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Verkehrsunfall mit einem Pedelec, oder: Pedelec ist ggf. ein Fahrrad

entnommen wikimedia.org
Urheber J. Hammerschmidt

Als zweite Entscheidung dann eine „Haftungsentscheidung“ zu einem recht neuen Verkehrsmittel, nämlich dem Pedelec.

Bei der Entscheidung handelt es sich um den OLG Hamm, Beschl. v. 10.04.2018 – 7 U 5/18. Der Beschluss – ergangen im Verfahren nach § 522 bs. 2 ZPO – ist also schon etwas älter, ich bin auf ihn durch ein Posting des Kollegen Gratz im Verkehrsrechtsblog gestoßen (worden).

Zu entscheiden hatte das OLG folgenden Sachverhalt:

Der Kläger macht gegen die Beklagten Schadensersatzansprüche aufgrund eines Unfalls, an dem er am 27.9.2015 gegen 13:38 h auf der L  in T als Pedelec-Fahrer beteiligt war, geltend.

Zusammen mit seiner Ehefrau, der Zeugin O, sowie den beiden Zeugen C war der damals 80-jährige Kläger zunächst von der I Straße nach rechts auf den Mehrzweckstreifen der L  in Fahrtrichtung F abgebogen. In dem Bereich gilt eine Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h. Die Radfahrergruppe beabsichtigte, in der Nähe des Hauses I2  von der L  nach links in das sog. W abzubiegen. Zu diesem Zweck fuhr der Kläger auf die Hauptfahrbahn, um diese in Richtung Linksabbiegerstreifen zu überqueren. Die einzelnen Umstände sind zwischen den Parteien streitig. Es kam zur Kollision mit dem sich von hinten nähernden vom Beklagten zu 2) gehaltenen und gesteuerten Fahrzeug Typ Opel D, amtliches Kennzeichen pp., das bei der Beklagten zu 1) haftpflichtversichert ist.

Der Kläger wurde zu Boden geworfen; sein Pedelec wurde beschädigt. Der PKW wurde auf der rechten Seite beschädigt.

Der Kläger hat behauptet, er sei von dem Mehrzweckstreifen aus nach links über die Straße in Richtung Linksabbiegerspur gefahren. Als er sich bereits auf der linken Seite der Fahrbahn befunden habe, habe der Beklagte zu 2) trotz unklarer Verkehrslage versucht zu überholen. Dabei habe er die gebotene Sorgfalt außer Acht gelassen. Vorher sei der Zeuge C als erster der Gruppe bereits über die Fahrbahn auf die Linksabbiegerspur gefahren. Der Beklagte zu 2) hätte daher damit rechnen müssen, dass weitere Radfahrer aus der Gruppe folgen würden. Zudem habe der Beklagte zu 2) die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten. Angesichts des Alters des Klägers wäre besondere Rücksichtnahme erforderlich gewesen.

…..

Die Beklagten haben …..  behauptet, dass der Beklagte zu 2), als er die Radfahrergruppe auf dem Mehrzweckstreifen gesehen habe, seine Geschwindigkeit auf 80 km/h reduziert habe und links auf dem Fahrstreifen gefahren sei, um ausreichend Abstand zu halten.

Der Kläger sei plötzlich, ohne Handzeichen und ohne auf den rückwärtigen Verkehr zu achten, von der Mehrzweckspur nach links rübergefahren. Ein Ausweichen sei dem Beklagten zu 2) nicht mehr möglich gewesen.“

Das LG hat nach Beweisaufnahme die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hatte beim OLG keinen Erfolg.

Hier die Leitsätze zu dem recht umfangreichen Beschluss des OLG:

„Pedelecs, bei denen der Motor ausschließlich unterstützend arbeitet und bei denen die maximale Höchstgeschwindigkeit auf 25 km/h begrenzt ist, sind verkehrsrechtlich als Fahrrad einzuordnen.

Wer an einem auf dem Seitenstreifen fahrenden Verkehrsteilnehmer vorbeifährt, überholt nicht im Sinne des § 5 StVO.

Ein außerhalb des Anwendungsbereichs des § 5 StVO begonnener Überholvorgang wird nicht zu einem Überholen im Sinne des § 5 StVO, wenn der langsamere Verkehrsteilnehmer seine Fahrspur wechselt.

Wechselt ein älterer Verkehrsteilnehmer aus plötzlicher Sorglosigkeit, die nichts mit seinem Alter und einer dadurch bedingten Unfähigkeit, auf Verkehrssituationen zu reagieren, zu tun hat, ohne Beachtung des nachfolgenden Verkehrs vom Radweg auf die Fahrspur, verstößt ein PKW-Fahrer bei einer Kollision nicht gegen § 3 Abs. 2a StVO.“

Die Entscheidung ist wegen der Ausführungen des OLG zur Eigenschaft des Pedelec als Fahrrad ggf. auch für Bußgeld- und Strafverfahren von Bedeutung.

StPO II: Zeugnisverweigerung, oder: Danach keine Vernehmung der Verhörsperson

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In der zweiten Entscheidung, dem OLG Hamm, Beschl. v. 28.05.2019 – 4 RBs 147/19 -, geht es auch um eine Vernehmung, und zwar um die Vernehmung der sog. Verhörsperson nach Zeugnisverweigerung eines Zeugen. Aus dem Aktenzeichen erkennt man: Ergangen ist der Beschluss in einem (straßenverkehrsrechtlichen) Bußgeldverfahren. Das hatte der Verwaltungsbeamte die Mutter des Betroffenn befragt, die den Sohn als Fahrer identifiziert hatte. Später hat die Mutter von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. Das OLG sagt: Die  Vernehmung der Verhörsperson ist/war unzulässig:

„Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm hat in ihrer Antragsschrift Folgendes ausgeführt:….

„….Die gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 2 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und daher zulässig. Ihr ist auch in der Sache ein – zumindest vorläufiger – Erfolg nicht zu versagen, da das Amtsgericht verfahrensfehlerhaft unter Verletzung von § 252 StPO i. V. m. § 71 Abs. 1 OWiG Angaben der Mutter des Betroffenen gegenüber einem im Wege der Amtshilfe für die Verwaltungsbehörde ermittelnden Bediensteten des Amts für öffentliche Sicherheit und Ordnung des Kreises X in die Hauptverhandlung eingeführt und im Urteil verwertet hat. Im Einzelnen:

3. Im Bußgeldverfahren dürfen die Angaben eines vor der Hauptverhandlung vernommenen oder informatorisch befragten Zeugen, der sich erst in der Hauptverhandlung berechtigt auf sein Zeugnisverweigerungsrecht beruft, gemäß § 252 StPO i. V. m. § 71 Abs. 1 OWiG weder verlesen noch – über den Wortlaut der Vorschrift hinaus – durch Vernehmung nichtrichterlicher Verhörspersonen oder anderer Zeugen in die Hauptverhandlung eingeführt werden. Nachdem die Mutter des Betroffenen am 21.08.2018 gegenüber dem Zeugen T Angaben zur Fahrerermittlung gemacht hatte, sich jedoch später auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht nach § 46 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO berufen hat, hätten ihre Angaben daher – anders als geschehen – nicht durch Einvernahme des Zeugen T in die Hauptverhandlung eingeführt und zu Lasten des Betroffenen verwertet werden dürfen. Für einen Verzicht der Zeugin auf das Verwertungsverbot – zu den Anforderungen zu vgl. Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Auflage, § 252 Rdnr. 16a – ist nichts ersichtlich.

4. Es ist nicht auszuschließen, dass das Urteil auf diesem Verfahrensfehler beruht, da das Gericht seine Überzeugung von der Täterschaft des Betroffenen maßgeblich auch damit begründet hat, dass dessen Mutter angegeben habe, dass im Tatzeitraum außer dem Betroffenen kein weiteres Familienmitglied das Tatfahrzeug genutzt habe.

5. Das angefochtene Urteil ist daher gemäß § 79 Abs. 6 OWiG auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen aufzuheben und zur erneuten Prüfung und Entscheidung an das Amtsgericht Siegen zurückzuverweisen, wobei es einer Aufhebung der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zur Geschwindigkeitsüberschreitung und zu deren Höhe nicht bedarf.“

Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat nach eigener Prüfung an und ergänzt, dass es eines Widerspruchs gegen die Verwertung der Angaben der Mutter des Betroffenen in der Hauptverhandlung nicht bedurfte (vgl. Schmitt/Meyer-Goßner, StPO, 61. Aufl., § 252 Rdn. 18). Für eine Zurückverweisung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts hat der Senat keinen Anlass gesehen.“

Ist ein in meinen Augen klassischer Fehler des AG. Denn die mit der Problematik zusammenhängenden Fragen sind so etwas von ausgekaut……

 

Mobiltelefon I: Elektronisches Gerät, oder: Powerbank und Ladekabel sind es nicht

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Man merkt an der Anzahl der veröffentlichten Entscheidungen, dass die Neuregelung/Neufassung des § 23 Abs. 1a StVO in der Praxis angekommen ist. Denn es gibt derzeit eine ganze Reihe von Entscheidungen, die sich mit den damit zusammenhängenden Rechtsfragen auseinander setzen (müssen). Daher heute ein Tag des Mobiltelefons.

Und den Tag eröffne ich mit dem OLG Hamm, Beschl. v. 28.05.2019 – 4 RBs 92/19. Das AG hatte den Betroffenen wegen eines Verstoßes gegen § 23 Abs. 1a StVO verurteilt und dazu folgende Feststellungen getroffen:

Am 30.04.2018 gegen 7:47 befuhr der Betroffene als Führer eines PKW mit dem Kennzeichen pp) die M Straße pp.) Dabei nutzte der Betroffene ein elektronisches Gerät, das der Kommunikation dient, indem er sein bereits mit einem Ladekabel verbundenes sog. „Smartphone“, mit dem er gerade über Freisprechanlage telefonierte und dessen eingebauter Akku weitgehend entleert war, an eine sog. „Powerbank“, d.h. einen externen Akku anschloss, um das Smartphone zu laden und den Abbruch des Telefonats zu verhindern. Dabei nahm er die „Powerbank“ und das Ladekabel in die Hand, um diese zusammenzuführen. Dies geschah wissentlich und willentlich.“

Das AG war dabei davon ausgegangen:

„Danach sind zum einen das Mobiltelefon mit eingestecktem Ladekabel als auch das Mobiltelefon mit eingestecktem und verbundener sog. „Powerbank“ jeweils als Geräteieinheit zu verstehen, von der kein Teil während der Fahrt in der Hand gehalten werden darf. Denn es handelt sich insgesamt bei der Gesamtheit der verbundenen Elemente um „ein der Kommunikation dienendes Gerät“ i.S.d. Norm, da alle Funktionen des Mobiltelefons die elektrische Energie benötigen, die über das Kabel durch die „Powerbank“ geliefert wird. Es hängt letztlich von Zufälligkeiten von Technik und Design ab, dass ein Mobiltelefon-Ladekabel – anders als z.B. die fest verbauten Ladekabel einiger Navigationsgeräte – von dem Gerät trennbar und nicht fest verbunden ist und die „Powerbank“ sich – anders als etwa als ein „Wechselakku“ außerhalb des zu ladenden Geräts befindet. Auch eine Handyhülle ist beispielsweise ohne weiteres vom Mobiltelefon trennbar, dennoch erfüllt auch das Halten (nur) der Hülle mit inneliegendem Telefon unzweifelhaft den Tatbestand.

Darüber hinaus sind die „Powerbank“ und das Ladekabel auch isoliert betrachtet jeweils als „der Kommunikation dienendes Gerät“ i.S.d. Norm zu qualifizieren. Unter das Verbot des § 23 Abs. 1a StVO fallen nämlich auch Tätigkeiten, die (nur) die Vorbereitung der Nutzung eines Kommunikationsgeräts gewährleisten sollen, da es sich auch dabei um eine bestimmungsgemäße Verwendung handelt (vgl. bereits zu § 23 Abs. 1a a.F. OLG Hamm, NZV 2007, 487). Insbesondere ist § 23 Abs. 1a StVO n.F. nicht auf Mobiltelefone beschränkt, sondern erfasst ausdrücklich alle der Kommunikation dienenden Geräte. Das Aufladen eines Mobiltelefons dient der Kommunikation, da es dazu dient, das Gerät auch tatsächlich mobil zum Telefonieren einsetzen zu können (vgl. OLG Oldenburg, Beschluss vom 07.12.2015 – 2 Ss OWi 290/15). Nur mit einem geladenen Akku können die eigentlichen Funktionen eines Mobiltelefons genutzt werden. Werden zu diesem Zweck ein Ladekabel und ein externer Akku in Form einer „Powerbank“ genutzt, dienen also auch diese Geräte der Kommunikation, da ihr einziger Zweck die Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit der Kommunikationsfunktionen des Mobiltelefons ist. Dies gilt insbesondere im vorliegenden Fall, in welchem tatsächlich eine Kommunikation geführt wurde und Kabel und Powerbank verbunden wurden, um den drohenden Abriss des Gesprächs aufgrund Entladung des eingebauten Akkus zu verhindern. Im Übrigen ist dies nach allgemeiner Lebenserfahrung auch allgemein betrachtet der übliche Zweck sog. „Powerbanks“, die ganz überwiegend für die externe Versorgung von Kommunikationsgeräten wie Mobiltelefonen und Laptops verwendet werden und nur in äußerst geringem Umfang für andere technische Geräte.
Die Feststellungen tragen nicht die Annahme, dass der Betroffene vorliegend beim Führen eines Fahrzeugs ein Mobiltelefon bzw. jedenfalls ein anderes elektronisches Gerät, das der Kommunikation, Information oder Organisation dient oder zu dienen bestimmt ist, benutzt und hierfür das Gerät aufgenommen bzw. gehalten hat.“

Das OLG hat das anders gesehen, die Rechtsbeschwerde zugelassen und das AG-Urteil aufgehoben und zurückverwiesen. Dabei bezieht es sich (zunächst) weitgehend auf den Beschluss des OLG Karlsruhe und führt dann (selbst) aus:

Gemessen an diesen Erwägungen, die der Senat teilt, unterfallen sowohl Ladekabel als auch „Powerbank“ nicht dem Begriff des elektronisches Geräts, das der Kommunikation, Information oder Organisation dient oder zu dienen bestimmt ist i.S.d. § 23 Abs. 1a StVO.

Ein elektronisches Gerät ist ein Gerät, zu dessen Nutzung eine interne oder externe Stromversorgung erforderlich ist. Unter Berücksichtigung des noch möglichen Wortsinns stellen daher weder Ladekabel noch „Powerbank“ ein solches elektronisches Gerät dar. Bei einer „Powerbank“ handelt es sich um einen externen, mobilen (Zusatz-)Akku zur Energieversorgung mobiler Geräte, insbesondere von Smartphones („mobile Ladestation“). Ein Akku ist ein wiederaufladbarer Speicher für elektrische Energie auf elektrochemischer Basis. Ein (Lade-)Kabel dient der Übertragung von Energie (zur Begriffsbestimmung vgl. jeweils Wikipedia – freie Enzyklopädie). Es handelt sich folglich jeweils nur um einen Gegenstand, der gerade der Energieversorgung der Geräte der Kommunikations-, Informations- und Unterhaltungselektronik als solchen dient oder zu dienen bestimmt ist und nicht um ein solches Gerät selbst.

Dies entspricht auch dem Sinn und Zweck der Norm. Der Verordnungsgeber wollte mit dem „technikoffenen Ansatz“ der technischen Entwicklung der Geräte der (Unterhaltungs-)Elektronik und der damit einhergehenden immer vielfältiger werdenden Nutzungsmöglichkeiten Rechnung tragen, jedoch kein vollständiges Verbot der Nutzung von elektronischen Geräten während der Fahrt normieren. Insoweit hat er berücksichtigt, dass es eine Vielzahl von die Verkehrssicherheit gefährdenden fahrfremden Tätigkeiten mit Ablenkungswirkung gibt (z.B. Rauchen, Essen, Trinken, Radio-, CD-Hören und Unterhaltung mit anderen Fahrzeuginsassen), die aber vor dem Hintergrund des Übermaßverbots weiter erlaubt bleiben, soweit sie derart ausgeübt werden, dass kein anderer geschädigt, gefährdet oder mehr als nach den Umständen unvermeidbar behindert oder belästigt wird. Insoweit soll es daher dabei bleiben, dass für diese Verhaltensweisen weiter die Grundregel des § 1 StVO zur Anwendung kommt und auch unter Verkehrssicherheitsaspekten als ausreichend angesehen wird (vgl. BR-Drs. 556/17, S. 1, 4 f., 12).

Ungeachtet dessen, dass es sich bei Ladekabel und „Powerbank“ schon nicht um elektronische Geräte im Sinne der Vorschrift handelt, geht mit deren Nutzung während des Führens eines Fahrzeugs nicht zwangsläufig bzw. typischerweise eine vergleichbare, die Verkehrssicherheit gefährdende Ablenkungswirkung einher wie dies bei der Nutzung der „klassischen“ elektronischen Geräte i.S.d. § 23 Abs. 1a StVG (z.B. Mobil- bzw. Autotelefon, Berührungsbildschirme, Tablet-Computer) der Fall ist. Dafür spricht, dass weder Ladekabel noch „Powerbank“ ein Display aufweisen, über das Informationen abgerufen und abgelesen werden können, was bei einer Nutzung durch den Fahrzeugführer wiederum typischerweise eine erhebliche Ablenkung vom Verkehrsgeschehen zur Folge hat. Der Senat verkennt dabei nicht, dass im Einzelfall auch bei dem Verbinden eines Ladekabels mit einer „Powerbank“ eine erhebliche, die Verkehrssicherheit gefährdende Ablenkungswirkung bestehen kann, wenn beide Gegenstände in die Hand genommen werden und der Fahrzeugführer deshalb die Hände nicht mehr für die Bewältigung der Fahraufgabe frei hat. Dies richtet sich jedoch maßgeblich nach den Umständen des Einzelfalls (z.B. Dauer des Vorgangs und Positionierung der Teile). Unter diesen Gesichtspunkten erscheint es ausreichend, dass diese Nutzung nicht grundsätzlich unzulässig, sondern an § 1 StVO zu messen ist.

b) Zur Verwirklichung des Tatbestandsmerkmals des Aufnehmens oder Haltens eines elektronischen Geräts genügt auch nicht jedwedes Aufnehmen oder Halten eines mit dem Mobiltelefon eingesteckten Ladekabels bzw. einer damit verbundenen „Powerbank“ im Sinne einer „Geräteinheit“.

Unter Berücksichtigung des Wortlauts und der Entstehungsgeschichte sowie auch vor dem Hintergrund des vorbeschriebenen Sinn und Zwecks der Vorschrift des § 23 Abs. 1a StVO ist es nach Ansicht des Senats zur Tatbestandsverwirklichung erforderlich, dass das Mobiltelefon bzw. elektronische Gerät i.S.d. Vorschrift als solches aufgenommen oder gehalten wird – sei es auch nur, dass es mittelbar über das Ladekabel bewegt wird (z.B. „Mobiltelefon hängt ohne Befestigung / Ablage in einer Vorrichtung frei am Ladekabel“). Davon abzugrenzen und als nicht tatbestandsmäßig erachtet der Senat den Fall, dass das Mobiltelefon als solches nicht aufgenommen oder gehalten wird, sondern (beispielweise) vor Fahrtbeginn mit eingestecktem Ladekabel in einer Halterung am Armaturenbrett o.ä. angebracht wurde und während des Führens des Fahrzeugs ausschließlich das Ladekabel angefasst, bewegt und mit einer „Powerbank“ verbunden wird.“

Die Amtsrichter wird die Entscheidung  sicher sehr freuen.

StPO II: Verlesung einer richterlichen Vernehmung? oder: 14-jährige Mädchen können 300/640 km anreisen

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Die zweite StPO-Entscheidung kommt vom OLG Hamm. Es ist der OLG Hamm, Beschl. v. 19.02.2109 – III-3 RVs 6-7/19, den der Kollege Thilo Schäck aus Osnabrück mir geschickt hat.

Ergangen ist der Beschluss in einem Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern. Der Angeklagte hatte seine Verurteilung mit der Verfahrensrüge angegriffen und u.a. beanstandet, dass in der Berufungshauptverhandlung beim LG die Protokolle über die richterlichen Vernehmungen der Zeuginnen pp. und pp. – offenbar die „Geschädigten“ in der Hauptverhandlung verlesen wurden, obwohl die Voraussetzungen des § 251 Abs. 2 Nr. 2 StPO nicht vorgelegen haben. Die Rüge hatte Erfolg:

„bb) Die Rügen sind auch begründet, da das Landgericht von der Vorschrift des § 251 Abs. 2 Nr. 2 StPO in rechtsfehlerhafter Weise Gebrauch gemacht hat.

Nach dieser Regelung kann die Vernehmung eines Zeugen durch die Verlesung der Niederschrift über seine frühere richterliche Vernehmung ersetzt werden, wenn dem Zeugen das Erscheinen in der Hauptverhandlung wegen großer Entfernung nicht zugemutet werden kann. Insoweit hat das Tatgericht eine Abwägung vorzunehmen, wobei einerseits die Verkehrsverhältnisse und die persönlichen Verhältnisse der Auskunftsperson (etwa Alter, Gesundheitszustand, familiäre und berufliche Unabkömmlichkeit) und andererseits die Bedeutung der Sache, die Wichtigkeit der Aussage und des persönlichen Eindrucks von dem Zeugen, die gerichtliche Aufklärungspflicht sowie das Beschleunigungsgebot zu berücksichtigen sind (BGH, Urteil vom 10. März 1981 — 1 StR 808/80; Beschluss vom 16. März 1989 — 1 StR 18/89; jeweils zitiert nach juris; KK-StPO/Diemer, 7. Auflage 2013, § 251, Rn. 28). Je wichtiger der Aufklärungswert einer Aussage ist, desto weniger kommt es auf die Entfernung des Zeugen vom Gerichtssitz und die mit der Anreise für ihn verbundenen Belastungen an (Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., § 251, Rn. 23 iVm § 223, Rn. 8; MüKo-StPO/Kreicker, § 251, Rn 76). Eine deutschlandweite Anreise ist im Regelfall zumutbar, sofern es nicht nur um einen ganz geringfügigen Tatvorwurf geht und die Bedeutung der Aussage nicht nur als voraussichtlich gering zu veranschlagen ist (MüKo-StPO/Kreicker, a.a.O.).

Daran gemessen durfte das Landgericht eine unmittelbare Vernehmung der Zeuginnen nicht durch eine Verlesung der Protokolle über ihre richterlichen Vernehmungen ersetzen. Zwar handelt es sich bei den Zeuginnen um zum Zeitpunkt der Berufungshauptverhandlung am 13. November 2018 jeweils vierzehnjährige Mädchen, deren Wohnsitze zwischen rund 300 bis 640 Kilometer vom Gerichtssitz entfernt lagen. Im Hinblick auf andere Reisen, die Jugendliche dieses Alters üblicherweise unternehmen — zum Beispiel im Rahmen von Urlaubs- oder Klassenfahrten — hätten Alter und Entfernung einer Anreise nach Bielefeld allerdings nicht entgegengestanden, jedenfalls nicht in Begleitung eines Elternteils oder einer anderen Bezugsperson. Zudem ist über individuelle Beeinträchtigungen oder Bedürfnisse der Zeuginnen, die für die mit der Anreise verbunden Belastungen von Belang sein könnten, nichts bekannt. Zugleich ist der Beweiswert ihrer Aussagen als besonders hoch zu bewerten, da es sich jeweils um das einzige unmittelbare Beweismittel handelte, mit welchem der — für die Frage der Strafbarkeit bedeutsame — Inhalt der fraglichen Telefongespräche festgestellt werden konnte. Auch standen ein erheblicher Tatvorwurf, eine erstinstanzlich verhängte Freiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten sowie der Widerruf einer zur Bewährung ausgesetzten Strafe im Raum. Anlass zu einer besonderen Verfahrensbeschleunigung bestand demgegenüber nicht.

Ob das Landgericht diese Gesichtspunkte überhaupt gesehen und abgewogen hat, ist nicht erkennbar. Denn die Beschlüsse, durch welche die Verlesung der Zeugenaussagen angeordnet worden sind, enthalten sich jeglicher Begründung. Auch deshalb ist die Revision begründet (BGH, Beschluss vom 7. Januar 1986 — 1 StR 571/85, juris; MüKo-StPO/Kreicker, a. a. 0., Rn. 92, m. w. N.). Denn das Ergebnis der Abwägung ist gem. § 251 Abs. 4 StPO in einem begründeten Beschluss niederzulegen und bekanntzugeben. Die Begründung darf sich hierbei nicht lediglich auf die Wiedergabe des Gesetzeswortlauts beschränken, sondern muss die Tatsachen, welche die Verlesung rechtfertigen, sowie die das Gericht leitenden Erwägungen beinhalten (KK-StPO/Diemer, a.a.O., Rn. 31, m. w. N.).

Ob ein weiterer Verfahrensverstoß auch darin liegt, dass — wie von dem Angeklagten vorgebracht – auf seine Widersprüche gegen die Verlesung der Urkunden möglicherweise schon – mangels Beratung – keine ordnungsgemäßen Kammerbeschlüsse im Sinne von § 251 Abs. 4 StPO ergangen sind, kann nach alledem dahinstehen.“

Strafzumessung III: Die kurzfristige Freiheitsstrafe, oder: Eine besondere Begründung ist „unerlässlich“

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Die dritte Strafzumessungsentscheidung kommt mit dem OLG Hamm, Beschl. v. 02.04.2019 – III – 1 RVs 14/19 – vom OLG Hamm. Er behandelt ebenfalls eine Dauerproblematik, nämlich die Urteilgründe bei Verhängung einer kurzfristigen Freiheitsstrafe (§ 47 StGB), und zwar wie folgt:

Aus der Entscheidung des Gesetzgebers für eine Beschränkung der kurzen Freiheitsstrafe auf Ausnahmefälle ergeben sich besondere Anforderungen an die Begründung der Sanktionsentscheidung im tatgerichtlichen Urteil (vgl. KG StV 2004, 383). Die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe bedarf einer Begründung, die sich gesondert und eingehend mit den gesetzlichen Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 StGB auseinandersetzen muss. Sie muss auch erkennen lassen, dass das Gericht sich der Bedeutung des verfassungsrechtlichen Übermaßverbotes bewusst gewesen ist und die besondere Härte der kurzen Freiheitsstrafe im Vergleich zur Geldstrafe in seine Erwägungen einbezogen hat. Die Verhängung einer Freiheitsstrafe unter sechs Monaten hat danach regelmäßig nur dann Bestand, wenn sie sich aufgrund einer Gesamtwürdigung aller die Tat und den Täter kennzeichnenden Umstände als unverzichtbar erweist (OLG Hamm, Beschluss vorn 18.11.2002 – 2 Ss 768/02 – m.w.N.: BGH StV 1994, 370) Damit die Anwendung des § 47 StGB auf Rechtsfehler geprüft werden kann, bedarf es einer eingehenden und nachprüfbaren Begründung (OLG Köln NJW 1981. 5411; vgl. auch Dahs/Dahs, Die Revision im Strafrecht, 7. Auf! Rn 446). Das Urteil muss dazu eine auf den Einzelfall bezogene, die Würdigung von Tat und Täterpersönlichkeit umfassende Begründung dafür enthalten, warum eine kurzzeitige Freiheitsstrafe unerlässlich ist. Formelhafte Wendungen genügen nicht. Der Tatrichter hat vielmehr für das Revisionsgericht nachvollziehbar darzulegen, welche besonderen Umstände in der Tat oder in der Persönlichkeit des Angeklagten die Verhängung der kurzzeitigen Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Angeklagten oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich gemacht haben (zum Ganzen OLG Hamm, Beschluss vom 01.03.2018 – 111-5 RVs 129/17 -).

Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht ansatzweise gerecht.

Zur Begründung der Unerlässlichkeit der Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe hat das Amtsgericht lediglich den Gesetzeswortlaut wiederholt. Einzelfallbezogene Erwägungen fehlen völlig. Es kommt daher schon nicht mehr darauf an, dass das Tatgericht im Falle einer Gesamtstrafe für jede einzelne Tat gesondert darlegen muss, warum in dem konkreten Fall die Verhängung der kurzen Freiheitsstrafe unerlässlich ist (vgl. Fischer, StGB, 66. Aufl., § 47, Rn. 3, 4), was hier ebenfalls unterblieben ist.“