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Nebenklage I: Aufhebung einer Nebenklagezulassung und/oder „Neuzulassung“

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Heute habe ich dann drei Entscheidungen zur Nebenklage zusamengestellt.

Den Opener mache ich mit dem KG, Beschl. v  30.06.2020 – 4 Ws 37/20 – zur Aufhebung einer fehlerhaften Nebenklagezulassung. Das LG hatte eine Nebenklagezulassung durch das AG im Berufungsverfahren wieder aufgehoben.

Folgender (konkreter) Sachverhalt.

„Das Amtsgericht Tiergarten hat den Angeklagten am 20. September 2019 wegen Diebstahls sowie wegen Nötigung in Tateinheit mit Erpressung zu einer Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen (Einzelstrafen: 60 und 90 Tagesätze) zu je 30,- Euro verurteilt und die Einziehung von Wertersatz in Höhe von 2.000,- Euro angeordnet.

Nach den Urteilsfeststellungen nahm der Angeklagte in der Wohnung der Beschwerdeführerin, seiner Ehefrau, die Fahrzeugpapiere des Pkws der Beschwerdeführerin ohne deren Wissen und Einverständnis an sich, um diese für sich zu verwenden. In der Folgezeit meldete er das Fahrzeug ohne Kenntnis und Zustimmung der Beschwerdeführerin auf seinen Namen um. Nachdem er ihr die Umschreibung kundgetan hatte, forderte er sie auf, die Strafanzeige wegen der Entwendung der Fahrzeugunterlagen zurückzunehmen und ihm die Fahrzeugschlüssel auszuhändigen, anderenfalls werde er ihr die Kinder und ihre Eigentumswohnung wegnehmen, so wie er es schon mit dem Auto getan habe. Die Beschwerdeführerin nahm die Drohung ernst, händigte ihm deshalb die Fahrzeugschlüssel aus und nahm die Anzeige zurück. Der Angeklagte hat das Fahrzeug inzwischen für 2.000,- Euro verkauft.

In der der Urteilsverkündung vorausgegangenen Hauptverhandlung vom 20. September 2019 hatte das Amtsgericht Tiergarten folgenden Beschluss erlassen: „Die Zeugin J wird gemäß § 395 Abs. 1 Nr. 4 StPO als Nebenklägerin zugelassen.“ Eine Begründung enthielt der Beschluss nicht. Ein rechtlicher Hinweis darauf, dass die Strafe für die Tat zu 2. auch dem Strafrahmen des § 240 Abs. 4 StGB entnommen werden könnte, wurde nicht erteilt und von der anwaltlich vertretenen Beschwerdeführerin auch nicht angeregt. Der zuvor in dieser Sache ergangene Strafbefehl des Amtsgerichts Tiergarten vom 19. März 2019 enthielt ebenfalls keinen Hinweis auf § 240 Abs. 4 StGB.“

Der Angeklagte hat gegen das Urteil des AG Berufung eingelegt. Nach vorheriger Anhörung der Verfahrensbeteiligten hat die Berufungskammer außerhalb der Hauptverhandlung die Zulassung der Nebenklage widerrufen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, die Voraussetzungen für die Zulassung der Nebenklage nach § 395 Abs. 1 Nr. 4 StPO hätten von vornherein nicht vorgelegen, daher sei die Zulassung der Nebenklage zu widerrufen. Die Voraussetzungen für einen Nebenklageanschluss nach § 395 Abs. 3 StPO lägen ebenfalls nicht vor, weshalb eine Zulassung nach dieser Vorschrift nicht erfolge. Zwar seien nach dem Wortlaut der Vorschrift nunmehr alle rechtwidrigen Taten grundsätzlich anschlussfähig, jedoch müsse der Anschluss aus besonderen Gründen, insbesondere wegen der schweren Folgen der Tat, zur Wahrnehmung der Interessen des Verletzten geboten erscheinen. Das Vorliegen besonderer Gründe im Sinne von § 395 Abs. 3 StPO hat die Strafkammer mit der gebotenen Begründungstiefe verneint.

Das KG hat die Beschwerde verworfen:

1. Soweit sich die Beschwerde gegen den Widerruf des Zulassungsbeschlusses des Amtsgerichts Tiergarten richtet, ist sie nach § 304 Abs. 1 StPO zulässig, insbesondere nicht nach § 396 Abs. 2 Satz 2 2. HS StPO ausgeschlossen.

§ 396 Abs. 2 Satz 2 2. HS StPO bezieht sich nur auf Fälle, in denen das Gericht eine Ermessensentscheidung nach § 395 Abs. 3 StPO getroffen hat. Vorliegend jedoch hat das Amtsgericht Tiergarten kein Ermessen ausgeübt, sondern ist davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen des § 395 Abs. 1 Nr. 4 StPO vorliegen, mithin eine gebundene Entscheidung erfolgen müsse.

Die Beschwerde ist insoweit jedoch unbegründet.

Die Verurteilung wegen einer der in § 395 Abs. 1 Nr. 4 StPO genannten Taten kommt vorliegend nicht in Betracht. Insbesondere liegen die Voraussetzungen eines besonders schweren Falls der Nötigung nach § 240 Abs. 4 StGB nicht vor. Die Regelbeispiele des § 240 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 oder Nr. 2 StGB (Missbrauch einer Amtsträgerstellung bzw. Nötigung zum Schwangerschaftsabbruch) sind nicht einschlägig.

Es kann dahinstehen, ob auch die unbenannten besonders schweren Fälle des § 240 Abs. 4 StGB eine Nebenklagebefugnis nach § 395 Abs. 1 Nr. 4 StPO konstituieren (vgl. hierzu kritisch Wenske in Löwe-Rosenberg, StPO 26. Auflage, § 395 Rnr. 4), denn auch ein unbenannter schwerer Fall nach § 240 Abs. 4 StGB liegt nicht vor. Ein besonders schwerer Fall ist – losgelöst von möglichen Regelbeispielen – dann geben, wenn die Tat bei Berücksichtigung aller Umstände die gewöhnlich vorkommenden und deshalb vom Gesetz für den ordentlichen Strafrahmen schon bedachten Fälle an Strafwürdigkeit so sehr übertrifft, dass die Anwendung des verschärften Strafrahmens geboten erscheint. Dies kommt im Bereich der Nötigung in Betracht beim Einsatz eines äußerst intensiven Nötigungsmittels oder wenn das erzwungene Verhalten für das Opfer besonders erniedrigend oder gefährlich ist (vgl. Meyer-Lohkamp, jurisPR-StrafR 23/2018 Anm. 3 m.w.N.; Fischer, StGB 67. Auflage, § 240 Rnr. 62 m.w.N.). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Auch die anwaltlich vertretene Beschwerdeführerin geht hiervon offensichtlich nicht aus. Sie hat zu keinem Zeitpunkt die Erteilung eines entsprechenden rechtlichen Hinweises angeregt. Nachdem in der Hauptverhandlung der ersten Instanz die Staatsanwaltschaft die Verhängung von Einzelstrafen deutlich unterhalb der Mindeststrafe des § 240 Abs. 4 StGB, nämlich solche in Höhe von 60 und 90 Tagessätzen, beantragt hatte, hat sich ihr Beistand auf den Antrag beschränkt, dem Angeklagten auch die notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin aufzuerlegen.

Die Berufungskammer durfte den Zulassungsbeschluss auch wiederrufen. Der Zulassungsbeschluss ist in Fällen des § 395 Abs. 1 StPO nur deklaratorischer Natur und nicht rechtskraftfähig. Er kann deshalb in jeder Lage des Verfahrens, insbesondere dann wieder aufgehoben werden, wenn sich nachträglich das Fehlen einer verfahrensrechtlichen Grundlage herausstellt (vgl. Walther in Karlsruher Kommentar, StPO 8. Auflage, § 396 Rnrn. 7 und 9; Valerius in Münchener Kommentar, StPO, § 396 Rnrn. 22 und 23; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 63. Auflage, § 396 Rnrn. 13 und 16; jeweils m.w.N.). Die ohne rechtliche Grundlage erfolgte Zulassung zur Nebenklage bindet das Rechtsmittelgericht ohnehin nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 5. April 2000 – 3 StR 75/00 – [juris] m.w.N.).

2. Soweit die Berufungskammer im vorliegenden Verfahren erstmals die Voraussetzungen des § 395 Abs. 3 StPO geprüft hat und zu dem Ergebnis gelangt ist, dass keine besonderen Gründe im Sinne dieser Vorschrift vorliegen, ist der Beschluss nicht anfechtbar, § 396 Abs. 2 Satz 2 2. HS StPO. Die Beschwerde ist insoweit unzulässig.

Der Hinweis der Generalstaatsanwaltschaft Berlin in ihrer Stellungnahme vom 25. Mai 2020 auf die Kommentierung in Meyer-Goßner/Schmitt aaO, § 396 Rnr. 9 führt zu keinem anderen Ergebnis. Zwar ist es zutreffend, dass die Entscheidung nach § 395 Abs. 3 StPO vom Gericht und nicht vom Vorsitzenden allein zu treffen ist, so dass eine Entscheidung des Vorsitzenden trotz der Regelung des § 396 Abs. 2 Satz 2 2. HS StPO ausnahmsweise anfechtbar sein kann. Vorliegend jedoch hat die Berufungskammer entschieden. Nach § 76 Abs. 1 Satz 1 2. HS GVG ist die kleine Strafkammer mit einem Vorsitzenden und zwei Schöffen besetzt. Gemäß § 76 Abs. 1 Satz 2 GVG wirken die Schöffen bei Entscheidungen außerhalb der Hauptverhandlung nicht mit. Der angefochtene Beschluss wurde außerhalb der Hauptverhandlung gefasst. Die Berufungskammer hat somit in der gesetzlichen Besetzung entschieden. Die von der Generalstaatsanwaltschaft Berlin zitierte Kommentierung bezieht sich auf Fälle, in denen der Vorsitzende einer großen Strafkammer allein entschieden bzw. in denen der Vorsitzende der kleinen Strafkammer in der Hauptverhandlung allein entschieden hat. Beides war vorliegend nicht der Fall.

Im Hinblick auf die in teilweise unangemessener Diktion vorgetragenen Ausführungen in der Beschwerdebegründung weist der Senat darauf hin, dass der angefochtene Beschluss auch in der Sache nicht zu beanstanden ist. Zutreffend hat die Berufungskammer darauf hingewiesen, dass Anhaltspunkte für die nach § 395 Abs. 3 StPO erforderliche besondere Schutzbedürftigkeit nur schwere Folgen der Tat darstellen können, etwa durch Aggressionsdelikte ausgelöste körperliche oder seelische Schäden sowie Traumata oder Schockzustände, die bereits eingetreten oder zu erwarten sind (vgl. BGH NJW 2012, 2601). Solche schweren Folgen der Tat sind vorliegend weder durch das Amtsgericht festgestellt, noch von der Beschwerdeführerin im Rahmen ihrer zeugenschaftlichen Vernehmung oder bei anderer Gelegenheit geschildert worden. In seiner Stellungnahme vom 10. März 2020 hat ihr Beistand ausdrücklich hervorgehoben, dass das Fahrzeug tatsächlich ca. 3.500,- bis 4.000,- Euro wert gewesen sei, somit „ein nicht unerheblicher Vermögensschaden im Sinne des § 395 Abs. 3 StPO“ vorliege, zudem stelle der drohende Verlust der Eigentumswohnung in Schöneberg einen „noch erheblicheren Vermögensschaden dar als der Verlust des Pkws“. Im Hinblick auf dieses Vorbringen war der Hinweis der Strafkammer, dass wirtschaftliche Interessen des Verletzten für die Nebenklagebefugnis nach § 395 Abs. 3 StPO nicht ausreichen, sachgerecht (vgl. BGH aaO; Valerius aaO, § 395 Rnr. 78; Walther aaO, § 395 Rnr. 15). Soweit die Beschwerdeführerin darauf verwiesen hat, den Angeklagten im Rahmen der familienrechtlichen Auseinandersetzung um die Ehewohnung unter anderem der wiederholten Vergewaltigung bezichtigt zu haben, führt dies zu keiner anderen Entscheidung. Diese Vorwürfe sind nicht Gegenstand des hiesigen Verfahrens.“