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Das geschobene Fahrrad und die Vorfahrt, und/oder: Was ist ein Waldweg?

Nach einem tollen Aufenthalt in Indien – Urlaub i.e.S war es nicht 🙂 – bin ich wieder vor Ort und kann die Reihe „Kessel Buntes“ am heutigen Samstag fortsetzen.

Ich starte mit der Entscheidung des OLG Bremen zum Vorfahrt des Fahrradfahrers, der nicht auf seinem Fahrrad fährt, sondern dieses schiebt – getreu dem Spruch: „Wer sein Fahrrad liebt, der schiebt“. Das OLG ist im Berufungsverfahren im OLG Bremen, Urt. v.14.02.2018 – 1 U 37/17 -von folgendem Sachverhalt ausgegangen:

„Die Klägerin macht Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche gegen den Beklagten aus einem Unfall geltend, der sich am 23.09.2015 gegen 15.40 Uhr auf dem Y-Wanderweg in Bremen im Bereich der Einmündung des Verbindungsweges zum X-Weg ereignete. Der Beklagte befuhr den Y-Wanderweg mit seinem Fahrrad (Rennrad) in nördlicher Richtung (stadtauswärts). Die Klägerin kam aus diesem Verbindungsweg, der aus Sicht des Beklagten auf der rechten Seite in den Y-Wanderweg mündete. Zwischen den Parteien ist dabei streitig, ob die Klägerin bereits vor dem Kreuzungsbereich von ihrem Fahrrad abgestiegen war und ihr Fahrrad schob oder mit dem Fahrrad in den Kreuzungsbereich hineinfuhr. Es kam zur Kollision beider Radfahrer im Einmündungsbereich. Die Klägerin zog sich durch den Unfall erhebliche Verletzungen zu, vor allem im Schädelbereich.“

Das LG war von einer grundsätzlichen Haftung des Beklagten ausgegangen, hatte der Klägering aber ein Mitverschulden von 2/3 angerechnet. Dagegen die Berufung der Klägerin, die Erfolg hatte

„Zu Recht macht aber die Klägerin geltend, dass ihr Mitverschulden an dem streitgegenständlichen Unfall entgegen der Ansicht des Landgerichts nach Gewicht und unfallursächlicher Bedeutung den Verschuldensanteil des Beklagten nicht so weit überwiegt, dass die Haftung des Beklagten auf 1/3 zu beschränken ist.

Den Beklagten trifft ein so erhebliches Verschulden an dem streitgegenständlichen Unfall, dass die Haftungsquote abzuändern ist. Aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls, nämlich wegen der äußerst ungünstigen Sichtverhältnisse im Einmündungsbereich sowie auch der unklaren baulichen Situation der beiden Wege war auch der Beklagte, unabhängig davon, ob die Klägerin ihr Fahrrad fuhr oder es rechts neben sich schob, gehalten, sich vorsichtig und mit angepasster Geschwindigkeit dem Einmündungsbereich zu nähern. Diesen Sorgfaltsanforderungen ist er schon nach seinem eigenen Vortrag nicht nachgekommen, weil er sich gegenüber dem Verkehr aus dem einmündenden Weg für grundsätzlich vorfahrtsberechtigt hielt.

Ob auch ein Verschulden der Klägerin vorliegt, kann nach deren in der Berufung auf 1/3 der Schäden begrenztem Klagantrag dahinstehen. Jedenfalls trifft die Klägerin gegenüber dem Verschulden des Beklagten kein Mitverschuldensanteil, der mit mehr als 1/3 zu bewerten wäre. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob sie ihr Fahrrad schob oder fuhr. Aus den Lichtbildern der Unfallstelle und ausweislich der polizeilichen Ermittlungsskizze (Bl. 8 der Ermittlungsakten) ergibt sich, dass der Unfall sich jedenfalls nicht im direkten Einmündungsbereich, sondern in der Mitte des Y-Wanderwegs ereignete. Damit war die Klägerin bereits zu einem großen Teil in den Weg hineingelangt, als es zur Kollision kam. Angesichts dieser besonderen Umstände ist die Eigenhaftungsquote der Klägerin nicht mit mehr als 1/3 anzusetzen.

Im Einzelnen:

Soweit das Landgericht zu der Feststellung gelangt ist, die Klägerin habe in der Unfallsituation die Vorfahrt des von links kommenden Beklagten nicht beachtet, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Entgegen der Annahme des Landgerichts war vielmehr der Beklagte der Klägerin gegenüber wartepflichtig. Auf die Vorfahrtsituation an der Einmündung des „Stichwegs“ zur X-Weg in den Y-Wanderweg findet die Ausnahmevorschrift des § 8 Abs.1 Satz 2 Ziff.2 StVO, die den Grundsatz „rechts vor links“ für Fahrzeuge aufhebt, welche aus einem Feld- oder Waldweg auf eine andere Straße kommen, keine Anwendung. Die Klägern hat sich der Unfallstelle nicht auf einem Feld- oder Waldweg im Sinne des § 8 Abs.1 Satz 2 Ziff.2 StVO genähert. Vielmehr galt im Einmündungsbereich die allgemeine Vorfahrtregelung „rechts vor links“ gemäß § 8 Abs.1 Satz Ziff.1 StVO. Da die Vorfahrtregelung somit im Vergleich zu der Feststellung des Landgerichts einen genau umgekehrten Inhalt hat, kann der Klägerin auch nicht der überwiegende Verursachungs- und Verschuldensanteil an der Entstehung des Schadensereignisses zugewiesen werden.

Die Frage, wann ein Weg als Feld- oder Waldweg im Sinne der vorgenannten Vorschrift einzuordnen ist, wird in Rechtsprechung und Literatur kontrovers diskutiert……“