Und dann im zweitem Posting am heutigen Freitag nicht direkt etwas zum RVG, aber zum StrEG. Es geht also auch ums Geld, nämlich um die Entschädigung für eine „Übervollstreckung“ nach Neufestsetzung einer Gesamtfreiheitsstrafe nach Art. 316p, 313 Abs. 4 EGStGB
Folgender Sachverhalt: Der Antragsteller begehrt eine Grundentscheidung nach dem StrEG wegen verbüßter Strafhaft vor dem Hintergrund der Neufestsetzung einer gegen ihn zuvor rechtskräftig verhängten Gesamtfreiheitsstrafe nach Art. 316p, 313 Abs. 4 EGStGB auf Grund des am 1.4.2024 in Kraft getretenen Gesetzes CanG. Dem liegt folgender Verfahrensgang zugrunde: Gegen den Antragsteller ist durch das AG durch Urteil v. 27.10.2022 wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in zwei Fällen aus zwei Einzelfreiheitsstrafen von jeweils zwei Monaten, wobei einer Einzelstrafe der Besitz von zwei Marihuana-Joints zu Grunde lag, eine zur Bewährung ausgesetzte Gesamtfreiheitsstrafe von drei Monaten, gebildet worden. Mit Beschluss des AG vom 20.10.2023 wurde – nach zwischenzeitlichem Widerruf der Strafaussetzung – aus den vorgenannten Einzelstrafen und einer durch Urteil des AG v. 16.05.2023 verhängten Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 10 EUR wegen Körperverletzung nachträglich eine neue Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten gebildet, die der Antragsteller ab dem 11.10.2023 verbüßte.
Nach Inkrafttreten des CanG am 01.04.2024 setzte die Strafvollstreckungskammer des LG mit Beschluss vom 03.04.2024 die Gesamtstrafe aus dem Beschluss des AG vom 20.10.2023 – unter Wegfall der Einzelfreiheitsstrafe von zwei Monaten (für den Besitz von zwei Marihuana-Joints) aus dem Urteil des AG vom 27.10.2022 – neu auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Monaten fest und setzte deren Vollstreckung nicht zur Bewährung aus. Am 04.04.2024 wurde der Antragsteller aus der Strafhaft entlassen, nachdem er – unter Anrechnung von sechs Tagen wegen im ursprünglichen Bewährungsverfahren erbrachter gemeinnütziger Arbeit – sechs Monate verbüßt hatte.
Der Antragsteller hat beantragt, die Verpflichtung zur Entschädigung für zu Unrecht erlittene Haft von einem Monat festzustellen. Den diesen Antrag ablehnenden Beschluss des AG hat das LG mit Beschluss vom 06.01.2025 auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wegen Unzuständigkeit des AG aufgehoben. Nunmehr hat die Strafvollstreckungskammer des LG mit Beschluss vom 27.05.2025 den Antrag auf Feststellung einer Entschädigungspflicht mit der Begründung abgelehnt, dass die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 StrEG nicht erfüllt seien, weil die Strafe nicht in einem Wiederaufnahmeverfahren oder in einem Strafverfahren weggefallen sei. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Antragstellers. Diese hatte keinen Erfolg beim OLG keinen Erfolg. Das OLG Oldenburg führt im OLG Oldenburg, Beschl. v. 20.88.2025 – 1 Ws 269/25 – aus:
„2. Dem Antragsteller steht ein Anspruch nach StrEG nicht zu.
a) Als Grundlage für eine Entschädigung des Antragstellers käme lediglich die Vorschrift des § 1 Abs. 1 StrEG in Betracht. Danach ist derjenige aus der Staatskasse zu entschädigen, der der durch eine strafgerichtliche Verurteilung einen Schaden erlitten hat, soweit die Verurteilung im Wiederaufnahmeverfahren oder sonst, nachdem sie rechtskräftig geworden ist, in einem Strafverfahren fortfällt oder gemildert wird.
Die nachträgliche Herabsetzung einer rechtkräftig verhängten Gesamtfreiheitsstrafe infolge des kraft Gesetzes erfolgten Erlasses einer zuvor einbezogenen Einzelstrafe nach Art. 316p, 313 Abs. 4 EGStGB stellt jedoch keine Strafmilderung dar, die in einem Strafverfahren im Sinne des § 1 Abs. 1 StrEG vorgenommen wurde.
aa) Zwar kommt es bei Entscheidungen nach Art. 313 Abs. 3 und 4 EGStGB zu einer Durchbrechung der Rechtskraft und einer wertenden Neufestsetzung der zu vollstreckenden Strafe. Es handelt sich mithin um originäre Entscheidungen, die den eigentlich rechtskräftigen Strafanspruch des Staates der Höhe nach abändert (BGH, Beschluss vom 23.10.2024 – 2 ARs 179/24 -, juris Rn. 31). Anders als in den – nach dem gesetzgeberischen Willen – von § 1 Abs. 1 StrEG erfassten Fällen handelt es sich jedoch nicht um die materiell-rechtliche Korrektur einer rechtskräftigen Entscheidung, sondern um eine Amnestie-Korrektur, die der Anpassung der Vollstreckung an eine neue Gesetzeslage dient.
Das am 8. März 1971 eingeführte StrEG sollte eine gesetzliche Grundlage für Entschädigungen bei „ungerechtfertigter“ Strafverfolgung schaffen. Der Begründung des Regierungsentwurfs des Gesetzes ist zu entnehmen, dass – gegenüber dem HaftEntschäG vom 20. Mai 1898 und dem UHaftEntschäG vom 14. Juli 1904 – die Entschädigungspflicht des Staates – vor dem Hintergrund der Unschuldsvermutung – zwar erheblich erweitert werden, es insbesondere nicht mehr darauf ankommen sollte, ob der Tatverdacht tatsächlich ausgeräumt bzw. ein Unschuldsnachweis erbracht werden kann. Der den Ursprungsregelungen innewohnende Normierungszweck wurde jedoch beibehalten, nämlich die Haftung des Staates für rechtmäßige Justizakte zu regeln „gegenüber denjenigen, die verurteilt worden sind oder die in der Untersuchungshaft waren, wenn die Strafverfolgung sich nachträglich als nicht gerechtfertigt herausstellt“ (BT-Drucks. VI/460, S. 5 – 6).
Damit steht im Einklang, dass nach h. M. der Entschädigungsanspruch nach StrEG seiner Rechtsnatur nach als Aufopferungsanspruch angesehen wird; er setzt voraus, dass der Betroffene, der einer – nicht durch ein Verfahrensergebnis sachlich legitimierten – Strafverfolgungsmaßnahme ausgesetzt ist, im Interesse der Allgemeinheit an einer effektiven Strafrechtspflege ein Sonderopfer erbracht hat (vgl. BGH, Urteil vom 22.02.1973 – III ZR 162/70 – NJW 1973, 1322, 1323; OLG Jena, Beschluss vom 20.07.2009 – 1 Ws 283/09 -, juris, Rn. 20; Schmitt/Köhler, StPO, 68. Aufl., Vorbem. zu § 1 StrEG Rn. 1; Pardey/Balke/Link, Schadenrecht, 1. Aufl., Strafverfolgungsmaßnahmen und Entschädigung, Rn. 7; BeckOK StPO/Cornelius, 56. Ed., StrEG § 1 Rd. 6.1).
Ein solches Sonderopfer wird aber nicht demjenigen abverlangt, der rechtskräftig nach seinerzeit geltender Rechtslage verurteilt wurde und infolge einer späteren Gesetzesänderung eine Strafmilderung erfährt. Hier geht nicht das Gebot materieller Gerechtigkeit der Rechtskraftwirkung vor (vgl. MüKo-Kunz/Grommes, StPO, 2. Aufl., § 1 Rn. 1); deren Durchbrechung beruht vielmehr auf einer generellen politischen Entscheidung des Gesetzgebers, bestimmte Straftaten nicht mehr oder milder zu verfolgen. Durch die mit Einführung des CanG in Art. 316p EGStGB normierte Anwendbarkeit des Art. 313 EGStGB wird lediglich zur Anpassung der ab dem 1. April 2024 geltenden neuen Gesetzeslage eine Vollstreckungskorrektur vorgenommen.
bb) Die Vorschrift des Art. 313 EGStGB entspricht daher in ihrem Wesen – als gesetzgeberischer Eingriff in den Gang der Strafrechtspflege – einer Amnestie (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 28.05.2024 – 1 ORs 24 SRs 167/24 -, BeckRS 2024,13224 Rn. 5 ff.), da sie den Straferlass für Taten, die nach dem CanG nicht mehr strafbar oder mit Geldbuße bedroht sind, unmittelbar kraft Gesetzes mit dessen Inkrafttreten anordnet. Die Rechtswirkungen des Straferlasses nach Art. 313 Abs. 1 EGStGB treten dabei unmittelbar kraft Gesetzes (ipso jure) ohne weiteren Rechtsakt ein (vgl. BGH, Beschluss vom 26.06.2024 – 3 StR 177, 24 -, BeckRS 2024, 18588 Rn. 10; OLG Stuttgart, a.a.O.). Eine Entscheidung der Vollstreckungsbehörde, dass Vollstreckungsmaßnahmen einzustellen sind, hat nur deklaratorischen Charakter. Käme es in solchen dem Art. 313 Abs. 1 EGStGB unterliegenden Fällen des Straferlasses zu einer „Übervollstreckung“, wäre ein Entschädigung nach § 1 Abs. 1 StrEG von vornherein ausgeschlossen, da die Strafe nicht in einem Strafverfahren weggefallen ist. Auch eine Entschädigung nach einer anderen Vorschrift des StrEG wäre ausgeschlossen, da es auf Strafvollstreckungsmaßnahmen generell keine Anwendung findet (vgl. BGH, Beschluss vom 02.04.1993 – 2 ARs 83/93 – juris Rn. 5; OLG Köln, Beschluss vom 30.09.2013 – III-2 Ws 533/13 -, juris Rn. 11). Dass eine nachträgliche Festsetzung der Gesamtstrafe nach Art. 313 Abs. 4 EGStGB, die auf dem Erlass einer Einzelstrafe nach Art. 313 Abs. 1 EGStGB fußt, eine andere Bewertung nach sich zöge, verstieße nicht nur gegen das Gebot materieller Gerechtigkeit, sondern wäre nach dem Gesetzeszweck verfehlt.
Die Gesetzesbegründung zu § 1 StrEG benennt beispielhaft die dem Wiederaufnahmeverfahren gleichgestellten Fälle („oder sonst … in einem Strafverfahren“), in denen fortan ebenfalls eine Entschädigungspflicht bestehen soll, nämlich solche, in denen die Rechtskraft infolge „der beschränkten Rechtskraftwirkung des Strafbefehls“ durchbrochen wird oder „wenn sich die Revisionsentscheidung auf den rechtskräftig verurteilten Mitangeklagten erstreckt“ (BT-Drucks VI/460, S. 7). Eine in der Wirkung und im Ergebnis dem Wiederaufnahmeverfahren gleichstellte Verfahrenslage ist bei Neufestsetzung einer Gesamtstrafe infolge Straferlasses kraft Gesetzes gerade nicht gegeben. Die Entscheidung nach Art. 313 Abs. 4 EGStGB berührt nicht den Bestand der Verurteilung; weder führt sie zu einer Änderung des Schuldspruchs noch zur Aufhebung oder Auflösung der rechtskräftig verhängten Gesamtstrafe (vgl. BGH, Beschluss vom 26.06.2024 – 3 StR 177/24 -, BeckRS 2024, 18588 Rn. 12, 13), begründet mithin keinerlei Zweifel an einer zutreffenden Entscheidung, sondern passt lediglich – im Wege einer Neufestsetzung der Gesamtstrafe – die Vollstreckungslage dem kraft Gesetzes erfolgten Erlass einer (zuvor einbezogenen) Strafe an.
Eine strafverfahrensmäßige Korrektur im Sinne des Art. 1 EGStGB liegt somit nicht vor. Der gegenteiligen Ansicht, die bei einer „Übervollstreckung“ einer Gesamtstrafe nach dem Inkrafttreten des CanG eine Entschädigung nach dem StrEG für gegeben erachtet (vgl. Krumm in: Krumm/Ostmeyer, Betäubungsmittelstrafrecht, 4. Aufl. 2024, E. Rn. 362, 381), folgt der Senat aus den vorstehenden Gründen nicht.
b) Eine analoge Anwendung der Vorschriften des StrEG scheidet aus. Die Bestimmungen der §§ 1, 2 StrEG haben abschließenden Charakter und können nicht auf ähnliche Maßnahmen oder Sachverhalte angewendet werden (vgl. BGH, Großer Senat für Strafsachen, Beschluss vom 17.01.2008 – GSSt 1/07 – juris, Rn. 41).
Für eine entsprechende Anwendung des StrEG unter Billigkeitserwägungen ist überdies schon aus den vorgenannten Gründen kein Raum. Zudem fehlt es an einer Gesetzeslücke. So wurde Art. 313 EGStGB mit dem Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch vom 2. März 1974, mithin nach dem am 8. März 1971 eingeführten StrEG, geschaffen, ohne dass den Gesetzesmaterialien eine Intention des Gesetzgebers auf eine Ausdehnung der Entschädigungsfälle nach StrEG bei späterer Neufestsetzung der Strafe infolge Gesetzänderung zu entnehmen ist. Auch im Zuge der Einführung des CanG ist die Statuierung einer Entschädigungspflicht nicht in Erwägung gezogen worden.
c) In den Fällen, in denen die Strafvollstreckung trotz des mit Inkrafttreten des CanG am 1. April 2025 eingetretenen Straferlasses fortgesetzt wurde, ist der von der „Übervollstreckung“ Betroffene jedoch nicht rechtlos gestellt. Auch hier kommt als Anspruchsgrundlage für eine Entschädigung wegen eines – möglicherweise – rechtswidrigen Freiheitsentzuges Art. 5 Abs. 5 EMRK in Betracht, der einen unmittelbaren und verschuldensunabhängigen Anspruch auf Ersatz des materiellen und immateriellen Schadens (vgl. BGH, Urteil vom 29.04.1993 – III ZR 3/92 -, BGHZ 122, 268 ff.; OLG Celle, Beschluss vom 14.02.2012 – 2 Ws 32/12 -, juris Rn. 14) gewährt. Für einen solchen Anspruch ist jedoch ebenso wie für einen – allerdings verschuldensabhängigen – Anspruch aus Amtspflichtverletzung nach Art. 34 GG i.V.m. § 839 BGB der Zivilrechtsweg eröffnet (vgl. OLG München, Beschluss vom 05.07.1995 – 1 Ws 289/15 -,NStZ-RR 1996, 125; OLG Celle, a.a.O.).“

