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Mord II: Niedrige Bewegründe beim Motivbündel, oder: Hauptmotiv „niedrig“?

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Die zweite Entscheidung, die ich vorstelle, befasst sich auch noch einmal mit dem Mordmerkmal des niedrigen Beweggrundes. Das LG hatte in dem dem BGH, Beschl. v.  22.01.2020 – 5 StR 407/19 – zugrunde liegenden Urteil folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

„1. Die in Polen lebenden Angeklagten kamen im Januar 2016 nach Deutschland, um hier auf dem Bau zu arbeiten. Am 30. Januar 2016 lernten sie den auch für sie ersichtlich homosexuellen J. R. in einem Berliner Hostel kennen, wo sie mit diesem ein Zimmer teilten. Gemeinsam mit J. R. verbrachten sie den Tag mit dem Konsum von Alkohol und Kokain. Am nächsten Tag konsumierten sie teils zusammen mit ihrem Zimmergenossen, teils zu zweit erneut Kokain und Alkohol.

Gegen 23 Uhr begaben sich die aufgrund des Alkoholkonsums in ihrer Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkten Angeklagten in ihr Zimmer, wo sie auf den ebenfalls alkoholisierten J. R. trafen. In der Folge unterhielten sie sich in ausgelassener Stimmung. In der Hoffnung auf einvernehmlichen Geschlechtsverkehr zog J. R. gegen Mitternacht seine Hose herunter, zeigte den Angeklagten seinen Penis und streckte ihnen sein entblößtes Gesäß entgegen. Die – wie J. R. wusste – heterosexuellen Angeklagten waren empört und wütend über die homosexuellen Avancen. Gleichzeitig fühlten sie sich von ihrem Zimmergenossen sexuell bedrängt und belästigt. Sie forderten ihn lautstark auf, sich wieder anzuziehen. J. R., der die Ablehnung als „feindselige Reaktion“ ansah, schrie daraufhin seinerseits die Angeklagten an. Aus Wut über dessen Verhalten stürzten sich die Angeklagten auf J. R. und malträtierten ihn aufgrund einer spontanen Übereinkunft mit Faustschlägen und Fußtritten. Zudem schlugen sie auf ihn mit einem Holzstuhl ein, bis dieser in seine Einzelteile zerbrach. Auch nachdem J. R. zu Boden gegangen war, setzen die Angeklagten die Gewalthandlungen fort. Diese führten zu Rippenbrüchen und infolgedessen zu Verletzungen der Lungenflügel, der Milz sowie der Leber. Sie erkannten, dass J. R. infolge ihres brutalen Angriffs versterben könnte; dies war ihnen jedoch gleichgültig.

Nachdem der schwerverletzte J. R. – wie von den Angeklagten bemerkt – das Bewusstsein verloren hatte, stießen sie nacheinander unter anderem zwei Stuhlbeine heftig und kraftvoll in dessen Anus, wobei sie die eingetretenen lebensbedrohlichen Darmdurchbrüche billigend in Kauf nahmen. Anschließend führten sie eine Zucchini vollständig in seinen After ein, legten das ersichtlich lebensgefährlich verletzte Opfer in eines der Betten und gingen schlafen. Am nächsten Morgen verließen sie das Hostel und fuhren mit einem Fernbus nach Polen.

Ohne das Bewusstsein wiederzuerlangen, verstarb J. R. noch in der Nacht infolge der Lungenverletzungen. Die lebensbedrohlichen Verletzungen des Darms und deren Folgen beschleunigten den Todeseintritt nicht.

2. Das Landgericht hat die Tat als einen besonders schweren Fall des Totschlags (§ 212 Abs. 1 und 2 StGB) in Tateinheit mit einem besonders schweren sexuellen Missbrauch einer widerstandsunfähigen Person (§ 179 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 7 i.V.m. § 177 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. a und b StGB aF) bewertet. An einer Verurteilung wegen Mordes hat es sich gehindert gesehen. Insbesondere liege kein niedriger Beweggrund vor. Zwar komme in der Tat eine latente Homophobie zum Ausdruck, was eine Bewertung des Tatantriebs als niedrig begründen könne. Die Tat sei aber auch von einer – in der Gesamtschau menschlich nachvollziehbaren – Wut und Empörung über das von den Angeklagten als sexuelle Belästigung und Verletzung ihres sexuellen Selbstbestimmungsrechts empfundene Angebot ihres Zimmergenossen zum Geschlechtsverkehr motiviert gewesen. Beide Tatmotive hätten sich wechselseitig überlagert und beeinflusst. Da die homosexuelle Orientierung des Opfers danach nicht das Hauptmotiv in dem Motivbündel der Angeklagten gewesen sei, könne die Tötung nicht unter die Motivgeneralklausel des § 211 Abs. 2 StGB subsumiert werden. Andere – hier in Betracht kommende – Mordmerkmale seien ebenfalls nicht verwirklicht. Eine grausame Tötung liege nicht vor, weil J. R. nicht ausschließbar zum Zeitpunkt der Penetration bereits bewusstlos und deshalb nicht mehr in der Lage gewesen sei, die ihm zugefügten Schmerzen und Qualen körperlich zu empfinden. Für die Annahme von Heimtücke fehle es angesichts des offen feindseligen Angriffs an der Arglosigkeit des Opfers. Schließlich liege auch keine Tötung aus Habgier vor, da die Tat nicht entscheidend durch ein Gewinnstreben beeinflusst gewesen sei.“

Dagegen dann die Revision der Staatsanwaltschaft un der Nebenklägerinnen. Die hatte keinen Erfolg:

„Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerinnen haben keinen Erfolg. Insbesondere ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landgericht das Vorliegen eines niedrigen Beweggrundes verneint hat.

1. Beweggründe sind im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB niedrig, wenn sie nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und deshalb besonders verachtenswert sind. Die Beurteilung der Frage, ob Beweggründe zur Tat „niedrig“ sind und – in deutlich weiterreichendem Maße als bei einem Totschlag – als verachtenswert erscheinen, hat aufgrund einer Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren, insbesondere der Umstände der Tat, der Lebensverhältnisse des Täters und seiner Persönlichkeit zu erfolgen. Bei einer Tötung aus Wut, Ärger, Hass oder Rache kommt es darauf an, ob diese Antriebsregungen ihrerseits auf einer niedrigen Gesinnung beruhen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 13. Februar 2007 – 5 StR 508/06, NStZ 2007, 330, 331 mwN).

2. Diesen Anforderungen wird das Urteil gerecht.

a) Das Schwurgericht hat den zutreffenden rechtlichen Maßstab angelegt. Es hat insbesondere nicht verkannt, dass ein allein an die sexuelle Orientierung anknüpfender Tatantrieb einen niedrigen Beweggrund darstellen kann.

Nach den Urteilsfeststellungen war das Tatmotiv der Angeklagten hingegen Wut und Empörung über die sexuellen Avancen ihres Zimmergenossen. Diese Gefühle beruhten einerseits auf ihrer (latenten) Homophobie, wurden aber – so das Schwurgericht – überlagert von der Erregung über die von ihnen als bedrängend empfundene sexuelle Belästigung durch den angebotenen Geschlechtsverkehr. Da beim Vorliegen eines Motivbündels die vorsätzliche Tötung aber nur dann auf niedrigen Beweggründen beruht, wenn das Hauptmotiv, welches der Tat ihr Gepräge gibt, nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe steht und deshalb verwerflich ist, war dem Landgericht vorliegend die Annahme des Mordmerkmals verwehrt (vgl. BGH, Urteile vom 9. September 2003 – 5 StR 126/03, NStZ-RR 2004, 14, 15; vom 14. Dezember 2006 – 4 StR 419/06, StraFo 2007, 123, 124). Anders als die Staatsanwaltschaft meint, hat das Landgericht mithin keine „Zweiteilung“ oder „Aufspaltung“ der Motivlage vorgenommen, sondern den zutreffenden rechtlichen Maßstab an die Prüfung des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe bei Vorliegen eines Motivbündels angelegt.

b) Das Landgericht hat die erforderliche Gesamtwürdigung vorgenommen und dabei alle maßgeblichen Faktoren einbezogen. Insbesondere durfte und musste es berücksichtigen, dass die Angeklagten bis zu den sexuellen Avancen freundlich, entspannt und frei von Aversionen mit J. R. umgingen, obgleich sie angesichts seines Auftretens und Erscheinungsbildes schon zuvor von dessen Homosexualität ausgegangen waren. Dass das Schwurgericht dies als gegen die Homophobie der Angeklagten als bewusstseinsdominantes Tötungsmotiv sprechenden Umstand herangezogen hat, ist als möglicher Schluss revisionsrechtlich hinzunehmen. Soweit die Nebenklage in diesem Zusammenhang vorträgt, dass die Homophobie das Hauptmotiv der Angeklagten gewesen sei, setzt sie – revisionsrechtlich unbeachtlich – ihre eigene Wertung an die des Tatgerichts.

Das Landgericht hat bei seiner Beweiswürdigung zum Tatmotiv auch das Tatbild ausreichend berücksichtigt (vgl. dazu BGH, Urteil vom 22. Oktober 2014 – 5 StR 380/14, BGHSt 60, 52, 55).“

Pflichti II: Wenn Bewährungswiderruf droht, oder: Motivbündel

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Bei dem zweiten Pflichtverteidigungsbeschluss handelt es sich um den LG Dessau-Roßlau, Beschl. v. 22.09.2017 – 8 Qs 308 Js 27019/16 (135/17). Er behandelt die Beiordnung in einem Verfahren wegen des Vorwurfs des Verstoße gegen das Tierschutzgesetz. Das LG ordnet nach § 140 Abs. 2 StPO bei wegen „sonstigen schweren Nachteil“, im Grunde ist es aber eine Beiordnung aus einem „Motivbündel“.

„Nach § 140 Abs. 2 StPO ist einem Angeklagten ein Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn wegen der Schwere der Tat oder wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Angeklagte nicht selbst verteidigen kann.

Hier gebietet bereits der Umstand, dass ein sonstiger schwerwiegender Nachteil droht, hier der Bewährungswiderruf in anderer Sache, die Bestellung eines Pflichtverteidigers.

Die Angeklagte ist mit Urteil des Amtsgerichts Köthen vom 24.03.2014, Az.: 5 Os 303 Js. 2994/13 (142/139). wegen Volksverhetzung in Tateinheit mit Beleidigung zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten verurteilt worden, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Bewährungszeit, die zwischenzeitlich verlängert werden musste, läuft bis zum 11.04.2019.

Mithin hat die Angeklagte innerhalb der Bewährungszeit erneut eine Straftat, wenn auch keine einschlägige, worauf es nicht ankommt, begangen, so dass ihr insoweit ein Bewährungswiderruf drohte.

Unter Berücksichtigung auch der im vorliegenden Verfahren drohenden Sanktion erfordert die Schwere der Tat insoweit die Bestellung eines Pflichtverteidigers gemäß § 140 Abs. 2 StPO.

Hinzu kommt, dass Umstände vorliegen, die dafür sprechen, dass sich pp. nicht selbst verteidigen kann. Nach dem ärztlichen Bericht des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. pp. ist pp. psychisch und physisch schwer erkrankt. Sie habe wegen psychischer Störungen ihre Wohnung seit 12 Jahren nicht vorlassen, sie folge weder Überweisungen noch Einweisungen wegen ihres Angst- und Paniksyndroms.

Aufgrund dieser Erkrankung kann nicht ausgeschlossen werden, dass pp. aufgrund der durch ein Strafverfahren verursachten Belastung und ihres Angst- und Paniksyndroms nicht die erforderliche Aufmerksamkeit aufbringen kann, um dem Verfahren folgen zu können.“