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StPO I: Wenn man im Strafbefehl die Strafe vergisst, oder: Neuer Strafbefehl ist unzulässig

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Heute stelle ich dann StPO-Entscheidungen vor, alle drei haben Fragen in Zusammenhang mit dem Strafbefehl zum Gegenstand.

Zum Auftakt hier zunächst der LG Karlsruhe, Beschl. v. 25.07.2022 – 16 Qs 55/22 – zu einer Frage, die in der Praxis immer wieder von Bedeutung ist. Nämlich die Frage nach der (Un)Zulässigkeit der nachträglichen Ergänzung eines Strafbefehls, durch den einen (Geld)Strafe nicht festgesetzt worden ist.

Das AG hat auf Antrag der Staatsanwaltschaft wegen einer Trunkenheitsfahrt gegen den Angeklagten am 05.04.2022 einen Strafbefehl erlassen, der am 16.04.2022 zugestellt worden ist. Der Strafbefehl enthielt in der Rechtsfolge lediglich den Ausspruch über die Entziehung der Fahrerlaubnis und die Sperrfrist. Das AG vermerkte am 03.05.2022 die Rechtskraft des ursprünglichen Strafbefehls.

Im Vollstreckungsverfahren bemerkt die Staatsanwaltschaft dann, dass die Geldstrafe fehlt und beantragt durch (deklaratorischen) Beschluss festzustellen, dass der Strafbefehl vom 05.04.2022 unwirksam ist und einenum eine Geldstrafe ergänzten Strafbefehl zu erlassen.

Das lehnt das AG ab. Die dagegen gerichtete Beschwerde hatte beim LG keinen Erfolg. Das führt (umfangreich) aus:

„2. Die sofortige Beschwerde ist indes unbegründet. Das Amtsgericht Pforzheim hat den Erlass des Strafbefehls nach § 408 Abs. 2 Satz 1 StPO zu Recht abgelehnt.

Dem Erlass des beantragten Strafbefehls steht ein von Amts wegen zu beachtender Strafklageverbrauch im Sinne von Art. 103 Abs. 3 GG entgegen (ne bis in idem). Der ursprüngliche Strafbefehl war wirksam und ist nach Ablauf der Einspruchsfrist in Rechtskraft erwachsen.

Der Tatbestand des Art. 103 Abs. 3 GG ist hier maßgebliche Entscheidungsgrundlage des Gerichts (unter a). Der weitere beantragte Strafbefehl bezieht sich auf dieselbe Tat wie der vom Amtsgericht Pforzheim ursprünglich erlassene Strafbefehl (unter b). Der ursprüngliche Strafbefehl ist aufgrund der allgemeinen Strafgesetze ergangen (unter c). Der Angeschuldigte ist durch den ursprünglichen Strafbefehl bereits wegen derselben Tat strafrechtlich verfolgt worden (unter d).

a) Der Tatbestand des Art. 103 Abs. 3 GG ist auch für das Strafbefehlsverfahren maßgeblich, um zu bestimmen, ob ein Strafklageverbrauch anzunehmen ist.

…….

b) Der weitere beantragte Strafbefehl bezieht sich auf dieselbe Tat, auf die sich der ursprüngliche Strafbefehl bezogen hatte.

Die für die Bestimmung der Rechtskraft maßgebliche Frage, ob es sich um „dieselbe Tat“ handelt, ist entlang des strafprozessrechtlichen Tatbegriffs der §§ 155 Abs. 1, 264 StPO zu bestimmen. Im Strafbefehlsverfahren sichert § 409 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StPO eine hinreichende Konkretisierung der strafprozessualen Tat ab. Von derselben Tat ist auszugehen, wenn mehrere Vorgänge derart eng miteinander verknüpft sind, dass ihre getrennte Würdigung in verschiedenen Verfahren als unnatürliche Aufspaltung eines einheitlichen Lebensvorganges erscheinen würde (BGHSt 41, 385 (388); BGHSt 43, 252 (255)). Der dem Angeschuldigten in beiden Strafbefehlen zur Last gelegte Lebensvorgang ist identisch, sodass es sich unproblematisch um dieselbe Tat handelt.

c) Es handelt sich bei dem ursprünglichen Strafbefehl um eine Sanktion aufgrund der allgemeinen Strafgesetze. Darunter fällt das gesamte Kern- und Nebenstrafrecht (BVerfGE 27, 180 (185)). Ausgeschlossen werden sollen Sanktionen des Ordnungswidrigkeitenrechts (BVerfGE 21, 391 (401)), des Berufsstrafrechts (BVerfGE 66, 337 (357)) und des Disziplinarrechts (BVerfGE 27, 180 (184 ff.)). Jedenfalls nach diesen Maßstäben ist der Strafbefehl aufgrund der allgemeinen Strafgesetze ergangen.

d) Der Angeschuldigte ist bereits wegen derselben Tat strafrechtlich verfolgt worden.

Dem steht nicht entgegen, dass das ursprüngliche Strafverfahren nur mit der gegenständlichen Maßregel der Besserung und Sicherung endete (unter aa). Eine strafrechtliche Verfolgung i.S.d. Art. 103 Abs. 3 GG ausschließende Verfahrensfehler hafteten dem Strafbefehlsverfahren nicht an (unter bb).

aa) Der Rechtskraft steht nicht entgegen, dass die letztlich verhängte Rechtsfolge im ursprünglichen Strafbefehl keine Strafe im engeren Sinn beinhaltet:

(i) Als Strafe im Sinne des Art. 103 Abs. 2 GG ist jede staatliche Maßnahme anzusehen, die eine missbilligende hoheitliche Reaktion auf ein schuldhaftes Verhalten darstellt (BVerfGE 128, 326 (392 f.); BVerfGE 26, 186 (204)). Dies soll aber auf Maßregeln der Besserung und Sicherung nicht zutreffen, welche in erster Linie die Individualprävention durch Einwirkung auf den Täter bezwecken (BVerfGE 109, 133 (187)).

Zutreffend weist die Staatsanwaltschaft darauf hin, dass die im ursprünglich erlassenen Strafbefehl verhängte Rechtsfolge der entzogenen Fahrerlaubnis nach § 69 StGB nebst Sperre für eine erneute Erteilung nach § 69a StGB keine Strafe im Sinne einer missbilligenden hoheitlichen Reaktion auf ein schuldhaftes Verhalten sei. Es handelt sich um eine Maßregel der Besserung und Sicherung sowie eine Nebenmaßnahme hierzu (vgl. BGHSt 50, 93; MüKoStGB/v. Heintschel-Heinegg/Huber, 4. Aufl. 2020, StGB § 69a Rn. 1). Hierdurch verhängte Rechtsfolgen haben präventiven Charakter und dienen der Sicherung der Allgemeinheit vor den Gefahren, die sich aus der Teilnahme von ungeeigneten Kraftfahrern am Straßenverkehr ergeben (MüKoStGB/v. Heintschel-Heinegg/Huber a.a.O.). Dies unterscheidet die verhängte Rechtsfolge etwa von einem befristeten Fahrverbot nach § 44 Abs.1 StGB, das als Nebenstrafe einzuordnen ist (vgl. BT-Drs. IV/651, dort S. 13).

Art. 103 Abs. 3 GG erfasst indes nicht nur eine erneute Bestrafung im engeren Sinne wegen derselben Tat, sondern jede erneute Verfolgung derselben Tat; bereits die erneute Einleitung eines Strafverfahrens ist ausgeschlossen (BVerfGE 12, 62 (66); BGHSt 5, 323 (328 ff.)). Entscheidend ist, ob durch die Entscheidung ein Mindestmaß an sachlicher Klärung hinsichtlich des staatlichen Strafanspruchs durch das Gericht erfolgt ist (BVerfGE 65, 377 (383 f.); BVerfGE 3, 248 (253 f.)).

Die Vorschrift des Art. 103 Abs. 3 GG enthält indes kein umfassendes Verbot, aus Anlass eines Sachverhalts verschiedene Sanktionen zu verhängen, sondern verbietet nur die wiederholte strafrechtliche Ahndung ein und derselben Tat. (BVerfG NStZ-RR 1996, 122 (123); BVerfGE 21, 391 (400)).

(ii) Auch wenn der ursprüngliche Strafbefehl eine Rechtsfolge ohne Strafe im engeren Sinne enthält, ist die wiederholte Verfolgung in einem Strafverfahren vom Schutzbereich des Art. 103 Abs. 3 GG erfasst. Die von der Rechtsprechung anerkannten Fälle, in denen der Anwendungsbereich von Art. 103 Abs. 3 GG als nicht eröffnet angesehen wird, betreffen Sachverhalte, in denen nach oder neben einer Strafe zusätzlich eine Maßregel der Besserung und Sicherung verhängt wurde. Dies betrifft etwa den Führerscheinentzug nach einer rechtskräftigen Strafe oder die nachträgliche Sicherungsverwahrung.

Im vorliegenden Fall verhält es sich aber genau umgekehrt. Vorliegend endete das Strafverfahren durch den ursprünglichen Strafbefehl mit einer Maßregel der Besserung und Sicherung, der jetzt eine Strafe folgen soll. Die vorliegende Fallgestaltung fällt daher in den Schutzbereich von Art. 103 Abs. 3 GG.

bb) Ein die strafrechtliche Verfolgung i.S.d. Art. 103 Abs. 3 GG ausschließender Verfahrensfehler haftet dem Strafbefehlsverfahren nicht an. Im Gegenteil wäre auch eine im ursprünglichen Strafbefehl tatsächlich beabsichtige Beschränkung der Rechtsfolge auf den enthaltenen Führerscheinentzug nebst Fahrerlaubnissperre rechtmäßig gewesen:

(i) Anders als die Staatsanwaltschaft meint, handelt es sich vorliegend nicht um die Fallgruppe unwirksamer Strafbefehle wegen einer versehentlich überhaupt nicht festgesetzten Rechtsfolge (für die Unwirksamkeit in diesen Fällen OLG Düsseldorf, Beschl. v. 30.03.1984 – 2 Ss 109/84 – 47/84 III; KK-StPO/Maur StPO § 409 Rn. 24; HK-GS/Jan Andrejtschitsch, 5. Aufl. 2022, StPO § 409 BeckOK StPO/Temming, 43. Ed. 01.04.2022, StPO § 409 Rn. 7; dagegen auch dort mit bejahtem Strafklageverbrauch Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl. 2022, § 409 Rn. 7).

§ 407 Abs. 1 Satz 3 StPO verlangt lediglich, dass der Strafbefehl „eine bestimmte Rechtsfolge“ vorsehe. § 407 Abs. 2 StPO sieht vor, dass die zulässigen Rechtsfolgen „allein oder nebeneinander“ festzusetzen sind. Der Wortlaut zu den zulässigen Rechtsfolgen sieht somit bereits vor, dass ein Strafbefehl „allein“ eine Entziehung der Fahrerlaubnis mit einer Sperre von nicht mehr als zwei Jahren festsetzt (Nr. 2). Auch § 409 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 StPO verlangt in einem Strafbefehl nur die „Festsetzung der Rechtsfolgen“, nicht jedoch, dass die Rechtsfolgen auch Strafen im engeren Sinne sein müssen und ansonsten der Strafbefehl unwirksam wäre. Im Gegenteil bezieht sich der dritte Abschnitt des StGB bei den „Rechtsfolgen der Tat“ auf die in diesem Abschnitt in §§ 38 bis 76 a StGB (das heißt einschließlich des Führerscheinentzugs nebst Sperre) aufgeführten Rechtsfolgen.

Selbst das alleinige Absehen von Strafe in § 407 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO ließe sich durchaus als Rechtsfolge qualifizieren. In der Folge wäre der Strafbefehl selbst ohne jede weitere Rechtsfolge wirksam (in diesem Sinne BayObLG 9.12.1965 – RReg. 4b St 79/65; MüKoStPO/Eckstein, 1. Aufl. 2019, StPO § 409 Rn. 19; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl. 2022, § 409 Rn. 7).

(ii) Ebenfalls anders als die Staatsanwaltschaft meint, handelt es sich im Übrigen auch nicht um die Fallgruppe einer originär unzulässigen Rechtsfolge, bei welcher nach teilweiser Ansicht der Strafbefehl ebenfalls als unwirksam anzusehen ist (HK-GS/Jan Andrejtschitsch, 5. Aufl. 2022, StPO § 409 Rn. 9; KK-StPO/Maur StPO § 409 Rn. 25).

……“

Anklage II: „Ne bis in idem?“, oder: Besitz von BtM und Angriff auf Vollstreckungsbeamte

entnommen openclipart

Bei der zweiten Entscheidung zum Thema „Anklage“ handelt es sich um dem OLG Celle, Beschl. v. 28.05.2020 – 2 Ss 42/20 – der mal wieder zur Frage „ne bis in idem“ beim Besitz von BtM Stellung nimmt. Grundlage ist folgender Sachverhalt:

„Das Amtsgericht Soltau hat den Angeklagten wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt.

Nach den dortigen Feststellungen sichteten die Polizeibeamten PP1 und PP2 den Angeklagten am 17.09.2019 gegen 9:45 Uhr auf dem Parkplatz des Rewe Marktes am Bahnhof 12-14 in Soltau. Sie hielten mit dem Funkstreifenwagen direkt vor ihm, um einen Haftbefehl wegen einer viermonatigen Freiheitsstrafe gegen ihn zu vollstrecken. Der Angeklagte, der zu diesem Zeitpunkt unter Betäubungsmitteleinfluss stand und von der Vollstreckung nichts wusste, ergriff sofort die Flucht, da er weitere Betäubungsmittel bei sich führte und die Ahndung der Tat fürchtete. Auf dem Fußweg zwischen dem Markt und dem Ärztehaus kam der Angeklagte ohne Fremdverschulden zu Fall, wodurch der Polizeibeamte PP1 den Angeklagten stellen und fixieren konnte. Der Angeklagte schrie und wehrte sich gegen das Festhalten am Boden, indem er mit den Armen nach dem Polizeibeamten schlug. Als der hinzukommende Polizeibeamte PP2 dem Angeklagten sodann Handfesseln anlegen wollte, sperrte sich dieser erneut und zappelte und trat mit den Füßen um sich, wobei er billigend in Kauf nahm, dass bei den Tritten die ihn fixierenden Polizeibeamten verletzt werden konnten. So erlitt der Polizeibeamte PP2 an der rechten Wade eine Schürfwunde, die sich leicht entzündete, und eine kleine Prellung.

Dieser Verurteilung war folgender Verfahrensablauf vorhergegangen:

Nachdem die Polizeibeamten PP2 und PP1 den Angeklagten am 17.09.2019 festgenommen und zur Dienststelle verbracht hatten, konnten sie im Rahmen der Durchsuchung seiner Person einen Grinder mit Marihuana, einen halben Joint, einen Klemmleistenbeutel mit 31 Tabletten (vermutlich Ecstasy), drei Strohhalme, eine Packung Groß-Blättchen und eine Dose mit Speed sicherstellen. Sie leiteten daraufhin ein gesondertes Verfahren wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz gegen ihn ein, das schließlich bei der Staatsanwaltschaft Lüneburg unter dem Geschäftszeichen 6106 Js 223/20 geführt wurde. PK PP2 vermerkte dies in seinem Bericht, der als Einstiegsbericht beiden Verfahrensakten vorgeheftet wurde.

Am 08.11.2019 erhob die Staatsanwaltschaft im hiesigen Verfahren Anklage zum Amtsgericht Soltau – Strafrichter. Am 17.12.2019 wurde die Anklage der Staatsanwaltschaft Lüneburg zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Auf Antrag des Verteidigers vom 30.12.2029 wurde der Hauptverhandlungstermin auf den 17.02.2020 verlegt.

In dem Verfahren 6106 Js 223/20 stellte die Staatsanwaltschaft Lüneburg am 28.01.2020 den Antrag auf Erlass eines Strafbefehls gegen den hiesigen Angeklagten. Er wurde beschuldigt, am 17.09.2019 in Soltau Betäubungsmittel besessen zu haben, ohne im Besitz einer schriftlichen Erlaubnis für den Erwerb zu sein. Konkret wurde ihm zur Last gelegt, in seiner Bekleidung für den Konsum neben Konsumutensilien ca. 0,5g Marihuana, einen halben angerauchten Joint, einen Plastikbeutel mit 31 Ecstasy-Tabletten „DomPerignon“ und eine Dose mit ca. 1,1g Amphetaminen bei sich geführt zu haben.

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft erließ das Amtsgericht Soltau unter dem 04.02.2020 den Strafbefehl und verhängte eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 10,- € gegen den Angeklagten. Der Strafbefehl mit dem Geschäftszeichen 9 Cs 6106 Js 223/20 (68/20) wurde dem Angeklagten am 06.02.2020 in der Justizvollzugsanstalt Uelzen durch Gefangenenzustellungsurkunde zugestellt. Durch Telefax vom 16.02.2020 erklärte der Verteidiger in Vollmacht des Angeklagten gegenüber dem Amtsgericht Soltau den Verzicht auf die Einlegung sämtlicher Rechtsmittel gegen den Strafbefehl. Am 17.02.2020 bescheinigte das Amtsgericht Soltau die Rechtskraft des Strafbefehls ab dem 17.02.2020.

Am selben Tag erging das angefochtene Urteil, gegen das sich der Angeklagte mit dem Rechtsmittel der Sprungrevision wendet, mit dem er die Verletzung materiellen Rechts rügt. Er rügt das Vorliegen eines Strafklageverbrauchs, mithin eines Verfahrenshindernisses, und beantragt, das Urteil vom 17.02.2020 aufzuheben und das Verfahren gemäß § 206a StPO einzustellen.“

Das OLG hat das Verfahren wegen des Angriffs auf Vollstreckungsbeamte eingestellt:

1. Es besteht das Verfahrenshindernis der entgegenstehenden Rechtshängigkeit und inzwischen eingetretenen Rechtskraft des unter dem 04.02.2020 erlassenen Strafbefehls. Dieser Strafbefehl wurde am Tag der Verkündung des angefochtenen Urteils rechtskräftig, nachdem der Verteidiger für den Angeklagten den Rechtsmittelverzicht erklärt hatte. Die entgegenstehende Rechtshängigkeit und Rechtskraft stellt ein Verfahrenshindernis dar, das bereits vor Erlass des angefochtenen Urteils eingetreten ist (,,ne bis in idem“).

Der Strafbefehl vom 04.02.2020 betrifft nämlich dieselbe Tat im Sinne des § 264 StPO wie das angefochtene Urteil.

Zur Tat im prozessualen Sinne gehört das gesamte Verhalten des Täters, soweit es nach natürlicher Auffassung einen einheitlichen Lebensvorgang darstellt, dessen Aburteilung zur Aufspaltung eines zusammengehörenden Geschehens führen würde. Eine einheitliche Handlung i.S.d. § 52 StGB stellt hierbei stets eine einheitliche prozessuale Tat dar (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 264 Rn. 1, 2, 6 m.w.N.).

Beim zeitgleichen Zusammentreffen zwischen unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln und anderen Straftaten und/oder Ordnungswidrigkeiten ist materiell-rechtlich nur dann von einer Tat auszugehen, wenn ein innerer Beziehungs- bzw. Bedingungszusammenhang zwischen den Taten besteht (vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 15.09.2017 — 1 OLG 2 Ss 55/17 ; BVerfG, Beschluss vom 16.03.2006 – 2 BvR 111/06; BGH NStZ 2004, 694; Patzak in Körner BtMG, 8. Aufl., § 29 Rn. 112; MüKo StGB/OglakcroOlu, 3. Aufl., BtMG § 29 Rn 107; Weber, BtMG, 5. Aufl., Vorbem. Zu §§ 29 ff. Rn. 52). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die zur Verwirklichung des einen Tatbestandes beitragende Handlung zugleich der Begründung oder Aufrechterhaltung des durch das Dauerdelikt geschaffenen rechtswidrigen Zustandes dient (vgl. OLG Zweibrücken, a.a.O.; BGHSt 18, 29, 31; Weber ). Straftaten, die demgegenüber nur gelegentlich eines Dauerdelikts begangen werden, stehen mit diesem in Realkonkurrenz; eine bloße Gleichzeitigkeit der Handlungen genügt für die Annahme von Tateinheit nicht (vgl. Weber, BtMG, a.a.O., Vorbem. zu §§ 29 ff., Rn. 546 f., dort u.a. zum Verhältnis von unerlaubtem Besitz und Ladendiebstahl).

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts im angefochtenen Urteil hatte der Angeklagte keine Kenntnis von der Absicht der Polizeibeamten, einen bestehenden Haftbefehl gegen ihn zu vollstrecken. Vielmehr ergriff der Angeklagte die Flucht, weil er Betäubungsmittel bei sich führte und die Ahndung der Tat fürchtete. Dabei ist zwanglos davon auszugehen, dass er sich überdies im Besitz der mitgeführten Betäubungsmittel halten wollte. Im Rahmen seiner Flucht kam es dann nach den amtsgerichtlichen Feststellungen zu den Widerstands- und Verletzungshandlungen.

Aus den Feststellungen des Amtsgerichts ergibt sich somit der erforderliche innere Zusammenhang zwischen dem Besitz von Betäubungsmitteln und der Körperverletzungshandlung bzw. dem tätlichen Angriff auf die Polizeibeamten. Beide Delikte stehen nicht nur in einem engen zeitlichen und örtlichen Zusammenhang, sondern darüber hinaus in einem inneren Beziehungs- und Bedingungszusammenhang. Es liegt nicht nur eine Tat im prozessualen Sinne, sondern sogar Tateinheit gemäß § 52 StGB vor.“