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Beistand nach § 69 JGG, oder: Wie wird abgerechnet?

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Im RVG-Teil der Woche beginne ich heute mit einem schon etwas älteren Beschluss des OLG Dresden, der mir allerdings erst vor kurzem übersandt worden ist.

In dem OLG Dresden, Beschl v. 25.02.2021 – 2 Ws 541/19 – geht es um die Frage, ob überhaupt eine wirksame Beiordnung vorliegt, die dann dazu führt, dass die Rechtsanwältin nahc §§ 45, 48 RVG gegenüber der Staatskasse Gebühren abrechnen kann.

Die Kollegin hatte in einem Verfahren beim Jugendrichter des AG (vorsorglich) ihre Bestellung zur Pflichtverteidigerin der Angeklagten beantragt. Sie ist dann vom AG der Angeklagten „als Beistand gemäß § 69 Abs. 1 JGG“ bestellt worden. Mit Beschluss vom gleichen Tage hat das AG der Rechtsanwältin gestattet, „als Beistand gemäß § 69 Abs. 1 JGG […] auf Staatskosten Fahrten zur JVA Chemnitz zur Angeklagten durchzuführen“. In der Hauptverhandlung hat die Kollegin dann die Angeklagte verteidigt. Sie hat später (Pflichtverteidiger-)Gebühren und Auslagen für ihre Tätigkeit im Strafverfahren in Höhe von insgesamt 1.297,93 EUR einschließlich Mehrwertsteuer geltend gemacht. Den Antrag hat das AG zunächst mit der Begründung zurückgewiesen, dass gemäß § 1 Abs. 2 RVG das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz nicht für einen Verfahrensbeistand gelte. Dagegen die Erinnerung, auf die teilweise festgesetzt worden ist. Dagegen die Beschwerde an das LG und die weitere Beschwerde zum OLG. Das OLG hat festgesetzt:

„2. Die weitere Beschwerde ist gemäß § 33 Abs. 6 Satz 1 RVG statthaft, weil das Landgericht sie im angefochtenen Beschluss wegen der besonderen Bedeutung der Sache zugelassen hat. Sie ist auch begründet, weil der Antragstellerin die beantragten Gebühren und Auslagen für ihre Tätigkeit als Pflichtverteidigerin in dem oben genannten Strafverfahren zustehen.

a) Zwar hat das Landgericht zutreffend ausgeführt, dass die Gebührentatbestände des RVG nach § 1 Abs. 2 RVG grundsätzlich nicht auf einen Verfahrensbeistand anwendbar sind. Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist die am 12. April 2018 durch den Jugendrichter erfolgte Bestellung als „Beistand“ ungeachtet des Wortlauts aber als (konkludente) Bestellung zur Pflichtverteidigerin der Angeklagten nach §§ 68 Nr. 1 JGG, 140 Abs. 2 Satz 1 StPO auszulegen. Zwar hat der Jugendrichter die ursprüngliche Wahlverteidigerin der Angeklagten ausweislich des Beschlusswortlauts (Sitzungsprotokoll vom 12. April 2018, BI. 127 d. A.) „als Beistand gemäß § 69 Abs. 1 JGG“ bestellt. Jedoch kam eine Bestellung als Beistand gemäß § 69 Abs. 1 JGG zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in Betracht, weil ein Verfahrensbeistand gemäß § 69 Abs. 1 JGG nur einem Jugendlichen bestellt werden darf und die Angeklagte am 12. April 2018 bereits 18 Jahre alt und damit keine Jugendliche mehr war. Für Heranwachsende gilt, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, die Vorschrift des § 69 Abs. 1 JGG nicht. Die Bestellung wäre, falls sie als Beistandsbestellung auszulegen wäre, mithin unwirksam und damit gegenstandslos gewesen. Zudem hatte die Antragstellerin bereits unter dem 22. März 2018 einen Antrag als Bestellung zur Pflichtverteidigerin gemäß § 68 JGG gestellt, welchen das Amtsgericht nicht ausdrücklich beschieden hat. Sie hat darüber hinaus zu Beginn der Sitzung am 12. April 2018 ihr Wahlverteidigermandat niedergelegt. Auch dies erschiene nur dann sinnvoll, wenn sie davon ausgegangen wäre, antragsgemäß zur Pflichtverteidigerin der Angeklagten bestellt zu werden. Weiter spricht auch der Umstand, dass der Jugendrichter mit Beschluss vom gleichen Tage der Antragstellerin gestattet hat, „auf Staatskosten Fahrten zur JVA Chemnitz zur Angeklagten durchzuführen“ dafür, dass eigentlich eine Bestellung zur Pflichtverteidigerin gewollt war. Schließlich lagen die Voraussetzungen einer Bestellung zur Pflichtverteidigerin gemäß § 68 Nr. 1 JGG, 140 Abs. 2 Satz 1 StPO vor. Denn angesichts der Schwere der angeklagten Taten war es nicht ausgeschlossen, dass die Angeklagte zu einer erheblichen Jugendstrafe verurteilt werden würde; der Jugendrichter hat sie letztlich tatsächlich zu einer Einheitsjugendstrafe von neun Monaten verurteilt. Die Antragstellerin hat nach ihrer Bestellung zum „Beistand“ im Übrigen trotz Niederlegung des Wahlmandats wie eine Verteidigerin agiert und Termine in der JVA und den Hauptverhandlungstermin wahrgenommen, so dass die Zuerkennung der Pflichtverteidigergebühren auch angesichts der tatsächlich erbrachten Leistungen gerechtfertigt erscheint.

….“

Nun ja, im Ergebnis zutreffend. Kann man auch so begründen. Ich habe allerdings Zweifel, ob das OLG mit seinem Ansatz, das RVG sei auf den Beistand nach § 69 JGG nicht anwendbar, richtig liegt.

Termin II: Frühe Terminierung ==> Anreise am Vortag, oder: Keine Terminsverlegung ==> Befangen?

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Die zweite Entscheidung stammt vom OLG Dresden. Das hat im OLG Dresden, Beschl. v. 18.05.2021 – 4 W 283/21 – zur Frage der Besorgnis der Befangenheit wegen Ablehnung eines Terminsverlegungsantrag Stellung genommen. Am Aktenzeichen sieht man, dass es sich um ein Zivilverfahren gehandelt hat. Das ist aber wegen der Thematik ohne Belang. Denn die Frage stellt sich ja auch in Strafverfahren immer wieder.

Das OLG hat hier in der Ablehnung des Verlegungsantrags keinen Grund für die Besorgnis der Befangenheit gesehen:

„Der Verfügungsbeklagte greift mit seiner Beschwerde einen Beschluss des Landgerichts Leipzig vom 17.03.2021 an, mit dem sein Antrag vom 15.03.2021, den mit der Hauptsache befassten Einzelrichter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, von diesem wegen Rechtsmissbräuchlichkeit als unzulässig verworfen wurde.

Der Verfügungsbeklagte meint, der erkennende Richter sei befangen, da er einem von seinem Prozessbevollmächtigten gestellten Terminverlegungsantrag nicht nachgekommen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die unter Ziff. I wiedergegebenen Gründe der angefochtenen Entscheidung ergänzend Bezug genommen.

Das Landgericht Leipzig hat das Befangenheitsgesuch mit dem angefochtenen Beschluss vom 17.03.2021 zurückgewiesen und der Beschwerde mit einem weiteren Beschluss vom 20.04.2021 nicht abgeholfen.

II.

Die sofortige Beschwerde ist gemäß §§ 46 Abs. 2, 567 Abs. 1 Ziff. 1, 569 ZPO zulässig, in der Sache hat sie aber keinen Erfolg.

Das gegen RiLG K. gestellte Befangenheitsgesuch ist unbegründet. Gemäß § 42 Abs. 1 ZPO kann ein Richter wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Derartige Gründe ergeben sich vorliegend weder aus der Zurückweisung des Terminverlegungsgesuchs des Prozessbevollmächtigten des Verfügungsbeklagten vom 09.02.2021, durch Beschluss vom 17.03.2021 noch aus dem Umstand, dass der Einzelrichter das Befangenheitsgesuch selbst als unzulässig zurückgewiesen hat. Eine den Verfügungsbeklagten zumindest anscheinsgemäß einseitig benachteiligende sachwidrige Behandlung eines Terminverlegungsgesuchs liegt darin nicht.

Das Übergehen oder die Verweigerung einer beantragten Terminsverlegung begründet regelmäßig nicht die Besorgnis der Befangenheit, weil diese nach § 227 ZPO nur bei Vorliegen erheblicher Gründe in Betracht kommt (vgl. BGH NJW 2006, 2492 – 2495). Anders ist es nur dann, wenn erhebliche Gründe für eine Terminsverlegung offensichtlich vorliegen, die Zurückweisung des Antrags für die betreffende Partei angesichts dessen schlichtweg unzumutbar wäre und damit deren Grundrecht auf rechtliches Gehör verletze oder sich aus der Ablehnung der Terminsverlegung der Eindruck der sachwidrigen Benachteiligung einer Partei aufdrängt. Einzelne im Laufe eines Rechtsstreits zu treffende Entscheidungen des erkennenden Gerichts sollen regelmäßig nicht im Verfahren nach § 42 Abs. 2 ZPO inhaltlich überprüft werden. Zudem ist die Entscheidung über die Ablehnung eines Terminsverlegungsgesuchs nach der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung des § 227 Abs. 4 Nr. 3 ZPO unanfechtbar. Diese Regelung würde unterlaufen, ließe man die bloße Ablehnung eines begründeten Terminsverlegungsgesuchs für einen erfolgreichen Befangenheitsantrag ausreichen (vgl. KG Berlin NJW 2006, 2788).

Vorliegend hat indes der Terminverlegungsantrag vom 09.02.2021 dem Landgericht nicht vorgelegen. Aus Sicht einer objektiv wägenden Partei lag zudem unabhängig hiervon kein Grund für die Annahme einer sachwidrigen oder einseitig den Verfügungsbeklagten benachteiligenden Bearbeitung vor. Mit einer Bewilligung des erneuten Terminverlegungsantrages vom 09.02.2021 durfte der Beklagte nicht rechnen, da erhebliche Gründe für eine erneute Verlegung im Sinne des § 227 ZPO offensichtlich nicht vorlagen. Es handelte sich um ein beschleunigungsbedürftiges einstweiliges Verfügungsverfahren, das zuvor bereits mehrfach verlegt worden war. Beschränkungen bestanden auch wegen der Corona-Pandemie nicht, eine Anreise mit dem Zug von Saarbrücken nach Leipzig war grundsätzlich am Vortag der um 9.30 Uhr angesetzten Verhandlung zumutbar, und der Prozessbevollmächtigte hätte auch einen Antrag nach § 128 a ZPO auf Durchführung der Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung stellen können, um die Anreise nach Leipzig zu vermeiden. Der Beklagte kann demgegenüber nicht geltend machen, der abgelehnte Richter habe „die anerkannten Regeln u. a. für Anwälte mit weiter Anreise wie dies aus der Akte und aus dem Schriftsatz vom 09.02.2021 offensichtlich“ sei, nicht beachtet. In dem Terminverlegungsschriftsatz vom 09.02.2021 wird nicht erwähnt, dass die Anreise am Vortag wegen einer parallel stattfindenden Strafverhandlung nicht möglich gewesen wäre. Auch fehlt die notwendige Glaubhaftmachung dieses Umstandes. Eine Terminsverlegung wegen der weiten Anreise des Prozessbevollmächtigten entspricht zumindest in einem beschleunigungsbedürftigen einstweiligen Verfügungsverfahren auch nicht „anerkannten Regeln“ und kann daher nicht ohne Weiteres erwartet werden. In § 227 ZPO wird dies als erheblicher Grund für eine Terminverlegung nicht aufgeführt. Die vom Prozessbevollmächtigen zitierte Rechtsprechung (OLG Naumburg, Beschluss vom 08.06.2016, Az.: 12 W 36/16) verhält sich allein dazu, dass bei einer weiten Anreise die dann anfallenden Kosten einer Übernachtung des Prozessbevollmächtigten erstattungsfähige Kosten des Rechtsstreits sind. Hinzu kommt, dass nach Erlass der einstweiligen Verfügung mit Beschluss vom 11.10.2019 und dem dagegen gerichteten Widerspruch, der am 17.01.2020 eingegangen ist, bis zum Zeitpunkt der Antragstellung wegen Befangenheit bereits vier Verhandlungstermine jeweils auf Antrag des Prozessbevollmächtigten verlegt worden waren. Der zuletzt verlegte Verhandlungstermin am 14.01.2021 war ebenfalls auf 9.30 Uhr terminiert worden, ohne dass dieser Umstand vom Prozessbevollmächtigen der Beklagten beanstandet worden wäre. Das Landgericht hatte zudem bereits mit der Terminsverlegungsverfügung darauf hingewiesen, dass der Prozessbevollmächtigte des Verfügungsbeklagten zum Termin am 18.03.2021, 9.30 Uhr seine rechtzeitige Anreise nach Leipzig sicherzustellen habe und eine erneute Terminverlegung aus den im Schriftsatz vom 12.01.2021 genannten Gründen – Fahrt mit dem PKW und gesundheitliche Einschränkungen – nicht erfolgen werde. Es hätte dann dem Beschleunigungsgebot in Verfügungsverfahren über eine Gegendarstellung Rechnung getragen. Hierauf hätte sich der Prozessbevollmächtigte der Beklagten einstellen müssen. Angesichts dessen wäre zumindest eine Nachfrage bei Gericht wegen der fehlenden Verbescheidung des Terminsverlegungsgesuchs vom 09.02.2021 geboten gewesen; diese ist aber zu keinem Zeitpunkt erfolgt. Dem Verfügungsbeklagten hätte sich angesichts dessen bei vernünftiger Würdigung aller Umstände aufdrängen müssen, dass der erkennende Richter weder mit der Bestimmung eines auf den 18.03.2021 um 9.30 Uhr angesetzten Verhandlungstermins noch mit fehlenden Verbescheidung des Terminsverlegungsgesuchs vom 09.02.2021 den Eindruck mangelnder Objektivität erweckt hat. Wenn der Einzelrichter vor diesem Hintergrund selbst den Befangenheitsantrag mit Beschluss vom 17.03.2021 als unzulässig zurückgewiesen und in der Sache selbst entschieden hat, kann der Verfügungsbeklagte daraus bei vernünftiger Betrachtung ebenfalls nicht die Besorgnis der Befangenheit herleiten. Eine sachlich urteilende Partei würde sich der Erkenntnis nicht verschließen, dass der Antrag auf Verlegung des Verhandlungstermins am 18.03.2021 nicht den Anforderungen des § 227 Abs. 1 ZPO entsprach, und dass sein Ablehnungsgesuch deshalb als rechtsmissbräuchlicher Versuch, die beantragte Terminsverlegung auf dem Weg über die Befangenheitsablehnung zu erzwingen, gewertet werden könnte. Der abgelehnte Richter ist – abweichend von § 45 Abs. 2 ZPO – ausnahmsweise dann zu einer eigenen Entscheidung über das gegen ihn gerichtete Ablehnungsgesuch befugt, wenn dieses Ablehnungsgesuch rechtsmissbräuchlich ist, weil es offensichtlich nur dazu dienen soll, das Verfahren zu verschleppen, oder weil mit der Ablehnung verfahrensfremde, von Sinn und Zweck des Ablehnungsrechts offensichtlich nicht erfasste Ziele verfolgt werden sollen. Dies ist der Fall, wenn – wie hier – das Übergehen des Antrags auf Terminsverlegung zum Anlass genommen wird, durch Anbringen eines hierauf gestützten Ablehnungsgesuch kurzfristig eine Terminsverlegung zu erreichen (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 24.10.2008 – 2 U 155/08 -, Rn. 17 – 18, m.w.N., – juris; OLG Hamm Beschluss vom 07.03.2019 – 4 WF 22/19, BeckRS 2019, 5610 Rn. 12-15, beck-online).“

Pauschgebühr? Nein, kein „exorbitanter“ Unterschied, oder: Wir machen es genau so falsch wie der BGH

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Bei der zweiten „RVG-Entscheidung“ handelt es sich um einen Pauschgebührenbeschluss, und zwar um den OLG Dresden, Beschl. v. 01.07.2021 – 6 (S) AR 8/21, den mir der Kollege M. Stephan aus Dresden geschickt hat.

Das OLG Dresden ist genauso knauserig wie die anderen OLG und gewährt eine Pauschgebühr von 970 EUR indem es die gesetzlichen Gebühren von 55.030 EUR auf 56.000 EUR erhöht hat. Mehr gibt es nicht:

„Der zulässige Antrag auf Festsetzung einer Pauschgebühr erweist sich in dem aus der Be-schlussformel ersichtlichen Umfang als begründet.

Gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 und 3 RVG ist Voraussetzung der Bewilligung einer Pauschgebühr, die über die gesetzlichen Gebühren hinausgeht, dass diese wegen des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit der Sache bzw. des betroffenen Verfahrensabschnitts nicht zumutbar ist. Die Bewilligung einer Pauschgebühr stellt dabei die Ausnahme dar; die anwaltliche Mühewaltung muss sich von sonstigen – auch überdurchschnittlichen Sachen – in exorbitanter Weise abheben. Bei der Beurteilung ist ein objektiver Maßstab zu Grunde zu legen. Entscheidend ist, ob die konkrete Strafsache selbst umfangreich war und infolge dieses Um-fangs eine zeitaufwändigere, gegenüber anderen Verfahren erhöhte Tätigkeit des Verteidigers erforderlich geworden ist (BGH, Beschluss vom 1. Juni 2015 — 4 StR 267/11 —, juris m.w.N.).

Diese Voraussetzungen sind nur in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang erfüllt.

Die in der Stellungnahme der Bezirksrevisorin wiedergegebene Auffassung entspricht ständiger Rechtsprechung der Strafsenate des Oberlandesgerichts Dresden. Der Senat hält auch im vorliegenden Fall daran fest.

Die gesetzlichen Gebühren betragen im vorliegenden Fall 55.030 EUR.

Mit Blick auf den Aktenumfang und der damit verbundenen Mühewaltung erscheint die Zuerkennung einer Pauschgebühr in Höhe von 56.000 EUR angemessen.

Eine weitere Erhöhung kommt weder mit Blick auf den Umfang der Hauptverhandlung noch auf die weiteren Umstände des Verfahrens in Betracht.

Die Teilnahme an 80 Sitzungstagen in einer Zeit von annähernd zwei Jahren unterscheidet das Verfahren noch nicht exorbitanter Weise von anderen überdurchschnittlichen Verfahren. Die Strafsache hat die Arbeitskraft des Pflichtverteidigers auch nicht für längere Zeit ausschließlich oder fast ausschließlich in Anspruch genommen, sodass ihm ein unzumutbares Opfer abverlangt worden ist.

Auch die im Verfahren eingeholten Sachverständigengutachten führen nicht zu einer Erhöhung der Pauschgebühr. Die im Urteil dargestellte „Korrespondenzanalyse“, also der visuelle Ver-gleich von Bildmaterial aus unterschiedlichen Quellen mit dem Bildmaterial aus einer weiteren Quelle, erscheint nicht als in wissenschaftlicher Hinsicht so anspruchsvoll, dass eine besonders arbeitsaufwändige Einarbeitung notwendig wäre. Im Revisionsverfahren ist die darauf gestützte Beweiswürdigung ohne weitere Erörterung unbeanstandet geblieben. Das von der Verteidigung hingegen aufgebotene „Gegengutachten“ wird in den Urteilsgründen als „schwer nachvollziehbar, wenn nicht abwegig“ und teilweise als „rein spekulativ“ gewürdigt.“

Wenn ich schon lese, dass sich das „Verfahren noch nicht exorbitanter Weise von anderen überdurchschnittlichen Verfahren“ unterscheidet, dann brauche ich gar nicht weiter zu lesen, weil ich weiß, dass das OLG nur das nachbetet, was der BGH in seiner Rechtsprechung falsch vorgebetet hat. Kein OLG kommt mal auf die Idee, das zu hinterfragen.

Urteil II: Sinneswandel bei der Urteilsverkündung, oder: Dann muss man zurück auf Null

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Zu dem vorhin vorgestellten BGH-Beschluss zur Berichtigung der Urteilsformel passt ganz gut der – auch schon etwas ältere – OLG Dresden, Beschl. v. 06.11.2020 – 2 Ws 456/20 – , den mir seiner Zeit der Kollegen Stephan aus Dresden geschickt hatte.

In der Entscheidung geht es in Zusammenhang mit der Frage, ob das Rechtsmittel gegen ein Urteil des AG Chemnitz vom LG zurecht als sog. Annahmeberufung (§ 313 StPO) angesehen worden ist. Der Angeklagate hatte geltend gemacht, dass die schriftliche Urteilsausfertigung im Strafausspruch von der am Schluss der Hauptverhandlung verkündeten Urteilsformel abweiche. Der Vorsitzende habe dort als zuerkannte Rechtsfolge eine Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 200,- € verkündet. Erst im Verlauf der anschließenden mündlichen Urteilsbegründung habe er geäußert, dass es sich hierbei um ein Versehen handele, der Angeklagte vielmehr zu lediglich 15 Tagessätzen verurteilt sei. Eine wiederholende Verkündung der insoweit geänderten Urteilsformel und der sich anschließenden mündlichen Bekanntgabe der Urteilsgründe sei indes nicht erfolgt.

Das LG hat die Berufung nach § 313 Abs. 2 Satz 2 StPO  nicht angenommen, weil es sie als offensichtlich unbegründet bewertet hate. Dagegen das Rechtsmittel des Angeklagaten, das das OLG als zulässig – bitte selbst lesen – und auch als begründet angesehen hat:

„Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg. Es führt zur Aufhebung des Verwerfungsbeschlusses, weil das Landgericht zu Unrecht die Voraussetzungen des § 313 Abs. 1 Satz 2 StPO angenommen hat, und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht zur Durchführung des Berufungsverfahrens.

Aus der Sachakte ergibt sich hierzu folgender Sachverhalt:

a) Der Sitzungsniederschrift des Amtsgerichts vorn 22. Juni 2020 zufolge unterbrach der Vorsitzende die Verhandlung nach Abschluss der Beweisaufnahme, den Schlussantragen von Staatsanwaltschaft und Verteidigung sowie nach dem Letzten Wort des Angeklagten kurz und verfasste nach Urteilsfindung die entsprechende Urteilsformel handschriftlich auf einem zu ergänzenden Vordruck mit Lückentext (81 71 d.A ).

  1. Der Angeklagte ist schuldig der Beihilfe zum Subventionsbetrug.
  2. Der Angeklagte wird deswegen zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu jeweils 200,- € verurteilt.
  3. Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Auf dem vorn Strafrichter unterzeichneten und zur Akte genommenen Vordruck ist die Zahl ,.20″ durchgestrichen und oberhalb von ihr handschriftlich die Zahl ,,15″ vermerkt.

b) Das Verhandlungsprotokoll wurde am 03. Juli 2020 fertiggestellt. Es weist als verkündeten Urteilsspruch aus

  1. Der Angeklagte ist schuldig der Beihilfe zum Subventionsbetrug.
  2. Der Angeklagte wird deswegen zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu jeweils 200,- € verurteilt.
  3. Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

c) In seiner vom Landgericht hierzu eingeholten dienstlichen Stellungnahme legt der Strafrichter zum Ablauf seiner Urteilsverkündung dar (BI. 191 d.A.):

„Ich habe das Urteil (BI. 71 d.A.) ursprünglich mit 20 Tagessätzen niedergeschrieben. Da ich aber zuvor in einem Parallelfall auch nur 15 Tagessätze verhängt habe, habe ich die 20 Tagessätze in 15 Tagessätze umgeändert. Verkündet hatte ich zunächst die 20 Tagessätze, aber ich habe noch während der Urteilsbegründung meinen Fehler bemerkt und die tatsächlich gewollten 15 Tagessätze auch verkündet. Ich habe während der Urteilsbegründung 2 oder 3 mal darauf hingewiesen, dass es sich bei den ursprünglich genannten 20 Tagessätzen um einen Fehler gehandelt hat und tatsächlich 15 Tagessätze gewollt waren.

Auch die schriftliche Korrektur des Fehlers fand am Ende der Urteilsverkündung statt.“

2. Bei dieser Sachlage liegt ein Fall der Annahmeberufung im Sinne des § 313 StPO nicht vor. Zu Unrecht geht das Landgericht davon aus, dass der Amtsrichter zu einer „Berichtigung“ des Urteilstenors berechtigt gewesen sei, weil ein offensichtlicher Fehler insoweit nicht vorliegt. Denn es handelt sich – abweichend von der Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft und durch die dienstliche Stellungnahme des betroffenen Richters glaubhaft gemacht und bestätigt – nicht um ein in geheimer Beratung gefundenes – „eigentlich gewolltes“ – Urteil (lautend auf 15 Tagessätze), dessen Urteilsformel lediglich sodann infolge eines Fassungsversehens bei ihrer schriftlichen Abfassung fehlerhaft in der Hauptverhandlung verkündet wurde (so der Fall BGHSt 5, 5ff.). Vielmehr wurde die in der Urteilsberatung für tat- und schuldangemessen erachtete – und zu diesem Zeitpunkt tatsächlich auch so gewollte – Rechtsfolge (20 Tagessätze) sowohl korrekt niedergeschrieben als auch und zutreffend anschließend verkündet. Ihre erst später aufgrund einer erneuten Überlegung des Strafrichters (Vergleich mit einem Parallelfall) erfolgte Änderung in 15 Tagessätze während seiner mündlichen Urteilsbegründung stellt, wie der Angeklagte zutreffend meint, lediglich einen Sinneswandel des Amtsrichters dar und ist als nachträgliche sachliche Änderung unzulässig (vgl. RGSt 56, 233ff.). Hier hätte es des Abbruchs der begonnenen und des Eintritts in eine neue Urteilsverkündung durch Verlesung der geänderten Urteilsformel und der vollständigen mündlichen Urteilsbegründung bedurft (vgl. auch BGH, Urteil vom 29. Januar 1975 – Az.: 2 StR 634/74); solches ist nach dem Vortrag des Beschwerdeführers in Übereinstimmung mit der dienstlichen Stellungnahme des Amtsrichters nicht geschehen.

Der Senat hat klarstellend die in erster Instanz verhängte Tagessatzanzahl festgestellt. Die am 03. Juli 2020 fertiggestellte Sitzungsniederschrift des Amtsgerichts vom 22. Juni 2020 wird von Amts wegen entsprechend zu berichtigen sein.

Für die Kosten dieser Beschwerde haftet in Ermangelung eines anderen Kostenschuldners die Staatskasse. Die Auslagenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung von § 467 Abs. 1 StPO.“

OWi II: Messung mit Dräger ALCOTEST 9510 DE, oder: Ein Lutschbonbon „Fisherman’s Friend“ im Mund

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Die zweite Entscheidung des Tages kommt mit dem OLG Dresden, Beschl. v. 28.04.2021 – OLG 22 Ss 672/20 (B) – vom OLG Dresden. Gegenstand der Entscheidung ist eine Trunkenheitsfahrt nach § 24a Abs. 1 StVG und in dem Zusammenhnag die Frage der Bedeutung der sog. Kontrollzeit. Das AG hatte nicht ausschließen können, dass der Betroffene während der Kontrollzeit von 10 Minuten vor Beginn der Messung mit Dräger ALCOTEST 9510 DE ein Lutschbonbon ‚Fisherman’s Friend‘ im Mund hatte.

Das OLG hat die amtsgerichtliche Verurteilung aufgehoben:

1. Das Amtsgericht hat unter anderem festgestellt:

„Der Betroffene führte unter Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt am 07.12.2018 um 01.18 Uhr in B-Straße/I-Straße den Pkw mit dem amtlichen Kennzeichenpp. mit einer Atemalkoholkonzentration von 0,25 mg/I oder mehr. Die festgestellte Atemalkoholkonzentration betrug 0,26 mg/I. Die Feststellung der Atemalkoholkonzentration erfolgte mit dem Gerät Dräger ALCOTEST 9510 DE.“

2. Zur Beweiswürdigung führt das Amtsgericht unter anderem aus:

„Im Ergebnis der Beweisaufnahme war der Bußgeldrichter davon überzeugt, dass der Betroffene am 07.12.2018 in B um 01.18 Uhr ein Kraftfahrzeug mit einer Atemalkoholkonzentration von 0,26 mg/I geführt hat. Es konnte nicht ausgeschlossen werden, dass der Betroffene während der Kontrollzeit von 10 Minuten vor Beginn der Messung ein Lutschbonbon ‚Fisherman’s Friend‘ im Mund hatte. Dieses hatte er zu Beginn der Messung verschluckt. Das durch den Bußgeldrichter eingeholte Gutachten S weist überzeugend nach, dass das Lutschen des Bonbons in der Kontrollzeit keinen Einfluss auf die Messung hat. Der Bußgeldrichter ging daher von einer Atemalkoholkonzentration von 0,26 mg/I nach Durchführung der Beweisaufnahme aus.“

3. Diese Feststellungen und beweiswürdigenden Erwägungen des Amtsgerichts rechtfertigen den angefochtenen Schuldspruch nicht.

Nach den Urteilsfeststellungen konnte der Bußgeldrichter nicht mit „letzter Gewissheit“ ausschließen, dass der Betroffene während der Kontrollzeit ein Bonbon „Fisherman’s Friend‘ eingenommen hat. Diese Einlassung des Betroffenen hat er auch nicht als Schutzbehauptung behandelt, so dass der Senat an diese Feststellungen gebunden ist.

Die Frage der Verwertbarkeit eines unter Nichteinhaltung der zehnminütigen Kontrollzeit gewonnenen Messergebnisses ist mittlerweile in der obergerichtlichen Rechtsprechung geklärt.

a) Bei der Bestimmung der Atemalkoholkonzentration handelt es sich um ein standardisiertes Messverfahren. Der Gesetzgeber hat ausdrücklich vorgesehen, dass bei der Atemalkoholbestimmung nur Messgeräte eingesetzt und Messmethoden angewendet werden dürfen, die den im Gutachten des Bundesgesundheitsamtes gestellten Anforderungen genügen (BGHSt, 46, 358 ff.). Nach diesem Gutachten des Bundesgesundheitsamtes besteht für das Messverfahren neben dem Erfordernis einer Kontrollzeit von zehn Minuten vor der Atemalkoholmessung unter anderem die Vorgabe, dass zwischen der Beendigung der Alkoholaufnahme (Trinkende) und der Atemalkoholmessung ein Zeitraum von 20 Minuten verstrichen sein muss. Die vorgeschriebene Kontrollzeit von zehn Minuten vor der ersten Messung dient dazu, die Gefahr der Verfälschung der Messwerte durch Mund- oder Mundrestalkohol auf das Messergebnis auszuschließen. In der sogenannten Kontrollzeit von zehn Minuten muss gewährleistet sein, dass der Betroffene keinerlei Substanzen mehr zu sich genommen hat (OLG Karlsruhe, NStZ-RR 2006, 250).

b) Wenn diese Kontrollzeit von zehn Minuten nicht eingehalten wird, muss dies zumindest in den Fällen, in denen der Grenzwert gerade erreicht oder nur ganz geringfügig überschritten worden ist, zur Unverwertbarkeit der Messung führen (vgl. OLG Karlsruhe, DAR 2004, 466 für einen AAK-Wert von 0,26 mg/I; OLG Bamberg, BA 45, 197 für einen AAK-Wert von 0,25 mg/l). Nur unter der Voraussetzung, dass binnen eines Zeitraumes von zehn Minuten vor der Messung der Betroffene keinerlei Substanzen, insbesondere alkoholhaltiger Art, mehr im Rachenraum hatte, kann mit Sicherheit gewährleistet werden, dass das mittels des Messgerätes Dräger Evidential 7110 bzw. Dräger ALCOTEST 9510 DE gewonnene Ergebnis nicht durch Rückstände im Rachenraum beeinträchtigt worden ist. Dementsprechend liegt nur bei Einhaltung dieser Kontrollzeit – jedenfalls bei bloßem Erreichen des Grenzwertes bzw. bei nur geringfügiger Überschreitung desselben – ein verwertbares Messergebnis vor (OLG Bamberg, a.a.O.; OLG Karlsruhe, a.a.O.). Wenn somit in Fällen wie dem vorliegenden (AAK von 0,26 mg/l) kein verwertbares Messergebnis vorliegt, so kann auch nicht durch HinzuZie.1 eines Sachverständigen geklärt werden, inwieweit dieses unverwertbare Messergebnis durch die aufgenommenen Fremdsubstanzen beeinflusst worden sein kann (vgl. OLG Bamberg, a.a.O.; OLG Karlsruhe, DAR 2016, 150).

Dieser Rechtsprechung schließt sich der Senat für den Fall der Nichteinhaltung der Kontrollzeit bei Erreichen oder nur geringfügigem Überschreiten des Grenzwertes an.

Mit den Feststellungen des Amtsgerichts in den Urteilsgründen ist somit nicht der Nachweis erbracht, dass sich der Betroffene zur Tatzeit im Sinne des § 24 a Abs. 1 OWiG ordnungswidrig verhalten hat. Das angefochtene Urteil ist deshalb auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen hin aufzuheben.“