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Auslieferungsverfahren, oder: Terminsgebühr für die Teilnahme an einer Anhörung beim AG?

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Den Gebührenfreitag beginn ich heute mit dem OLG Bremen, Beschl. v. 12.09.2018 – 1 Ausl. A 2/18. Er ist zu einer gebührenrechtlichen Problematik des Auslieferungsverfahrens ergangen, also zu Teil 6 VV RVG. Der Bereich ist an sich nicht der Bereich, aus/über dem/den ich sonst berichte. Da aber das Auslieferungsverfahren immer mehr an Bedeutung zunimmt, will ich den Beschluss heute hier vorstellen.

In dem Beschluss geht es um die Frage, ob der Rechtsanwalt, der im Auslieferungsverfahren als Beistand des Verfolgten an einer Anhörung seines Mandanten beim AG teilgenommen hat, eine Terminsgebühr nach Nr. 6102 VV RVG abrechnen kann oder nicht. Das Problem wird seit Inkrafttreten des RVG in Rechtsprechung und Literatur diskutiert. Die Rechtsprechung hat die Frage (fast) einhellig verneint, nur das OLG Jena ist vor längerer Zeit mal anderer Auffassung gewesen, in der Literatur wird die Frage hingegen (teilweise) bejaht, so auch von Herrn Volpert in unserem RVG-Kommentar Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 5. Aufl., der auch – was manchmal ein wenig übersehen wird – die mit Teil 6 VV RVG zusammenhängenden Fragen behandelt.

Das OLG Bremen hat sich den bekannten Argumenten der h.M. in der Rechtsprechung angeschlossen. Da die sattsam bekannt sind, stelle ich hier nur den Leitsatz ein. Rest dann bitte im Selbststudium:

„Für die Teilnahme des Beistands des Verfolgten im Rahmen des Auslieferungsverfahrens an einem Termin zur Vernehmung des Verfolgten vor dem Amtsgericht nach den §§ 21, 22 oder 28 IRG fällt keine Terminsgebühr nach Nr. 6102 VV RVG an. Das Anfallen der Terminsgebühr nach Nr. 6102 VV RVG ist lediglich für die Teilnahme an mündlichen Verhandlungen vor dem Oberlandesgericht vorgesehen.“

Wie gesagt, über die Frage wird diskutiert. M.E. ist die h.M. nicht richtig, aber man kann gegen die versammelte Macht der OLg nichts (mehr) ausrichten.

Zutreffend ist allerdings, wenn das OLG Bremen die vom Beistand auch heltend gemachte Gebühr Nr. 6100 VV RVG nicht gewährt  hat. Die kann nämlich im Auslieferungsverfahren nicht anfallen:

„b) Zutreffend ist auch die Gebühr nach Nr. 6100 VV RVG durch die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle von den beantragten Gebühren abgesetzt worden. Die Verfahrensgebühr nach Nr. 6100 VV RVG entsteht ausweislich der Überschrift dieses Unterabschnitts 1 und der Vorbemerkung 6.1.1. nur für das Verfahren vor der Verwaltungsbehörde in Verfahren nach den §§ 87 ff. IRG. Eine Verfahrensgebühr für das gerichtliche Auslieferungsverfahren entsteht dagegen lediglich, wie beantragt und zuerkannt, nach Nr. 6101 VV RVG (siehe OLG Dresden, Beschluss vom 01.12.2017 – OLG Ausl 111/16, juris Rn. 16, JurBüro 2018, 70; Mayer, in: Gerold/Schmidt, 23. Aufl., 6101, 6102 VV RVG Rn. 2; H. Schneider, in: Riedel/Sußbauer, 10. Aufl., 6101 VV RVG Rn. 3).“

Das geschobene Fahrrad und die Vorfahrt, und/oder: Was ist ein Waldweg?

Nach einem tollen Aufenthalt in Indien – Urlaub i.e.S war es nicht 🙂 – bin ich wieder vor Ort und kann die Reihe „Kessel Buntes“ am heutigen Samstag fortsetzen.

Ich starte mit der Entscheidung des OLG Bremen zum Vorfahrt des Fahrradfahrers, der nicht auf seinem Fahrrad fährt, sondern dieses schiebt – getreu dem Spruch: „Wer sein Fahrrad liebt, der schiebt“. Das OLG ist im Berufungsverfahren im OLG Bremen, Urt. v.14.02.2018 – 1 U 37/17 -von folgendem Sachverhalt ausgegangen:

„Die Klägerin macht Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche gegen den Beklagten aus einem Unfall geltend, der sich am 23.09.2015 gegen 15.40 Uhr auf dem Y-Wanderweg in Bremen im Bereich der Einmündung des Verbindungsweges zum X-Weg ereignete. Der Beklagte befuhr den Y-Wanderweg mit seinem Fahrrad (Rennrad) in nördlicher Richtung (stadtauswärts). Die Klägerin kam aus diesem Verbindungsweg, der aus Sicht des Beklagten auf der rechten Seite in den Y-Wanderweg mündete. Zwischen den Parteien ist dabei streitig, ob die Klägerin bereits vor dem Kreuzungsbereich von ihrem Fahrrad abgestiegen war und ihr Fahrrad schob oder mit dem Fahrrad in den Kreuzungsbereich hineinfuhr. Es kam zur Kollision beider Radfahrer im Einmündungsbereich. Die Klägerin zog sich durch den Unfall erhebliche Verletzungen zu, vor allem im Schädelbereich.“

Das LG war von einer grundsätzlichen Haftung des Beklagten ausgegangen, hatte der Klägering aber ein Mitverschulden von 2/3 angerechnet. Dagegen die Berufung der Klägerin, die Erfolg hatte

„Zu Recht macht aber die Klägerin geltend, dass ihr Mitverschulden an dem streitgegenständlichen Unfall entgegen der Ansicht des Landgerichts nach Gewicht und unfallursächlicher Bedeutung den Verschuldensanteil des Beklagten nicht so weit überwiegt, dass die Haftung des Beklagten auf 1/3 zu beschränken ist.

Den Beklagten trifft ein so erhebliches Verschulden an dem streitgegenständlichen Unfall, dass die Haftungsquote abzuändern ist. Aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls, nämlich wegen der äußerst ungünstigen Sichtverhältnisse im Einmündungsbereich sowie auch der unklaren baulichen Situation der beiden Wege war auch der Beklagte, unabhängig davon, ob die Klägerin ihr Fahrrad fuhr oder es rechts neben sich schob, gehalten, sich vorsichtig und mit angepasster Geschwindigkeit dem Einmündungsbereich zu nähern. Diesen Sorgfaltsanforderungen ist er schon nach seinem eigenen Vortrag nicht nachgekommen, weil er sich gegenüber dem Verkehr aus dem einmündenden Weg für grundsätzlich vorfahrtsberechtigt hielt.

Ob auch ein Verschulden der Klägerin vorliegt, kann nach deren in der Berufung auf 1/3 der Schäden begrenztem Klagantrag dahinstehen. Jedenfalls trifft die Klägerin gegenüber dem Verschulden des Beklagten kein Mitverschuldensanteil, der mit mehr als 1/3 zu bewerten wäre. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob sie ihr Fahrrad schob oder fuhr. Aus den Lichtbildern der Unfallstelle und ausweislich der polizeilichen Ermittlungsskizze (Bl. 8 der Ermittlungsakten) ergibt sich, dass der Unfall sich jedenfalls nicht im direkten Einmündungsbereich, sondern in der Mitte des Y-Wanderwegs ereignete. Damit war die Klägerin bereits zu einem großen Teil in den Weg hineingelangt, als es zur Kollision kam. Angesichts dieser besonderen Umstände ist die Eigenhaftungsquote der Klägerin nicht mit mehr als 1/3 anzusetzen.

Im Einzelnen:

Soweit das Landgericht zu der Feststellung gelangt ist, die Klägerin habe in der Unfallsituation die Vorfahrt des von links kommenden Beklagten nicht beachtet, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Entgegen der Annahme des Landgerichts war vielmehr der Beklagte der Klägerin gegenüber wartepflichtig. Auf die Vorfahrtsituation an der Einmündung des „Stichwegs“ zur X-Weg in den Y-Wanderweg findet die Ausnahmevorschrift des § 8 Abs.1 Satz 2 Ziff.2 StVO, die den Grundsatz „rechts vor links“ für Fahrzeuge aufhebt, welche aus einem Feld- oder Waldweg auf eine andere Straße kommen, keine Anwendung. Die Klägern hat sich der Unfallstelle nicht auf einem Feld- oder Waldweg im Sinne des § 8 Abs.1 Satz 2 Ziff.2 StVO genähert. Vielmehr galt im Einmündungsbereich die allgemeine Vorfahrtregelung „rechts vor links“ gemäß § 8 Abs.1 Satz Ziff.1 StVO. Da die Vorfahrtregelung somit im Vergleich zu der Feststellung des Landgerichts einen genau umgekehrten Inhalt hat, kann der Klägerin auch nicht der überwiegende Verursachungs- und Verschuldensanteil an der Entstehung des Schadensereignisses zugewiesen werden.

Die Frage, wann ein Weg als Feld- oder Waldweg im Sinne der vorgenannten Vorschrift einzuordnen ist, wird in Rechtsprechung und Literatur kontrovers diskutiert……“

Pflichti III: Verteidigung mehrerer Mitbeschuldigter durch Rechtsanwälte derselben Sozietät, oder: Interessenkonflikt

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Und als dritte „Pflichtverteidigerentscheidung“ zum Tagesschluss dann der OLG Bremen, Beschl. v. 02.03.2018 – 1 Ws 12/18. Er behandelt die Aufhebung einer Pflichtverteidigerbestellung bei der Verteidigung von mehreren Mitbeschuldigten durch Rechtsanwälte derselben Sozietät oder Bürogemeinschaft.

Grundlage des Beschlusses ist folgender Sachverhalt:

Vor dem Landgericht Bremen wird gegen die beiden Angeklagten aufgrund der Anklage der Staatsanwaltschaft Bremen vom 24.01.2018 ein Strafverfahren wegen des Vorwurfs des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 169 (Angeklagter D.) bzw. in 132 (Angeklagter Y.) Fällen geführt. Insgesamt liegen der Anklage 179 Taten zugrunde, die von den Angeklagten in 122 Fällen gemeinschaftlich, im Übrigen jeweils einzeln handelnd begangen worden sein sollen und bei denen es sich in etwa der Hälfte der Fälle um eine nicht geringe Menge gehandelt haben soll.

Dem Angeklagten Y. wurde am 25.07.2017 im Rahmen der Haftbefehlsverkündung in dieser Sache durch das Amtsgericht Bremen Rechtsanwalt E. als Pflichtverteidiger beigeordnet. Die Hauptverhandlung vor der Strafkammer 6 des Landgerichts begann am 22.01.2018 und dauert an.

Am 28.12.2017 zeigte Rechtsanwalt F. die Verteidigung des Angeklagten Y. an. Mit Schreiben vom 16.01.2018 beantragte der Angeklagte Y., ihm unter Entpflichtung von Rechtsanwalt E. seinen Wahlverteidiger Rechtsanwalt F. als Pflichtverteidiger beizuordnen. Zur Begründung führte der Angeklagte aus, dass Rechtsanwalt E. in derselben Kanzlei tätig sei wie Rechtsanwalt H. als Verteidiger des Mitangeklagten D. Er befürchte daher eine Interessenkollision und vertraue nicht mehr darauf, durch Rechtsanwalt E. angemessen vertreten zu werden. Mit Schriftsatz vom 20.01.2018 erklärte Rechtsanwalt F., dass der Angeklagte Y. ihm mitgeteilt habe, dass er sich in der Sache einlassen wolle und dass eine entsprechende Erklärung nur im Beisein von Rechtsanwalt F. und nach anwaltlicher Beratung durch diesen erfolgen solle.

Mit Beschluss der Vorsitzenden Richterin der Strafkammer 6 vom 22.01.2018 wurde der Antrag des Angeklagten Y. vom 16.01.2018 abgelehnt.

Hiergegen wendet sich der Angeklagte Y. mit seiner Beschwerde vom 29.01.2018, der die Vorsitzende am 06.02.2018 nicht abgeholfen hat.

Die Generalstaatsanwaltschaft Bremen hat am 08.02.2018 zu der Beschwerde des Angeklagten Y. Stellung genommen und beantragt, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.“

Das OLG hat aufgehoben und zur neuen Entscheidung an das LG zurückverwiesen. Es stellt seiner Entscheidung folgende Leitsätze voran:

  1. Die Bestellung zum Verteidiger kann schon wegen der Absehbarkeit eines Interessenkonfliktes abgelehnt werden, ohne dass es konkreterer Hinweise auf das Bestehen dieses Konflikts bedarf.
  2. Ein solcher Interessenkonflikt ist bei der Verteidigung von mehreren Mitbeschuldigten durch Rechtsanwälte derselben Sozietät oder Bürogemeinschaft nach allgemeinen Gesichtspunkten grundsätzlich schon immer dann absehbar, wenn eine Anklage wegen einer gemeinsam begangenen Tat vorliegt. Nach den Umständen des konkreten Einzelfalls kann diese Gefahr ausgeräumt sein, was insbesondere auf der Grundlage des Einlassungsverhaltens der Beschuldigten zu überprüfen ist.
  3. Die Abberufung eines Pflichtverteidigers im Hinblick auf das Vorliegen eines Interessenkonflikts wegen der Verteidigung von mehreren Mitbeschuldigten durch Rechtsanwälte derselben Sozietät oder Bürogemeinschaft setzt dagegen grundsätzlich das Vorliegen konkreterer Hinweise auf das Bestehen dieses Konflikts voraus.
  4. Diese Hinweise müssen nicht die Darlegung und Glaubhaftmachung eines Interessenkonflikts in Bezug auf den eigenen Verteidiger durch konkrete Umstände beinhalten, wie dies in sonstigen Fällen der Abberufung eines Verteidigers aus wichtigem Grund erforderlich ist. Diese Erstreckung des Interessenkonflikts ist nach § 3 Abs. 2 BORA bereits in der Verbindung der Rechtsanwälte zur gemeinsamen Berufsausübung normativ vorgegeben.

Klageerzwingungsverfahren, oder: Das OLG darf die GStA zu Ermittlungen anweisen…

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Heute dann mal ein wenig OLG-Rechtsprechung, und zwar zunächst der OLG Bremen, Beschl. v. 21.09.2017 – 1 Ws 55/17 -, der in einem sog. Klageerzwingungsverfahren ergangen ist. Die StA hatte den Anfangsverdacht einer Urheberrechtsverletzung durch im Ausland ansässige Händler abgelehnt und das Verfahren nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Dagegen dann die Einstellungsbeschwerde und dann später nach deren Zurückweisung der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gem.  § 172 Abs. 2 StP. Das OLG bejaht einen Anfnagsverdacht und weistdie GStA an, Ermittlungen durchzuführen:

Die dargelegten Umstände begründen nach Auffassung des Senats damit einen Anfangsverdacht im Sinne des Vorliegens der mit der Strafanzeige und dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung behaupteten strafbaren Handlung, ohne dass sich die Anweisung zur Erhebung der öffentlichen Klage im gegenwärtigen Zeitpunkt rechtfertigte, da Ermittlungen bisher nicht durchgeführt worden sind.

Beim Fehlen jeglicher oder völlig unzureichender Ermittlungen der Staatsanwaltschaft kommt ausnahmsweise die Anordnung in Betracht, dass die Staatsanwaltschaft die nach der Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts erforderlichen Ermittlungen durchzuführen hat (vgl. dazu Beschluss des Senats vom 27.08.1982 – Ws 71/82, vom 10.07.1989 – Ws 22/89 sowie vom 18.07.2007 – Ws 50/07). Dies ist in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte überwiegend anerkannt (so bereits OLG Zweibrücken, Beschluss vom 05.02.1980 – 1 Ws 424/79, juris Rn. 10; KG Berlin, Beschluss vom 26.03.1990 – 4 Ws 220/89, juris Ls.; OLG Brauchschweig, Beschluss vom 23.09.1992 – Ws 48/91, juris Rn. 19; OLG Koblenz, Beschluss vom 05.09.1994 – 1 Ws 164/94, juris Ls.; OLG Hamm, Beschluss vom 29.09.1998 – 1 Ws 227/98, juris Rn. 12 – 20; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 01.03.2001 – 1 Ws 83/01, juris Rn. 11; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16.12.2002 – 1 Ws 85/02, juris Rn. 9; OLG München, Beschluss vom 27.06.2007 – 2 Ws 494/06 Kl, juris Rn. 8; OLG Brandenburg, Beschluss vom 17.03.2008 – 1 Ws 125/07, juris Rn. 6; KG Berlin, Beschluss vom 11.04.2013 – 3 Ws 504/12, juris Rn. 19 – 20; OLG Celle, Beschluss vom 21.01.2014 – 1 Ws 513/13, juris Rn. 7; OLG Stuttgart, Beschluss vom 06.07.2015 – 6 Ws 2/15, juris Rn. 66; OLG Celle, Beschluss vom 05.02.2016 – 2 Ws 1/16, juris Rn. 21; OLG Stuttgart, Beschluss vom 21.12.2016 – 4 Ws 284/16, juris Rn. 12).

Die Möglichkeit bzw. – wie im gegebenen Fall – die Notwendigkeit einer solchen Anordnung ist zwar nicht ausdrücklich im Gesetz geregelt. Sie folgt jedoch aus dem Sinn und Zweck der Regeln über das Klageerzwingungsverfahren. Das Gesetz geht dabei offensichtlich von dem Verfahrensgang aus, der bei der gerichtlichen Kontrolle des Legalitätsgrundsatzes nach den §§ 172 ff. StPO die Regel bildet, dass nämlich die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, die nach ihrer pflichtgemäßen Auffassung erforderlichen Ermittlungen durchgeführt und dann unter Berücksichtigung des Ermittlungsergebnisses das Verfahren eingestellt hat. Dabei weisen die §§ 172 ff StPO dem Gericht grundsätzlich lediglich die Kontrollfunktion zu, ob die Staatsanwaltschaft als verantwortliche Ermittlungsbehörde entsprechend dem Legalitätsprinzip verfahren ist. An dieser grundsätzlichen Aufgabenverteilung, die der Gesetzgeber durch Abschaffung der gerichtlichen Voruntersuchung durch das 1. StVRG vom 09.12.1974 noch bestätigt hat, sollen die §§ 172 ff. StPO ersichtlich nichts ändern. In der Regel hat das Oberlandesgericht daher allein aufgrund der von der Staatsanwaltschaft in eigener Verantwortung geführten Ermittlungen zu entscheiden, ob diese das Ermittlungsverfahren zu Recht eingestellt hat oder ob Anklage zu erheben ist (vgl. OLG Hamm, a.a.O.)…..“

Wird teilweise in der Rechtsprechung anders gesehen…..

„Darf es etwas mehr sein?“, oder: Verlängerung der Verjährungsfrist

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Manche Entscheidung führen dazu, dass man dann doch mal im Gesetz nachschaut und dann erstaunt ist, was da alles so geregelt ist. So ist es mir nach Lesen des OLG Bremen, Beschl. v. 24.11.2016 – 1 Ws 163/16 – ergangen. In ihm geht um die Verlängerung der Verjährungsfrist nach § 79b StGB – dazu gibt es, so weit ich es sehe, nur sehr wenig Rechtsprechung.

Der Verurteilte ist mit Urteil des LG Bremen vom 28.06.2006, rechtskräftig seit dem 15.02.2007, wegen gewerbsmäßig begangenen Bandenbetrugs in 12 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt worden. Der Verurteilte wurde am 08.06.2007 zum Strafantritt geladen. Am 14.06.2007 beantragte er einen Aufschub der Strafvollstreckung für 18 Monate, weil seine Ehefrau so lange ihren Vorbereitungsdienst als Lehrerin ableisten und er während dieser Zeit die fünfjährige Tochter betreuen müsse. Am 02.07.2007 wurde die gnadenweise Gewährung eines Strafaufschubs abgelehnt. Am 25.07.2007 erhielt die Staatsanwaltschaft Bremen einen Hinweis, dass sich der Verurteilte ins Ausland abgesetzt habe. Es erging am selben Tag gegen den Verurteilten ein Vollstreckungshaftbefehl. Die innerstaatliche Ausschreibung zur Festnahme wurde bis heute immer wieder verlängert. Der Verurteilte lebt seither in der Türkei und zum 01.12.2008 wurden auch die Ehefrau und die Tochter des Verurteilten in Deutschland abgemeldet mit neuem Wohnsitz in Ankara. Nach den Angaben des Verurteilten hat er sich seither straffrei geführt und verdient den Lebensunterhalt für seine Familie als vereidigter Dolmetscher für Deutsch und Englisch. Zahlungen zur Schadenswiedergutmachung hat der Verurteilte nach der Verurteilung nicht geleistet. Am 01.06.2016 erließ die Staatsanwaltschaft Bremen gegen den Verurteilten einen Europäischen Haftbefehl.

Die Strafkammer hat inzwischen die Verjährungsfrist für die Vollstreckung der gegen den Verurteilten verhängten Freiheitsstrafe aus dem Urteil des LG vom 28.06.2006 um fünf Jahre verlängert. Das OLG Bremen hat damit keine Probleme und meint u.a.:

b) Die Entscheidung über die Verlängerung der Verjährungsfrist nach § 79b StGB setzt voraus, dass nach pflichtgemäßem Ermessen geprüft wird, ob ein fortdauerndes Bedürfnis nach Vollstreckung der Freiheitsstrafe besteht (vgl. OLG Stuttgart, Beschl. v. 15.04.2002 – 1 Ws 63/02, juris Rn. 9; OLG Hamm, Beschl. v. 17.08.1990 – 4 Ws 33/90, NStZ 1991, 186; entgegen den Bedenken bei LK-Schmid12, §79b StGB Rn. 2 dürfte diese Zielsetzung auch mit einem im Übrigen verfahrensrechtlichen Verständnis der strafrechtlichen Verjährung – siehe BGH, Beschl. v. 07.06.2005 — 2 StR 122/05, juris Rn. 5 – vereinbar sein, da §79b StGB gerade eine den sonstigen strafrechtlichen Verjährungsvorschriften der §§ 78 ff. StGB fremde Ermessensentscheidung des Gerichts zulässt). Die Vorschrift des §79b StGB soll dem Zweck dienen, flüchtigen Verurteilten die Ausnutzung der Besonderheiten des grenzüberschreitenden Verkehrs zu erschweren, wenn sie sich in ein Gebiet außerhalb des Geltungsbereichs des StGB begeben haben und von dort unter Verletzung rechtsstaatlicher Grundsätze weder verfolgt noch ausgeliefert oder überstellt werden (vgl. OLG Stuttgart, Beschl. v. 15.04.2002 – 1 Ws 63/02, juris Rn. 6; Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Strafgesetzbuches (E 1962), BT-Drucks. 4/650, G.261; LK-Schmid12, §79b StGB Rn. 1; SK-Rudolphi/VVolter7, a.a.O.). Maßgebliche Faktoren für die Ausübung der nach § 79b StGB vorgesehenen Ermessensentscheidung sollen die Bedeutung der Tat, die Höhe der zu vollstreckenden Freiheitsstrafe und die seit Rechtskraft verstrichene Zeit, aber auch das Verhalten des Verurteilten nach der Tat und dem Erkenntnisverfahren sowie seine derzeitigen Lebensumstände sein (vgl. OLG Stuttgart, Beschl. v. 15.04.2002 – 1  Ws 63/02, juris Rn. 10; OLG Hamm, a.a.O.; LK-Schmid, §79b StGB Rn. 2; Fischer, § 79b StGB Rn. 4)….“

Diese allgemeinen Kriterien für die Ermessensentscheidung nach § 79b StGB hat das OLG u.a. folgendermaßen konkretisiert:

  • Zu Gunsten des Verurteilten hat es bewertet, dass er nunmehr in der Türkei einen soliden Lebenswandel angenommen hat und den Lebensunterhalt für seine Familie als vereidigter Dolmetscher für Deutsch und Englisch verdient.
  • Ferner ist es unter dem Aspekt der derzeitigen Lebensumstände des Verurteilten bzw. seines Verhaltens nach der Tat positiv berücksichtigt worden, dass sich der Verurteilte seit der Veurteilung straffrei geführt hat.
  • Der Umstand, dass sich der Verurteilte durch das Absetzen ins Ausland gezielt der Vollstreckung entzogen hat, ist hingegen erheblich zu Lasten des Verurteilten herangezogen worden.
  • Zu Lasten des Verurteilten hat das OLG auch berücksichtige dass Bemühungen zur Wiedergutmachung der Tatfolgen von ihm nicht unternommen wurden. Wiedergutmachungszahlungen, ggf. auch nur teilweise, seien nicht erfolgt und damit habe der Verurteilte auch nicht mit dieser ihm unschwer offenstehenden Möglichkeit einen Anlass gegeben, das Bedürfnis nach Vollstreckung der Freiheitsstrafe zurückstehen zu lassen.
  • Entgegen der Auffassung des Verurteilten sei – so das OLG – auch nicht im Hinblick darauf, dass die Verurteilung wegen einer nicht untypischen Straftat aus dem Bereich der mittelschweren Kriminalität erfolgt sei, so dass die Bedeutung der Tat nicht allzu hoch zu messen sei, von einer Verlängerung der Verjährung abzusehen. Dabei seizu beachten, dass, soweit die Bedeutung der Tat im Strafmaß zum Ausdruck kommt, dieser Umstand sich bereits in der Länge der Verjährungsfrist widerspiegelt, um deren Verlängerung es im Rahmen des §79b StGB gehe.
  • Auch der Umstand, dass bereits nahezu der volle Zeitraum der gesetzlichen Verjährungsfrist von zehn Jahren seit Rechtskraft des Urteils abgelaufen sei, hat nach Auffassung des OLG nicht notwendigerweise gegen eine Verlängerung der Verjährung nach § 79b StGB gesprochen.

Also: Es darf ggf. etwas mehr sein…..