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OWi I: Rotlichtmessung mit privatem Mobiltelefon, oder: Verwertbar, aber bitte genaue Feststellungen

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Urheber Ulfbastel

Der ein oder andere Leser, der das Blog regelmäßig liest, wird sicherlich schon OWi-Entscheidungen vermisst haben. Stimmt, die Berichterstattung zu OWi ist im Moment mau. Das liegt aber nicht daran, dass ich an OWi keine Lust habe, sondern daran, dass es im Moment recht wenig OWi-Entscheidungen gibt. Man hat den Eindruck, dass alle gespannt auf das BVerfG warten. 🙂

Heute mache ich dann aber mal wieder einen OWi-Tag mit drei Entscheidungen. Und als erste kommt hier dann der OLG Dresden, Beschl. v. 25.05.2023 – ORbs 21 SsBs 54/23 – zu einem Rotlichverstoß. Es geht um die Anforderungen an die tatsächlichen Feststellungen bei einer Messung, bei der die Stoppuhr eines privaten Mobiltelefons benutzt worden ist. Das OLG hat die Verurteilung des Betroffenen aufgehoben, weil die amtsgerichtlichen Feststellungen nicht ausreichend waren:

„Die Rechtsbeschwerde hat schon auf die Sachrüge (zumindest vorläufigen) Erfolg, weil sich die Urteilsgründe als lückenhaft erweisen.

Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat in ihrer Antragsschrift vom 26. April 2023 Folgendes ausgeführt:

„Auch wenn im Bußgeldverfahren an die Abfassung der schriftlichen Urteilsgründe keine übertrieben hohen Anforderungen zu stellen sind und sich der Begründungsaufwand auf das rechtsstaatlich unverzichtbare Maß beschränken kann, so kann für deren Inhalt grundsätzlich nichts anderes als im Strafverfahren gelten. Denn auch im Bußgeldverfahren sind die Urteilsgründe die alleinige Grundlage für die rechtliche Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge hin. Sie müssen daher so beschaffen sein, dass dem Rechtsbeschwerdegericht die Nachprüfung einer richtigen Rechtsanwendung ermöglicht wird. Dies gilt auch für die Beweiswürdigung, weil das Rechtsbeschwerdegericht nur so in den Stand versetzt wird, die Beweiswürdigung des Tatrichters auf Widersprüche, Unklarheiten, Lücken oder Verstöße gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze zu überprüfen (Göhler/Seitz/Bauer OWiG 17. Aufl. § 71 Rn 42. 43 m w.N.). Zwar muss das Rechtsbeschwerdegericht die subjektive Überzeugung des Tatrichters von dem Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts grundsätzlich hinnehmen und ist es ihm verwehrt, seine eigene Überzeugung an die Stelle der tatrichterlichen Überzeugung zu setzen. Allerdings kann und muss vom Rechtsbeschwerdegericht überprüft werden, ob die Überzeugung des Tatrichters in den getroffenen Feststellungen und der ihnen zugrundeliegenden Beweiswürdigung eine ausreichende Grundlage findet. Die Urteilsgründe des Tatgerichts müssen mithin erkennen lassen, dass die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsehbaren Tatsachengrundlage beruht und die vom Tatrichter gezogene Schlussfolgerung nicht etwa nur eine Annahme ist oder sich als bloße Vermutung erweist, die letztlich nicht mehr als einen Verdacht zu begründen vermag (St. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschl. v. 22.08.2013 – 1 StR 378/13 = NStZ-RR 2013, 387, 388). Daher müssen die Urteilsgründe, wenn nicht lediglich ein sachlich und rechtlich einfach gelagerter Fall von geringer Bedeutung vorliegt, regelmäßig erkennen lassen, auf welche Tatsachen das Gericht seine Überzeugung gestützt hat. Nur so ist gewährleistet, dass das Rechtsbeschwerdegericht die tatrichterliche Beweiswürdigung auf Rechtsfehler überprüfen kann (KK/Senge OWiG 5. Aufl. § 71 Rn. 115; Göhler/Seitz/Bauer a.a.O. Rn. 43, 43a jeweils m.w.N.).

Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht hinreichend gerecht. Der Beweiswürdigung fehlt hinsichtlich der festgestellten Rotlichtdauer von 1,39 Sekunden eine tragfähige Grundlage.

a) Zwar ist die Messung nicht schon deshalb unverwertbar, weil die verwendete Stoppuhr des privaten Mobiltelefons – offensichtlich – nicht geeicht war (vgl. BayObLG, Beschluss vom 19.08.2019 – 201 ObOWi 238/19 m.w.N., Beck-Online). Die Eichpflicht garantiert eine besondere qualitative Sicherheit der Messung. Diesem Zweck wird aber auch dann entsprochen, wenn die qualitätsmäßigen Bedenken an der Messqualität dadurch ausgeräumt werden, dass zum Ausgleich möglicher Messungenauigkeiten und sonstiger Fehlerquellen (z.B. auch Reaktionsverzögerungen beim Bedienen des Messgeräts) bestimmte Sicherheitsabschläge vorgenommen werden. Insofern ist die Rechtslage nicht anders als bei Geschwindigkeitsmessungen mit einem ungeeichten Tachometer, die von der Rechtsprechung jedenfalls dann als beweisverwertbar anerkannt werden, wenn und soweit zum Ausgleich von Messungenauigkeiten und sonstigen Fehlerquellen ein bestimmter Sicherheitsabschlag vorgenommen wird. Der Tatrichter muss aber in einem solchen Fall auch darlegen, welche mögliche geräteeigenen Fehler der Uhr (z. B. verzögerte Reaktionszeiten des Geräts, mögliche Ungenauigkeiten bei der Zeitanzeige) und welche externen Fehlerquellen (z. B. Ungenauigkeit hinsichtlich der Fahrtzeit von der Haltelinie bis zum Bedienen der Stoppuhr) er berücksichtigt hat. Bei der Prüfung interner Fehlerquellen wird auch der Typ des eingesetzten Gerätes eine Rolle spielen. Selbst bei geeichter Stoppuhr hat der Tatrichter von dem gemessenen Wert einen über den Toleranzabzug von 0,3 Sekunden hinausgehenden Sicherheitsabzug vorzunehmen, der dem Ausgleich etwaiger Gangungenauigkeiten dient (vgl. zu alledem BayObLG, a.a.O.).

b) Das Amtsgericht hat hier schon den selbst bei geeichten Stoppuhren erforderlichen Toleranzabzug von 0,3 Sekunden der gemessenen Zeit – als Ausgleich für etwaige Reaktionsverzögerungen bei der Bedienung – nicht vorgenommen. Überdies hat es auch den erforderlichen Abzug eines weiteren Sicherheitsabschlages bei ungeeichten Messgeräten unterlassen. Es fehlen auch Angaben zum Gerätetyp des verwendeten Mobiltelefons. Zudem hätte das Amtsgericht einen weiteren Zeitabschlag aufgrund der gewählten Messmethode erörtern müssen, bei der der messende Polizeibeamte die Lichtzeichenanlage offenbar nicht selbst im Blick hatte, sondern den Messvorgang erst auf ein Signal des beobachtenden Polizeibeamten auslöste. Denn damit liegt eine zweifache Reaktionsverzögerung vor, die zu weiteren Messungenauigkeiten führen dürfte. Es ist auch nicht hinreichend ersichtlich, dass diese Ungenauigkeit bei Beginn der Messung durch eine entsprechend umgesetzte Beendigung des Messvorganges wieder ausgeglichen worden ist. Zum einen fehlt eine hinreichend klare Darstellung zur Beendigung der Messung. Zum anderen können menschliche Reaktionszeiten nicht immer als identisch unterstellt werden, insbesondere wenn sich – wie hier – rechtliche Auswirkungen aus dem Größenbereich von Hundertstel- oder Zehntelsekunden ergeben können.

c) Soweit das Gericht davon ausgegangen ist, dass selbst bei – nicht erfolgtem – Abzug von 0,3 Sekunden eine Rotlichtdauer von über einer Sekunde vorgelegen habe, weil das Auto des Betroffenen von der Haltelinie vor der Lichtzeichenanlage bis zum Kreuzungsbereich noch eine weitere Strecke zurücklegen musste, liegen keine prüfbaren Feststellungen vor. Denn es fehlt an näheren Angaben zur nach Beendigung der Messung zurückgelegten Wegstrecke bis in den unmittelbaren Kreuzungsbereich. Ebenso ist nicht dargelegt welchen etwaigen „Zuschlag“ auf das Messergebnis das Gericht aufgrund dieser Umstände angenommen hat.

Il.

Da nicht auszuschließen ist, dass das Urteil auf dem Rechtsfehler beruht, ist es insgesamt mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben (§ 353 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG). Es ist auch nicht auszuschließen, dass das Amtsgericht durch eine ergänzende Befragung der in Betracht kommenden Zeugen und gegebenenfalls durch weitere Beweiserhebungen (Sachverständigengutachten) zu zuverlässigen Schlussfolgerungen hinsichtlich der tatsächlichen Dauer der Rotlichtphase zum maßgebenden Zeitpunkt gelangen kann.“

Dem schließt sich der Senat nach eigener Prüfung an.“

OWi III: Rotlichtphase, oder: Messen mit der Stoppuhr des Smartphones

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Und die dritte Entscheidung kommt dann wieder aus Bayern. Das BayObLG hat im BayObLG, Beschl. v. 19.08.2019 – 201 ObOWi 238/19 – zu den Anforderungen an Urteilsgründe bei Messung der Dauer der Rotlichtphase mit der Stoppuhrfunktion eines Mobiltelefons Stellung genommen.

Wie so häufig bei den Bayern: Es reicht der Leitsatz, um zu verstehen, worum es geht:

1. Die (polizeiliche) Zeitmessung der Dauer der Rotlichtphase anlässlich eines dem Betroffenen zur Last liegenden sog. qualifizierten Rotlichtverstoßes ist nicht deshalb unverwertbar, weil sie mit Hilfe einer ungeeichten Stoppuhr eines Mobiltelefons (Smartphone) erfolgt ist .

2. Wie in den Fällen der Geschwindigkeitsmessung mit einem ungeeichten Tachometer ist zum sicheren Ausgleich etwaiger Messungenauigkeiten und sonstiger Fehlerquellen vom so gemessenen Zeitwert ein bestimmter Toleranzwert in Abzug zu bringen, welcher vom Tatrichter im Urteil unter Bezeichnung der möglichen geräteeigenen Fehler, der konkret eingesetzten Uhr und etwaiger externer Fehlerquellen zu berücksichtigen ist.

3. Erfolgt die Zeitmessung mit einer ungeeichten Stoppuhr, ist die Berücksichtigung eines über dem für etwaige Gangungenauigkeiten (Verkehrsfehlergrenze) geeichter Stoppuhren auch nach dem Inkrafttreten des MessEG vom 31.08.2015 sowie der MessEV vom 11.12.2014 anerkannten Toleranzabzugs von 0,3 Sekunden liegenden Sicherheitsabzugs erforderlich.

„Wer kann helfen?“, oder: Darf der Messbeamte die Korrektheit der eigenen Messung prüfen?

© Fotomek - Fotolia.com

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Gestern erhielt ich die Mail/Anfrage eine Kollegen, zu der ich – mit der Erlaubnis des Kollegen – bloggen darf. Ich stelle die Anfrage ann hier mal ein:

„Sehr geehrter Herr Burhoff,

In einer obigen Angelegenheit mit einer Messung mit dem Gerät ESO 3.0 habe ich beim Kreis ppp. eine Dokumentation bezüglich der Fotolinie angefordert. Nach längerem hin und her ist mir diese übersandt worden mit dem bemerken, dass Lichtbilder in besserer Qualität nicht vorliegen würden. Anhand der übersandten Fotos kann die Fotolinie nicht annähernd überprüft werden. Ein Anruf beim Kreis ppp. ergab, dass dort die Sachbearbeiterin weder eine Vorstellung hatte was die Fotolinie darstellt, noch was der Verteidiger überprüfen wolle. Auf meine Nachfrage erklärte die zuständige Sachbearbeiterin des Kreises ppp., dass man bei Einwendungen der Verteidiger gegen die Messung hierüber nicht selber entscheiden würde und dies auch nicht prüfen würde, sondern vielmehr dies der zuständigen Polizeidienststelle zuleiten würde, die dann mitteile ob dies korrekt sei oder nicht. Dementsprechend würde dann die Entscheidung ausfallen.

Über dieses Vorgehen bin ich einigermaßen verwundert, insbesondere vor dem Hintergrund, dass ja eine Begründung zu einem Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid erfolgen soll. Zur Prüfung dieses Einspruches und der Stichhaltigkeit sind die Mitarbeiter des Kreises allerdings, so nach dieser Mitteilung überhaupt nicht in der Lage. Tatsächlich überprüft die Polizei als Messbehörde die Korrektheit der eigenen Messung. Dies kann noch sicherlich so nicht sein? Haben Sie hierzu irgendwelche Erkenntnisse oder gegebenenfalls Mitteilung, mit denen ich gegen den Kreis hier vorgehen kann? Über eine kurze Beantwortung würde ich mich freuen.

Übrigens die lapidare Antwort des Kreismitarbeiters war, das Gericht überprüft er schließlich die Richtigkeit der Messung dann? Wozu ist dann das Einspruchsverfahren überhaupt sinnvoll, notwendig oder gedacht?“

Ich muss sagen, ich bin dann doch auch leicht verwundert. Da prüfen sich die Prüfer selbst? Auf das Ergebnis muss man m.E. nicht gespannt sein. Zu Recht fragt der Kollege sich – und frage ich mich auch: Welchen Sinn hat dann überhaupt noch das Zwischenverfahren des § 69 OWiG? Ok, § 69 Abs. 2 Nr. 2 OWiG könnte eine Grundlage für das geschilderte Vorgehen sein. Aber doch nur auf den ersten Blick. Denn was soll eine Anfrage zur Korrektheit einer Feststellung/Messung bei dem, der die Messung durchgeführt hat?

Aber vielleicht habe ich ja auch ein Brett vor dem Kopf.

„Logik ist Ansichtssache“, oder: Zirkelschluss beim OLG Bamberg zur Einsichtnahme in die Messdatei bei ESO 3.0

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Mit den Fragen betreffend (Akten)Einsicht in die digitale Messdatei bei standardisierter Messung ist es so ähnlich wie mit dem Böhmermann/Erdogan/Gate. Man hat das Gefühl, es ist alles schon mal gesagt. Das ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Allerdings kommen nun die OLG, nachdem bislang die Diskussion von den AG beherrscht wurde.

Nun hat sich auch das OLG Bamberg in einem fulminanten Beschluss zu Wort gemeldet und im Rahmen einer Rechtsbeschwerde Ausführungen zu den anstehenden Fragen gemacht. Ich stelle diesen OLG Bamberg, Beschl. v. 04.04.2016 – 3 Ss OWi 1444/15 – hier nicht in Auszügen ein, das mag man in der Verlinkung nachlesen. Ich nehme nur den Leitsatz dieses Beschlusses, mit dem das standardisierte Messverfahren mal wieder mit „Zähnen und Klauen“ verteidigt wird:

„Hat sich der Tatrichter aufgrund der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung davon überzeugt, dass die Voraussetzungen eines sog. standardisierten Messverfahrens (BGHSt 39, 291; 43, 277) eingehalten wurden, verstößt die Ablehnung eines Antrags der Verteidigung auf Einsichtnahme in die digitale Messdatei und deren Überlassung einschließlich etwaiger sog. Rohmessdaten nicht gegen die Grundsätze des fairen Verfahrens).“

M.E. ist das falsch und führt erst recht zu einem Zirkelschluss, zumal hier der Amtsrichter über die Frage: Standardisiert, ja oder nein?, entscheidet, ohne dass der Betroffene überhaupt eine Möglichkeit der Prüfung hatte. Ich verstehe den BGH anders, aber ich bin ja auch nicht (mehr) OLG.

Aber zum Glück bin ich nicht allein. Denn, der Kollege, der den Beschluss für die Mai-Ausgabe des VRR aufbereitet hat, sieht es genau so. Und daher stelle ich hier mal dessen Stellungnahme ein:

„1.  Logik ist Ansichtssache. Diese Schlussfolgerung löst die Lektüre des vorliegenden Beschlusses aus. Denn trotz der deutlichen Wortwahl des OLG („gänzlich unhaltbar“, „ad absurdum“) besteht die Logik in genau umgekehrter Richtung. Das im Grundsatz sinnvolle Institut des standardisierten Messverfahrens führt zu einem Regel-Ausnahme-Verhältnis: Liegen die Voraussetzungen dafür vor (Bauartzulassung, Eichung, Beachtung der Bedienungsanleitung, geschultes Personal), ist grundsätzlich von einem zutreffenden Messergebnis auszugehen, wenn nicht konkrete Anhaltspunkte für einen Messfehler oder einen Gerätefehler vorliegen. Trotz der Ausführungen des Senats zur fehlenden rechtlichen Mitwirkungsobliegenheit des Betroffenen kann in einer derartigen Situation faktisch nur der Betroffene solche konkreten Anhaltspunkte vorbringen, denn sonstige erkennbare Aufhänger für ein fehlerhaftes Messergebnis sind kaum denkbar. Ein solches Vorbringen erfordert wiederum die Einsicht in die digitale Messdatei einschließlich unverschlüsselter Rohmessdaten, um eine Überprüfung durch einen Sachverständigen des Betroffenen zu ermöglichen. Diese sich meines Erachtens aufdrängende Logik führt das standardisierte Messverfahren nicht ad absurdum, sondern setzt sein Regel-Ausnahmeverhältnis rechtsstaatsgemäß um. Die vom OLG hier vehement verteidigte Linie der Obergerichte stellt trotz entgegengesetzter Behauptung einen Zirkelschluss dar, weil sie dem Betroffenen beim Vorliegen der Regelvoraussetzungen des standardisierten Messverfahrens bereits die bloße Möglichkeit des Vorbingens substanzieller Einwände abschneidet.

2. Gleichwohl: Angesichts der Verfestigung jener Position bei den Obergerichten müssen sich Verteidiger auf diese Sachlage einstellen.“

Ich hoffe, dass irgendwann endlich der BGH Gelegenheit bekommt, dazu etwas zu sagen. Vielleicht sind wir dann ja schlauer…

„Und sie bewegt sich doch!“, oder: Es muss eine „Lebensakte“ geben

entnommen wikimedia.org Author Justus Sustermans

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Author Justus Sustermans

„Und sie bewegt sich doch!“ – das soll Galileo Galilei im 17. Jahrhundert im Hinblick auf die sich (nach seiner Auffassung) bewegende Erde ausgerufen haben. An den Ausspruch war ich erinnert, als ich den OLG Naumburg, Beschl. v. 09.12.2015 – 2 Ws 221/15 – gelesen haben. der befasst sich mit der Wartung von Messgeräten und deren Dokumentation. Das OLG macht dazu erfreuliche Ausführungen und ist wieder einmal – wie auch schon bei der Akteneinsicht mit dem OLG Naumburg, Beschl. v. 05.11.2012 – 2 Ss (Bz) 100/12 (vgl. dazu Danke OLG Naumburg – erste OLG-Entscheidung zum Umfang der Akteneinsicht im Bußgeldverfahren – Teil 2) – auf dem richtigen Weg. Also eine erfreuliche Entscheidung zum Wochenauftakt.

Ergangen ist der Beschluss in einem Verfahren wegen Geschwindigkeitsüberschreitung. Da hatte das AG einen (hohen) Toleranzwert von 20 % angenommen und den damit begründet, dass es keine Lebensakte über das Messgerät geben. Die Stadt Zeitz (?), die das Gerät gemietet hatte, könne keine Angaben darüber machen, ob Reparaturen an dem Gerät nach der Eichung durchgeführt worden seien. Weil keine Lebensakte existier und die Kommune keine Auskünfte zu Reparaturen etc. erteilen konnte, sei die Gültigkeit der Eichung zweifelhaft. Zu Gunsten der Betroffenen ist das AG daher von einer erloschenen Eichgültigkeit ausgegangen.

Lassen wir mal die Frage dahingestellt, ob das AG nicht ggf. konsequenterweise hätte frei sprechen müssen (nach der OLG-Rechtsprechung wohl nicht). Das OLG hat die Entscheidung aufgehoben und zurückverwiesen und hat – anders als die StA – ein standardisiertes Messverfahren verneint. Allein die Tatsache, dass die Eichsiegel bei der Messung unversehrt waren, mache die Prüfung, ob an dem Gerät nach der Eichung Reparaturen vorgenommen worden seien, nicht entbehrlich.

In dem Zusammenhang macht das OLG Ausführungen, die m.e. von weit tragender Bedeutung sind, und zwar sowohl zur Aufklärungspflicht des AG – mit der eine „Vorab-Informationspflicht“ des Betroffenen/Verteidigers korrespondiert. Dazu heißt es:

„Der Senat hat indes nicht zu entscheiden, welche rechtlichen Folgen die Unaufklärbarkeit dieser Fragen hätte. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts ist nämlich davon auszugehen, dass eine Auskunft der Eigentümerin des Messgeräts bzw. die Vernehmung eines Mitarbeiters die „Reparaturfrage“ klären kann. Das Amtsgericht hat insoweit ausgeführt: „Dass eine private, auf Gewinnerzielung orientierte Gesellschaft, die zahlreiche Geschwindigkeitsmessgeräte vermietet, diesbezüglich nicht durch – ohnehin nicht bekannte – Zeugen glaubhafte Angaben machen kann, wenn sie keine Geräteakten führt, liegt auf der Hand.“ Das sieht der Senat anders.

Die Firma G. GmbH ist gemäß § 31 Abs. 2 Nr. 4 Mess- und Eichgesetz verpflichtet, Nachweise über Wartungen, Reparaturen und sonstige Eingriffe am Messgerät herzustellen und aufzubewahren. Das muss nicht in einer Lebensakte geschehen, sondern kann auf andere Weise erfolgen. Selbst wenn die Firma entgegen dieser Verpflichtung keine entsprechenden Unterlagen hergestellt und aufbewahrt hat, ist zu erwarten, dass entsprechende Vorgänge in anderer Weise dokumentiert sind. Die Generalstaatsanwaltschaft weist zutreffend darauf hin, dass das Amtsgericht im Rahmen der Aufklärungspflicht angehalten ist, sich um entsprechende Unterlagen bzw. Zeugenaussagen zu bemühen.“

Das wird man der häuifg von Bußgeldbehörden geäußerten Aussage: Es gibt keine Lebensakte entgegenhalten können/müssen: Es gibt sie doch, auch wenn sie so nicht unbedingt heißen muss. Wer bei mir im FA-Kurs oder in Fortbildungen war, weiß, dass ich das seit Jahren „predige“.

Und, m.E. noch schöner:

„Der Senat sieht Anlass zu bemerken:

Er teilt das im Urteil angedeutete Unbehagen des Amtsgerichts über die sehr dürftige Auskunft der Stadt Z. vom 25. März 2015 (Bl. 25 d. A.). Entschließen sich die Überwachungsbehörden, Private bzw. Geräte Privater für Verkehrsüberwachungen heranzuziehen, liegt es nahe, eine Beauftragung von der ordnungsgemäßen Dokumentation von Reparaturen etc. an den Geräten abhängig zu machen. Der bloße Verweis auf die Unversehrtheit der Sicherungsmarken reicht jedenfalls nicht aus.

Hält das Gericht die Klärung der Frage, ob das Gerät nach der Eichung repariert oder sonst- wie verändert worden ist, für erforderlich, kann es erwarten, dass diese Frage durch die Bußgeldbehörde im Rahmen der ihr obliegenden Ermittlungen durch Beifügen von Dokumenten bzw. Zeugenvernehmungen geklärt worden ist. Ist das nicht der Fall, liegt es nahe, die Sache gemäß § 69 Abs. 5 Satz 1 OWiG an die Verwaltungsbehörde zurückzuverweisen.“

Wer die Diktion von OLG kennt, weiß, was es bedeutet, wenn ein OLG-Senat „Unbehagen“ hat. Alles in allem ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Jetzt müssen die Amtsrichter das nur auch umsetzen.

Für mich läuft die Entscheidung übrigens unter: Die „Galilei-Enstscheidung“ des OLG Naumburg.