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Wenn das „Sonderschutzfahrzeug“ beim Rückwärtsfahren umfällt, oder: Haftung?

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Die zweite Entscheidung stammt auch vom OLG Celle. Das hat im OLG Celle, Urt. v. 10.06.2020 – 14 U 218/19 – über folgendes Unfall geschehen entschieden:

„Gegenstand des Rechtsstreits ist ein Unfall, der sich am 14. März 2015 gegen 10.50 Uhr auf dem Betriebsgelände der Klägerin in G., L. Str. ereignet hat. Die Führung des Betriebes hatte die Klägerin der Firma G. mbH übertragen, die ihrerseits die Beklagte zu 1) mit der Erbringung von Sicherheitsleistungen betraut hatte. Die Klägerin war Eigentümerin des Sonderschutzfahrzeugs Mercedes Benz G-Guard, das der Beklagte zu 2) – ein Mitarbeiter der Beklagten zu 1) – auf dem Werksgelände steuerte, um eine Streifenfahrt zur Bewachung durchzuführen. Ihn begleitete als Beifahrer der Zeuge D. Im Rahmen eines Wendemanövers in Rückwärtsfahrt stürzte das klägerische Fahrzeug auf die rechte Seite und erlitt einen wirtschaftlichen Totalschaden. Die Klägerin hat die Beklagten auf Schadensersatz in Höhe von 111.567,09 EUR (vor allem Mietwagenkosten) nebst Feststellung der zukünftigen Schadensersatzpflicht (Erhöhung der Versicherungsprämie) in Anspruch genommen, weil der Beklagte zu 2) ein rasantes und überflüssiges Fahrmanöver ohne Anlass in Kenntnis der erleichterten Kippgefahr des Fahrzeugs durchgeführt und so den Schaden verschuldet habe. Die zur Zahlung aufgeforderte Beklagte zu 1) hat eine Schadensregulierung verweigert, da ein vertraglich vereinbarter Haftungsausschluss auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit greife, der hier zu bejahen sei, weil der Beklagte zu 2) ein normales Wendemanöver durchgeführt habe und mit einem Umstürzen des Fahrzeugs nicht habe rechnen müssen. Die Beklagte zu 1) treffe auch kein Auswahl- oder Überwachungsverschulden hinsichtlich des Beklagten zu 2), der zuverlässig und besonnen sei. Die Schadenshöhe haben die Beklagten bestritten, insbesondere die Notwendigkeit des Zeitraums der Mietwagenkosten; es hätte ein Interimsfahrzeug beschafft werden können. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung (Bl. 445R – 447R d. A.).“

Das LG hat die Klage nach Beweisaufnahme abgewiesen.Die Berufung dagegen hatte beim OLG Celle keinen Erfolg.

Hier der Leitsatz der OLG-Entscheidung:

„Der Fahrer eines Sonderschutzfahrzeugs, das wegen seiner Aufpanzerung beim zügigen Rückwärtsfahren mit eingeschlagener Lenkung schon nach wenigen Metern umkippt, handelt nicht fahrlässig (§§ 276 Abs. 2, 823 Abs. 1 BGB), weil diese Gefahr nicht vorhersehbar war, insbesondere auch nicht allgemein bekannt gemacht worden ist. „

Abkommen von der Fahrbahn infolge ungeklärter Ursache, oder: Vielleicht doch Sekundenschlaf?

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Im „Kessel Buntes“ dann heute zwei Entscheidungen zur Haftung nach Verkehrsunfällen.

Ich beginne mit dem OLG Celle, Urt. v. 01.07.2020 – 14 U 8/20. Es ist um die Haftung nach einem Verkehrsunfall infolge  Abkommen von der Fahrbahn gestritten worden. Die Klägerin und die beklagte Versicherung streiten über die Frage, ob der Unfall auf einem grob fahrlässigen Verhalten des bei der Beklagten beklagten Versicherungsnehmer beruht. Der ist vom AG rechskräftig wegen des Unfalls wegen fahrlässiger Tötung in zwei Fällen in Tateinheit mit fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung und mit fahrlässiger Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung und zu einem zweimonatigen Fahrverbot verurteilt worden. Das Urteil enthält keine Erklärung zum Grad des Fahrlässigkeitsvorwurfs. Der Beklagte war bei Nebel mit einer Geschwindigkeit von ca. 75 km/h von der gerade verlaufenden Fahrbahn abgekommen, in den Gegenverkehr geraten und dort frontal mit einem ihm entgegenkommenden Sattelzug kollidiert, dessen Fahrer – der Zeuge B. – den Unfall unstreitig nicht hatte vermeiden können.

Die Klägerin hat dem Beklagten vorgeworfen, grob fahrlässig gehandelt zu haben, weil er bei einer Sichtweite von maximal 20 m mit unangemessener, erheblich überhöhter Geschwindigkeit gefahren sei bzw. sehr wahrscheinlich in einen Sekundenschlaf gefallen sei, wobei er vorherige Anzeichen für seine Übermüdung ignoriert gehabt habe. Der Beklagte hat dies bestritten und sein Verschulden als fahrlässig eingestuft. Die Klägerin habe lediglich Spekulationen im Ermittlungsverfahren aufgegriffen, die nicht bewiesen seien. Er sei es gewohnt gewesen, früh aufzustehen und habe ausreichend lang geschlafen gehabt. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung (Bl. 203R – 204R d. A.).

Das LG hat die Klage abgewiesen. Dagegen die Berufung, die keinen Erfolg hatte. Das OLG führt zum „Sekundenschlaf aus“:

„Der Klägerin ist darin zuzustimmen, dass vorliegend einiges für einen Sekundenschlaf des Beklagten als Unfallursache spricht, weil er nach den glaubhaften Angaben des Zeugen Bi. ohne zu bremsen oder auszuweichen quasi in Zeitlupe in den Gegenverkehr geraten und dort mit dem vom Zeugen B. gesteuerten Sattelzug kollidiert ist. Hiervon sind Polizei und Staatsanwaltschaft in dem beigezogenen Ermittlungsverfahren ausgegangen. Dass der Beklagte dies akzeptiert hat, verwundert aus strafrechtlicher Sicht nicht: Seine Verantwortung für die Tötung zweier Menschen und die Körperverletzung eines weiteren Mitfahrers sowie seines Unfallgegners konnte er nicht leugnen. Es kam ihm bei seinem Einspruch gegen den Strafbefehl ersichtlich maßgeblich darauf an, erträgliche Rechtsfolgen zu erzielen. Eine zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe dürfte unabhängig von ihrer genauen Höhe akzeptabel gewesen sein; eine einjährige Sperre für die Fahrerlaubnis jedoch nicht. Sein Einspruch hatte dann auch schließlich den Erfolg, dass die Maßregel auf ein zweimonatiges Fahrverbot reduziert worden ist.

Im Zivilverfahren ist die Frage, ob der Beklagte am Steuer eingeschlafen war, streitig: Zunächst hatte die Klägerin selbst vorgetragen, sie halte den im Ermittlungsverfahren angenommen Sekundenschlaf für spekulativ (Bl. 9 d. A.). Ihre spätere Behauptung, das Vorliegen eines Sekundenschlafs sei sehr wahrscheinlich (Bl. 157, 158, 198, 199 d. A.), hat der Beklagte ausdrücklich bestritten (Bl. 169, 170 d. A.). Auch im Rahmen seiner mündlichen Anhörung am 12. November 2019 hat er erklärt, er glaube nicht, eingeschlafen zu sein (Bl. 175 d. A.). Den Sekundenschlaf des Beklagten muss die Klägerin beweisen. Die Angaben des Zeugen Bi. legen diese Unfallursache nahe, die einzig denkbar mögliche ist es jedoch nicht (siehe oben unter Ziffer 2.).

Aber selbst wenn man mit der Klägerin einen Sekundenschlaf des Beklagten annähme, führte dies – anders als sie meint – nicht ohne Weiteres zur Bejahung grober Fahrlässigkeit. Objektiv dürfte der Beklagte dann zwar grob fahrlässig gehandelt haben. Denn der Bundesgerichtshof hat schon vor Jahren nach sachverständiger Beratung entschieden, nach dem Stand der ärztlichen Wissenschaft bestehe der Erfahrungssatz, dass ein Kraftfahrer, bevor er am Steuer seines Fahrzeugs während der Fahrt einschlafe (einnicke), stets deutliche Zeichen der Ermüdung (Übermüdung) an sich wahrnehme oder wenigstens wahrnehmen könne. Dies beruht auf der in den berufenen Fachkreisen gesicherten Kenntnis, dass ein gesunder, bislang hellwacher Mensch nicht plötzlich von einer Müdigkeit überfallen wird. [BGH, Beschluss vom 18. November 1969 – 4 StR 66/69 -, Leitsatz und Rn. 38; OLG Frankfurt/M., Urteil vom 26. Mai 1992 – 8 U 184/91 -; BayOLG, Urteil vom 18. August 2003 – 1 St RR 67/03 -; LG Wiesbaden, Beschluss vom 22. Juni 2015 – 1 Qs 61/15 -, Rn. 16; alle zitiert nach juris].

Für die Annahme eines grob fahrlässigen Verhaltens bedarf es aber auch der Feststellung eines in subjektiver Hinsicht nicht entschuldbaren Verstoßes gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt (siehe oben). Ein leichtes Einnicken (sog. Sekundenschlaf) begründet nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs deshalb nur dann den Vorwurf eines leichtfertigen Handelns, wenn sich der Fahrer bewusst über von ihm erkannte Anzeichen einer Übermüdung hinweggesetzt hat [BGH, Urteil vom 31. Februar 2007 – I ZR 166/04 -, MDR 2007, 1383; OLGR Rostock 2009, 115 (117); OLG Koblenz, Beschluss vom 8. Juni 2006 – 10 U 1161/05 -, zitiert nach juris; OLGR Düsseldorf 2000, 144; OLG Düsseldorf, Urteil vom 1. Oktober 2001 – 1 U 73/01 -, Orientierungssatz und Rn. 10, zitiert nach juris; OLG Koblenz, Urteil vom 12. Januar 2007 – 10 U 949/96 -, Orientierungssatz und Rn. 14 m. w. N., zitiert nach juris]. Dies muss positiv festgestellt werden. Denn die Regeln des Anscheinsbeweises gelten insoweit nicht [BGH, Urteil vom 21. März 2007 – I ZR 166/04 -, Leitsatz und Rn. 20 m. w. N.; OLG Stuttgart, Urteil vom 28. Juli 2005 – 7 U 51/05 -, Orientierungssatz und Rn. 3 und 4; OLG Celle, Urteil vom 3. Februar 2005 – 8 U 82/04 -, Rn. 6 m. w. N.; alle zitiert nach juris]. Im Falle des Abkommens von der Fahrbahn, dessen Gründe nicht geklärt sind, ist nicht stets ein grob fahrlässiges Verhalten anzunehmen [OLG Stuttgart, Urteil vom 28. Juli 2005 – 7 U 51/05 -, Orientierungssatz; Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 15. September 2009 – 4 U 375/08 -, Orientierungssatz und Rn. 57; beide zitiert nach juris]. Ein Sekundenschlaf kann „einfach fahrlässig“ nicht vorhergesehen worden sein [OLG Celle, Urteil vom 3. Februar 2005 – 8 U 82/04 -, Rn. 6 m. w. N.; zitiert nach juris], weil objektiv vorhandene Übermüdungserscheinungen häufig subjektiv nicht wahrgenommen werden [nach sachverständiger Beratung: Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 15. September 2009 – 4 U 375/08 -, Rn. 57; zitiert nach juris].

Vorliegend lässt sich nicht aufklären, ob der Beklagte objektive Übermüdungsanzeichen ignoriert oder sich bewusst hierüber hinweggesetzt hat. Er selbst bestreitet, überhaupt eingeschlafen zu sein. Ferner hat er erklärt, ca. 10 Minuten vor dem Unfall habe er sich noch mit seinem Beifahrer unterhalten gehabt, das Radio sei gelaufen und er sei es gewohnt gewesen, früh aufzustehen (Bl. 175 d. A.). Der einzige Beifahrer, der den Unfall überlebt hat, ist der Versicherungsnehmer der Klägerin; dieser hat ausweislich seiner Angaben gegenüber der Polizei am 14. April 2016 (Bl. 47 d. BA) hinter dem Beklagten gesessen und geschlafen. Deshalb ist auszuschließen, dass er Angaben zu dem subjektiven Empfinden des Beklagten zu seinen etwaigen Übermüdungserscheinungen machen kann. Unter diesen Umständen kann sich der Senat nicht die gemäß § 286 ZPO unter Ausschluss jeden vernünftigen Zweifels erforderliche Überzeugung bilden, der Beklagte habe den Unfall auch subjektiv grob fahrlässig verursacht, weil er unter Missachtung von objektiv vorhandenen Übermüdungserscheinungen eingeschlafen sei. Insoweit bleibt auch zu berücksichtigen, dass der Beklagte auf die Gegenfahrbahn geraten sein könnte, weil er infolge der Fahrbahnsenke sowohl die Lichter aus dem Gegenverkehr als auch die Rückleuchten der vorausfahrenden Fahrzeuge aus den Augen verloren haben und kurzzeitig orientierungslos gewesen sein könnte. Dies wäre gleichfalls nicht völlig unentschuldbar.

Anders als die Klägerin meint, spricht auch die Dauer des Sekundenschlafs vorliegend nicht für einen subjektiv unentschuldbaren Sorgfaltsverstoß. Denn die Strecke, die der Beklagte bis zur Kollision mit dem Lkw auf der Gegenspur zurückgelegt hat, war bei einer zweispurig ausgebauten Landstraße kurz. Der Beklagte hat lediglich eine Fahrbahnhälfte gekreuzt. Eine andere Bewertung des Grades des Fahrlässigkeitsvorwurfs ergibt sich auch nicht daraus, dass der Senat den Sachverhalt im Rahmen des § 110 SGB VII zu prüfen hat. Bei der Beurteilung eines Verhaltens als grob fahrlässig kommt es nach Auffassung des Senats nicht darauf an, innerhalb welcher Anspruchsgrundlage dies geschieht. Entscheidend ist vielmehr, wie das Verhalten nach den Anforderungen des jeweils maßgeblichen Verkehrs zu beurteilen ist. Hierzu hat der Senat die vorstehend zitierte Rechtsprechung zum Sekundenschlaf im Straßenverkehr umfassend ausgewertet und den streitgegenständlichen Sachverhalt unter Berücksichtigung der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze subsumiert. Dem steht die von der Klägerin zitierte Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 30. Januar 2001 – VI ZR 49/00 –, NJW 2001, 2092 – 2094 nicht entgegen. Denn hierbei handelt es sich um eine Einzelfallentscheidung zu Unfallverhütungsvorschriften, die mit dem streitgegenständlichen Fall in keiner Hinsicht vergleichbar sind.“

Anklage II: „Ne bis in idem?“, oder: Besitz von BtM und Angriff auf Vollstreckungsbeamte

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Bei der zweiten Entscheidung zum Thema „Anklage“ handelt es sich um dem OLG Celle, Beschl. v. 28.05.2020 – 2 Ss 42/20 – der mal wieder zur Frage „ne bis in idem“ beim Besitz von BtM Stellung nimmt. Grundlage ist folgender Sachverhalt:

„Das Amtsgericht Soltau hat den Angeklagten wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt.

Nach den dortigen Feststellungen sichteten die Polizeibeamten PP1 und PP2 den Angeklagten am 17.09.2019 gegen 9:45 Uhr auf dem Parkplatz des Rewe Marktes am Bahnhof 12-14 in Soltau. Sie hielten mit dem Funkstreifenwagen direkt vor ihm, um einen Haftbefehl wegen einer viermonatigen Freiheitsstrafe gegen ihn zu vollstrecken. Der Angeklagte, der zu diesem Zeitpunkt unter Betäubungsmitteleinfluss stand und von der Vollstreckung nichts wusste, ergriff sofort die Flucht, da er weitere Betäubungsmittel bei sich führte und die Ahndung der Tat fürchtete. Auf dem Fußweg zwischen dem Markt und dem Ärztehaus kam der Angeklagte ohne Fremdverschulden zu Fall, wodurch der Polizeibeamte PP1 den Angeklagten stellen und fixieren konnte. Der Angeklagte schrie und wehrte sich gegen das Festhalten am Boden, indem er mit den Armen nach dem Polizeibeamten schlug. Als der hinzukommende Polizeibeamte PP2 dem Angeklagten sodann Handfesseln anlegen wollte, sperrte sich dieser erneut und zappelte und trat mit den Füßen um sich, wobei er billigend in Kauf nahm, dass bei den Tritten die ihn fixierenden Polizeibeamten verletzt werden konnten. So erlitt der Polizeibeamte PP2 an der rechten Wade eine Schürfwunde, die sich leicht entzündete, und eine kleine Prellung.

Dieser Verurteilung war folgender Verfahrensablauf vorhergegangen:

Nachdem die Polizeibeamten PP2 und PP1 den Angeklagten am 17.09.2019 festgenommen und zur Dienststelle verbracht hatten, konnten sie im Rahmen der Durchsuchung seiner Person einen Grinder mit Marihuana, einen halben Joint, einen Klemmleistenbeutel mit 31 Tabletten (vermutlich Ecstasy), drei Strohhalme, eine Packung Groß-Blättchen und eine Dose mit Speed sicherstellen. Sie leiteten daraufhin ein gesondertes Verfahren wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz gegen ihn ein, das schließlich bei der Staatsanwaltschaft Lüneburg unter dem Geschäftszeichen 6106 Js 223/20 geführt wurde. PK PP2 vermerkte dies in seinem Bericht, der als Einstiegsbericht beiden Verfahrensakten vorgeheftet wurde.

Am 08.11.2019 erhob die Staatsanwaltschaft im hiesigen Verfahren Anklage zum Amtsgericht Soltau – Strafrichter. Am 17.12.2019 wurde die Anklage der Staatsanwaltschaft Lüneburg zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Auf Antrag des Verteidigers vom 30.12.2029 wurde der Hauptverhandlungstermin auf den 17.02.2020 verlegt.

In dem Verfahren 6106 Js 223/20 stellte die Staatsanwaltschaft Lüneburg am 28.01.2020 den Antrag auf Erlass eines Strafbefehls gegen den hiesigen Angeklagten. Er wurde beschuldigt, am 17.09.2019 in Soltau Betäubungsmittel besessen zu haben, ohne im Besitz einer schriftlichen Erlaubnis für den Erwerb zu sein. Konkret wurde ihm zur Last gelegt, in seiner Bekleidung für den Konsum neben Konsumutensilien ca. 0,5g Marihuana, einen halben angerauchten Joint, einen Plastikbeutel mit 31 Ecstasy-Tabletten „DomPerignon“ und eine Dose mit ca. 1,1g Amphetaminen bei sich geführt zu haben.

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft erließ das Amtsgericht Soltau unter dem 04.02.2020 den Strafbefehl und verhängte eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 10,- € gegen den Angeklagten. Der Strafbefehl mit dem Geschäftszeichen 9 Cs 6106 Js 223/20 (68/20) wurde dem Angeklagten am 06.02.2020 in der Justizvollzugsanstalt Uelzen durch Gefangenenzustellungsurkunde zugestellt. Durch Telefax vom 16.02.2020 erklärte der Verteidiger in Vollmacht des Angeklagten gegenüber dem Amtsgericht Soltau den Verzicht auf die Einlegung sämtlicher Rechtsmittel gegen den Strafbefehl. Am 17.02.2020 bescheinigte das Amtsgericht Soltau die Rechtskraft des Strafbefehls ab dem 17.02.2020.

Am selben Tag erging das angefochtene Urteil, gegen das sich der Angeklagte mit dem Rechtsmittel der Sprungrevision wendet, mit dem er die Verletzung materiellen Rechts rügt. Er rügt das Vorliegen eines Strafklageverbrauchs, mithin eines Verfahrenshindernisses, und beantragt, das Urteil vom 17.02.2020 aufzuheben und das Verfahren gemäß § 206a StPO einzustellen.“

Das OLG hat das Verfahren wegen des Angriffs auf Vollstreckungsbeamte eingestellt:

1. Es besteht das Verfahrenshindernis der entgegenstehenden Rechtshängigkeit und inzwischen eingetretenen Rechtskraft des unter dem 04.02.2020 erlassenen Strafbefehls. Dieser Strafbefehl wurde am Tag der Verkündung des angefochtenen Urteils rechtskräftig, nachdem der Verteidiger für den Angeklagten den Rechtsmittelverzicht erklärt hatte. Die entgegenstehende Rechtshängigkeit und Rechtskraft stellt ein Verfahrenshindernis dar, das bereits vor Erlass des angefochtenen Urteils eingetreten ist (,,ne bis in idem“).

Der Strafbefehl vom 04.02.2020 betrifft nämlich dieselbe Tat im Sinne des § 264 StPO wie das angefochtene Urteil.

Zur Tat im prozessualen Sinne gehört das gesamte Verhalten des Täters, soweit es nach natürlicher Auffassung einen einheitlichen Lebensvorgang darstellt, dessen Aburteilung zur Aufspaltung eines zusammengehörenden Geschehens führen würde. Eine einheitliche Handlung i.S.d. § 52 StGB stellt hierbei stets eine einheitliche prozessuale Tat dar (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 264 Rn. 1, 2, 6 m.w.N.).

Beim zeitgleichen Zusammentreffen zwischen unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln und anderen Straftaten und/oder Ordnungswidrigkeiten ist materiell-rechtlich nur dann von einer Tat auszugehen, wenn ein innerer Beziehungs- bzw. Bedingungszusammenhang zwischen den Taten besteht (vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 15.09.2017 — 1 OLG 2 Ss 55/17 ; BVerfG, Beschluss vom 16.03.2006 – 2 BvR 111/06; BGH NStZ 2004, 694; Patzak in Körner BtMG, 8. Aufl., § 29 Rn. 112; MüKo StGB/OglakcroOlu, 3. Aufl., BtMG § 29 Rn 107; Weber, BtMG, 5. Aufl., Vorbem. Zu §§ 29 ff. Rn. 52). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die zur Verwirklichung des einen Tatbestandes beitragende Handlung zugleich der Begründung oder Aufrechterhaltung des durch das Dauerdelikt geschaffenen rechtswidrigen Zustandes dient (vgl. OLG Zweibrücken, a.a.O.; BGHSt 18, 29, 31; Weber ). Straftaten, die demgegenüber nur gelegentlich eines Dauerdelikts begangen werden, stehen mit diesem in Realkonkurrenz; eine bloße Gleichzeitigkeit der Handlungen genügt für die Annahme von Tateinheit nicht (vgl. Weber, BtMG, a.a.O., Vorbem. zu §§ 29 ff., Rn. 546 f., dort u.a. zum Verhältnis von unerlaubtem Besitz und Ladendiebstahl).

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts im angefochtenen Urteil hatte der Angeklagte keine Kenntnis von der Absicht der Polizeibeamten, einen bestehenden Haftbefehl gegen ihn zu vollstrecken. Vielmehr ergriff der Angeklagte die Flucht, weil er Betäubungsmittel bei sich führte und die Ahndung der Tat fürchtete. Dabei ist zwanglos davon auszugehen, dass er sich überdies im Besitz der mitgeführten Betäubungsmittel halten wollte. Im Rahmen seiner Flucht kam es dann nach den amtsgerichtlichen Feststellungen zu den Widerstands- und Verletzungshandlungen.

Aus den Feststellungen des Amtsgerichts ergibt sich somit der erforderliche innere Zusammenhang zwischen dem Besitz von Betäubungsmitteln und der Körperverletzungshandlung bzw. dem tätlichen Angriff auf die Polizeibeamten. Beide Delikte stehen nicht nur in einem engen zeitlichen und örtlichen Zusammenhang, sondern darüber hinaus in einem inneren Beziehungs- und Bedingungszusammenhang. Es liegt nicht nur eine Tat im prozessualen Sinne, sondern sogar Tateinheit gemäß § 52 StGB vor.“

Rückforderung eines Vorschusses auf Taxikosten, oder: Haben die beim OLG eigentlich nichts anderes zu tun?

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Die zweite RVG-Entscheidung kommt vom OLG Celle. Das hat im OLG Celle, Beschl. v. 14.05.2020 – 4 StS 2/20 – über die Rückforderung eines einem Pflichtverteidiger gewährten Vorschusses entschieden.

Der Pflichtverteidiger verteidigt in einem beim OLG anhängigen Strafverfahren mit dem Vorwurf der Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung u.a. In diesem hatte der OLG-Senat mit Beschluss vom 20.11.2019 auf eine Erinnerung des Pflichtverteidigers gegen die Ablehnung der Zahlung eines Vorschusses in Höhe von 5,60 EUR für Aufwendungen für eine Taxifahrt vom Hotel „XXX“ in Celle zum Gerichtsgebäude entschieden, dass solche Taxikosten nicht erstattungsfähig seien, weil die Strecke von etwa 800 m Fußweg, der auf angelegten, breiten Wegen ohne Hindernisse und durch den Schlossgarten abseits des Durchgangsverkehrs führt, leichthin zu Fuß zurückgelegt werden könne und es zumutbar sei, diesen Weg zu laufen. Die Kostenbeamtin des OLG hat daraufhin im Rahmen früherer Vorschusszahlungen bereits berücksichtigte Taxikosten in Höhe von insgesamt 222,– EUR von einer weiteren Vorschusszahlung in Abzug gebracht.

Hiergegen wendet sich der Pflichtverteidiger dann mit einer Erinnerung gemäß § 56 RVG. Er macht geltend, wegen eines Fersensporns und einer akuten Lumbalgie sei er im betreffenden Zeitraum letztlich „nahezu vollständig bewegungsunfähig“ gewesen. Die Taxifahrten seien durchgeführt worden, wenn und weil „die individuelle Beschwerdesituation unerträglich“ für ihn gewesen sei. Mit seiner Erinnerung hat er diverse Unterlagen, namentlich ärztliche Verordnungen physiotherapeutischer Behandlungen („manuelle Therapie“) und Rechnungen über durchgeführte derartige physiotherapeutische Behandlungen vorgelegt. Die Erinnerung hatte keinen Erfolg:

„a) Die Kostenbeamtin hat zu Recht eine Erstattungsfähigkeit der streitgegenständlichen Taxikosten verneint und daher eine weitere Vorschusszahlung um die im Rahmen früherer Vorschusszahlungen zu Unrecht erstatteten Taxikosten gekürzt. Bei diesen Taxikosten handelt es sich auch unter Berücksichtigung des Vorbringens von Rechtsanwalt … zu eigenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht um angemessene Fahrtkosten im Sinne von VV RVG Nr. 7004.

Die Rückforderung des zu Unrecht gezahlten Vorschusses war statthaft und geboten, um eine Belastung der Staatskasse und – im Verurteilungsfalle – des Angeklagten mit nicht gerechtfertigten Kosten zu verhindern (vgl. allg. zur Statthaftigkeit einer Rückforderung Ebert, in: Mayer/Kroiß, RVG, 7. Aufl. 2018, § 47 Rn. 14 ff.; Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, 24. Aufl. 2019, § 47 Rn. 10). Mit dieser Rückforderung brauchte die Kostenbeamtin nicht bis zur Festsetzung der Pflichtverteidigervergütung nach Verfahrensabschluss zu warten. Vielmehr kann eine berechtigte Rückforderung eines zu Unrecht gezahlten Vorschusses auch durch eine entsprechende Kürzung einer weiteren Vorschusszahlung bewirkt werden.

b) Der Senat hält zunächst einmal an seiner Bewertung in der Entscheidung vom 20. November 2019 fest, dass generell den Verteidigern, die im Hotel „XXX“ in Celle logieren, ohne Weiteres abverlangt werden kann, den kurzen und schönen Fußweg vom Hotel zum Gerichtsgebäude am Schlossplatz in Celle zu Fuß zurückzulegen, und zwar unabhängig von der jeweiligen Witterung.

c) Zwar zeigen die von Rechtsanwalt … vorgelegten Unterlagen, dass er im Jahr 2019 unter einer „ansatztendinosen Plantaraponeurose“ (Februar 2019) beziehungsweise „Lumbalgie“ (August 2019) litt und ihm daher jeweils eine physiotherapeutische Behandlung („manuelle Therapie“) verordnet wurde.

Doch lässt sich den Unterlagen nicht in Ansätzen der geltend gemachte Schweregrad der Beeinträchtigungen („letztendlich nahezu vollständige Bewegungsunfähigkeit‘“) entnehmen. Vielmehr spricht schon die ärztliche Therapieempfehlung („manuelle Therapie“) gegen eine derartige Massivität der Beeinträchtigung. Die Unterlagen zeigen – womit die Beschwerden von Rechtsanwalt … nicht marginalisiert werden sollen – kein Krankheitsbild auf, das der Bewältigung einer kurzen Fußstrecke entgegenstünde. Ganz im Gegenteil ist leichte (Fort-)Bewegung bei den – mit der im Februar 2019 diagnostizierten „Plantaraneurose“ in keinem erkennbaren Zusammenhang stehenden – Rückenschmerzen, unter denen Rechtsanwalt … im August 2019 litt, bekanntermaßen geradezu indiziert, um das lange Sitzen an Hauptverhandlungstagen zu kompensieren.

Hinzu kommt, dass der Senat weder im Gerichtssaal noch im Umfeld des Gerichtsgebäudes massive Bewegungseinschränkungen von Rechtsanwalt … wahrgenommen hat. Bei den geltend gemachten Beeinträchtigungen wäre zu erwarten gewesen, dass Rechtsanwalt … während der Mittagspausen im Gerichtsgebäude verblieben wäre, möglicherweise sogar um eine Liegemöglichkeit im Sanitätsraum gebeten hätte. Das aber war – wie Erkundigungen des Senats ergeben haben – nicht der Fall. Vielmehr begab sich auch Rechtsanwalt … – wie alle anderen Verteidiger – in den Mittagspausen regelmäßig in die Celler Altstadt und legte damit Strecken fußläufig zurück, die nicht wesentlich kürzer waren als der Fußweg zwischen Hotel und Gericht.

Gegen die vorgetragenen massiven Bewegungseinschränkungen spricht auch, dass Rechtsanwalt … – von zwei Hauptverhandlungstagen abgesehen – ausweislich der geltend gemachten Taxikosten jeweils nur die Fahrt vom Hotel zum Gericht, nicht aber die Rückfahrt vom Gericht zum Hotel mit einem Taxi zurückgelegt hat. Es ist nicht ersichtlich, warum der Hinweg nicht zu Fuß zu bewältigen gewesen sein sollte, wohl aber der identische Rückweg.

Zudem betreffen die streitgegenständlichen Taxikosten Taxifahrten ab Mai 2018, während ausweislich der vorgelegten medizinischen Unterlagen Rechtsanwalt … (erst) im Februar 2019 eine physiotherapeutische Behandlung wegen einer „ansatztendinosen Plantaraponeurose“ verschrieben wurde. Zeitlich vor 2019 liegende (massive) körperliche Beeinträchtigungen ergeben sich jedenfalls aus den vorgelegten Unterlagen nicht.

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass Rechtsanwalt … zur Begründung seiner Erinnerung vom 4. November 2019 gegen die Absetzung von Taxikosten, die der Senat mit Beschluss vom 20. November 2019 zurückgewiesen hat, ausschließlich darauf abgehoben hat, er könne wegen der zum Gerichtstermin mitzuführenden Unterlagen nicht darauf verwiesen werden, die Strecke zu Fuß zurückzulegen. Es wäre jedoch zu erwarten gewesen, dass er schon damals auf massive gesundheitliche Beschwerden („nahezu vollständige Bewegungsunfähigkeit‘“) hingewiesen hätte, wenn tatsächlich – wie mit der Erinnerung vom 6. Mai 2020 vorgebracht wird – Taxifahrten nur durchgeführt worden wären, weil und wenn „die individuelle Beschwerdesituation für den Unterzeichner unerträglich war“.

Dazu dann meine demnächst im RVGreport und StRR erscheinende Anmerkung:

1. Eine m.E. für ein OLG unwürdige Entscheidung. Da streitet man sich in einem beim OLG (!) anhängigen erstinstanzlichen Verfahrens wegen Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung u.a. mit offenbar mehreren Verteidigern mit einem Pflichtverteidiger über Taxikosten in Höhe von rund 225 €. Man fragt sich, was das angesichts der durch das Verfahren sicherlich bereits entstandenen und noch entstehenden Kosten soll? Dass diese einen erheblichen Umfang erreichen werden, kann man unterstellen. Rund 40 Hauptverhandlungstage (222 : 5,60 €) waren ja offenbar schon durchgeführt worden. Weitere werden wahrscheinlich folgen. Und da muss man sich dann um einen solchen „Fliegenschiss“ streiten. Wenn Kostenbeamte und auch OLG-Senate nichts anderes zu tun haben, dürfte es mit der viel beklagten Belastung der Gerichte nicht so weit her sein.

2. Dieses Unbehagen/diese Kritik ist m.E. unabhängig davon, ob der Verteidiger hier die Taxikosten zu recht geltend gemacht hat. Mir erschließt sich im Übrigen aber auch nicht, warum die Frage von der Einschätzung des Kostenbeamten und des Senats abhängt. Allerdings scheint man beim OLG Celle ja über profunde medizinische Kenntnisse zu verfügen. Denn sonst könnte man dem Verteidiger nicht entgegen halten: „Ganz im Gegenteil ist leichte (Fort-)Bewegung bei den – mit der im Februar 2019 diagnostizierten „Plantaraneurose“ in keinem erkennbaren Zusammenhang stehenden – Rückenschmerzen, unter denen Rechtsanwalt …. im August 2019 gelitten hat, bekanntermaßen geradezu indiziert, um das lange Sitzen an Hauptverhandlungstagen zu kompensieren.“ Dieser „Vorhalt“ ist in meinen Augen genauso unangebracht wie die „Erhebungen“ des Senats zur Frage der Bewältigung des Weges in die Mittagspause oder das Nichtinanspruchnehmen des Sanitätsraums. Und neben der Sache liegt m.E. auch der Hinweis auf den „ … schönen Fußweg vom Hotel zum Gerichtsgebäude am Schlossplatz in Celle“. Das ist eine Einschätzung des Senats bzw. der Senatsmitglieder, die m.E. für die zu entscheidende Frage ohne jede Bedeutung ist. Oder will man damit ausdrücken, dass die Taxikosten bei einem „nicht so schönen“ Fußweg – was ist eigentlich ein „schöner Fußweg“? – erstattet worden wären? Wie gesagt: Wenn der Senat nichts anderes zu tun hat.“

Berufung III: Strafgewalt der Berufungskammer, oder: Mehr als vier Jahre gehen nicht

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Und als dritte Entscheidung des Tages dann noch der OLG Celle, Beschl. v. 18.07.2017 – 1 Ss 32/17. Der hatte sich in meinem Blogordner bisher versteckt 🙂 . Er behandelt eine Strafzumessungsproblematik aus dem Berufungsverfahren.

Das AG hatte den Angeklagten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die dagegen eingelegte Berufung des Angeklagten hat das Landgerichts mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass der Angeklagte unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus einem Urteil des Landgerichts Aurich  und Auflösung der dort gebildeten Gesamtstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und zwei Monaten verurteilt wird.

Das geht so nicht, sagt das OLG Celle und hebt auf:

„2. Die Aufhebung des Urteils im Fall 2 bedingt die Aufhebung auch des Gesamtstrafenausspruchs. Dieser hätte allerdings aus den nachfolgend dargelegten Gründen ohnehin keinen Bestand haben können.

Zwar war ausweislich der im Urteil getroffenen Feststellungen zu den Vorverurteilungen des Angeklagten und des mitgeteilten Vollstreckungsstandes der Vorverurteilungen die von der Strafkammer – abweichend vom ursprünglichen Urteil des Amtsgerichts Stadthagen – vorgenommene Gesamtstrafenbildung unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Berufungsurteil des Landgerichts Aurich vom 10. November 2016 grundsätzlich geboten, da im Zeitpunkt der Entscheidung des Landgerichts Bückeburg eine Gesamtstrafenlage gegeben war.

Indes hat die kleine Strafkammer mit der vorgenommenen Verhängung einer Gesamtstrafe von vier Jahren und zwei Monaten ihre Strafgewalt überschritten. Die Strafgewalt des Berufungsrichters reicht nicht über die des Amtsrichters hinaus; sie ist nach oben hin gemäß § 24 Abs. 2 GVG begrenzt auf vier Jahre Freiheitsstrafe. Dies gilt auch im Falle einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung, also in der hier vorliegenden Fallkonstellation (vgl. OLG Jena, Beschluss vom 8. März 2016 – 1 OLG 171 Ss 5/16, BeckRS 2016, 17321; OLG Jena, Beschluss vom 8. Januar 2003 – 1 Ss 280/02, NStZ-RR 2003, 139; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl. 2017, § 328 Rn. 9, § 24 GVG Rn. 11).

Weil das Berufungsgericht vorliegend eine (nachträgliche) Gesamtfreiheitsstrafe von mehr als vier Jahren für schuldangemessen erachtet hat, hätte es in Ermangelung hinreichender eigener Strafgewalt von der eigentlich nach § 55 StGB zwingenden nachträglichen Gesamtstrafenbildung absehen müssen. Statthaft und angezeigt ist es in einem solchen Fall einer nicht ausreichenden Strafgewalt des Berufungsgerichts aufgrund einer nach Ergehen des erstinstanzlichen Urteils erforderlich gewordenen nachträglichen Gesamtstrafenbildung, dass das Berufungsgericht lediglich für die Tat(en) eine (Gesamt-)Freiheitsstrafe festsetzt, die Gegenstand der Verurteilung durch das mit der Berufung angefochtene amtsgerichtliche Urteil war(en), und die nachträgliche Gesamtstrafenbildung in diesem Fall dem Beschlussverfahren nach § 460 StPO überlässt (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Juni 1989 – 4 StR 236/89, NStZ 1990, 29; BGH, Urteil vom 30. Oktober 1986 – 4 StR 368/86, BGHSt 34, 204 [206]; OLG Jena, Beschluss vom 8. März 2016 – 1 OLG 171 Ss 5/16, BeckRS 2016, 17321; OLG Jena, Beschluss vom 8. Januar 2003 – 1 Ss 280/02, NStZ-RR 2003, 139; KK-StPO/Appl, 7. Aufl. 2013, § 460 Rn. 6; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl. 2017, § 328 Rn. 12, § 460 Rn. 2). Für die Beschlussentscheidung nach § 460 StPO ist in einem solchen Fall gemäß § 462a Abs. 3 Satz 4 StPO eine große Strafkammer des Landgerichts zuständig (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl. 2017, § 462a Rn. 28).

Sollte die zur neuen Verhandlung und Entscheidung berufene Strafkammer wiederum zu dem Ergebnis kommen, dass die Verhängung einer vier Jahre übersteigenden Gesamtfreiheitsstrafe geboten ist, wird sie wie vorstehend skizziert zu verfahren haben.“