Vermutung eines immateriellen Nachteiles gemäß § 198 Abs. 2 S. 1 GVG zu widerlegen.

Die Annahme eines immateriellen Nachteils ist in Fallgestaltungen vorliegender Art nicht von vornherein ausgeschlossen, da im Rahmen der Vergütungsfestsetzung der Kläger als Rechtsanwalt eigene finanzielle Interessen verfolgt (vgl. zur Kostenfestsetzung im PKH-Verfahren: LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 08. Juni 2016 – L 12 SF 9/14 EK AS -, juris, Rn. 20).

 Angesichts dessen, dass der Kläger als Rechtsanwalt unter anderem von aus der Staatskasse zu zahlenden und festzusetzenden Vergütungen lebt, hat diese Frage im Hinblick auf Art. 12 GG auch durchaus Grundrechtsrelevanz.

 6) Dem Kläger ist eine immaterielle Entschädigung in Höhe von 800,00 € zuzusprechen. Die bloße Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war, reicht als Wiedergutmachung der Verzögerung nicht aus.

a) Gemäß § 198 Abs. 2 S. 2 GVG kann für einen Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Abs. 4 ausreichend ist. Als Möglichkeit der Wiedergutmachung auf andere Weise sieht § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG insbesondere vor, dass das mit der Entschädigungsentscheidung befasste Gericht die ausdrückliche Feststellung einer unangemessenen Verfahrensdauer treffen kann. Damit wird deutlich gemacht, dass die Geldentschädigung für Nichtvermögensnachteile bei überlangen Gerichtsverfahren kein Automatismus ist. Ein Anspruch setzt vielmehr voraus, dass die Ausschlussregelung nicht eingreift. Dementsprechend stellt § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG ein „negatives Tatbestandsmerkmal“ für einen Entschädigungsanspruch nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG dar, soweit Entschädigung für immaterielle Nachteile begehrt wird (BGH, Urteil vom 23.01.2014 – III ZR 37/13 -, BGHZ 200, 20-38, juris, Rn. 61).

Die für die Entschädigung maßgebliche Frage, ob eine Wiedergutmachung auf andere Weise im konkreten Fall ausreichend ist, kann nicht pauschal beantwortet, sondern nur unter Abwägung aller Belange im Einzelfall entschieden werden. Ausreichen kann eine schlichte Feststellung der Unangemessenheit der Verfahrensdauer beispielsweise in Verfahren, in denen der Anspruchsteller durch sein Verhalten erheblich zur Verzögerung beigetragen hat oder die Überlänge des Verfahrens den einzigen Nachteil darstellt (BGH, a.a.O., Rn. 62). Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in Längeverfahren zum Teil entschieden, dass es nicht angezeigt sei, über die Feststellung einer Konventionsverletzung hinausgehend eine Entschädigung zu gewähren. Dies kann etwa auch in Verfahren, die für den Beteiligten keine besondere Bedeutung hatten, der Fall sein (BT-DS 17/3802, S. 20).

b) Gemessen daran ist nach den Umständen des vorliegenden Falles Wiedergutmachung der unangemessenen Verzögerung auf andere Weise, insbesondere durch entsprechende Feststellung im Urteilsausspruch, nicht ausreichend.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Kläger vorliegend die Festsetzung einer Verteidigervergütung in Höhe eines namhaften Betrages von über 2.000,00 € begehrte. Dass es für funktionierende und reibungslose Abläufe sowie die Planungssicherheit einer Rechtsanwaltskanzlei wesentlich ist, dass verdiente Zahlungen zeitnah liquidiert werden können oder zumindest Gewissheit darüber erlangt werden kann, dass etwa geltend gemachte Ansprüche nicht bestehen, ist nicht in Abrede zu stellen. Vor diesem Hintergrund beschränkte sich der Nachteil des Klägers nicht allein auf die reine Überlänge des Verfahrens. Soweit der Kläger mit seiner unklaren Antragstellung zur Verzögerung beigetragen hat, wurde dies bereits im Rahmen der Bemessung der Dauer der unangemessenen Verzögerung berücksichtigt.

c) Unter Berücksichtigung der vorliegenden Umstände ist dem Kläger eine Entschädigung in Höhe von 800,00 € zuzusprechen.

Gemäß § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG beträgt der Richtwert einer Entschädigung regelmäßig 100,00 € monatlich. Gemäß § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG kann das Gericht jedoch einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen, wenn der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig ist. Ein Abweichen von der Entschädigungspauschale ist nur ausnahmsweise in atypischen Sonderfällen gerechtfertigt, wenn ein Verfahren nur eine außergewöhnlich geringe Bedeutung des Verfahrens für den Betroffenen hat oder aber eine nur kurzzeitige Verzögerung vorliegt. Dabei muss sich das zu beurteilende Verfahren durch eine oder mehrere entschädigungsrelevante Besonderheiten in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht von vergleichbaren Fällen abheben (BSG, Urteil vom 12. Februar 2015 – B 10 ÜG 11/13 R -, BSGE 118, 102-110, SozR 4-1720 § 198 Nr. 9, juris, Rn. 37 ff.)….“

Geht doch 🙂 .

Pflichtverteidiger im Adhäsionsverfahren, oder: Wir machen es genauso falsch wie die h.M.

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So, heute dann Gebühren. Und als erstes der OLG Karlsruhe, Beschl. v. 23.08.2018 – 2 Ws 246/18 – zu einem gebührenrechtlichen Dauerbrenner, nämlich der Frage: Erstreckt sich die Pflichtverteidigerbestellung auch auf Tätigkeiten im Adhäsionsverfahren? Das OLG sagt nein:

„Die nach §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 3 RVG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde, über die der Einzelrichter zu entscheiden hat (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 8 Satz 1 RVG), hat aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung in der Sache keinen Erfolg. Der Senat schließt sich zu der Frage, ob sich eine Beiordnung als Pflichtverteidiger auch auf dessen Tätigkeit im Adhäsionsverfahren erstreckt, der Auffassung des OLG Karlsruhe – 3. Strafsenat – im Beschluss vom 06.08.2012 – 3 Ws 203/12 -, Die Justiz 2013, 79, an; danach ist dies insbesondere im Hinblick auf die gesonderte Regelung in § 404 Abs. 5 StPO nicht der Fall. Der vom Beschwerdeführer erst während der Hauptverhandlung gestellte entsprechende Antrag war vom Landgericht Waldshut-Tiengen mit Beschluss vom 25.09.2017 abgelehnt worden, da die beabsichtigte Rechtsverteidigung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg mehr bot (§ 404 Abs. 5 Satz 1 StPO, § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Die vom Senat vertretene Rechtsansicht entspricht im Übrigen der ganz überwiegenden neueren Rechtsprechung der Oberlandesgerichte (OLG Köln, Beschluss vom 24.03.2014 – 2 Ws 78/14 -, juris; OLG Koblenz JurBüro 2014, 356; OLG Dresden, Beschluss vom 10.12.2013 – 2 Ws 569/13 -, juris, und JurBüro 2014, 134; OLG Hamburg, Beschluss vom 15.04.2013 – 1 Ws 6/13 -, juris, unter Aufgabe der bisherigen Rspr., und VRS 119, 225; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.04.2012 – III-1 Ws 84/12 -, juris; OLG Hamm NJW 2013, 325; KG Berlin, Beschluss vom 24.06.2010 – 1 Ws 22/09 -, juris; OLG Stuttgart Die Justiz 2009, 201; OLG Bamberg, Beschluss vom 22.10.2008 – 1 Ws 576/08 -, juris; OlG Brandenburg, Beschluss vom 29.04.2008 – 2 Ws 59/08 -, juris; ThürOLG Rpfleger 2008, 529; OLG Celle NStZ-RR 2008, 370; OLG Zweibrücken JurBüro 2006, 643; OLG München StV 2004, 38; aA OLG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 15.04.2013 – 1 Ws 143/13 -, juris; OLG Rostock StV 2011, 656).“

Eine Begründung fehlt. „Man schließt sich an…“ – das ist Begründung genug. Man könnte auch sagen: Wir machen es genauso falsch wie die herrschende Meinung. Warum das falsch ist, steht bei Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 5. Aufl., 2017, den man hier bestellen kann. <<Werbemodus aus >>.

Entbindung II: Entbindungsantrag – Akteneinsicht – Aussetzung, oder: Fair trial

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Die zweite Entscheidung kommt vom OLG Karlsruhe, und zwar ist es der OLG Karlsruhe, Beschl. v. 12.01.2018 – 2 Rb 8 Ss 839/17. Eine Kombi-Entscheidung: Entbindung und Akteneinsicht, und zwar auf der Grundlage folgenden Sachverhalts:

„Das Regierungspräsidium Karlsruhe setzte mit Bußgeldbescheid vom 13.02.2017 gegen den Betroffenen wegen Abstandsunterschreitung im Straßenverkehr ein Bußgeld in Höhe von 180 € fest.

Auf den fristgerecht eingelegten Einspruch des Betroffenen hin beraumte das Amtsgericht zunächst Termin für die Hauptverhandlung auf den 25.07.2017 an. Mit Beschluss vom 10.07.2017 wurde der Betroffene auf seinen über seine Verteidigerin gestellten Antrag hin von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen „zum Termin am 25.07.2017“ entbunden. Danach wurde der Termin zwei Mal, zuletzt auf den 25.09.2017, 10:00 Uhr, verlegt. In einem am 22.09.2017 eingereichten Schriftsatz äußerte die Verteidigerin die Auffassung, dass die Entbindung von der Verpflichtung des Betroffenen zum persönlichen Erscheinen auch für den neu anberaumten Termin gelte, und bat anderenfalls um erneute Beschlussfassung. Mit weiterem am 25.09.2017 um 07:20 Uhr beim Amtsgericht eingekommenem Schriftsatz beantragte die Verteidigerin, die zuvor mit Schriftsätzen vom 07.07.2017 und vom 22.09.2017 beantragt hatte, ihr Einsicht in die Bedienungsanleitung des verwendeten Messgerätes zu gewähren, die Aussetzung der Hauptverhandlung im Hinblick auf die bis dahin noch nicht gewährte Einsichtnahme in die Bedienungsanleitung.

Mit Beschluss vom 25.09.2017 verwarf das Amtsgericht den Einspruch des Betroffenen gemäß § 74 Abs. 2 OWiG, nachdem zum Termin weder der Betroffene noch seine Verteidigerin erschienen waren.

Das OLG sagt: So nicht:

„2. Nach diesen Maßstäben ist die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör vorliegend dargetan.

In diesem Zusammenhang bedarf es keiner abschließenden Entscheidung der in der obergerichtlichen Entscheidung umstrittenen Frage, ob die Befreiung des Betroffenen von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen auch nach Verlegung des Hauptverhandlungstermins fortgilt (bejahend OLG Karlsruhe – Senat – NStZ-RR 2015, 258; OLG Bamberg NStZ-RR 2017, 25; verneinend OLG Jena VRS 117, 342; KG VRS 99, 372), weil dies auf die Entscheidung keinen Einfluss hat.

a) Auf der Grundlage der verneinenden Auffassung liegt das Übergehen erheblichen Vorbringens in der Nichtbescheidung des im Schriftsatz der Verteidigerin vom 22.09.2017 erneut gestellten Entbindungsantrags (OLG Dresden a.a.O.), wobei die für die Stellung des Entbindungsantrags durch den Verteidiger erforderliche besondere Vertretungsmacht vorliegend dargelegt (dazu OLG Hamm, Beschluss vom 13.07.2011 – III-4 RBs 193/11, juris; OLG Köln NStZ 2002, 268) und durch die dem Amtsgericht vorgelegte Vollmacht nachgewiesen wurde.

b) Die auch vom Senat vertretene Auffassung knüpft demgegenüber an die gesetzliche Formulierung in § 73 Abs. 1 und 2 OWiG an, wonach Bezugspunkt der Anwesenheitspflicht des Betroffenen und der Befreiung hiervon nicht ein bestimmter einzelner Termin, sondern die Hauptverhandlung ist. Wegen dieser gesetzlichen Vorgabe ist es nach der Auffassung des Senats zunächst unerheblich, dass die Befreiung durch das Amtsgericht vorliegend terminbezogen erteilt wurde. Danach war der Betroffene durch den Beschluss vom 10.07.2017 auch von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen im verlegten Hauptverhandlungstermin entbunden.
Davon ausgehend liegt der Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör darin, dass infolge der unter Verstoß gegen § 74 Abs. 1 Satz 1 OWiG erfolgten Einspruchsverwerfung der am Morgen des 25.09.2017 gestellte Aussetzungsantrag des Betroffenen unberücksichtigt geblieben ist, dem ansonsten stattzugeben gewesen wäre. Denn Ausfluss des Anspruchs auf ein faires Verfahren (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK) ist es, dass dem Betroffenen auf seinen Antrag hin auch nicht bei den Akten befindliche amtliche Unterlagen, die er für die Prüfung des Tatvorwurfs benötigt, zur Verfügung zu stellen sind. Dazu gehört in Verkehrsordnungswidrigkeitensachen auch die Bedienungsanleitung des verwendeten Messgeräts (OLG Naumburg DAR 2013, 37; KG DAR 2013, 211; Cierniak/Neuhaus DAR 2014, 2, 4 f.; a.A. – nicht tragend – OLG Frankfurt NStZ-RR 2013, 223). Kommt das Gericht dem trotz eines – vorliegend in der Begründungsschrift dargelegten und aus den Akten nachvollziehbaren – rechtzeitig gestellten Antrags nicht nach, rechtfertigt dies den Antrag auf Aussetzung der Hauptverhandlung (BGH NStZ 1985, 87; Cierniak/Neuhaus a.a.O.).“