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StPO II: Vollmachtsvorlage durch den Verteidiger, oder: Zustellung an den Betroffenen wirksam?

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Die zweite Entscheidung kommt dann ebenfalls vom OLG Brandenburg. Ihr liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Gegen die Betroffene ergeht am 10.02.2021 ein Bußgeldbescheid wegen Verstoßes gegen die Wartepflicht an einem Bahnübergang als Führerin eines Kraftfahrzeuges gemäß §§ 24, 25 StVG, §§ 19 Abs. 2, 49 StVO, § 4 BKatV, Ziff. 89b2 BKat. Mit Schriftsatz vom 24.02.2021 meldet sich Rechtsanwalt K.  unter Vorlage einer Vollmachtsurkunde vom selben Tag als Verteidiger und legt gegen den Bußgeldbescheid Einspruch eingelegt.

Durch Urteil vom 04.04. 2022 wird de rEinspruch der Betroffenen nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen. Mit Verfügung vom 04.04.2022 wird die förmliche Zustellung des Verwerfungsurteils an die Betroffene verfügt, nicht hingegen an den bevollmächtigten Rechtsanwalt. Das Urteil wird der Betroffenen am 08.04.022 zugestellt. Mit dem bei Gericht am 14.04.2022 eingegangenen Schreiben legte die Betroffene gegen das Verwerfungsurteil „Beschwerde“ ein.

Das AG verwirft als unzulässig, da nicht fristgemäß. Gegen den dem Verteidiger 15.06.2022 förmlich und der Betroffenen formlos zugestellten Beschluss hat die Betroffene am 2106.2022 eingegangenen Schreiben „erneute Beschwerde“ eingelegt. Die ist erfolglos geblieben.

Das OLG führt im OLG Brandenburg, Beschl. v. 12.09.2022 – 1 OLG 53 Ss-OWi 399/22 – aus:

„a) Die von der Betroffenen erhobene „Beschwerde“ ist gem. § 300 StPO iVm. § 79 Abs. 3 OWiG als „Antrag auf gerichtliche Entscheidung“ gemäß § 346 Abs. 2 StPO, § 79 Abs. 3 Satz 2 OWiG als der einzig statthafte Rechtsbehelf auszulegen. Dieser ist im Übrigen form- und fristgerecht eingelegt worden.

b) In der Sache hat der Rechtsbehelf jedoch keinen Erfolg.

aa) Die Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde beträgt bei einem Abwesenheitsurteil – wie im vorliegenden Fall – gemäß § 341 Abs. 1, 2 iVm. 79 Abs. 3 OWiG eine Woche ab Zustellung der Entscheidung. Dem schließt sich die Begründungsfrist des § 345 Abs. 1 StPO iVm. § 79 Abs. 3 OWiG an, die einen Monat beträgt.

Im vorliegenden Fall wurde das Urteil des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel vom 4. April 2022 der Betroffenen am 8. April 2022 wirksam förmlich zugestellt. Die Zustellungsurkunde weist dies gem. § 1 Brb VwZG iVm. §§ 2, 3 VwZG und § 182 ZPO nach. Sie ist eine öffentliche Urkunde gem. § 415 ZPO, die volle Beweiskraft gem. § 418 ZPO entfaltet. Soweit nach § 415 Abs. 2 ZPO der Nachweis der Unrichtigkeit der durch zu Zustellungsurkunde bezeugten Tatsachen möglich ist, ist ein solcher Nachweis nicht geführt worden. Auch erfolgte die Zustellung auf Anordnung der Gerichtsvorsitzenden (§ 36 Abs. 1 S. 1 StPO iVm. § 71 OWiG). Mithin endete die Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde gemäß § 43 Abs. 1, 2 StPO iVm. § 71 OWiG mit Ablauf des 15. April 2022 und die Monatsfrist zur Begründung der Rechtsbeschwerde mit Ablauf des 16. Mai 2022, da der 15. Mai 2022 auf einen Sonntag fiel.

Zwar erfolgte die Einlegung der Rechtsbeschwerde durch die Betroffene am 14. April 2022, fristgerecht, jedoch ist eine Begründung der Rechtsbeschwerde weder frist- noch formgerecht bei Gericht eingegangen. Das am 21. Juni 2022 bei Gericht eingegangene, selbst verfasste Schreiben der Betroffenen erfolgte nicht innerhalb der Begründungsfrist des § 345 Abs. 1 StPO iVm. § 79 Abs. 3 OWiG und auch nicht in der Form des § 345 Abs. 2 StPO iVm. § 79 Abs. 3 OWiG, wonach die Begründung in einer von einem Verteidiger oder einem Rechtsanwalt unterzeichneten Schrift oder zu Protokoll der Geschäftsstelle erfolgen muss. Zweck dieser Zulässigkeitsvoraussetzung für die Rechtsbeschwerde ist, dass die Anträge und die Begründung von sachkundiger Seite stammen und daher gesetzmäßig und sachgerecht sind; die Rechtsbeschwerdegerichte, mithin die Oberlandesgerichte, sollen dadurch vor Überlastung durch unsachgemäßes Vorbringen Rechtsunkundiger bewahrt werden (vgl. BVerfGE 46, 135, 152; BGHSt 25, 272, 273; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 345 Rdnr. 10).

bb) Die förmliche Zustellung des Verwerfungsurteils an die Betroffene ist auch wirksam. Zwar hatte der Verteidiger der Betroffenen bereits im Verwaltungsverfahren eine Vollmachtsurkunde zu den Akten gereicht, so dass er gemäß § 145a Abs. 1 StPO iVm. § 71 OWiG als ermächtigt gilt, Zustellungen im Empfang zu nehmen. Von daher wäre das Bußgeldgericht gehalten gewesen, das Urteil dem Verteidiger zuzustellen und die Betroffene davon formlos zu unterrichten (vgl. § 145a Abs. 3 Satz 1 StPO, Nr. 154 Abs. 1 RiStBV). Die Vorschrift des § 145a Abs. 1 StPO ist jedoch eine bloße Ordnungsvorschrift und begründet keine Rechtspflicht, Zustellungen für die Betroffene an deren Verteidiger zu bewirken (allgemeine Ansicht, statt vieler: vgl. KG, Beschluss vom 27. November 2020, (5) 161 Ss 155/20 (47/20), in: StraFo 2021, 69 ff.; OLG Hamm, Beschluss vom 8. Mai 2007, 4 Ws 210/07). Daher sind auch an die Betroffene vorgenommene Zustellungen wirksam und setzen Rechtsmittelfristen in Gang (vgl. BVerfG NJW 2001, 2532; BGHSt 18, 352, 354; BayObLG VRS 76, 307; OLG Düsseldorf NStZ 1989, 88; OLG Frankfurt StV 1986, 288; OLG Karlsruhe VRS 105, 348; OLG Köln VRS 101, 373; KG a.a.O.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 145a Rn 6). Die Rechtsbeschwerde ist daher unzulässig, weil Rechtsbeschwerdebegründung verfristet und nicht formgerecht eingelegt worden ist. Mithin hat das Amtsgericht das Rechtsmittel zu Recht nach § 346 Abs. 1 StPO iVm. § 79 Abs. 3 OWiG verworfen.

cc) Es besteht auch keine Veranlassung, der Betroffenen von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Zwar kann die unterlassene Zustellung der Entscheidung oder das Unterlassen einer entsprechenden Benachrichtigung von der Zustellung an den Betroffenen oder Verteidiger die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand begründen, wenn die Fristversäumung auf diesem Unterlassen beruht und nicht besondere Umstände vorliegen, die der Betroffenen Anlass geben mussten, für die Einhaltung der Frist auch selbst Sorge zu tragen (vgl. KG a.a.O.), jedoch hatte der Verteidiger spätestens mit der Zustellung des Beschlusses vom 23. Mai 2022, die 15. Juni 2022 erfolgt ist, von dem Verwerfungsurteil vom 4. April 2022 Kenntnis, was wiederum die Wiedereinsetzungsfrist des § 45 Abs. 1 StPO ausgelöst hat, innerhalb der gemäß § 45 Abs. 2 Satz StPO die versäumte Handlung in der gesetzlichen Form nachzuholen gewesen wäre, was nicht geschehen ist.“

OWi III: Vorsätzliche Geschwindigkeitsüberschreitung?, oder: Verfahrensaussetzung und BVerfG 2 BvR 1167/20?

Und als dritte Entscheidung stelle ich dann heute den OLG Brandenburg, Beschl. v. 27.09.2022 – 1 OLG 53 Ss-OWi 397/22 – vor. In ihm nimmt das OLG noch einmal u.a. zur Frage des Vorsatzes bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung Stellung.

Das OLG hat die Annahme von Vorsatz durch das AG nicht beanstandet:

„b) Die auf die Sachrüge veranlasste Überprüfung des Schuldspruchs lässt keine Rechtsfehler erkennen. Die Feststellungen des Bußgeldgerichts tragen die Verurteilung des Betroffenen wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 52 km/h, §§ 3 Abs. 3, 49 StVO, 24, 25 StVG, 3, 4 BKatV, Ziff. 11.3.8 der Anlage zur BKatV.

aa) Insbesondere ist nicht zu beanstanden, dass das Tatgericht aus objektiven Umständen, namentlich der erheblichen Höhe der Geschwindigkeitsüberschreitung, auf ein vorsätzliches Handeln des Betroffenen geschlossen hat (std. Rspr. des Senats, vgl. statt vieler Beschluss vom 19. Februar 2021, 1 OLG 53 Ss-OWi 864/20; Beschluss vom 22. Oktober 2020, (1 B) 53 Ss-OWi 433/20 [264/20]; Beschluss vom 22. September 2020, (1 B) 53 Ss-OWi 374/20 [220/20]; Beschluss vom 24. Juli 2020, (1 B) 53 Ss-OWi 318/20 [193/20]; jeweils m. w. N.; so auch BGH DAR 1997, 497; KG NZV 2004, 598; VRS 109, 132; OLG Rostock VRS 108, 376; OLG Bamberg DAR 2006, 464; OLG Jena VRS 111, 52). Bloße Fahrlässigkeit hätte nur damit begründet werden können, dass der Betroffene nicht bemerkt hätte, dass und in welchem Ausmaß er das generell auf Landstraßen außerhalb geschlossener Ortschaften geltende Tempolimit auf 100 km/h (§ 3 Abs. 3 Ziff. 2 c) S. 1 StVO) überschritt. Dies war nach den vom Bußgeldgericht getroffenen Feststellungen indes fernliegend. Schon angesichts des massiven Ausmaßes der Geschwindigkeitsüberschreitung um 52 km/h drängte sich die Annahme vorsätzlicher Begehung geradezu auf (vgl. BGH DAR 1997, 497). Die Differenz zwischen erlaubter und gefahrener Geschwindigkeit war damit so erheblich, dass jeder Kraftfahrer merken musste, dass er nicht nur zu schnell, sondern erheblich zu schnell fuhr (vgl. OLG Düsseldorf NZV 1995, 161, 162). Auch ohne ständigen Blick auf den Tachometer seines Fahrzeugs kann im Normalfall davon ausgegangen werden, dass ein geübter Kraftfahrer, der die erlaubten 100 km/h um mehr als 50 % überschreitet, dies beispielsweise anhand der Motorengeräusche des ihm vertrauten Fahrzeugs, der sonstigen Fahrgeräusche, der Fahrzeugvibration und anhand der Schnelligkeit, mit der sich die Umgebung um ihn herum verändert, zuverlässig einschätzen und dadurch erkennen kann, dass er die erlaubte Höchstgeschwindigkeit erheblich überschreitet (BGH NJW 1993, 3081, 3084 m. w. N.). Selbst wenn der Betroffene nicht auf den Tachometer geschaut hätte, würde dies aus den genannten Gründen der Annahme von Vorsatz nicht entgegenstehen. Der Betroffene hatte auch ohne ständige Beobachtung des Tachometers eine ungefähre Vorstellung von der Größenordnung der gefahrenen Geschwindigkeit.

Dass dem Betroffenen der Umfang einer Geschwindigkeitsüberschreitung möglicherweise nicht exakt bekannt war, steht der Annahme von Vorsatz nicht entgegen. Vorsätzliches Handeln setzt eine solche Kenntnis nicht voraus, vielmehr genügt das Wissen, schneller als erlaubt zu fahren (KG, Beschluss vom 10. Dezember 2003, 3 Ws (B) 500/03 – 345 OWi 401/02, Juris; BayObLG NZV 1999, 97; OLG Koblenz DAR 1999, 227; OLG Jena VRS 111, 52). Dem Betroffenen war damit bewusst, dass er die zulässige Höchstgeschwindigkeit jedenfalls erheblich überschritt. Wenn er es im Bewusstsein dieses stark überhöhten Tempos unterließ, seine Geschwindigkeit durch den ihm jederzeit problemlos möglichen Blick auf den Tachometer zu kontrollieren und herabzusetzen, brachte er dadurch hinreichend deutlich zum Ausdruck, dass er eine Geschwindigkeitsüberschreitung auch in dem tatsächlich realisierten Ausmaß von 52 km/h zumindest billigend in Kauf nahm. Vorsatz setzt – wie dargelegt – nicht die positive Kenntnis von der exakten Höhe der Geschwindigkeitsüberschreitung im Zeitpunkt der Messung voraus (std. Rspr. des Senats, vgl. statt vieler Beschluss vom 22. Oktober 2020, (1 B) 53 Ss-OWi 433/20 [264/20]; Beschluss vom 22. September 2020, (1 B) 53 Ss-OWi 374/20 [220/20]; Beschluss vom 24. Juli 2020, (1 B) 53 Ss-OWi 318/20 [193/20]; Beschluss vom 06. Juli 2020, (1 B) 53 Ss-OWi 286/20 [178/20]; s. a. OLG Düsseldorf NZV 1996, 463).“

Das OLG nimmt außerdem zur Höhe der Geldbuße bzw. zu den insowiet zu treffenden tatsächlichen Feststellungen Stellung – insoweit verweise ich auf den verlinkten Volltext – und macht Ausführungen zur Aussetzung des Verfahrens im Hinblick auf BVerfG 2 BvR 1167/20:

„bb) Das Verfahren ist nicht mit Blick auf das vor dem Bundesverfassungsgericht zum Aktenzeichen 2 BvR 1167/20 anhängige Verfassungsbeschwerdeverfahren auszusetzen. Eine Grundrechtsverletzung ist nicht zu besorgen. Die fehlende Reproduzierbarkeit der zum einzelnen Messwert führenden Berechnung wegen fehlender Rohmessdaten berührt weder den Anspruch des Betroffenen auf ein faires Verfahren noch denjenigen auf eine effektive Verteidigung (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 01. Dezember 2021, 1 OWi 2 SsBs 100/21, Rz. 15 m. w. N., Juris).“

Corona I: Fernbleiben in der HV wegen Corona, oder: Muss der Betroffene schlauer als der Verteidiger sein?

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In die 44. KW., starte ich dann mit zwei „Corona-Entscheidungen“.

Ich beginne mit dem OLG Brandenburg, Beschl. v. 27.09.2022 – 1 OLG 53 Ss-OWi 378/22. Er behandelt das (unentschuldigte) Fernbleiben des Betroffenen in der Hauptverhandlung wegen einer vermuteten Corona-Infektion nach Auskunft des Verteidigers zur Nicht-Erscheinenspflicht.

Dem Betroffenen wurde eine Geschwindigkeitsüberschreitung vorgeworfen. Nach Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid, der u.a. auch ein Fahrverbot enthielt, bestimmte das AG Termin zur Hauptverhandlung auf den 28.04.2022, 11:15 Uhr. Mit Schriftsatz seines Verteidigers, der per beA am Terminstag um 09:53 Uhr beim AG einging, beantragte der Betroffene die Aufhebung des Termins, weil sich bei ihm am Vortag typische Symptome einer Corona-Erkrankung (Halsbeschwerden, Schnupfen, Fieber) eingestellt hätten. Der Verteidiger fügte seinem Schriftsatz den Ausdruck eines E-Mail-Schriftwechsels mit dem Betroffenen vom selben Tag bei, in dem er ihm u.a. mitgeteilt hatte, dass er nicht an dem Termin teilnehmen könne und dies auch nicht müsse. Das AG führte gleichwohl den Hauptverhandlungstermin durch und hat den Einspruch des Betroffene gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verworfen. Der Betroffene sei dem Hauptverhandlungstermin ohne genügende Entschuldigung ferngeblieben. Die behauptete Covid-19-Erkrankung sei nicht durch geeignete Nachweise glaubhaft gemacht worden. Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde des Betroffenen hatte keinen Erfolg.

„1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 79 Abs. 1 Ziff. 2 OWiG statthaft und entsprechend den Bestimmungen der §§ 79 Abs. 3 S. 1 OWiG, 341, 344, 345 StPO form- und fristgerecht bei Gericht angebracht worden.

2. In der Sache hat sie keinen Erfolg, sie ist unbegründet.

a) Gegen ein Verwerfungsurteil im Sinne des § 74 Abs. 2 OWiG kann mit der Rechtsbeschwerde nur vorgebracht werden, dass das Amtsgericht den Einspruch zu Unrecht wegen unentschuldigten Ausbleibens des Betroffenen verworfen habe, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorlagen (Göhler, OWiG, 18. Auflage, zu § 74, Rz. 48a m. w. N.). Der Verstoß gegen § 74 Abs. 2 OWiG ist als Unterfall der Rüge einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör mit der nach §§ 79 Abs. 3 S. 1 OWiG, 344 Abs. 2 S. 2 StPO auszuführenden Verfahrensrüge geltend zu machen (OLG Koblenz NStZ-RR 2004, 373; OLG Köln NZV 2002, 241; OLG Brandenburg NStZ-RR 1997, 275).

Der Betroffene hat seine diesbezügliche Verfahrensrüge nicht in den Erfordernissen der §§ 79 Abs. 3 S. 1 OWiG, 344 Abs. 2 S. 2 StPO genügender Form ausgeführt. So fehlt es bereits an einer vollständigen Mitteilung der Urteilsgründe.

Ungeachtet dessen hätte die Verfahrensrüge im Fall ihrer zulässigen Erhebung in der Sache keinen Erfolg.

Hierzu hat die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg in ihrer Stellungnahme vom 08. August 2022 ausgeführt:

„Das Gericht darf den Einspruch nach § 74 Abs. 2 OWiG nur verwerfen, wenn der Betroffene ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben ist. Die Entschuldigung eines Ausbleibens im Termin ist dann als genügend anzusehen, wenn die im Einzelfall abzuwägenden Belange des Betroffenen einerseits und seine öffentlich-rechtliche Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung andererseits den Entschuldigungsgrund als triftig erscheinen lassen. Maßgebend dafür ist nicht, ob sich der Betroffene entschuldigt hat, sondern, ob er entschuldigt ist, weswegen der Tatrichter von Amts wegen prüfen muss, ob Umstände ersichtlich sind, die das Ausbleiben des Betroffenen genügend entschuldigen (vgl. zu § 329 StPO BGHSt 17, 391). Die ihn insoweit treffende Nachforschungspflicht setzt jedoch erst ein, wenn überhaupt ein hinreichend konkreter und schlüssiger Sachvortrag vorliegt, der die Unzumutbarkeit oder die Unmöglichkeit des Erscheinens indizierende Tatsachenbehauptungen enthält (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 06. März 2013 – 3 Ss 20/13 – m. w. N.) und dem Gericht somit hinreichende Anhaltspunkte für eine genügende Entschuldigung zur Kenntnis gebracht sind, die einer Überprüfung durch das Gericht zugänglich sind (vgl. BayObLG, Beschluss vom 31. März 2020 – 202 StRR 29/20).

So liegt es hier nicht, denn in seiner Mitteilung an seinen Rechtsbeistand (Bl. 9 d. A.) erklärt der Betroffene lediglich, er leide an Symptomen, die er mit einer COVID-19-Erkrankung in Zusammenhang bringt. Er teilt jedoch nicht mit, dass er sich – was angesichts der zum relevanten Zeitpunkt jedermann problemlos zur Verfügung stehenden und anzuwendenden Testsysteme zu erwarten gewesen wäre – einen Selbsttest mit einem Positivergebnis unterzogen hat. Auch wäre es ihm trotz seiner Symptome offensichtlich möglich gewesen, eine Arztpraxis zum Zwecke der Ausstellung eines seine Infizierung bestätigenden Attestes aufzusuchen. Von dieser Möglichkeit hat er nach seiner Mitteilung nur deshalb keinen Gebrauch gemacht, weil er nicht in einer Arztpraxis „rumsitzen“ wollte. Auf die – letztlich nicht verifizierbare – bloße Behauptung des Betroffenen, er sei erkrankt, musste und durfte sich das Amtsgericht bei seiner Entscheidung über die Verwerfung des Einspruchs mithin nicht verlassen, sodass die Verwerfung des Einspruchs nicht zu beanstanden ist.“

Diese Ausführungen entsprechen der Sach- und Rechtslage, der Senat schließt sich ihnen an.

Die Ausführungen des Betroffenen in seiner Gegenerklärung vom 06. September 2022 geben keinen Anlass zu abweichender Bewertung. Soweit darin die Auffassung vertreten wird, nicht der sichere und attestierte Nachweis einer Corona-Erkrankung habe Priorität, sondern die besondere Selbstverantwortung jedes Einzelnen bei selbst festgestellten Symptomen, vermag sich der Senat dem für die Teilnahme des Betroffenen an einem innerhalb eines gegen ihn gerichteten justiziellen Verfahrens angesetzten Termin nicht anzuschließen. Insoweit sind die Belange der öffentlichen Gesundheitsvorsorge und der Justiz gegeneinander abzuwägen und in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander zu setzen. Diese Abwägung führt nicht dazu, dass ein gerichtlich angesetzter Termin im Bußgeldverfahren allein auf den Vortrag des Betroffenen zu einer persönlich für möglich gehaltenen Infektion ohne objektiven Nachweis aufzuheben wäre.

Dass der Verteidiger in Verkennung der Rechtslage den Betroffenen ausdrücklich angewiesen hat, der Hauptverhandlung fernzubleiben, vermag ebenfalls nicht zu einer Entschuldigung dessen Nichterscheinens zu führen. Der Betroffene hatte keinerlei Veranlassung, auf die Richtigkeit dieser Anweisung zu vertrauen – die Entscheidung dieser Frage lag offensichtlich nicht in der Entscheidungskompetenz des Verteidigers (vgl. OLG Frankfurt DAR 2017, 595; BayObLG NZV 2003, 293).“

Die Entscheidung führt bei mir zu mehr als leichtem Kopfschütteln. Denn: Man kann sicherlich über das Vorgehen und das Verhalten des Betroffenen streiten. Man kann sicherlich auch darüber streiten, ob es eine Verpflichtung gibt, im privaten Bereich Corona-Tests einzusetzen. Jedenfalls hätte das OLG aber darlegen können, wenn nicht müssen, woraus sich die Verpflichtung, wenn es eine solche denn gibt, ergeben soll. Worüber man m.E. aber nicht streiten kann, ist der Umstand, dass der Betroffene der Auskunft seines Verteidigers vertraut hat und u.a. auch deshalb dem Hauptverhandlungstermin fern geblieben ist. Dabei spielt dann auch die knappe Zeit – Mitteilung am Hauptverhandlungstag – eine Rolle. Was soll der Verteidiger denn dann anderes tun, als dem Betroffenen zu raten, dem Hauptverhandlungstermin fern zu bleiben, zumal in Pandemiezeiten. Und was soll der Betroffene anderes tun, als auf diese Auskunft zu vertrauen?. Das ist m.E. „offensichtlich“ und nicht die vom OLG verneinte Entscheidungskompetenz des Verteidigers. Alles in allem: Nicht nachvollziehbar, wobei auch der Hinweis auf OLG Frankfurt am Main und BayObLg mich nicht überzeugen.

Nicht nachvollziehbar ist m.E. auch der Hinweis des OLG auf den fehlenden Vortrag der Urteilsgründe. Denn der Betroffene hatte auch die Sachrüge erhoben, die dem OLG den Zugriff auf die Urteilsgründe doch ermöglicht.

Strafzumessung III: Beurteilung der Schuldschwere, oder: Liegen noch schädliche Neigungen vor?

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Und als dritte und letzte Entscheidung des Tages stelle ich den OLG Brandenburg, Beschl. v. 28.07.2022 – 2 OLG 53 Ss 43/22 – vor. Er nimmt Stellung zu den Voraussetzungen der Verhängung von Jugendstrafe (§ 17 JGG).

Das AG Fürstenwalde/Spree hat den Angeklagten wegen schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen versuchten Diebstahls im besonders schweren Fall zu einer Einheitsjugendstrafe von 2 Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten hat schon aus anderem Grund (teilweise) Erfolg und führt schon deshalb zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs.Das OLG beanstandet die Strafzumessungserwägungen des AG aber auch darüber hinaus:

„Darüber hinaus sind die Strafzumessungserwägungen des Amtsgerichts im Übrigen auch nicht frei von Rechtsfehlern.

a) Hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs ist zu bedenken, dass auch Ausführungen dazu erforderlich sind, ob und warum für den Angeklagten vom Vorliegen schädlicher Neigungen im Sinne von § 17 Abs. 2 JGG nicht nur im Zeitpunkt der vorliegenden Taten, sondern trotz zuvor in Rumänien verbüßter Strafhaft und zwischenzeitlicher Untersuchungshaft auch noch im Zeitpunkt des Urteilserlasses auszugehen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Januar 2016, – 3 StR 473/15 – m. w. N., juris). Frühere Straftaten, mit denen schädliche Neigungen begründet werden, sind unter konkreter Darstellung der ihnen zugrunde liegenden Feststellungen mit Blick auf die Erforderlichkeit der Verhängung einer Jugendstrafe zu bewerten (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 26. Oktober 2021 – 4 Rvs 109/21, BeckRS 2021, 33763 Rn. 6 m. w. N.). Das angefochtene Urteil legt aber weder eindeutig dar, ob das erkennende Jugendschöffengericht das Vorliegen schädlicher Neigungen annimmt, noch werden dem vorliegend angefochtenen Erkenntnis vorausgehende Verurteilungen, insbesondere aus Rumänien, hinsichtlich der dortigen Feststellungen konkret und damit revisionsrechtlich überprüfbar dargelegt.

b) Das Jugendschöffengericht stützt die Verhängung der Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld maßgeblich darauf, dass der Angeklagte sich eines „Kapitalverbrechens“ (§§ 249 Abs. 1, 250 Abs. 1 Nr. 1a) StGB) schuldig gemacht habe. Bei der Beurteilung der Schuldschwere i. S. v. § 17 Abs. 2 2. Alt. JGG kommt jedoch dem äußeren Unrechtsgehalt der Tat und ihrer Einstufung im Strafgesetzbuch als Verbrechen keine selbständige Bedeutung zu. Entscheidend ist vielmehr, inwieweit sich die charakterliche Haltung und die Persönlichkeit sowie die Tatmotivation des Jugendlichen oder Heranwachsenden in vorwerfbarer Schuld niedergeschlagen haben. Maßgeblicher Anhaltspunkt ist die innere Tatseite. Der äußere Unrechtsgehalt der Tat ist nur insofern von Belang, als aus ihm Schlüsse auf die Persönlichkeit des Täters und das Maß der Schuld gezogen werden können (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2011 – 3 StR 353/11, NStZ 2012, 164).

c) Auch die konkrete Strafzumessung begegnet rechtlichen Bedenken, weil aus den Urteilsgründen nicht zweifelsfrei zu erkennen ist, dass sich das Jugendschöffengericht bei der Bemessung der Höhe der Freiheitsstrafe am Erziehungsgedanken orientiert hat (§ 18 Abs. 2 JGG). In den Urteilsgründen findet der Erziehungsgedanke lediglich formelhaft Erwähnung. Nach § 18 Abs. 2 JGG ist die Höhe der Jugendstrafe in erster Linie an erzieherischen Gesichtspunkten auszurichten. Die Urteilsgründe müssen erkennen lassen, dass dem Erziehungsgedanken die ihm zukommende Beachtung geschenkt und bei der Bemessung der Jugendstrafe das Gewicht des Tatunrechts gegen die Folgen der Strafe für die weitere Entwicklung des Heranwachsenden abgewogen worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Januar 2015 – 3 StR 581/14, NStZ-RR 2015, 154 f., m. w. N.; OLG Celle, Beschluss vom 26. Juni 2012 – 32 Ss 78/12, NStZ, 2012, 576 f.). Allerdings darf der Strafzweck des gerechten Schuldausgleichs bei besonders schwerem Unrecht nicht völlig hinter dem Erziehungsgedanken zurücktreten (vgl. Fischer, StGB, 69. Aufl. § 46 Rn. 18 m. w. N.); dies gilt insbesondere bei schweren Gewaltdelikten (vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 2022 – 3 StR 436/21, BeckRS 2022, 5043 Rn. 16 f.). Welches Gewicht den einzelnen Zumessungserwägungen zukommt ist vom Einzelfall abhängig. Das Tatgericht hat dazu eine umfassende Abwägung vorzunehmen (vgl. BGH, a. a. O., Rn. 17 m. w. N.).

d) Soweit – gegebenenfalls gemäß § 31 Abs. 1 JGG – eine (Einheits-) Jugendstrafe zu bilden ist, kommt dem Vorliegen eines minder schweren Falles (hier gemäß § 250 Abs. 3 StGB) für die Bewertung des Unrechts hinsichtlich Fall II. Nr. 1 der Urteilsgründe jedenfalls Bemessungsrelevanz zu (vgl. BGH, a. a. O., Rn. 18; Beschluss vom 17. Februar 1989 – 3 StR 3/89, BeckRS 1989, 31106193; Eisenberg/Kölbel, JGG, 23. Aufl., § 18 Rn. 24 f., m. w. N.), sodass dessen Voraussetzungen zu prüfen und gemäß § 267 Abs. 3 Satz 2 StPO im Urteil darzustellen sind (vgl. Eisenberg/Kölbel, a. a. O., § 18 Rn. 24). Auch mit diesem für die Strafzumessung erheblichen Gesichtspunkt setzt sich das Jugendschöffengericht in dem angefochtenen Urteil nur formelhaft auseinander.“

Bewährung II: Viele Vorstrafen, schneller Rückfall pp., oder: Anforderungen an die sog. Legalprognose

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Auch die zweite Entscheidung des Tages, der OLG Brandenburg, Beschl. v. 10.08.2022 – 1 OLG 53 Ss 65/22 – war schon einmal Gegenstand der Berichterstattung, und zwar hier bei: Rechtsmittel III: Berufungsbeschränkung wirksam?, oder: Trennbarkeitsformel. Ich komme jetzt auf die Entscheidung noch einmal wegen der Bewährungsfrage zurück. Das OLG nimmt Stellung zur sog. Begründungstiefe.

Das LG hatte noch einmal Bewährung gewährt. Dagegen hatte die StA Revision eingelegt, die Erfolg hatte:

„2. Die Revision der Staatsanwaltschaft Potsdam hat auch in der Sache Erfolg.

Die Erwägungen, mit denen das Landgericht – in Übereinstimmung mit der erstinstanzlichen Entscheidung – die gewährte Strafaussetzung zur Bewährung begründet hat, halten rechtlicher Überprüfung nicht stand; die Urteilsgründe erweisen sich in wesentlichen Aspekten als lückenhaft.

a) Die Frage, ob zu erwarten ist, dass sich der Angeklagte schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird (§ 56 Abs. 1 StGB), hat der Tatrichter unter Berücksichtigung aller dafür bedeutsamen Umstände im Rahmen einer Gesamtwürdigung zu entscheiden. Bei dieser Prognose steht ihm ein weiter Bewertungsspielraum zu (BGH, Urteil vom 10. Juni 2010, 4 StR 474/09, Rz. 34, Juris; NStZ 2007, 303, 304; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 23. Januar 2008, 1 Ss 19/07, Rz. 5, Juris; NStZ-RR 2005, 200, 201; Fischer, StGB, 69. Auflage, zu § 56, Rz. 11). Die Prognoseentscheidung des Tatrichters ist vom Revisionsgericht grundsätzlich bis zur Grenze des Vertretbaren hinzunehmen (BGH a. a. O.; OLG Karlsruhe a. a. O.) und nur darauf zu überprüfen, ob sie rechtsfehlerhaft ergangen ist, der Tatrichter also Rechtsbegriffe verkannt oder seinen Bewertungsspielraum fehlerhaft ausgefüllt hat (BGHSt 6, 298, 300; 6, 391, 392, OLG Düsseldorf NStZ 1988, 325, 326; KG a. a. O.).

Um dem Revisionsgericht diese Prüfung zu ermöglichen, muss der Tatrichter seine Erwägungen im Urteil in einem die Nachprüfung ermöglichenden Umfang darlegen (OLG Düsseldorf a. a. O.; KG a. a. O. m. w. N.; Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., zu § 337, Rz. 34). Seine Feststellungen müssen eine tragfähige Grundlage für die Überprüfung der Rechtsanwendung bilden (Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., zu § 337, Rz. 21).

Der Umfang der Darlegungen und deren Begründungstiefe hängt maßgeblich davon ab, ob und ggf. in welchem Umfang der Angeklagte strafrechtlich vorbelastet ist. Bei einem mehrfach und einschlägig vorbestraften Angeklagten, der ggf. schon frühere Bewährungschancen nicht bestanden hat, setzt eine günstige Legalprognose bzw. die Strafaussetzung zur Bewährung eine besonders eingehende und vertiefte Begründung voraus.

b) Im vorliegenden Fall ist hinsichtlich der erforderlichen Begründungstiefe zu berücksichtigen, dass der Angeklagte ganz erheblich vorbestraft ist. Der Auszug aus dem Bundeszentralregister weist 19 Eintragungen aus. Der Angeklagte ist elf Mal, teilweise in Tatmehrheit mit anderen Delikten, wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis einschlägig vorbestraft. In der Vergangenheit hat der Angeklagte bei sämtlichen ihm eingeräumten Bewährungschancen versagt; fünf Mal musste eine ihm gewährte Vollstreckungsaussetzung zur Bewährung widerrufen werden. Erst sechs Monate vor der ersten im hiesigen Verfahren festgestellten Straftat des Fahrens ohne Fahrerlaubnis (21. April 2020) war der Angeklagte durch rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts Brandenburg am 29. Oktober 2019 (24 Ds 22/19) ebenfalls wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt worden, deren Vollstreckung zur Bewährung bis zum 28. Oktober 2021 ausgesetzt wurde. Selbst diese nach § 56 Abs. 1 Satz 2 StGB kürzest denkbare Bewährungszeit hat der Angeklagte nicht ohne Begehung neuer, einschlägiger Straftaten überstanden. Er ist Bewährungsversager. Zur Tatzeit stand der Angeklagte zudem infolge des Urteils des Amtsgerichts Brandenburg a.d.H. vom 25. März 2014 (21 Ls 7/14) unter Führungsaufsicht, die noch bis zum 20. November 2022 fortdauert. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass der Angeklagte den Gründen des angefochtenen Urteils zu Folge bereits im März 2022 wegen einer am 23. Juli 2021 erneut begangenen einschlägigen Straftat des Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer bedingten Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt wurde (S. 3 UA). Zwar ist dieses Urteil noch nicht in Rechtskraft erwachsen, es kann aber dennoch zur Prognoseentscheidung berücksichtigt werden, da diese Verurteilung ausweislich der Urteilsgründe auf einem Geständnis des Angeklagten beruht. Der Angeklagte hat die erneute Straftat am 23. Juli 2021 begangen, obwohl die ihm im hiesigen Verfahren am 27. Oktober 2020 förmlich zugestellte Anklageschrift vom 7. November 2020 eine deutliche Appellfunktion entfaltete.

Unter Berücksichtigung der vorgenannten zahlreichen einschlägigen Verurteilungen, dem häufigen und ausschließlichen Bewährungsversagen, der hohen Rückfallgeschwindigkeit und der erneuten einschlägigen Straffälligkeit nach den im hiesigen Verfahren begangenen Straftaten sind an die Begründungstiefe für eine positive Legalprognose nach § 56 Abs. 1 StGB hohe Anforderungen zu stellen. Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.

Soweit das Tatgericht die positive Legalprognose damit zu begründen versucht, dass der Angeklagte bereits seit 2017 in der Gastronomie beruflich eingebunden und sich zum Schichtleiter hochgearbeitet hat (S. 10 UA), vermag dies schon deswegen nicht zu verfangen, da ihn die berufliche Einbindung vor der Begehung neuer einschlägiger Straftaten des Fahrens ohne Fahrerlaubnis – jedenfalls bis zum Juli 2021 – nicht abhalten konnte. Das Argument, dass der Angeklagte seinen Wohnsitz an den Ort seines Arbeitsplatzes, nach Berlin, verlegt hat, um den Weg zur Arbeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklegen zu können (S. 10 UA), überzeugt ebenfalls nicht. Dies könnte nur dann maßgeblich sein, wenn Motiv des Fahrens ohne Fahrerlaubnis die Bewältigung der Strecke zum Arbeitsplatz gewesen wäre. Dies scheint aber nach den Urteilsgründen nicht gegeben zu sein. Danach arbeite der Angeklagte regelmäßig von 16 Uhr nachmittags bis 4 Uhr nachts. In den beiden hier festgestellten Fällen wurde das Fahren ohne Fahrerlaubnis um 10:29 Uhr und um 10:06 Uhr festgestellt und dürfte gerade keinen Bezug zur beruflichen Tätigkeit des Angeklagten gehabt haben. Dass der Angeklagte in einer stabilen Beziehung lebt, ist nach den Urteilsgründen nicht hinreichend unterlegt. Zum einen wird nur die Heirat im Jahr 2020 erwähnt, ohne dass erkennbar ist, wie lange die Beziehung zu diesem Zeitpunkt bereits bestanden hat. Zum anderen hat der Angeklagte die Straftaten gerade während des Bestehens der genannten Beziehung begangen, so dass nicht nachvollziehbar ist, worin der Wechsel in der Einstellung des Angeklagten nach Tatbegehung begründet sein kann. Dass der Angeklagte im Verfahren vom Juli 2021 „auf die Herausgabe des beschlagnahmten Autos verzichtet“ hat (S. 4 UA), kann nicht entscheidend zu seinen Gunsten gewertet werden, da es ohnehin der Einziehung unterlegen hätte. Dasselbe gilt für den vom Tatgericht hervorgehobenen Umstand, dass der Angeklagte sich kein neues Auto mehr angeschafft habe (S. 9 UA), was bei Fehlen einer Fahrerlaubnis eher selbstverständlich sein dürfte.

Zu Gunsten des Angeklagten spricht, dass er eigeninitiativ eine Verhaltenstherapie aufgenommen und „fünf Probestunden“ absolviert hat. Die Urteilsgründe verhalten sich jedoch nicht zu den Inhalten und einem möglichen (Zwischen-) Ergebnis der bisherigen Therapie, so dass sie sich insoweit als lückenhaft erweisen.

Das erst zwei Wochen vor der Berufungshauptverhandlung eröffnete Insolvenzverfahren dokumentiert die Höhe der mit den Betrugsstraftaten einhergehenden Schäden. Die Hintergründe des damit zusammenhängenden Verhaltens des Angeklagten, auch die Frage, ob möglicherweise damit prozesstaktische Ziele erreicht werden sollten, erörtert das Berufungsgericht nicht.

Am Rande sei bemerkt, dass sich das Berufungsgericht – wie von der Staatsanwaltschaft zutreffend beanstandet – nicht hinreichend mit den strafrechtlichen Vorbelastungen und auch nicht mit § 56 Abs. 3 StGB auseinandergesetzt hat (vgl. BGHSt 24, 40, 46; BHG wistra 2000, 96 f.; BGH NStZ 1985, 165; BGH NStZ 2018, 29); für die Prognoseentscheidung nicht uninteressant könnte auch die Frage sein, in welchem Zusammenhang das Fahren ohne Fahrerlaubnis auf einer Autobahn festgestellt worden war.

Nach alledem werden die Ausführungen in dem angefochtenen Urteil zur positiven Legalprognose sowohl jeweils für sich betrachtet als auch in einer Gesamtbetrachtung, der im vorliegenden Fall erforderlichen besonderen Begründungstiefe nicht gerecht, so dass das Urteil insoweit der Aufhebung unterliegt.“