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Kein Lohnwucher im Strafvollzug

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Mit einer für den Strafvollzug nicht unerheblichen Frage befasst sich der OLG Dresden, Beschl. v. 27.06.2012 – 2 Ws 132/12. Im Verfahren ging es nämlich um die für die Strafgefangenen häufig wichtige Frage der Voraussetzungen für ein Verbot der Aufnahme eines freien Beschäftigungsverhältnisses durch einen Strafgefangenen (§§ 11 Abs. 1 Nr. 1, 39 Abs. StVollzG). Im Raum stand die Frage der Arbeitsaufnahme bei möglicherweise vorliegendem Lohnwucher.

Dazu das OLG:

Einem Strafgefangenen darf die Aufnahme eines freien Beschäftigungsverhältnisses (§§ 11 Abs. 1 Nr. 1, 39 Abs. 1 StVollzG) nicht gestattet werden, wenn bereits der Abschluss des Arbeitsvertrages möglicherweise ein strafbares Verhalten begründen würde.

Und das gilt auch für Gefangene im Renten- und Pensionsalter.

„Unverzüglich“ ist nicht sofort – jedenfalls bei der Pflichtverteidigerbestellung

Inzwischen kann man es als h.M. in der obergerichtlichen Rechtsprechung bezeichnen, dass „unverzüglich“ nach Beginn der Vollstreckung i.S. des § 141 Abs. 3 Satz 4 StPO nicht sofort bedeutet, sondern auch in den Fällen der Beiordnung nach § 140 Abs. 1 Nr. StPO dem Beschuldigten/Angeklagten eine angemessene Frist zur Auswahl/Bestimmung eines Pflichtverteidigers seiner Wahl einzuräumen ist. So vor kurzem der OLG Dresden, Beschl. v. 04.04.2012 – 1 Ws 66/12 – und auch (noch einmal) der KG, Beschl. v. 30.04.2012 – 4 Ws 40/12

„Zwar wird der zu bestellende Verteidiger von dem Vorsitzenden ausgewählt; dem Beschuldigten muss aber Gelegenheit gegeben werden, innerhalb einer von dem Vorsitzenden zu bestimmenden Frist einen Rechtsanwalt zu bezeichnen, § 142 Abs. 1 Satz 1 StPO. Da gemäß § 142 Abs. 1 Satz 2 StPO der vom Beschuldigten bezeichnete Verteidiger zu bestellen ist, wenn nicht wichtige Gründe entgegenstehen, begründet die Vorschrift des § 142 Abs. 1 Satz 1 StPO entgegen ihrem Wortlaut („soll“) eine Anhörungspflicht, von der nur in seltenen Ausnahmefällen abgewichen werden kann (vgl. Senat Beschluss vom 3. Dezember 2008 – 4 Ws 119/08 – , m.w.Nachw.). Dem Beschuldigten ist dabei eine angemessene Überlegensfrist zur Stellungnahme und Auswahl eines Verteidigers zu gewähren. Dies gilt auch in Haftsachen (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 2. Februar 2011 – 2 Ws 50/11 – = StV 2011, 349). Der Wortlaut des Gesetzes, wonach die Bestellung „unverzüglich“ nach Beginn der Vollstreckung zu erfolgen hat (§ 141 Abs. 3 Satz 4 StPO), steht dem nicht entgegen. Dies besagt lediglich, dass dem Verfahren wegen der Freiheitsentziehung auch insoweit besonders beschleunigt Fortgang zu geben ist. Ein Vorenthalten jeglicher Möglichkeit, nach einer Überlegensfrist von im Regelfall mindestens einigen Tagen Stellung zu beziehen, hat der Gesetzgeber damit ersichtlich nicht bezweckt, zumal er die Anhörung nach § 142 Abs. 1 Satz 1 StPO in Haftsachen nicht hat entfallen lassen.“

Wird das Auswahlrecht des Beschuldigten nicht beachtet, kommt es zur Entpflichtung/Umpflichtung/Auswechselung, wie immer man das nennen will. Auch das ist inzwischen h.M. der Obergerichte.

 

Freilassung aus der U-Haft: Auch bei geplanter Abgabe des Verfahrens kein Stillstand zulässig

Das ist doch mal ein Auftakt in der Statistik, den das OLG Dresden, Beschl. v. 11.01.2012 – 1 AK 1/12 setzt. Im ersten im Jahr 2012 anhängig gewordenen Haftprüfungsverfahren nach den §§ 121, 122 StPO wird der Beschuldigte frei gelassen. Grund: Der Angeklagte ist ausgeliefert worden. Danach wird das Verfahren aber nicht mehr betrieben, da man beabsichtigt, es hier ggf. nach § 154b StPO einzustellen. Die Voraussetzungen dafür liegen aber noch nicht vor.

Das OLG sagt: Das Führen eines Ermittlungsverfahrens ausschließlich zur Vorbereitung einer Entscheidung der Staatsanwaltschaft nach § 154 b StPO rechtfertigt die Untersuchungshaft gegen den Beschuldigten nach § 121 StPO über sechs Monate hinaus nicht.

Man könnte auch sagen: Akte nicht gelesen.

Interessant der Beschluss des OLG Dresden v. 19.04.2011 – 2 Ws 96/11. Nicht nur wegen der Rechtsfrage, nämlich der Frage, inwieweit der Angeklagte bzw. sein Pflichtverteidiger einen Anspruch auf Übersetzung der Akte oder von Aktenteilen hat. Da sagt das OLG in Übereinstimmung mit der h.M.: Der Anspruch des Beschuldigten auf ein faires Verfahren beinhaltet nicht den Anspruch auf Übersetzung der gesamten Verfahrensakte, sondern nur der Unterlagen, deren Kenntnis zur ordnungsgemäßen Verteidigung erforderlich ist. Für die Frage der Erforderlichkeit einer Übersetzung ist aber maßgeblich auf die ex-ante-Sicht im Zeitpunkt der Auftragserteilung der Übersetzung durch den Pflichtverteidiger abzustellen.

Nicht nur das hatte die Rechtspflegerin anders gesehen, sondern auch im tatsächlichen den Anspruch abgelehnt. Dazu führt das OLG aus:

Die Ablehnungbegründung hält sowohl in sachlicher als auch in rechtlicher Hinsicht einer beschwerderechtlichen Überprüfung nicht stand.

1. a) Soweit die Rechtspflegerin darauf abstellen möchte, dass sowohl die Vernehmungen der Zeugen vom 17. April 2010 als auch vom 02. August 2010 in Gegenwart des Beschwerdeführers erfolgt sei, weshalb er über den Stand des Verfahrens informiert gewesen sei, wird dies durch den Akteninhalt nicht bestätigt. Der Beschwerdeführer wurde am 17. April 2010 vorläufig festgenommen; die zu seiner Festnahme führende poli­zeiliche Vernehmung des Zeugen (Quellenvernehmung) erfolgte in seiner Abwesenheit. Gleiches gilt für die in Nürnberg durchgeführte Zeugenvernehmung des Zollfahndungsamts München vom 02. August 2010.

b) Unrichtig ist auch die Annahme, die Haftfortdauerentscheidung der Strafkammer vom 21. Mai 2010 sei in seiner Anwesenheit erfolgt. Die Entscheidung erging vielmehr – nach Nichtabhilfe durch den Ermittlungs­richters – im schriftlichen Beschwerdeverfahren ohne erneute Anhörung des Beschuldigten.

c) Soweit schließlich die Erstattung der Übersetzungskosten für das Urteil des Landgerichts Wroclaw mit der Begründung verweigert wird, auch das erkennende Gericht habe dieses Urteil beigezogen und übersetzt, weshalb die Übersetzung durch den Verteidiger über­flüssig gewesen sei, verkennt die Rechtspflegerin den zeitlichen Ablauf des Verfahrens.

Zwar hatte die Staatsanwaltschaft Görlitz bereits am 11. Mai 2010 – drei Wochen nach Verhaftung des Beschuldigten – die polnischen Justizorgane im Wege der Internationalen Rechtshilfe in Strafsachen um die Übersendung von zehn in Polen ergangener Strafurteile – darunter auch das vorliegend streitbefangene – er­sucht. Dem Ersuchen wurde mit Note vom 28. Juni 2010 entsprochen; die sodann in Deutschland veranlasste Übersetzung durch ein berliner Übersetzungsbüro ging allerdings über die Staatsanwaltschaft erst am 26. August 2010 bei der zuständigen Strafkammer ein. Die in dieser Sache erhobene Anklage war jedoch be­reits seit dem 23. Juni 2010 anhängig.

Wie angesichts dieser zeitlichen Abfolge im Verfahrensverlauf angenommen werden kann, der Beschuldigte habe das streitgegenständliche Urteil seinem Vertei­diger zunächst verschwiegen, erschließt sich nicht. Dieser hatte vielmehr die Übersetzung bereits in Auf­trag gegeben, als er von der Beiziehung des Urteils durch die Staatsanwaltschaft noch gar nichts wusste.“

Peinlich, aber da scheint wirklich jemand nicht die Akte gelesen zu haben.

Dolmetscherkosten beim „Pflichti“ und: OLG liest dem Rechtspfleger die Leviten

Beim ausländischen Beschuldigten stellt sich für den beigeordneten Rechtsanwalt immer auch die Frage der Verständigung und der Übersetzung von Aktenbestandteilen, die er kennen muss, um sie mit dem Mandanten besprechen zu können.

So auch in OLG Dresden, Beschl. v. 19.04.2011 – 2 Ws 96/11. Das OLG sagt: Der Anspruch des Beschuldigten auf ein faires Verfahren beinhaltet nicht den Anspruch auf Übersetzung der gesamten Verfahrensakte, sondern nur der Unterlagen, deren Kenntnis zur ordnungsgemäßen Verteidigung erforderlich ist – insoweit wohl h.M.

Für die Frage der Erforderlichkeit einer Übersetzung ist aber – so das OLG – maßgeblich auf die ex-ante-Sicht im Zeitpunkt der Auftragserteilung  an einen Dolmetscher abzustellen. Der Verteidiger hatte nämlich ein Urteil übersetzen lassen, das auch die StA später hatte übersetzen lassen. Das OLG sagt: Sind zu erstatten.

Und: Das OLG liest dem Rechtspfleger, der die Erstattung abgelehnt hatte, die Leviten: Sehr vornehm ausgedrückt heißt das:

„Die Ablehnungsbegründung hält sowohl in sachlicher als auch in rechtlicher Hinsicht einer beschwerderechtlichen Überprüfung nicht stand“.

Der Rechtspfleger hatte die Akten wohl nicht richtig gelesen. 🙂