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Wer sich (zunächst nur) orientiert, muss (noch) nicht belehren…

Einen m.E. neuen Begriff in die Diskussion um die Belehrungspflicht der Ermittlungsbehörden (§§ 163a, 136 StPO) und die Frage der späteren Verwertbarkeit von Angaben eines zeugnisverweigerungsberechtigten Zeugen, der sich dann auf sein Zeugnisverweigerungsrecht beruft (§ 252 StPO), bringt der immer für eine Überraschung gute 3. Strafsenat des OLG Hamm im OLG Hamm, Beschl. v. 24.06.2014 – 3 RVs 44/14: Nämlich den Begriff des “Orientierungsgesprächs”, und zwar bei folgendem Sachverhalt:

In Zusammenhang mit “häuslicher Gewalt” erfolgt u.a. am 30.01.2013 ein Notruf der späteren Zeugin, der Ehefrau des Angeklagten. Es kommt zu einem Polizeieinsatz, in dessen Verlauf – ich versuche es mal “neutral” auszudrücken – die Zeugin gegenüber den Polizeibeamten Angaben macht, die dann später im Verfahren verwertet werden. Das OLG hält das für zulässig – wobei ich jetzt mal alle Frage der Zulässigkeit der Revision/Verfahrensrüge und des Beruhens außen vor lasse. Das OLG führt zur dann u.a. Verwertbarkeit aus:

“Diese Sachverhaltsdarstellung gibt das schrittweise Vorgehen der Polizei wieder, nämlich von der Darlegung der allgemeinen Ausgangslage bei Aufnahme des Notrufes einschließlich des Entsendens der Funkstreifenbesatzung, der Bezeichnung der Örtichkeit, der Schilderung der Eintreffsituation, der Erteilung der rechtlichen Belehrung und sodann die Aufnahme der Angaben der Geschädigten zum Vorfall. Hiernach spricht vieles dafür, dass die entsandten Polizeibeamten bei Anordnung ihres Einsatzes nur grob von einem Verdachtsfall häuslicher Gewalt an der Einsatzörtlichkeit unterrichtet waren. Es liegt deshalb nahe, dass sie in der Eintreffsituation vor Ort dementsprechend Kontakt mit der Geschädigten aufnahmen, wobei sie – zur Orientierung – ein Eingangsgespräch mit der Person der Geschädigten über ihren Zustand führten. Danach erfolgte die rechtliche Belehrung der Zeugin und erst dann die Erhebung ihrer Angaben zum Vorfall.

Bei diesen niedergelegten Umständen des schrittweisen Ablaufs des polizeilichen Vorgehens liegt nahe, dass gerade keine Vernehmung der Geschädigten beim Eintreffen der Polizei stattgefunden hat, sondern lediglich ein bloßes Orientierungsgespräch. Erst nach der erfolgten rechtlichen Belehrung der Zeugin sind Angaben zum Vorfall aufgenommen worden, die Gegenstand einer Vernehmung waren.”

Geht m.E. zu weit, wenn ich – wie das OLG selbst ausführt – einen zumindest – nicht näher dargelegten , aber immerhin einen Verdachtsfall häuslicher Gewalt” habe:

“Offen bleibt nach dem Revisionsvorbringen insbesondere, ob die einschreitenden Beamten Kenntnis vom gesamten Inhalt des Notrufes hatten oder ob dies nicht der Fall war, weil ihnen lediglich ein nicht näher dargelegter Verdachtsfall häuslicher Gewalt als Einsatzgrund mitgeteilt worden war.”

Muss ich dann nicht sofort belehren oder ist ein “Orientierungsgespräch” möglich/zulässig?

Täglich frische Wäsche/Socken – die „Frische-Wäsche-Entscheidung“ des OLG Hamm im Volltext

entnommen wikimedia.org Urheber Alf van Beem

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Urheber Alf van Beem

Die „Frische-Wäsche-Entscheidung“ des OLG Hamm ist ja vor einigen Woche durch die Blogs geflattert – ich glaube sicherlich sechs oder sieben Mal. Ich lege dann heute nach, allerdings mit dem Volltext zum OLG Hamm, Beschl. v. 14.08.2014- 1 Vollz Ws 365/14 -, in dem das OLG seine frühere Rechtsprechung in der Frage aufgegeben hat. 1993 hatte das OLG nämlich (noch) entschieden, dass vier Garnituren Wäsche und zwei Paar Socken pro Woche ausreichend seien. Heute sieht man es anders/frischer/sauberer, so ändern sich dann die Zeiten. Jetzt gibt es täglich frische Wäsche und Socken:

„Die Rechtsbeschwerde hat im Umfang ihrer Zulassung auch in der Sache Erfolg. Die Vollzugsbehörde ist verpflichtet, dem Antragsteller auf dessen Verlangen Unterwäschegarnituren und Socken in einem Maße bereitzustellen, welches einen täglichen Wechsel erlaubt. Der Senat hält an seiner früheren, gegenteiligen Rechtsauffassung nicht mehr fest.

Nach § 20 Abs. 1 S. 1 StVollzG trägt der Gefangene Anstaltskleidung, womit die Verpflichtung der Vollzugsbehörde einhergeht, entsprechende Kleidung in dem erforderlichen Maß bereitzustellen. Ob die Versorgung mit Kleidung ausreichend ist, um etwaigen Gefahren für die Gesundheit des Gefangenen zu begegnen, beantwortet die Frage nach dem erforderlichen Maß nur unzureichend, vielmehr ist der Anspruch des Gefangenen auf Bereitstellung von Anstaltskleidung auch unter Berücksichtigung grundrechtlicher Positionen sowie der Vollzugsgrundsätze des § 3 StVollzG näher zu bestimmen:

Bereits die Verpflichtung zum Tragen der Anstaltskleidung als solcher berührt das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen, denn schon diese mag seitens des Gefangenen unter Umständen als Selbstwertkränkung empfunden werden (BVerfG, Beschluss vom 3. November 1999, 2 BvR 2039/99NJW 2000, 1399). Dies gilt in besonderem Maße, wenn die Versorgung mit Kleidung – namentlich in einem unter Hygienegesichtspunkten besonders sensiblen Bereich – deutlich von den gesellschaftlichen Normvorstellungen abweicht. Der tägliche Wechsel von Unterwäsche und Socken darf heutzutage als gesellschaftliche Norm bzw. zumindest wünschenswert gelten.

Die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Betroffenen wiegt nach alledem bereits aus diesem Grund schwer. Ferner erweist es sich auch im Hinblick auf das Vollzugsziel einer Resozialisierung des Gefangenen als bedenklich, diesem lediglich vier Unterwäschegarnituren und zwei Paar Socken zur Verfügung zu stellen. Eine Vereinbarkeit einer solchen Regelung mit den in § 3 StVollzG normierten Vollzugsgrundsätzen besteht nicht (siehe hierzu bereits Kellermann in: Feest [Hrsg.], Strafvollzugsgesetz, 6. Auflage, § 20 RN 1), denn die mit einer unzureichenden Ausstattung an Anstaltskleidung einhergehende Beeinträchtigung der Privatsphäre kann einer Verwahrlosung des Gefangenen Vorschub leisten und läuft damit dem in § 3 Abs. 3 StVollzG normierten Ziel zuwider, dem Gefangenen zu helfen, sich in das Leben in Freiheit, in welchem z.B. der Wiedereinstieg in das Arbeitsleben sowie auch sonstige soziale Kontakte durch eine unzureichende Körperhygiene deutlich erschwert werden können, einzugliedern. Derartigen schädlichen Folgen des Freiheitsentzuges kann allein durch eine weitestmögliche Angleichung an die allgemeinen Lebensverhältnisse begegnet werden.

Übergeordnete Sacherwägungen, aufgrund derer der Status quo hinzunehmen wäre, bestehen nicht, insbesondere spricht nichts dafür, dass durch die Möglichkeit eines täglichen Wechsels Belange der Sicherheit und Ordnung der Vollzugsbehörde tangiert wären. Ebenso ist nicht ersichtlich, dass hierdurch ein zusätzlicher Kostenaufwand in nicht vertretbarem Umfang entstünde.“

Na ja, warum man dafür ein OLG braucht, erschließt sich mir nicht.

Der Parkplatzunfall auf der Autobahnraststätte – wie wird gehaftet?

entnommen wikimedia.org Urheber Mediatus

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Urheber Mediatus

Vorfahrtsregeln auf Zufahrtsstraßen von Parkplätzen und/oder auf Parkplätzen, ein in der Praxis wichtiges Thema, bei dem allerdings doch das ein oder andere im Dunklen liegt. Ein wenig Licht bringt das OLG Hamm, Urt. v. 29.08.2014 – 9 U 26/14. Ausgangspunkt für die Entscheidung ist ein Verkehrsunfall, an dem auf einer Autobahnraststätte zwei Lastzüge beteiligt waren. Der Lastzug des Klägers befuhr den an einem BAB Rastplatz zur Autobahnauffahrt führenden Zufahrtsweg. An diesen grenzten rechtsseitig ca. 18 schräg angeordnete Lkw-Stellplätze, von denen die Einfahrt in die Zufahrtsstraße möglich war. Auf dem letzten Stellplatz rangierte der Lastzug der Beklagten. Beide Lastzüge stießen zusammen, als der Lastzug des Klägers den Lastzug der Beklagten passierte. Der Kläger verlangte 100 % seine Schadens. Das OLG Hamm hat ihm die gewährt:

1. Die Beklagten müssen sich neben der von dem Lastzug des Beklagten zu 1) ausgehenden Betriebsgefahr nach Anscheinsbeweisgrundsätzen ein unfallursächliches Verschulden des Beklagten zu 2) wegen Verstoßes gegen § 10 StVO anrechnen lassen. Nach dieser Vorschrift muss derjenige, der von anderen Straßenteilen oder vom Fahrbahnrand anfahren will, sich so verhalten, dass jede Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist.

2. Die Regeln der Straßenverkehrsordnung (StVO) sind auf einem – wie hier – öffentlich zugänglichen Parkplatz grundsätzlich anwendbar (OLG Frankfurt, ZfSch 2010, 19; Scheidler, DAR 2012, 313, 314); Senat, NJW-RR 2013, 33). Da Parkplätze dem ruhenden Verkehr dienen, trifft der dort Ein- und Ausparkende in der Regel nicht auf fließenden Verkehr, sondern auf Benutzer der Parkplatzfahrbahn. In diesen Fällen sind die gegenseitigen Rücksichtspflichten deshalb (verglichen mit den Pflichten aus §§ 9, 10 StVO) erhöht und einander angenähert. Einen Vertrauensgrundsatz zugunsten des „fließenden“ Verkehrs gegenüber dem wartepflichtigen Ein- oder Ausfahrenden gibt es nicht (König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl. § 8 StVO Rn. 31 a). Das führt dazu, dass bei Unfällen auf Parkplatzgeländen in der Regel für ein alleiniges Verschulden eines Verkehrsteilnehmers, insbesondere auch ein vollständiges Zurücktreten der Betriebsgefahr, kein Raum sein wird. Vielmehr wird hier – anders als im fließenden Verkehr – regelmäßig ein im Rahmen der Haftungsabwägung zu berücksichtigendes Mitverschulden, jedenfalls aber die Betriebsgefahr zu berücksichtigen sein (Scheidler, DAR 2012, 313, 316).

Etwas anderes kann gelten, wenn die angelegten Fahrspuren zwischen den Parkplätzen eindeutig Straßencharakter haben und sich bereits aus ihrer baulichen Anlage ergibt, dass sie nicht dem Suchen von Parkplätzen dienen, sondern der Zu- und Abfahrt der Fahrzeuge. Handelt es sich bei einer bzw. mehreren der Zufahrtswege um eine gegenüber den Durchfahrtsgassen zwischen den Parkplätzen nochmals baulich größer und breiter ausgestalteten Zufahrtsstraße, so kann § 10 StVO, ob unmittelbar oder analog zur Anwendung kommen (KG, B.v. 12.10.2009 – 12 U 233/08 -, […], vgl. hierzu auch OLG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 28. Juli 2006 – 10 U 28/06 – VerkMitt 2007, Nr. 43, OLG Düsseldorf, U.v. 23.10.2010 – 1 U 156/09 -, […], LG Bremen, U.v. 20.06.2013 – 7 O 485/12 -.).

3. Hiervon ausgehend hat die nördlich parallel zur BAB 44 verlaufende Zufahrtsstraße, auf der sich der Unfall ereignet hat, Straßencharakter. Bereits der bauliche Ausbau belegt den Straßencharakter. Die Zuwegung ist zweispurig ausgebaut und durch einen Mittelstreifen gekennzeichnet. Dem Straßencharakter steht nicht entgegen, dass rechtsseitig die Parkplätze für Lastkraftwagen schräg angeordnet an die Zufahrtsstraße angrenzen. Das rechtfertigt nicht die Einordnung als eine dem Parkplatz suchenden Verkehr dienende Zufahrtsstraße. Zum einen ist diese Fläche im Gegensatz zur asphaltierten Fahrbahn in roten Verbundsteinen ausgeführt und damit optisch von dem Randbereich abgegrenzt. Von maßgeblicher Bedeutung ist darüber hinaus, dass aufgrund der baulichen Gestaltung der Benutzer der zweispurigen Fahrbahn allenfalls mit einfahrendem, den Parkplatz verlassenden LKW – Verkehr und nicht mit Parkplatz suchendem LKW – Verkehr rechnen muss. Die Zufahrtsstraßen auf dem Parkplatz sind so angeordnet, dass der auf den Parkplatz einfahrende LKW – Verkehr die mittlere Zufahrtsstraße nehmen muss, um von dieser aus nach schräg links in die Parkbucht einzufahren. Diese verlässt er anschließend vorwärts über die nördlich gelegene Zufahrt. Damit ist faktisch ein Ringstraßensystem in Form einer Einbahnstraße geschaffen worden. Danach stellt sich das Einfahren in die nördliche Zufahrtsstraße als das Anfahren von einem seitlich gelegenen Parkplatz in eine dem fließenden Verkehr dienende Fahrbahn dar.“

Oder, kürzer mit den Leitsätzen:

  1. Die Regeln der Straßenverkehrsordnung (StVO) sind auf einem öffentlich zugänglichen Parkplatz grundsätzlich anwendbar.
  2. Einen Vertrauensgrundsatz zugunsten des „fließenden“ Verkehrs gegenüber dem wartepflichtigen Ein- oder Ausfahrenden gibt es grundsätzlich nicht.
  3. Etwas anderes kann gelten, wenn die angelegten Fahrspuren zwischen den Parkplätzen eindeutig Straßencharakter haben und sich bereits aus ihrer baulichen Anlage ergibt, dass sie nicht dem Suchen von Parkplätzen dienen, sondern der Zu- und Abfahrt der Fahrzeuge (hier: Durchfahrtsstraße im Bereich der LKW-Stellplätze auf einem Rastplatz an einer Bundesautobahn).

„Schneeflöckchen, weiß Röckchen“…… gilt auch im Sommer

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„Schneeflöckchen, weiß Röckchen“. Wer kennt das Kinderlied nicht? Es passt ganz gut zum OLG Hamm, Beschl. v. 04.09.2014 – 1 RBs 125/14, der seit vorgestern ja auch schon in einigen anderen Blogs gelaufen ist. Ergangen zwar im Sommer/Herbst, aber mit winterlichem Bezug. Es geht nämlich um das Zusatzschild „Schneeflocke“ – enthalten in § 39 Abs. 8 StVO (sorry, liebes OLG, ich finde das Schild in dem von dir angeführten § 39 Abs. 7 StVO nicht 🙂 ). Der Betroffene war vom AG wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung verurteilt worden. Bei dem die Geschwindigkeit beschränkenden Schild war dieses Zusatzschild „Schneeflocke“ angebracht. Der Betroffene hat geltend gemacht, dass die Fahrbahn zum Tatzeitpunkt trocken war und deshalb das Schild nicht galt. Das OLG sieht das – in einem Zusatz – anders:

Ergänzend zur Stellungnahme der GStA verweist der Senat auf die Entscheidung OLG Stuttgart NZV 1998, 422. Das eine Schneeflocke (vgl. § 39 Abs. 7 StVO) darstellende Zusatzschild i.S.v. § 39 Abs. 3 StVO zum die Geschwindigkeit begrenzenden Schild enthält bei sinn- und zweckorientierter Betrachtungsweise lediglich einen — entbehrlichen — Hinweis darauf, dass die Beschränkung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit der Gefahrenabwehr wegen möglicher winterlicher Straßenverhältnisse dient. Der Hinweis bezweckt nur die Information der Verkehrsteilnehmer über das Motiv der Straßenverkehrsbehörde für die angeordnete Geschwindigkeitsbeschränkung. Ein zur Erhöhung der Akzeptanz eines Verkehrszeichens angegebenes Motiv – wie vorliegend – kann eine Ausnahme von der Allgemeinverbindlichkeit der Regelung eines Verkehrszeichens nicht rechtfertigen. Der Umstand, dass die Fahrbahn zum Tatzeitpunkt nach den Feststellungen trocken war, berechtigte nicht, eine höhere als die angeordnete Geschwindigkeit zu fahren. Anders als bei dem Schild „bei Nässe“ (StVO Anl. 2 lfd. Nr. 49.1.) enthält das vorliegende Zusatzschild eben gerade keine solche verbale zeitliche Einschränkung. Auch bei trockener Fahrbahn war zudem die geschwindigkeitsbeschränkende Anordnung nicht etwa nichtig und damit unbeachtlich.“

Also: Ein Unterschied zu dem in § 41 Abs. 2 Nr. 7 StVO vorgesehenen Zusatzschild „bei Nässe“. Dort ergibt sich die Regelung aus der Verbindung von Vorschriftszeichen, in der StVO vorgesehenem Zusatzschild und den Witterungsverhältnissen; die Anordnung geht dahin, nicht schneller als mit der angegebenen Geschwindigkeit zu fahren, so lange die Fahrbahn nass ist. Diese Anordnung gilt für alle Verkehrsteilnehmer ohne Rücksicht auf die speziellen Eigenschaften der Reifen ihres Fahrzeugs und dient der Verhinderung des Aufschwimmens der Räder (Aquaplaning). Demgegenüber enthält das Zusatzschild „Schneeflocke“ eben nur einen Hinweis auf das Motiv der Straßenverkehrsbehörde für die angeordnete Geschwindigkeitsbeschränkung (vgl. dazu OLG Saarbrücken NZV 1989, 159 für den Zusatz „Lärmschutz“).

…“dass Ihre Amtsvorgänger die Reichsrassengesetze gegen die Juden rechtssicherer angewandt haben“…

© froxx - Fotolia.com

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Der Angeklagte schreibt als Reaktion auf einen vorherigen Fernsehbericht des WDR über die Abschiebehaft eines serbischen Ehepaares, in dem über „angebliche Missstände bei der Abschiebepraxis“ berichtet worden war, eine E-Mail mit folgendem Inhalt an die zuständige Behörde, das Ausländeramt des Kreises G:

„Sehr geehrte Damen und Herren,
nach dem Erleben des heutigen WDR-Beitrages muss ich sachlich feststellen, daß Ihre Amtsvorgänger die Reichsrassengesetze gegen die Juden rechtssicherer angewandt haben. Man sollte doch erwarten, daß die rechtssicheren Handlungen, die jedem damaligen Judenschänder seinen Beamtenstatus erhielten, auch noch von Ihnen beherrscht werden. Aber zu Ihrer Beruhigung: Ehe dem deutschen Beamten ein Rechtsbruch nachgewiesen würde, drehte sich die Erde rückwärts.
Weiter so bis zum Ruhestand.
Und Kopf hoch, selbst Roland Freislers Witwe wurde im Nachhinein die Altersversorgung aufgebessert.“

Na ja, ist schon ganz schön dicke, oder?. Hat sich das AG auch wohl gedacht und verurteilt den Angeklagten wegen Beleidigung verurteilt. OLG Hamm hebt auf die Revision des Angeklagten dann aber im OLG Hamm, Beschl. v. 14.08.2014 – 2 RVs 29/14 – auf und spricht frei. Begründung. (noch) keine Schmähkritik, sondern noch freie Meinungsäußerung_

Die mangels Vorliegens einer Schmähkritik demnach unter Berücksichtigung aller wesentlichen Einzelumstände vorzunehmende konkrete Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht der Geschädigten und der Meinungsfreiheit des Angeklagten fällt vorliegend zugunsten der Meinungsfreiheit aus.

Zwar ist der Ehrschutz und das Persönlichkeitsrecht der bei der Ausländerbehörde des Kreises G tätigen Mitarbeiter in massiver Weise angegriffen bzw. verletzt worden. Denn in seiner E-Mail nimmt der Angeklagte zwar auch auf den Inhalt des WDR-Berichtes Bezug, eine nähere Auseinandersetzung mit dem Inhalt des WDR-Berichtes erfolgt jedoch nicht. Vielmehr steht der ehrverletzende Charakter der E-Mail im Vordergrund. Gerade der vom Angeklagten vorgenommene Vergleich der Mitarbeiter des Ausländeramtes des Kreises G mit den Amtsvorgängern der NS-Diktatur, welche „Judenschänder“ gewesen seien, und die damit gezogene Parallele zu den Gräueltaten der NS-Diktatur, greift in massiver Weise in den Ehrschutz der Mitarbeiter der Ausländerbehörde ein.

Dennoch überwiegt bei Zugrundelegung der Maßstäbe der maßgeblichen bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung im Rahmen der hier vorzunehmenden Abwägung die Meinungsfreiheit.

Für den Vorrang der Meinungsfreiheit spricht, dass nach dem Inhalt des Fernsehberichtes des WDR Anlass zu – auch scharfer – Kritik gegeben war. In einem solchen Fall ist der Umfang dessen, was an Meinungsäußerung noch gerechtfertigt ist, erheblich größer (vgl. Thür. OLG, Beschluss vom 4. Juli 2001, NJW 2002, 1890). Dabei fallen auch scharfe und übersteigerte Äußerungen grundsätzlich in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG. Bei Beiträgen zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage gilt die Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. März 1992, NJW 1992, 2815).

Bei der Beurteilung der Schwere der zweifellos vorliegenden Ehrverletzung und ihrer Gewichtung im Rahmen der erforderlichen Gesamtabwägung ist zudem von Bedeutung, ob die betroffenen Mitarbeiter der Ausländerbehörde persönlich angegriffen und womöglich sogar namentlich genannt wurden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. März 1992, a.a.O.). Vorliegend hat der Angeklagte mit dem Inhalt seiner E-Mail jedoch keine einzelnen Personen, sondern allgemein die Mitarbeiter der Ausländerbehörde des Kreises G ansprechen wollen. Zudem ist der Inhalt der E-Mail nicht unbeteiligten Dritten zugänglich gemacht worden, was ebenfalls bei der Abwägung zu berücksichtigen ist.

Auch ist zu bedenken, dass der Inhalt der E-Mail des Angeklagten zwar beleidigend, jedoch angesichts der gewählten Formulierungen nicht derart ehrverletzend ist, dass der Ehrschutz überwiegen würde. Vielmehr dürfen im „Kampf um das Recht“ auch scharfe, polemische und übersteigerte Äußerungen getätigt werden, um eine Rechtsposition zu unterstreichen, selbst wenn die Kritik auch anders formuliert hätte werden können (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 3. Juni 2004, NStZ-RR 2006, 7; OLG Frankfurt, Beschluss vom 20. März 2012, NStZ-RR 2012, 244). Bei Beiträgen in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage – wie hier der Abschiebung von Ausländern – muss Kritik an staatlichen Maßnahmen, die in überspitzter und polemischer Form geäußert wird, hingenommen werden, weil anderenfalls die Gefahr einer Lähmung oder Verengung des Meinungsbildungsprozesses drohte (ständige Rechtsprechung des BVerfG, vgl. BVerfGE 82, 272]).“