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Berufung III: Annahmeberufung und Sprungrevision, oder: Berufung des Nebenklägers

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Und die dritte und letzte Entscheidung kommt dann vom OLG Hamm. Das hat im OLG Hamm, Urt. v. 11.05.2021 – 4 RVs 7/21 – zu zwei Fragem Stellung genommen, die bei der Berufung immer wieder zu Diskussionen führen. Dazu hier die insoweit maßgeblichen  Leitsätze:

  1. In den Fällen, in denen eine Berufung gegen ein amtsgerichtliches Urteil nach § 313 Abs. 1 S. 2 StPO der Zulassung bedürfte, ist eine Sprungrevision nach § 335 Abs. 1 StPO (vorbehaltlich der Erfüllung der sonstigen Zulassungsvoraussetzungen) immer, d.h. auch ohne vorherige Berufungszulassung, zulässig.

  2. Es besteht die Verpflichtung des Nebenklägers, spätestens in der Revisionsbegründung deutlich zu machen, dass er mit seinem Rechtsmittel ein zulässiges Ziel i.S.v. § 400 StPO verfolgt, namentlich dass das Urteil wegen einer zum Anschluss als Nebenkläger berechtigenden Gesetzesverletzung angefochten werde. Es muss zumindest die entfernte rechtliche Möglichkeit einer Verurteilung nach dem nebenklagefähigen Straftatbestand bestehen.

Und dann hat das OLG noch folgende Punkte angesprochen:

  1. Ein Beschluss, mit dem eine Zulassung der Nebenklage nach § 395 Abs. 3 StPO erfolgt, ist für das Revisionsgericht bindend.

  2. Die Begründung eines Freispruchs muss so abgefasst werden, dass dem Revisionsgericht die Prüfung möglich ist, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind, insbesondere, ob der den Entscheidungsgegenstand bildende Sachverhalt vollständig gewürdigt worden ist. Hierzu bedarf es in den Urteilsgründen regelmäßig der Darstellung des Anklagevorwurfs, der getroffenen Feststellungen und einer Würdigung der Beweise, insbesondere der gegen den Angeklagten sprechenden Umstände.

Prozesskostenhilfe/PKH für den Nebenkläger, oder: Ja, aber eine beschränkte PKH gibt es nicht

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Die zweite Entscheidung, die ich vorstelle – es handelt sich um den OLG Naumburg, Beschl. v. 16.03.2021 – 1 Ws (s) 60/21 – befasst sich mit der Frage, ob PKH bei der Nebenklage beschränkt bewilligt werden kann.

Der Mandant des Kollegen Schröder, der mir den Beschluss geschickt hat, ist als Nebenkläger zu einem Strafkammer-Verfahren zugelassen, das sich gegen drei Mitangeklagte richtet. Am ersten Sitzungstag hat der Kollege für den Nebenkläger die Gewährung von Prozesskostenhilfe unter seiner Beiordnung beantragt. Dem hat das LG nur dahin entsprochen, „soweit das Verfahren die den Angeklagten und mit Anklage der Staatsanwaltschaft Magdeburg — Zweigstelle Halberstadt — vom 23. Juli 2018 zur Last gelegte Tat betrifft“. Dagegen die Beschwerde, die  beim OLG Erfolg hatte:

„Die Beschwerde des Nebenklägers hat in der Sache Erfolg. Denn eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Nebenklägervertreters nach § 397a Abs 2 StPO kann für das Strafverfahren und für den Rechtszug nur einheitlich ergehen und nicht einzelne Teile des Verfahrens, insbesondere einzelne Hautverhandlungstage oder einzelne Tatvorwürfe. hiervon ausnehmen.

§ 397a Abs. 2 Satz 1 StPO definiert die Voraussetzungen. unter denen Prozesskostenhilfe bewilligt wird. Dem Nebenkläger ist für die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts auf Antrag Prozesskostenhilfe nach denselben Vorschriften wie in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten zu bewilligen, wenn er seine Interessen selbst nicht ausreichend wahrnehmen kann oder ihm dies nicht zuzumuten ist. Weitere Bedingungen sieht das Gesetz nicht vor. Die Verweisung auf die Vorschriften der §§ 114 ff. ZO durch die Formulierung „nach denselben Vorschriften wie in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten“ führt unzweifelhaft nicht dazu, dass sich die Bewilligung von Prozesskostenhilfe danach orientiert, ob und inwieweit eine Nebenklage Erfolg haben kann oder nicht. § 114 Satz 1 Halbsatz 2 ZPO wird von § 397a Abs. 2 Satz 3 StPO für nicht anwendbar erklärt, so dass die Erfolgsaussicht der Nebenklage für die Bewilligungsentscheidung keine Rolle spielt.

Der Nebenkläger genießt nach den Vorstellungen des Gesetzes eine besondere Verfahrensrolle. Das kommt dadurch zum Ausdruck. dass § 397 StPO dessen Rechte besonders definiert und damit die Stellung des Nebenklägers in Abgrenzung zu einem Privatkläger hervorhebt. Dazu gehört insbesondere das Recht des Nebenklägers zur Anwesenheit in der Hauptverhandlung (§ 397 Abs. 1 Satz 1 StPO), so dass die seine Anwesenheit beschränkenden Vorschriften der §§ 58 Abs. 1, 243 Abs. 2 Satz 1 StPO nicht gelten (u.a. Schmitt. in: Meyer-Goßner/ Schmitt, StPO. 63. Aufl. 2021, § 397 Rn. 2). Das Anwesenheitsrecht erstreckt sich hierbei auf die gesamte Hauptverhandlung (Valerius in MüKoStPO, 1 Aufl. 2019. § 397 Rn. 4).

Mit dem Wesen der Nebenklage ist es nicht zu vereinbaren, die Entscheidung des Nebenklägers und des ihm beigeordneten Rechtsanwalts zur Ausübung des Anwesenheitsrechts über die Form der Prozesskostenhilfebewilligung zu steuern und ihn kostenrechtlich davon abzuhalten. das Anwesenheitsrecht auszuüben. Diese Kompetenz steht dem Gericht nach dem gesetzgeberischen Willen nicht zu, selbst wenn der Vorsitzende die Hauptverhandlung so gestaltet, dass einzelne Teile (insbesondere Verhandlungstage oder Verhandlungsinhalte) keinen unmittelbaren Bezug zum Nebenkläger und den ihn unmittelbar berührenden Tatvorwurf gegen den Angeklagten aufweisen sollen und Rechte dem Nebenkläger nach Sachlage des Einzelfalls nur im Hinblick auf das Nebenklagedelikt zustehen (Hilger, in: Löwe-Rosenberg, StPO. 26. Aufl. 2009. § 397, Rn. 2). Hierbei geht es jedoch vornehmlich um Befugnisse des Nebenklägers in einer Hauptverhandlung wie etwa Beteiligungsrechte, nicht das Anwesenheitsrecht des Nebenklägers selbst. Die Hauptverhandlung unterliegt außerdem einer Dynamik. Es lässt sich nicht sicher vorhersagen, dass die Erörterungen in der Hauptverhandlung an einem konkreten Verhandlungstag stets den anfangs erwarteten Verlauf nehmen und sich die Erwartung des Gerichts bei Abfassung einer Bewilligungsentscheidung erfüllt, dass den Nebenkläger betreffende Themen an bestimmten Verhandlungstagen nicht oder erst an einem späteren Verhandlungstag zur Sprache kommen. Ungeachtet dessen stehen einem Nebenkläger Erklärungsrechte im Hinblick im Hinblick auf eine mögliche Gesamtstrafenbildung, Maßregel der Besserung und Sicherung nach Nebenfolgen zu. sodass keinesfalls von vornherein eine Beschränkung der Teilnahme erfolgen darf. Schon deshalb kann die Beschränkung der Bewilligung keinen Bestand haben, wobei wie ausgeführt, der Gesetzgeber sich gegen eine Beschränkung entschieden hat.

Nichts anderes folgt aus der Tatsache, dass die Bewilligung im angefochtenen Beschluss, so zeigt es der Nichtabhilfebeschluss, praktisch zwei Hauptverhandlungstage von der Bewilligung ausnimmt. an denen zwei Mitangeklagten und deren Verteidigern nach § 231c StPO eine Entfernung von der Hauptverhandlung gestattet wurde. Denn die Beurlaubung einzelner Mitangeklagter schränkt das allein maßgebliche Anwesenheitsrecht eines Nebenklägers aus § 397 Abs. 1 StPO nicht ein. § 231c StPO stellt nämlich nur auf das „Betroffensein“ der Mitangeklagten ab. Eine Regelung zu anderen Verfahrensbeteiligten als zu Mitangeklagten enthält die Norm nicht. Deshalb ist es auch nicht zulässig, aus der Beurlaubung von Mitangeklagten ab-zuleiten, dass Nebenkläger nicht anwesend sein müssen und ihnen im Falle einer Anwesenheit die Kostenlast auferlegt werden darf. § 231c StPO erlaubt keine Rückschlüsse auf den Gebrauch des umfassend vorgesehenen Anwesenheitsrechts eines Nebenklägers, auch wenn der Zweck der Vorschrift. Verteidigern Zeit zu ersparen und einzelne Mitangeklagte zeitlich nicht über Gebühr zu belasten, sinngemäß auch für einen Nebenklägervertreter und einen Nebenkläger gilt. Im Unterschied zu einem Angeklagten existiert für den Nebenkläger jedoch keine Anwesenheitspflicht in der Hauptverhandlung (§ 231 StPO).

Kostenrechtliche Erwägungen, etwa zum Umfang der Erstattungsfähigkeit von notwendigen Auslagen des Nebenklägers, sind für das Zustandekommen einer Bewilligungsentscheidung nach § 397a Abs. 2 StPO hingegen ohne Bedeutung. Wäre es anders, hätte es der Gesetzgeber regeln müssen. Das ist nicht geschehen. Um einer „ausufernden“ Kostentragungspflicht des Staates zu begegnen, stehen andere Instrumente zur Verfügung. Die Trennung von Verfahren nach den §§ 2 ff. StPO dürfte allerdings nur selten kostenrechtlich (oder gar zeitlich) Vorteile bringen.“

Nebenklage III: Nochmals: Rechtsmittelbefugnis, oder: Anordnung der Unterbringung wird erstrebt

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Im Herbst 2020 hatte ich über den BGH, Beschl. v. 01.09.2020 – 3 StR 214/20 – berichtet (vgl.  StPO II: Der helfende/unterstützende Nebenkläger, oder. Fortbestand der Anschlussbefugnis). 

Das Verfahren hat dann – wie vom BGH gewünscht – beim LG seinen weiteren Lauf genommen und den Nebenklägern sind  das Urteil und die Revisionsschrift des Angeklagten zugestellt worden. Die Sache war dann jetzt wieder beim BGH, der nun im BGH, Beschl. v. 09.02.2021 – 3 StR 214/20 –  abschließend entschieden und die Revision der Nebenkläger verworfen hat. Begründung: Im Hinblick auf § 400 Abs. 1 stPO unzulässig.

„Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in zwei tateinheitlich zusammentreffenden Fällen jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von sechs Jahren verurteilt. Hiergegen wenden sich die Nebenkläger mit ihrer auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Diese ist unzulässig. Hierzu hat der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt:

„Nach § 400 Abs. 1 StPO kann der Nebenkläger das Urteil nicht mit dem Ziel anfechten, dass eine andere Rechtsfolge der Tat verhängt wird. Ist der Angeklagte wegen eines nebenklagefähigen Delikts verurteilt worden, dann bedarf die Revision des Nebenklägers grundsätzlich eines genauen Antrags oder einer Begründung, die deutlich macht, dass eine Änderung des Schuldspruchs hinsichtlich eines Nebenklagedelikts verfolgt wird (vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. April 2020 – 4 StR 503/19 und vom 27. Februar 2018 – 4 StR 489/17; Senat, Beschluss vom 9. Dezember 2008 – 3 StR 514/08, NStZ-RR 2009, 182). Dies ist hier nicht der Fall, nachdem der Angeklagte wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil beider Nebenkläger verurteilt wurde.

Der Vortrag, die Nebenkläger begehrten ‚die Überprüfung sachlicher und formaler Rechtsfehler des Urteils in Bezug auf die von ihnen in der Hauptverhandlung gestellten Anträge‘ (RB S. 2) sowie die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB und zwar ‚voraussichtlich in Kombination mit einem Freispruch‘ (RB S. 3), vermag der Revision nicht zur Zulässigkeit zu verhelfen. Soweit sich die Nebenklage damit inzident gegen die Verurteilung wegen [versuchten] Mordes wendet und demzufolge eine Aufhebung auch des Schuldspruchs begehrt, handelt es sich von vornherein um ein unzulässiges Revisionsziel.

Aber auch wenn die Revision dahingehend auszulegen wäre, dass die Nebenkläger eine Unterbringung gemäß § 63 StGB neben der Jugendstrafe von 6 Jahren begehrten, ist die Revision unzulässig. Eine Revision, die die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus – neben einer Verurteilung zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe – anstrebt, verfolgt das – unzulässige – Ziel der Verhängung einer weiteren Rechtsfolge (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Oktober 2006 – 2 StR 362/06). Etwas anderes ergibt sich weder aus dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 1. September 2020 noch aus der darin in Bezug genommenen Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 7. Juni 1995 – 2 StR 206/95. Der Grund für die Zulassung der auf eine Anordnung gemäß § 63 StGB gerichteten Revision bei einem Freispruch wegen Schuldunfähigkeit lag in diesem Fall darin, dass die Revision gerade nicht ‚eine andere Rechtsfolge‘, sondern die trotz des Freispruchs wegen Schuldunfähigkeit mög- liche, aber ausdrücklich abgelehnte, Anordnung der Unterbringung gemäß § 63 StGB – als einzige Rechtsfolge – zum Ziel hatte und der Nebenkläger zur sachgerechten Wahrnehmung seiner Interessen nicht gehalten sein könne, zusätzlich auch das von ihm nicht für rechtsfehlerhaft erachtete freisprechende Urteil anzugreifen. Diese Konstellation ist mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar, da der Angeklagte zu der Rechtsfolge von 6 Jahren Jugendstrafe verurteilt wurde und die Revision der Nebenkläger folglich auf die Verhängung einer anderen Rechtsfolge gerichtet ist. Dies ist indes unzulässig.

Dass die Revision Verfahrensrügen erhebt, mit denen sie die Verletzung der Rechte als Nebenkläger (in Bezug auf die von ihnen in der Hauptverhandlung gestellten Anträge) beanstandet, vermag der Revision ebenfalls nicht zur Zulässigkeit zu verhelfen. Denn die Feststellung etwaiger Verfahrensfehler kann nur im Umfang der zulässigen Nebenklage erfolgen, da § 400 StPO anderenfalls durch die Erhebung von Verfahrensrügen umgangen werden könnte, zumal dem Nebenkläger in der Hauptverhandlung das Recht zur Stellung von Beweisanträgen uneingeschränkt auch dann zusteht, wenn ihm insoweit die Rechtsmittelbefugnis fehlt (vgl. § 397 Abs. 1 S. 3 StPO; Senat, Urteil vom 7. April 2011 – 3 StR 497/10).“

Dem schließt sich der Senat an.“

Nebenklage II: Nebenklagebeistand, oder: (Geringe) Bestellungsvoraussetzungen

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In der zweiten Entscheidung zur Nebenklage, dem OLG Hamm, Beschl. v. 09.03.2021 – 4 Ws 35/21 – wird die Frage der Bestellung eines Nebenklagebeistandes (§ 397a StPO) behandelt.

Die Anklage wirft den Angeklagten (u. a.) vor, „gemeinschaftlich und tateinheitlich handelnd, a) in zwei tateinheitlich begangenen Fällen versucht zu haben, einen Menschen zu töten, ohne Mörder zu sein, b) in zwei tateinheitlich begangenen Fällen andere Personen mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich und mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung körperlich misshandelt und an der Gesundheit geschädigt zu haben, wobei in einem Fall die verletzte Person in Siechtum, Lähmung und geistige Krankheit oder Behinderung verfiel“. Hintergrund des Tatvorwurfes ist, dass der Nebenkläger zusammen mit seinem Bruder am pp. in U gegen Mitternacht den Angeklagten F überfallen und ihm Marihuana mit einem Nettogewicht von 360,91 Gr und einem THC-Gehalt von 60,2 Gr entwendet haben soll. Den auf der Flucht befindlichen Brüdern sollen die Angeklagten nachgesetzt haben. Der Bruder des Nebenklägers soll auf der Flucht zu Fall gekommen sein. Nach dem Anklagevorwurf soll er von dem Angeklagten P sodann mehr als 30 mal mit Fäusten und Tritten gegen Kopf und Oberkörper traktiert worden sein, während der Angeklagte F im einverständlichen Zusammenwirken mit P auf den Kopf des zu seinem Bruder geeilten Nebenklägers eingeschlagen und eingetreten haben soll. Anschließend soll auch der Angeklagte P dem Nebenkläger einen wuchtigen Schlag mit einem Gegenstand gegen den Kopf versetzt haben, hernach soll der Angeklagte F diesem kraftvoll gegen den Kopf getreten haben. Die Angeklagten sollen hierbei den Tod des Nebenklägers und seines Bruders zumindest billigend in Kauf genommen haben.

Während der Bruder des Nebenklägers nach mehrfacher Notoperation mit schwersten Hirnverletzungen immer noch im Koma liegt, soll der Nebenkläger u.a. multiple Mittelgesichtsfrakturen (beidseitiger Bruch des Jochbeins, der Kieferhöhlen und der Augenhöhlenböden) erlitten haben. Das Schwurgericht, zu dem Anklage erhoben worden war, hat das Hauptverfahren vor der großen Strafkammer eröffnet, weil es einen hinreichenden Tatverdacht für ein versuchtes Tötungsdelikt verneint hat. Mit Beschluss vom 21.01.2021 hat das LG antragsgemäß (u.a.) die Berechtigung des Nebenklägers zum Anschluss gem. §§ 395 Abs. 1 Nr. 3, 396 StPO festgestellt. Mit Beschluss vom selben Tag hat der Vorsitzende der Strafkammer die beantragte Beiordnung von Rechtsanwältin O als Beistand des Nebenklägers abgelehnt, weil er nicht Verletzter einer Tat nach § 397a Abs. 1 StPO sei.

Dagegen die Beschwerde, die Erfolg hatte:

„1. Die Voraussetzungen für eine Beiordnung von Rechtsanwältin O als Beistand des Nebenklägers liegen vor.

Einen entsprechenden Antrag hat er gestellt. Er ist auch Verletzter einer versuchten rechtswidrigen Tat nach §§ 212, 22, 23 StGB i.S.v. § 397a Abs. 1 Nr. 2 StPO.

Der Anspruch auf Bestellung eines anwaltlichen Beistands besteht bereits dann, wenn auch nur die geringe Möglichkeit besteht, dass der Angeklagte ein Delikt i.S.v. § 397a Abs. 1 StPO begangen hat und seine Verurteilung deswegen in Betracht kommt bzw. die Verurteilung wegen einer Nebenklagestraftat rechtlich möglich erscheint (BGH NJW 1999, 2380: Dort wurde eine solche Möglichkeit in einem Fall bejaht, in dem das Tatgericht bereits einen Rücktritt vom Versuch des Totschlags angenommen und der Nebenkläger die Beistandsbeiordnung für die Revisionsinstanz beantragt hatte; BGH NStZ 2000, 552; BGH NStZ-RR 2008, 352, 353). Nicht relevant ist hingegen, ob die vorgeworfene Tat in der Anklage oder im Eröffnungsbeschluss als Nebenklagedelikt gewertet wurde. Nicht erforderlich ist ein dringender oder hinreichender Tatverdacht (OLG Celle StraFo 2017, 195, 196). Dies ergibt sich daraus, dass § 397a Abs. 1 StPO – anders als etwa § 112 StPO oder § 170 StPO – nicht auf einen bestimmten Verdachtsgrad abstellt, sondern auf ein Verletztsein durch bestimmte Straftaten. Dabei kommt es aber nach dem Willen des Gesetzgebers nicht darauf an, dass bereits die Verletzteneigenschaft feststeht oder für sie bereits ein bestimmter Verdachtsgrad besteht. Vielmehr soll dem Verletzten durch seine Stellung als Nebenkläger die Möglichkeit eingeräumt werden, aktiv auf das Verfahrensergebnis einzuwirken (BT-Drs. 10/5305 S. 11). Diese Möglichkeit würde geschmälert, wenn man ihm einen rechtlichen Beistand in scheinbar aussichtslosen Fällen verweigert. Er wäre dann eventuell gar nicht in der Lage, in seinem Sinne auf das Verfahrensergebnis einzuwirken. Dementsprechend kann es auf irgendwie geartete Erfolgsaussichten für Beistandsbeiordnung ebenso wenig ankommen, wie dies bei der Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 397a Abs. 2 StPO der Fall ist. Bei dieser hat der Gesetzgeber bewusst von dem Erfordernis der Prüfung einer hinreichenden Erfolgsaussicht Abstand genommen (BT-Drs. 10/5305 S. 14; vgl. auch Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 397 Rdn. 9). In Anlehnung an die Verletzteneigenschaft i. S. v. § 172 StPO (vgl. zu dieser Parallele OLG Koblenz, Beschl. v. 30.05.1988 – 2 VAs 3/88 – juris LS; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., Vor § 406d Rdn. 1) kann daher eine Beistandsbestellung nur dann ausscheiden, wenn bereits nach der Darstellung des Nebenklägers seine unmittelbare Rechtsbeeinträchtigung ausscheidet oder – nach allgemeinen Grundsätzen – die Wahrnehmung des Rechts der Beistandsbestellung rechtsmissbräuchlich ist.

Daran gemessen liegen die Voraussetzungen des § 397a Abs. 1 Nr. 2 StPO in Bezug auf den Nebenkläger vor. Angesichts der massiven Gewalteinwirkung auf den Kopf des Nebenklägers durch die Angeklagten mit einem Gegenstand und womöglich auch mit dem beschuhten Fuß (vgl. Bl. 1571 d.A.) besteht – wie auch in dem angefochtenen Beschluss ausgeführt – jedenfalls die Möglichkeit, dass die Angeklagten die Tötung des Nebenklägers zumindest billigend in Kauf genommen haben. Anders als in dem angefochtenen Beschluss ausgeführt, erscheint dem Senat auch das Vorliegen eines strafbefreienden Rücktritts vom Versuch des Totschlags nicht so evident, dass eine Verfolgung des Ziels einer entsprechenden Verurteilung der Angeklagten als schlechthin ausgeschlossen und damit als rechtsmissbräuchlich erscheint. So hat der Zeuge C in seiner Vernehmung vom 30.08.2020 (Bl. 213) angegeben: „Die Blutrünstigkeit und der Klärungsbedarf unter den Beteiligten war so intensiv, dass die Lage sich erst beruhigte, als die Blaulichter den Q [Straße des Tatortes, Anm. d. Senats] herunterfuhren.“ Insoweit käme es auf in der Hauptverhandlung zu klärende Details an, etwa wie nah die Polizei bereits war, als die Angeklagten sie bemerkten, welche Möglichkeiten sie noch sahen, bis zu deren Einschreiten den Nebenkläger tatsächlich zu Tode bringen zu können oder ob sich das Nahen der Polizei für die Angeklagten als unvertretbare Risikoerhöhung (vgl. BGH NStZ-RR 2014, 9, 10) darstellte und sie nur deswegen auf eine Fortsetzung ihres Tuns verzichteten.“

Nebenklage I: Anschlussberechtigung, oder: Unterlassene Hilfeleistung

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Heute stelle ich drei Entscheidungen vor, die in Zusammenhang mit der Nebenklage (§§ 385 ff. StPO) stehen. Das ist ein Bereich, der von manchem Verteidiger kritisch gesehen wird, aber: M.E. ein Bereich, der (auch) seine Berechtigung hat. Obwohl: Wenn man manche Nebenklägervertreter in/nach Umfangsverfahren pp. – vgl. z.B. das NSU-Verfahren – reden hört – gern in Talksshows -, dann hat man schon den Eindruck, dass sie die Stellung des Nebenklägers und die Funktion der Nebenklage dann doch ein wenig überschätzen.

Aus dem Bereich der Nebenklage kommt hier dann zunächst das BGH, Urt. v. 28.01.2021 – 3 StR 279/20.

Das LG hat  den Angeklagten wegen Freiheitsberaubung verurteilt. Dagegen die Revision des Nebenklägers der mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision die Verurteilung des Angeklagten auch wegen unterlassener Hilfeleistung erstrebt. Das Rechtsmittel hatte beim BGH – im Ergebnis – Erfolg:

„Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

1. Am Morgen des 22. Juli 2019 begab sich der Nebenkläger gegen 10:00 Uhr zur Wohnanschrift des Angeklagten. Nach seiner Ankunft kam es zwischen den beiden zu einer mit Blick auf Anlass und Intensität nicht näher aufklärbaren verbalen und körperlichen Auseinandersetzung. Im Zuge dieser sperrte der Angeklagte die Eingangstür ab, um den Beschwerdeführer zu hindern, sich aus der Wohnung zu begeben. Zwischen 12:30 und 13:00 Uhr „verließ“ der Nebenkläger die Wohnung durch das Fenster des Schlaf-/Wohnzimmers, dessen Unterkante sich in einer Höhe von 7,61 m über dem Boden befindet, und stürzte auf die darunterliegende Rasenfläche. Er lehnte die ihm durch einen Zeugen angebotene Hilfe ab und entfernte sich zunächst ohne fremde Unterstützung in Richtung der gegenüberliegenden Straßenseite, wo er schließlich aufgrund seiner schwerwiegenden Verletzungen zusammenbrach. Gegen 13:01 Uhr tätigten Passanten einen Notruf. Der Beschwerdeführer wurde notärztlich versorgt und zur Behandlung in eine Klinik verbracht. Er erlitt multiple Prellungen und Hämatome im Gesichtsbereich, eine Gehirnerschütterung, eine Fraktur des linken kleinen Fingers, ein stumpfes Bauchtrauma mit einem Abriss der Nierenarterie links und akuter intraabdomineller Blutung, weshalb die linke Niere durch eine Not- operation entfernt werden musste.

Dass der Angeklagte – wie ihm in der Anklageschrift zur Last gelegt – den Beschwerdeführer aus dem Fenster stieß oder der Sturz anderweitig auf dessen Verhalten zurückzuführen war, hat die Jugendkammer nicht feststellen können.

2. Das Landgericht ist davon ausgegangen, der Angeklagte habe sich der Freiheitsberaubung nach § 239 Abs. 1 StGB schuldig gemacht. Den Qualifikationstatbestand des § 239 Abs. 3 Nr. 2 StGB hat es nicht als erfüllt angesehen, da es sichere Feststellungen zu einem inneren Zusammenhang zwischen dem Absturz und der Freiheitsberaubung nicht habe treffen können. Eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen unterlassener Hilfeleistung nach § 323c StGB scheide aus, da dieser nach seiner nicht zu widerlegenden Einlassung davon ausging, der Nebenkläger, der sich zunächst selbständig vom Unfallort entfernte, bedürfe keiner Hilfe. Davon, dass der Angeklagte dessen späteren Zusammenbruch auf der gegenüberliegenden Straßenseite beobachtet habe, hat sich das Landgericht nicht überzeugt.

II.

Die zulässige Revision des Nebenklägers hat in der Sache Erfolg.

1. Das Rechtsmittel ist zulässig, insbesondere ist der Beschwerdeführer rechtsmittelbefugt. Hierzu gilt:

a) Nach § 400 Abs. 1 StPO kann der Nebenkläger ein Urteil nicht mit dem Ziel anfechten, dass eine andere Rechtsfolge der Tat verhängt wird oder dass der Angeklagte wegen einer Gesetzesverletzung verurteilt wird, die nicht zum Anschluss als Nebenkläger berechtigt. Deshalb bedarf seine Revision eines genauen Antrags oder einer Begründung, die deutlich macht, dass er eine Änderung des Schuldspruchs hinsichtlich eines Nebenklagedelikts im Sinne des § 395 Abs. 1, Abs. 3 StPO verfolgt (vgl. BGH, Beschluss vom 16. April 2015 – 2 StR 348/14, juris Rn. 3 mwN).

Mit der Nebenklage kann sich nach § 395 Abs. 3 StPO anschließen, wer durch eine andere als in § 395 Abs. 1 StPO genannte Tat verletzt ist, wenn dies aus besonderen Gründen, insbesondere wegen der schweren Folgen der Tat, zur Wahrnehmung seiner Interessen geboten ist. § 395 Abs. 3 StPO ist ein Auffangtatbestand für die Nebenklagebefugnis von Opfern mit besonders schwerwiegenden Tatfolgen (vgl. BT-Drucks. 16/12098, S.. 9, 30 f.). Entsprechend dem Wortlaut der Norm und dem Willen des Gesetzgebers sind alle rechtswidrigen Taten anschlussfähig (BGH, Beschluss vom 9. Mai 2012 – 5 StR 523/11, NJW 2012, 2601 Rn. 4 mwN), sofern der Antragsteller als Träger eines durch den Straftatbestand geschützten Rechtsguts verletzt ist (vgl. BGH, Urteil vom 22. Februar 1963 – 4 StR 9/63, NJW 1963, 1162, 1163; vgl. auch Beschluss vom 22. Januar 2002 – 4 StR 392/01, NJW 2002, 1356 f.; KK-StPO/Walther, 8. Aufl., § 395 Rn. 3 unter Verweis auf KK-StPO/Moldenhauer, 8. Aufl., § 172 Rn. 19) und besondere Gründe im Sinne des § 395 Abs. 3 StPO vorliegen.

Besondere Gründe im Sinne des § 395 Abs. 3 StPO sind gegeben, wenn der möglicherweise durch die Tat Verletzte nach einer auf den Einzelfall bezogenen Gesamtschau prozessual schutzbedürftig ist (BGH, Beschluss vom 9. Mai 2012 – 5 StR 523/11, NJW 2012, 2601 Rn. 6; LR/Wenske, StPO, 26. Aufl., Nachtrag § 395 Rn. 12). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn schwere Folgen der Tat vorliegen, mithin, wenn beim Verletzten körperliche oder seelische Schäden mit einem gewissen Grad an Erheblichkeit bereits eingetreten oder zu erwarten sind. Der Schweregrad braucht dabei nicht die Schwelle schwerer körper- licher oder seelischer Schäden im Sinne des § 397a Abs. 1 Nr. 3 StPO zu er- reichen, indes ist eine abstrakte Betrachtung des Tatunrechts – anders als bei den Katalogtaten des § 395 Abs. 1 StPO – für sich ohne Aussagekraft (vgl. BT-Drucks. 16/12098, S. 31; LR/Wenske, StPO, 26. Aufl., Nachtrag § 395 Rn. 12/13).

b) Entsprechend seinem Revisionsantrag erstrebt der Nebenkläger die Verurteilung des Angeklagten wegen unterlassener Hilfeleistung (§ 323c StGB). Insoweit ist er Verletzter, denn Schutzgut des § 323c StGB sind zumindest auch die bei einem Unglücksfall gefährdeten Individualrechtsgüter des in Not Geratenen (BGH, Beschluss vom 22. Januar 2002 – 4 StR 392/01, NJW 2002, 1356, 1357 mwN). Angesichts dessen, dass der Beschwerdeführer durch die verfahrensgegenständliche Tat u.a. eine Niere verloren hat, steht dessen prozessuale Schutzbedürftigkeit außer Frage.

2. Die Revision ist auch begründet.

………“