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Entfernen vom Unfallort als Obliegenheitsverletzung, oder: Wie lange muss ich warten?

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Urheber Ulfbastel

Im OLG Dresden, Urt. v. 17.04.2018 – 6 U 1480/17 – geht es dann (noch einmal) um die Aufklärungsobliegenheit in der Kfz-Versicherung. Der Kläger und sein Versicherer haben u.a. darum gestritten, ob der Kläger nach einem Verkehrunfall lange genug gewartet hatte oder, ob er sich zu fürh (unerlaubt) vom Unfallort entfernt und damit eine Obliegenheitsverletzung begangen hat, die zur Leistungsfreiheit des Versicherers geführt hat.

Das OLG führt, nachdem es zur Wirksamkeit entsprechender Klauseln im Versicherungsvertrag Stellung genommen hat, zur Wartepflicht aus:

„b) Der Senat geht davon aus, dass der Kläger unter Zugrundelegung seiner unbestritten gebliebenen Angabe in der Berufungsverhandlung, wonach er etwa 10 Minuten am Unfallort verblieben sei, bevor er mit dem Fahrzeug zu seinem nahe gelegenen Grundstück gefahren sei, eine nach den Umständen angemessene Zeit i.S.d. § 142 Abs. 1 Nr. 2 gewartet hat, ohne dass jemand bereit war, die Feststellungen zu treffen. Damit ist der Straftatbestand des § 142 Abs. 1 StGB nicht verwirklicht.

Welche Wartezeit angemessen ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Auszugehen ist von dem Zweck der Wartepflicht, die darin besteht, feststellungsbereiten Personen, die erst nachträglich an den Unfallort gelangen, die Anwesenheit des Unfallbeteiligten für einen bestimmten Zeitraum zu erhalten. Maßgeblich ist die aus objektiver Sicht zu treffende Prognose, ob mit dem alsbaldigen Eintreffen feststellungsbereiter Personen zu rechnen ist. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist um so geringer, je weniger befahren die Straße und erkennbar der Unfall ist. Insoweit spielen also Tageszeit, Verkehrsdichte, Auffälligkeit des Unfalls und Höhe des Schadens eine Rolle. Zu berücksichtigen ist auch, dass bei einer eindeutigen Haftungslage von einem geringer ausgeprägten Feststellungsinteresse auszugehen ist (zum Ganzen: Fischer, StGB, 56. Aufl., § 142 Rdn. 35 f.; MünchKomm, StGB, § 142 Rdn. 76 ff.).

Diese Kriterien sprechen hier für eine relativ kurze Wartezeit. Der Unfall ereignete sich am Morgen eines Samstags auf einer wenig befahrenen Straße. Die Haftungslage war mangels anderer Unfallbeteiligter eindeutig und der Fremdschaden an dem Geländer überschaubar. Gleichwohl war eine Mindestwartezeit von 10 Minuten einzuhalten (dazu MünchKomm, a.a.O., Rn. 87). Eine solche kommt stets zum Tragen, wenn der Unfall zumindest optisch (oder akustisch) wahrzunehmen war, wovon hier angesichts der deutlich sichtbaren Schäden am Geländer auszugehen ist Diesen Anforderungen ist der Kläger gerecht geworden.

c) Allerdings hat der Kläger den Straftatbestand des § 142 Abs. 2 Nr. 1 StGB objektiv und subjektiv verwirklicht, indem er dem Geschädigten die Feststellungen nach § 142 Abs. 1 StGB nicht unverzüglich nachträglich ermöglichte.

Eine nachträgliche Mitteilung ist unverzüglich i.S.d. § 142 Abs. 2 StGB, wenn sie noch den Zweck erfüllt, zugunsten des Geschädigten die zur Klärung der zivilrechtlichen Verantwortlichkeit erforderlichen Feststellungen treffen zu können. Verlässt jemand bei nächtlichen Unfällen und eindeutiger Haftungslage mangels Bereitstehens feststellungsbereiter Personen nach Ablauf einer angemessenen Wartefrist den Unfallort, ist die Nachholung der entsprechenden Mitteilung gegenüber dem Geschädigten bzw. der Polizei noch bis in die frühen Vormittagsstunden des darauffolgenden Tages als unverzüglich i.S.d. § 142 Abs. 2 Nr. 2 StGB anzusehen (vgl. BGH, Urteil vom 21.12.2012, IV ZR 97/11, Rdn. 22, juris). Nichts anderes hat zu gelten, wenn ein solcher Unfall – wie hier – in den Morgenstunden eines Wochenendtages passiert.

Im Hinblick auf die Mitteilung gegenüber dem Geschädigten oder der Polizei hat der Kläger die damit umrissene Frist für die Nachholung jedenfalls verstreichen lassen. Eine Mitteilung gegenüber dem Eigentümer des beschädigten Geländers war dem Kläger, wie er selbst dargelegt hat, nicht zeitnah möglich. Daher hätte ersatzweise die Polizei informiert werden müssen. Von dieser Möglichkeit hat der Kläger bis in die Mittagsstunden, als die Polizei ihn als Unfallverursacher bereits ermittelt hatte und ihn auf dem Gelände des Autohauses, zu dem das Unfallfahrzeug abgeschleppt worden war, angesprochen hat, keinen Gebrauch gemacht. Es ist auch davon auszugehen, dass der Kläger um die Pflicht zur unverzüglichen Benachrichtigung des Geschädigten oder der Polizei wusste und die Verletzung dieser Pflicht zumindest billigend in Kauf nahm, mithin vorsätzlich handelte. Seine Einlassung, zu keinem Zeitpunkt daran gedacht zu haben, eine Unfallflucht zu begehen, ist vor dem Hintergrund der unter Verkehrsteilnehmern allgemein bekannten Pflichten von Unfallbeteiligten als Schutzbehauptung zu werten….“

Längenzuschlag für den Pflichtverteidiger, oder: Auch Sitzungspausen werden berücksichtigt

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Die zweite Entscheidung am heutigen Gebührenfreitag kommt auch aus dem OLG Bezirk Dresden, allerdings nun direkt vom OLG. Es handelt sich um den OLG Dresden, Beschl. v. 10.07.2018 – 1 Ws 142/18, den mir die Kollegin U. Modschiedler aus Dresden übersandt hat. Thematik: Mal wieder Längenzuschlag des Pflichtverteidigers , Glasewaldtstraße 46, 01277 Dresden. Die Kollegin hatte einer umfnagreicheren Hauptverhandlung teilgenommen und nach deren Abschluss für einige Hauptverhandlungstermine die Festsetzung von Längenzuschlägen beantragt. Gestritten wird dann – wie bei diesen Festsetzungen sehr häufig – um die Berechnung der maßgeblichen Hauptverhandlungszeit und dabei dann um das „Unterproblem“: Müssen längere Sitzungspausen abgezogen werden oder nicht?

Das OLG Dresden hält in seinem Beschluss an seiner ständigen Rechtsprechung in der Frage – „verteidigerfreundlich“ – fest und sagt: Grundsätzlich nein:

„Die weitere Beschwerde hat in der Sache Erfolg, da die Verhandlungsunterbrechungen nicht von der Verhandlungsdauer in Abzug gebracht werden durften. Das Oberlandesgericht Dresden vertritt in gefestigter Rechtsprechung, dass auch längere Sitzungspausen grundsätzlich nicht von der Verhandlungsdauer in Abzug zu bringen sind. Vielmehr ist darauf abzustellen, ob und inwieweit der Verteidigerin die Sitzungspause anderweitig für seine berufliche Tätigkeit sinnvoll hätte nutzen können, wobei schon aus Gründen der Praktikabilität kein an individuellen Möglichkeiten ausgerichteter Maßstab anzulegen ist. Es kann nicht darauf ankommen, ob ein Verteidiger in einer Sitzungspause mittels technischer Hilfsmittel einen Schriftsatz verfassen oder sonst zügig eine bestimmte Sache im Gerichtsgebäude bearbeiten kann, während ein anderer Verteidiger nicht über solche Möglichkeiten verfügt. Auch kann etwa die Entfernung des Kanzleisitzes für die Beurteilung von Bedeutung sein, ob der Verteidiger eine längere Sitzungspause anderweitig für seine berufliche Tätigkeit sinnvoll hätte nutzen können (Senat, Beschluss vom 03. November 2017 – 1 Ws 258/17 m.w.N.). Ein Abzug ist nur dann vorzunehmen, wenn die Sitzungsunterbrechung gerade deshalb angeordnet wurde, um dem Verteidiger die Wahrnehmung eines anderen Termins zu ermöglichen (Senat a.a.O.). Anhaltspunkte dafür, dass die Verteidigerin die jeweiligen Sitzungspausen anderweitig für ihre berufliche Tätigkeit sinnvoll hätte nutzen können, liegen aber nicht vor.“

Und auf der Grundlage wird dann festgesetzt. M.E. zutreffend.

22 Monaten Strafe reichen nicht, oder: Die Straferwartung und die Fluchtgefahr

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Und zum Abschluss dann noch eine Haftentscheidung. Die kommt vom OLG Dresden. Das hat im OLG Dresden, Beschl. v. 11.12.2017 – 1 Ws 326/17 – die Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) verneint. Begründung: Auch die drohende Vollstreckung einer (weiteren) Freiheitsstrafe von 14 Monaten reicht bei einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von rund acht Monaten nicht für die Annahme von Fluchgefahr. Aus der interessanten Begründung:

„2. Allerdings liegt der Haftgrund der Fluchtgefahr nicht vor.

Fluchtgefahr im Sinne des § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO besteht dann, wenn bei Würdigung aller Umstände des Einzelfalls, die sich aus bestimmten Tatsachen ergeben müssen, eine höhere Wahrscheinlichkeit für die Annahme spricht, der Angeklagte werde sich dem Strafverfahren entziehen, als für die Erwartung, er werde sich ihm zur Verfügung halten (OLG Hamm StV 2003, 170; OLG Köln StV 1996, 390). Die Frage, ob Fluchtgefahr vorliegt oder nicht, erfordert die sorgfältige Berücksichtigung und Abwägung aller Umstände des Falls (OLG Hamm, a.a.O.) Gemessen an diesen Umständen ist der Haftgrund der Fluchtgefahr beim Angeklagten nicht zu bejahen.

a) Die Verurteilung des Angeklagten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Monaten und einer Woche ist nicht geeignet, einen erheblichen Fluchtanreiz darzustellen, zumal derzeit durch die anzurechnende Untersuchungshaft bereits mehr als zwei Drittel der Strafe vollstreckt sind. Damit ist die Strafe, die wegen der dem Haftbefehl zugrundeliegenden Taten gegen den Angeklagten verhängt worden ist, aber nicht geeignet, die Fluchtgefahr zu begründen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Staatsanwaltschaft gegen das amtsgerichtliche Urteil zu Lasten des Angeklagten Berufung, die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt ist, eingelegt hat. Die Staatsanwaltschaft hat erstinstanzlich eine Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten und einer Woche beantragt, sodass nicht davon ausgegangen werden kann, dass in der Berufungsinstanz eine darüber hinausgehende Strafe verhängt wird. Selbst für den Fall, dass das Berufungsgericht die von der Staatsanwaltschaft beantragte höhere Gesamtfreiheitsstrafe verhängen würde, lässt sich hieraus unter Berücksichtigung der bereits verbüßten Untersuchungshaft ein die Fluchtgefahr begründender Strafrest nicht. Im übrigen ist nicht zu besorgen, dass der Angeklagte, der vor seiner Inhaftierung im Übergangswohnheim des Vereins für soziale Rechtspflege e.V. aufhältig gewesen ist, dort zukünftig nicht erreichbar wäre. Angesichts dessen kommt dem Umstand, dass der Angeklagte nach seinen Angaben gelegentlich Marihuana konsumiert, für die Beurteilung des Vorliegens von Fluchtgefahr nur untergeordnete Bedeutung zu.

b) Etwas anderes gilt auch nicht unter Berücksichtigung der Vorstrafen des Angeklagten und des Umstandes, dass dieser wegen mehrerer Verurteilungen unter Bewährung steht. Zwar hat der Angeklagte die dem Haftbefehl zugrundeliegenden Taten nur kurze Zeit nach der letzten Haftentlassung und während laufender Bewährungszeiten begangen, so dass er mit dem Widerruf der Bewährungen und einer zusätzlichen Straferwartung von ca. einem Jahr und zwei Monaten zu rechnen hat. Diese Straferwartung stellt aber – für sich genommen – noch keinen Umstand dar, der vorliegend den Haftgrund der Fluchtgefahr begründen könnte. Zwar kann die aufgrund eines möglichen Bewährungswiderrufs zu erwartende Strafe im Rahmen der Prüfung, ob Fluchtgefahr beim Angeklagten vorliegt, grundsätzlich berücksichtigt werden. Dieser Umstand ist jedoch immer nur ergänzend heranzuziehen und setzt voraus, dass – was hier nicht der Fall ist- die wegen der haftbefehlsgegenständlichen Taten zu erwartende Strafe zumindest einen gewissen Fluchtanreiz und damit einen Fluchtgefahr begründenden Umstand darstellt. Ansonsten, wenn der Haftgrund ausschließlich auf – wegen möglicher Bewährungswiderrufe im Raum stehende – Freiheitsstrafen gestützt wird, würde dies eine Umgehung der Vorschrift des S 453c Abs. 1 StPO bedeuten. Die Vollstreckung der Untersuchungshaft würde dann nicht mehr der Sicherung des vorliegenden Strafverfahrens und der Vollstreckung der daraus resultierenden Strafe dienen.

Im übrigen weist der Senat daraufhin, dass der Angeklagte die ihm im Haftbefehl zur Last gelegten Taten vor dem Amtsgericht geständig eingeräumt und seine Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hat, so dass es – auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 MRK; vgl. Fischer, StGB, 64. Aufl., § 56f Rdnrn. 4ff. m.w.N.) – spätestens ab diesem Zeitpunkt möglich gewesen wäre, eine Entscheidung über den Widerruf der zur Bewährung ausgesetzten Strafreste oder zumindest den Erlass eines Sicherungshaftbefehls herbeizuführen.“

Das ist auch mal wieder so ein Beschluss, bei dem ich mich frage. Warum braucht man dafür ein OLG?

„Ich habe keinerlei Vertrauen zu meinem Verteidiger, gebe ihm aber Vertretungsvollmacht, da das Gericht mir keinen Fahrtkostenzuschuss zahlt“

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Einen etwas ungewöhnlichen Sachverhalt behandelt der OLG Dresden, Beschl. v. 06.09.2017 – 1 OLG 24 Ss 6/17 -, den mir der Angeklagte des Verfahrens selbst übersandt hat. Der Angeklagte ist vom AG u.a. wegen Körperverletzung verurteilt worden. Dagegen wendet sich dieser mit der Verfahrensrüge, die Hauptverhandlung habe in unzulässiger Weise in seiner Abwesenheit stattgefunden (§ 338 Nr. 5 StPO).

Der Rüge liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

„Das Amtsgericht Dresden hatte in vorliegender Sache am 15. Januar 2016 das Hauptverfahren eröffnet und ab dem 26. Mai 2016 die Hauptverhandlung durchgeführt. Nachdem der Angeklagte im Termin vom 09. August 2016 nicht erschienen ist, hat das Amtsgericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft Dresden mit Beschluss vom gleichen Tage gegen den Angeklagten wegen der oben genannten Taten gemäß § 408 a StPO einen Strafbefehl erlassen und gegen ihn eine Gesamtgeldstrafe von 100 Tagessätzen verhängt. Nach rechtzeitig eingegangenem Einspruch hat das Amtsgericht am 19. September 2016 erneut Hauptverhandlungstermin bestimmt. Mit Schreiben vom 18. August 2016 hat der Angeklagte hinsichtlich dieses Termins die Bewilligung eines Vorschusses für Fahrt- und Übernachtungskosten beantragt, da er jetzt in Bonn aufenthältlich sei. Aus einem Vermerk des Strafrichters vom 22. September 2016 ergibt sich, dass dieser Antrag beim Amtsgericht am 19. August 2016 eingegangen, aber erst am 15. September 2016 diesem vorgelegt worden ist. Eine Entscheidung über den Antrag ist nicht erfolgt. Den Hauptverhandlungstermin am 19. September 2016 hat der Angeklagte nicht wahrgenommen. Allerdings hat er am 12. September 2016 seinem Verteidiger, Rechtsanwalt pp1, eine schriftliche Vertretungsvollmacht folgenden Inhalts ausgestellt:

„Herr pp. erteilt Herrn Rechtsanwalt pp1 aus Dresden schriftliche Vertretungsvollmacht in dem Verfahren vor dem Amtsgericht Dresden – Strafrichter – mit dem Aktenzeichen 231 Ds 301 Js 24500/14.

Diese Vollmacht ermächtigt nicht zur – Rücknahme, Beschränkung und Verzicht von Rechtsmitteln und Rechtsbehelfen – Abgabe von Erklärungen zur Sache.

Der Vollmachtgeber erklärt ausdrücklich: Ich habe keinerlei Vertrauen zu Rechtsanwalt pp1. Die Erteilung der Vertretungsvollmacht dient nur dem Zweck der Verhinderung nachteiliger Folgen für das Ausbleiben in der Hauptverhandlung (§ 411 Abs. 2 StPO). Der Vollmachtgeber hält die Rüge, unverteidigt im Sinne des § 338 Nr. 7 StPO zu sein, vollumfänglich aufrecht.

Der Vollmachtgeber möchte nach wie vor von einem ersuchten Richter vernommen werden, § 233 StPO.

Zur Erteilung der Vertretungsvollmacht sieht sich der Vollmachtgeber durch das Gericht genötigt, da auch ein Fahrtkostenvorschuss bisher nicht ausgezahlt worden ist oder das Amtsgericht Bonn angewiesen worden ist, Fahrkarten auszustellen.“

Die Hauptverhandlung fand in Abwesenheit des Angeklagten statt. Ein Aussetzungsantrag der Verteidigung wurde nicht verbeschieden.“

Das OLG hebt auf:

Das Amtsgericht hätte nicht in Abwesenheit des Angeklagten zur Sache verhandeln dürfen, da die Voraussetzungen des § 41 1 Abs. 2 Satz 1 StPO nicht gegeben waren. Danach kann sich der Angeklagte zwar in der Hauptverhandlung durch einen Verteidiger mit schriftlicher Vertretungsvollmacht vertreten lassen. Das Erscheinen des Vertreters ermöglicht aber nicht die Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten, der seinen Willen, an der Hauptverhandlung teilzunehmen, deutlich zum Ausdruck gebracht hat (OLG Karlsruhe StV 1986, 289; Meyer-Goßner/Schmitt StPO 60. Aufl. § 411 Rdnr. 4).

So liegt der Fall aber hier. Zwar liegt eine schriftliche Vertretungsvollmacht für den Verteidiger Rechtsanwalt pp1. Dieser ist aber zu entnehmen, dass der Angeklagte sie nur deshalb ausgestellt hat, weil er negative Folgen hinsichtlich eines Ausbleibens im Hauptverhandlungstermin, den er aufgrund der ausstehenden Gewährung eines Fahrtkostenvorschusses und der ihm dadurch nicht möglichen Anreise von Bonn nicht wahrnehmen könne, befürchtete. Damit ergibt sich aber, dass der Angeklagte die Absicht hatte, an der Hauptverhandlung teilzunehmen, so dass das Amtsgericht jedenfalls nicht hätte verhandeln dürfen, ohne den rechtzeitig vor der Hauptverhandlung gestellten Antrag auf Fahrtkostenzuschuss zu verbescheiden. Eine Verhandlung in dessen Abwesenheit gemäß § 41 1 Abs. 2 Satz 1 StPO kam vor diesem Hintergrund nicht in Betracht. Die Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten verstößt danach gegen § 338 Nr. 5 StPO, wonach ein Urteil stets auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen ist, wenn die Hauptverhandlung in Abwesenheit einer Person, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt, stattgefunden hat. Das Urteil unterliegt bereits aus diesem Grunde der Aufhebung, so dass es auf die vom Angeklagten weiter erhobene Verfahrensrüge und die ebenfalls erhobene Sachrüge nicht mehr ankommt.“

U-Haft II: Urlaubsreise nach Thailand während „Hafturlaub“, oder: Nicht verboten

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Bei der zweiten Haftentscheidung, die ich heute vorstelle, handelt es sich um den OLG Dresden, Beschl. v. 28.04.2017 – 2 Ws 117/17. Ergangen ist er im sog. Infinus-Verfahren, in dem es ja schon eine ganze Reihe Haftentscheidung des OLG Dresden gegeben hat. Über zwei habe ich ja auch schon berichtet, und zwar über den OLG Dresden, Beschl. v. 23.12.2014 – 2 Ws 542/14 – und  dazu: Freibrief/Freilos – Erstaunliches zur U-Haft-Fortdauer vom OLG Dresden und den dazu ergangenen VerfGH Sachsen, Beschl. v. 26.02.2015 – 7-IV-15, 8-IV-15 (vgl. Freibrief/Freilos – Erstaunliches zur U-Haft-Fortdauer aus Sachsen – II) sowie über den VerfGH Sachsen, Beschl. v. 21.04.2016 – VerfG Vf. 16-IV-16 (HS).

Jetzt ist es dann aber wohl Schluss. Denn das OLG Dresden hat im Beschl. v. 28.04.2017 die U-Haft gegen den Angeklagten, der sich seit dem 05.11.2013 in U-Haft befunden hat, aufgehoben. Bis dahin war er nur duch Beschluss vom 25. 04. 2016 außer Vollzug gesetzt. In dem Beschluss war der angewiesen worden, in einem bestimmten Gästehaus in Dresden Wohnsitz zu nehmen und sich jeweils sonntags bis spätestens 21:00 Uhr beim hierfür zuständigen Polizeirevier zu melden. Zudem war ein Kontaktverbot zur Ehefrau eines Mitangeklagten ausgesprochen worden. Der Angeklagte war diesen Weisungen nachgekommen. Insbesondere erschien er jeweils zu den anberaumten Hauptverhandlungsterminen. Am 07.07. 2016 stellte der Angeklagte dann den Antrag, die Meldeauflage für den Zeitraum vom 07.07.2016 bis zum 31.07.2016 auszusetzen. Die Hauptverhandlung sei für eine Sommerpause bis zum 01.08.2016 unterbrochen, weshalb die Begründung der Kammer für die Wohnsitz- und Meldeauflage (Vermeidung eines „Hauptverhandlungstourismus“) in dieser Zeit nicht greife. Am 08.07.1016 hat die Srafkammer diesem Antrag stattgegeben und hat die Meldeverpflichtung beim Polizeirevier in Dresden bis zum 30.07.2016 ausgesetzt. Statt dessen verpflichtete sie den Angeklagten, sich am 22.07.2016 bei der Polizeistation in pp. zu melden. Anschließend sollte die bisherige Regelung wieder gelten.

Vom 11.07.2016 bis zum 21.07.2016 unternahm der hierfür finanziell von Freunden und Familienangehörigen unterstützte Angeklagte ohne Wissen der Strafkammer eine Urlaubsflugreise nach Thailand. Am 21.07.2016 kehrte er nach Deutschland zurück und erfüllte am 22.07.2016 seine Meldeauflage bei dem Polizeirevier in pp. Nach der Sommerpause ab dem 01.08.2016 hielt er sich wieder an seiner Unterkunft in Dresden auf und nahm ordnungsgemäß an den jeweiligen Terminen der Hauptverhandlung teil. Den Weisungen und Auflagen im Rahmen der Außervollzugsetzung des Haftbefehls kam der Angeklagte ordnungsgemäß nach.

Im Dezember hat der Angeklagte dann den Antrag gestellt, den Haftbefehl aufzuheben. Den Antrag hat die Strafkammer abgelehnt. Statt dessen untersagte sie dem Angeklagten „klarstellend“, das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ohne Genehmigung der Kammer zu verlassen. Zur Absicherung hatte der Angeklagte sowohl seinen Reisepass als auch seinen Personalausweis (gegen ein beglaubigtes Ersatzdokument) bei Gericht zu hinterlegen. Und dagegen richtet sich nun das Rechtsmittel des Angeklagten.

Das OLG folgt dem LG in seiner Argumentation nicht. Das war von weiterhin bestehender Fluchtgefahr ausgegangen:

„a) Der Senat teilt die Ansicht von Staatsanwaltschaft und Wirtschaftsstrafkammer nicht, wonach die bisher erteilten Weisungen im Rahmen der Außervollzugsetzung eine gleichwohl grundsätzlich anzunehmende Fluchtgefahr lediglich mindern konnten. Denn angesichts der bisherigen Fassung der Meldeauflage – zu erfüllen (nur) einmal wöchentlich jeweils sonntags bis 21:00 Uhr – war es dem Angeklagten grundsätzlich uneingeschränkt möglich, in der übrigen Zeit Vorbereitungen für sein Sich-Entziehen aus dem Strafverfahren vorzubereiten.

Das Gebot, einen bestimmten territorialen Bereich nicht ohne Zustimmung des Gerichts zu verlassen, war dem Angeklagten nicht auferlegt worden. Erst recht war es ihm durch die tatsächlich erfolgte Weisung nicht verboten, während die Zeitspanne das Gebiet Dresdens, Sachsens oder gar der Bundesrepublik Deutschland zu verlassen, solange er der Meldepflicht nachkommt. Die Begründung der Kammer, durch die Verpflichtung, in Dresden Wohnsitz zu nehmen, solle vor dem Hintergrund der gesundheitlichen Probleme des Angeklagten einem „Hauptverhandlungstourismus“ (zwischen Dresden und pp. vorgebeugt werden, besagt diesbezüglich nichts. Es verbot nicht, gleichwohl nach C. (oder anderswo) zu fahren.

b) Daher lag in der Urlaubsreise des Angeklagten nach Thailand – zumal eine rechtzeitige Rückkehr erfolgt war – kein Verstoß gegen die gerichtliche Weisung. Insofern ist es unerheblich, dass diese Reise ohne eine vorherige Anmeldung gegenüber der Wirtschaftsstrafkammer durchgeführt worden war. Ein möglicher – aus dem Beschluss allerdings nicht erkennbarer – entgegenstehender Vorbehalt der Wirtschaftsstrafkammer ist ihrem Außervollzugsetzungsbeschluss nicht zu entnehmen. Deshalb stellen die „klarstellend“ gefassten Weisungen im hier angefochtenen Beschluss vom 17. Januar 2017 (Ausreiseverbot, Passhinterlegung) eine neue unzulässige – materielle Verschärfung der Lage des Angeklagten dar.

c) Aber auch die Tatsache, dass der Angeklagten diese Fernreise ins Ausland ohne vorherige Inkenntnissetzung der Strafkammer vorgenommen hat, rechtfertigt die weitere Aufrechterhaltung des außer Vollzug gesetzten Haftbefehls nicht. Zum einen war der Angeklagte – schon formal gesehen – zu einer Anmeldung der Reise nicht verpflichtet. Auch ist er fristgerecht zur Erfüllung der anschließenden Meldeverpflichtung beim Polizeiposten in pp. zurückgekehrt. Zum anderen dürfen Beschränkungen, denen der Angeklagte durch Auflagen und Weisungen nach § 116 StPO ausgesetzt ist, nicht länger andauern, als es nach den Umständen erforderlich ist (Senat wistra 2014, 78 f.; vgl. auch OLG Köln StV 2005, 396 [397]). Mag die Haftverschonung vor dem Hintergrund eines drohenden Vollzugs von Untersuchungshaft zunächst auch als Rechtswohltat empfunden werden, so ändert dies doch gleichwohl nichts daran, dass der Fortbestand des Haftbefehls vor allem auch unter Berücksichtigung der freiheitsbeschränkenden Auflagen nach wie vor mit einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der persönlichen Freiheit verbunden ist. Es versteht sich deshalb von selbst, dass auch ein weniger einschneidendes Mittel, durch welches eine schwerwiegendere grundrechts-beschränkende Maßnahme ersetzt worden ist, in seinem Fortbestand auch weiterhin im Lichte des Freiheitsrechts und unter Beachtung des Prinzips der Verhältnismäßigkeit stets von Neuem zu überprüfen ist (vgl. BVerfGE 53, 152 [160]). Eine Haftsache ist deshalb auch dann wie eine Haftsache zu behandeln, wenn der Haftbefehl nicht vollzogen wird, weil er außer Vollzug gesetzt ist (KG StV 1991, 473; KG StV 2003, 627 [628]; OLG Köln StV 2005, 396 [398]).“

Tja, das wird die Strafkammer nicht freuen, wenn ihr der OLG-Senat eine lange Nase zeigt und sagt: Wenn ihr die Beschränkung wolltet, dann hättet ihr sie auch in den Beschluss aufnehmen müssen. M.E. richtig/zutreffend.